Interview mit Sebastian und Lars von Décembre Noir

DÉCEMBRE NOIR haben aktuell ihr viertes Studio-Album konzipiert. Ab Mitte Mai stehen die Erfurter Doom-Metaller für Aufnahmen zu „The Renaissance Of Hope“ in den Chemical Burn Studios. Vorher nahmen sich Gitarrist Sebastian und Sänger Lars die Zeit, ein paar Fragen zu beantworten und geben damit unter anderem Einblick in den Entstehungsprozess des Albums, von Musik generell und den Werdegang der Band.

Decembré Noir

Wie geht es dir aktuell? Das Thema ist omnipräsent, aber: Wie kommt ihr aktuell mit der Krise zurecht und über die Runden?
Sebastian: Danke der Nachfrage! Mir geht es gut und ich denke, ich kann auch im Namen meiner Bandkollegen sagen, dass es ihnen gut geht. Ich denke, wir taumeln wie so viele andere ein wenig in der Leere. Man kann nichts greifen oder sich an etwas orientieren, was zeitnah ist. Man versucht sich in Normalität außerhalb dieser, was einem hin und wieder mal haltlos erscheint und nicht wirklich Boden unter den Füßen gibt. Und auf der anderen Seite arbeiten wir mit festen Terminen am neuen Album und auch an den ersten Konzerten. Das ergibt eine eigenartige Mischung aus Vorwärtsdrang und Aufbruchstimmung gepaart mit der allumfassenden Unsicherheit.

Coronabedingt wurden ja leider die Konzerte abgesagt, zu denen DÉCEMBRE NOIR erneut als Support von Heaven Shall Burn aufgetreten wäre. Wie seid ihr mit der Absage der Konzerte umgegangen?
Sebastian: Es war ja ein schleichender Prozess mit dem Resultat, die Konzerte nicht mehr durchzuführen. Wir haben natürlich bis zum Schluss gebangt und gehofft, der Einladung von Heaven Shall Burn nachkommen zu können und ihre Release-Shows zu unterstützen. Aber die Ereignisse überschlugen sich recht schnell und uns wurde schon klar, dass die Chancen nicht wirklich gut stehen. Wir haben durch die Einschränkungen einige Konzerte in diesem Frühjahr und auch im Sommer eingebüßt. Die Konzerte mit Heaven Shall Burn gehören aber zu denen, die nicht abgesagt, sondern verschoben sind. Das macht es für uns etwas erträglicher.

Abgesehen von den letzten, sehr außergewöhnlichen Wochen: Wie habt ihr die Zeit seit dem Release von „Autumn Kings“ verbracht?
Sebastian: Wir haben natürlich versucht, uns so gut wie möglich mit dem Album zu präsentieren. Wir haben einige Konzerte gespielt und das Album konnte uns ein paar Türen öffnen, denke ich. Die Zeit war allerdings für manche von uns im privaten Bereich auch etwas turbulent, sodass es manchmal einen Moment bedurfte und wir nicht unter vollem Druck das Album promoten konnten. Ich glaube, die ganze Band war in einem recht aufgewühlten Zustand und infolgedessen vollzog sich auch der Besetzungswechsel am Bass. Zuerst mit Ali von Heaven Shall Burn und dann hoffentlich letztendlich mit Stephan. Man kann nicht sagen, dass die Zeit von Streit geprägt war, aber es ging ein deutlicher Ruck durch die Band.

© Andreas Brückner

Was bedeutet das aktuelle Album „Autumn Kings“ für DÉCEMBRE NOIR? Inwieweit hat es euch musikalisch vorangebracht oder verändert und wie beeinflusst es „The Renaissance Of Hope“?
Sebastian: „Autumn Kings“ nimmt seinen Platz in unserem kleinen Universum mit sehr viel Gewicht ein. Vielleicht lässt es sich mit diesem Gefühl besser beschreiben als mit Verkaufszahlen. Es kommt einem nicht selten wie ein imposanter Bau vor, der auf dem Weg von DÉCEMBRE NOIR nun für immer steht. Ein Bau, den man selbst errichtet hat und der doch nicht so nahbar erscheint wie „Forsaken Earth“ oder „A Discouraged Believer“. Ich denke, man durchschreitet bei jedem neuen Album eine gewisse Entwicklung. Das muss nicht immer am Instrument sein, sondern kann auch eine Eigenart beinhalten, welche gerade beim Schreiben eines Songs federführend war. Ich lasse mir immer etwas Zeit nach den Studioarbeiten, bevor ich mich an neue Songs setze. Das erleichtert den Abstand und ermöglichte auch für „The Renaissance Of Hope“ einen eigenen Sound und Stellenwert. Grundsätzlich wird auch hier der ein oder andere DÉCEMBRE NOIR nach den ersten fünf Tönen erkennen. Aber man wird auch hören, von welchem Album die Songs sein werden. Es wird nicht der zweite Teil von „Autumn Kings“.

Was macht für dich den Sound von DÉCEMBRE NOIR aus und wie ist er entstanden?
Sebastian: Es gab am Anfang natürlich genügend Inspirationen, welche ja auch der Grund waren, DÉCEMBRE NOIR ins Leben zu rufen. Der Sound ist dann eigentlich ohne bewusstes Zutun entstanden, verändert sich mit dem Fortschreiten der Zeit immer weiter und ist in seinen Grundfesten doch stetig erkennbar. Es sind sicherlich Besonderheiten in der Melodieführung oder auch bei den Rhythmusgitarren. Aber auch das immer wieder ausbrechende Schlagzeug, der eigenständige Bass und der alles verbindende Gesang.
Beim Songwriting ist für mich der Sound vom ersten Ton an da und ich habe aufgehört, mich zu wundern, warum jeder Ton, den ich spiele, genau so klingt. Der Faden zieht sich durch die Songs und das ist mir auch sehr wichtig, ohne die Abwechslung dabei zu vernachlässigen.

© Andreas Brückner

Was hat es mit dem Titel „The Renaissance Of Hope“ auf sich, der aktuell sehr gut in die Zeit passt?
Sebastian: Die Frage gebe ich an Lars als Sänger weiter.
Lars:  Vor genau einem Jahr stand ich vor dem größten Abgrund meines Lebens. Mein Vater starb nach schwerer Krankheit. Dazu kam beruflicher sowie privater Stress. Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren oder fokussieren. Ich hatte nichts mehr empfunden außer Leere. Das hörte erst auf, als ich meine jetzige Lebenspartnerin kennenlernte. Dank ihr fand ich wieder zu mir selbst. Das war meine persönliche „Renaissance Of Hope“. Tatsächlich ist der Albumtitel jetzt schon ein Jahr alt. Da war an so etwas wie Corona noch gar nicht zu denken. Ohne Hoffnung würden wir gerade ziemlich verloren sein. Viele bangen um ihr Existenz oder ihre Gesundheit. Es ist wichtiger denn je, dass man sich solidarisch verhält und anderen Menschen Mut zuspricht oder einen Weg zeigt, auf welchem man sich neu orientieren kann.

Gibt es einen Grundtenor für „The Renaissance Of Hope“? Wird Hoffnung hier ein zentrales Thema sein, das sich durch das Album zieht?
Sebastian: Auch diese Frage gebe ich an Lars.
Lars: Auf jeden Fall! Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so greifbar erscheint. Da geht es mal um das Bedürfnis, wieder jung zu sein oder die Wertschätzung für eine Sache zu bekommen, welche für einen selbst die größte Rolle spielt. Oder eben der Abgrund, vor dem man steht, und die Hoffnung, die nur einen Schritt weiter entfernt ist. Denn manchmal müssen wir ganz tief fallen, um zu begreifen, dass wir noch am Leben sind.

Was bedeutet Hoffnung für dich und wie hat sich der Begriff vielleicht gewandelt? Inwieweit eignet er sich für ein Doom-Album?
Sebastian: Ich denke nicht, dass auf einem Doom-Album Hoffnung keine Rolle spielen darf. Allerdings breitet sich ein weites Feld aus, wenn man sich in die eine oder andere Situation versetzt, in welcher ein Mensch Hoffnung haben kann. Der Begriff birgt in sich nur positive Assoziationen. Doch oft nur für den, der hofft, nicht immer für das Umfeld oder gar nahe stehende Personen. Dann geht mit dieser ersehnten positiven Zukunft eines Menschen eine sehr dunkle Zeit für andere einher.

© Décembre Noir

Was ist für dich inspirierend? Wie darf man sich den Werdegang eines neuen Songs vorstellen? Gibt es etwas, was besonders hilft, um Ideen für einen Song zu bekommen?
Sebastian: Ich habe mit meiner Lebensgefährtin vor ein paar Jahren ein einsames Haus im Thüringer Wald gekauft. Keine Straße, die hin führt, und keine Nachbarn. Wir leben dort mit unseren Tieren recht allein und zurückgezogen. Ich bin viel im Wald und treibe Sport. Ich will aber gar nicht sagen, dass das ein inspirierender Ort ist oder ich mit dem kleinen Bisschen Abgeschiedenheit den Nährboden für neue Songs gefunden habe – das wäre mir etwas zu spirituell. Ich glaube aber, dass es sehr nützlich ist, weniger abgelenkt zu sein und sich hin und wieder mit seinen eigenen Gedanken auseinanderzusetzen. Das schafft wieder Freiraum im Geist, um sich mit neuen Songs zu beschäftigen. Ich muss gestehen, dass ich selbst sehr wenig Musik höre. Vielleicht ist das für die Erschaffung neuer Musik aber gerade richtig, da es ja den äußeren Einfluss minimiert und man für seine Songs nicht die Inspiration anderer einfließen lässt.

Gibt es klare „Aufgabenfelder“, wer welchen Part gestaltet (Beispielsweise die Texte oder Melodie schreiben) oder bringt sich jeder in allen Bereichen des Entstehungsprozesses ein? Was entsteht zuerst: Text oder Melodie?
Sebastian: Ich denke, wir sind wohl so eine Art Gitarrenband. Als Erstes entstehen die Riffs und die Melodien. Es hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter Prozess entwickelt, in dem wir alle beteiligt sind. Ich fange meist ein paar Monate nach der Studioarbeit von einem Album wieder an, an neuen Songs zu arbeiten. Wenn es Hand und Fuß bekommen hat, stell ich die ersten Songs der Band vor. Es gibt dann immer ein paar Songwritingabende, bei denen Martin zu mir kommt und seinen Teil beiträgt oder wir gemeinsam an seinen Songs, Riffs und Ideen arbeiten.  Wenn alle Gitarrenspuren stehen, gebe ich alles an Kevin weiter. Er arbeitet dann die Drums aus. Hier ist wohl die heißeste Phase im Entstehungsprozess, denn wir geben ihm nicht unsere Vorstellungen vom Schlagzeug mit auf den Weg. Somit muss er alle Riffs für sich neu interpretieren.  Wenn damit alle ihren Frieden gefunden haben, kümmern sich Lars und Martin um die Texte und um die Gesangssetzung. Stephan hat nun die Grundlage des Schlagzeugs, um den Bass auszuarbeiten. Mit der damit entstandenen Vorproduktion geht es zu Alexander Dietz, der seit der ersten Stunde das Zepter der Albumproduktion schwingt. Der eigentliche Songwritingprozess endet aber im Studio, da sich gerade auch in der intensiven Studiozeit neue Ideen entwickeln.

Was macht Spaß am Schaffensprozess und was sind eventuell „leidige“ Begleiterscheinungen dabei, die aber dennoch erledigt werden müssen?
Sebastian: Im Nachhinein betrachtet hat eigentlich alles immer Spaß gemacht. Wahrscheinlich verdrängt man so einiges und hat seinen Frieden mit dem fertigen Album gefunden. Aber sicher gibt es Punkte, die manchmal nervig sein können. Wir sind natürlich auch fünf Leute und damit nicht immer einer Meinung. Das betrifft nicht nur die Songs. Auch zu Cover und Artwork gehen die Meinungen auseinander. Der gute Nebeneffekt daran ist aber, dass es keine Schnellschüsse gibt und sich jeder auch mit dem befassen muss, was er nicht mag. Dadurch, dass sich bei uns der Entstehungsprozess bis weit ins Studio zieht und es sehr interessant ist, wie die Songs während dieser gesamten Zeit oft ihr Gesicht verändern, bleibt ein stumpfes Abarbeiten während der Aufnahmen eigentlich aus.

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Apropos „jedes Bandmitglied“: Seit 2019 habt ihr einen neuen Bassisten. Wie hat sich Stephan in die Band eingefunden? Auf dem letzten Schreinachten in Jena schien er sich auf der Bühne recht wohl gefühlt zu haben.
Sebastian: Stephan kannte unsere Musik und war sofort bei der Sache, als er gefragt wurde. Er ist erst seit einer kurzen Zeit dabei, aber er hat sehr schnell auch Gebrauch von seiner Entscheidungsgewalt als Bandmitglied gemacht und hat sich zu keiner Zeit außerhalb gestellt. Man hatte sehr schnell den Eindruck, dass es schon immer so wäre, dass er da ist. Seine ruhige Art ist sehr wichtig in unserem Bandgefüge. Auf der Bühne ist davon recht wenig zu erahnen. Er genießt es, live zu spielen, obwohl er, glaube ich, auch sehr viel Gefallen an der Studioarbeit findet.

Wer bist du abseits der Bühne? Unterscheidest du dich im Alltag grundsätzlich von der Person, die da auf der Bühne steht?
Sebastian: Ich selbst würde da keinen Unterschied ausmachen können. Ist natürlich von innen heraus betrachtet. Von außen sieht das sicherlich anders aus, da sich dieses Bild von mir auf der Bühne während eines Konzertes schon deutlich von dem in meinem Alltag abhebt. Obwohl wir keine Show inszenieren und wir uns beim Performen der Songs auch nicht verstellen, hat man als Publikum doch einen anderen Blick auf uns auf der Bühne, als wenn wir ihnen im Alltag begegnen würden. Ich treffe einige Leute bei Wettkämpfen im Sport oder während der Arbeit, die mich über diesen Bereich kennengelernt haben und über Jahre nichts von meiner Tätigkeit als Musiker wissen. Da hat so jeder Mensch sein Bild von mir aus dem jeweiligen Zusammenhang heraus. Und doch bin ich ein und dieselbe Person. Es ist aber auch keineswegs so, dass ich ein trauriger Mensch bin, weil ich bei DÉCEMBRE NOIR traurige Songs schreibe.

Danke für das ausführlichen Interview und die damit verbundenen Eindrücke. Zum Schluss vielleicht noch ein schnelles Brainstorming?

2020: Geordnetes Chaos

Bester Tipp für die Zeit während der Ausgangsbeschränkung: Versuchen, die Zeit zu nutzen! Vielleicht nicht damit, täglich neuen Bildchen und Parolen hinterherzurennen, sondern wirklich mit eigener Meinung und Verstand versuchen, den Sachen, die einen interessieren, auf den Grund zu gehen. Für die Leute, welche in dieser Zeit ihre Existenz verlieren, sind das alles nur leere Phrasen und man sollte solche gönnerhaften Tipps lieber stecken lassen.

Bester Tipp für die Zeit danach: Auf jeden Fall die Sachen, welche man so laut als vermisst gemeldet hat, dann auch zu machen. Viele Bands und Veranstalter würden sich freuen, nicht nur halbvolle Venues nach dieser Krise zu haben.

Deine Empfehlung an dein Ich von vor zehn Jahren: Viel konsequenter und bewusster an den Sachen zu arbeiten, welche mir so wichtig sind, und meine Ziele klarer zu bestimmen. Für ein „Man hätte doch, wenn man…“ ist man irgendwann zu alt.

DÉCEMBRE NOIR in zehn Jahren: Hoffentlich noch da! Aber eigentlich kann ich mir im Moment nicht vorstellen, dass sich DÉCEMBRE NOIR schon im nächsten Jahrzehnt verabschieden. Alles andere sollte man im Nachhinein betrachten.

Die letzten Worte an uns und unsere Leser gehören dir.

© Décembre Noir

Sebastian: Unsere sozialen Netzwerke und Medien haben in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit nicht nur ein neues Bild der Gesellschaft oder manchmal auch ein Paralleluniversum für so manche erschaffen, sondern bieten auch vielfältigste Möglichkeiten der Kommunikation. Was mir immer mehr auffällt, ist die leichtfertige Denunzierung aus den Fingerspitzen. Welche, ob nun groß angelegt und politischen Interessen unterlegen, oder ob sie anderen Kulturen, Neigungen und Ansichten gilt, doch immer nur den psychischen Knebel innehält. Niemand möchte in der Schublade der Irren und der Idioten landen. Und niemand kann seinen Horizont öffnen, wenn er in die Ecke getrieben gegen die Wand guckt. Niemand hat alles Recht und alle Wahrheit für sich gepachtet. Meist liegt sie irgendwo zwischen vielen Meinungen. Ich denke, wir haben in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Wir sind gegenüber anderen Ländern und Kulturen auf der Welt nicht mehr darauf angewiesen, Interessen mit Gewalt und Verfolgung durchzusetzen. Doch der psychische Druck der drohenden Ausgrenzung bleibt. Das betrifft alle immer enger werdenden Ecken in unserer Gesellschaft.
Ich denke, wir haben in unserer Kommunikationskultur noch viel Luft nach oben.

 

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Fotos von: Andreas Brückner

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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