Interview mit Mikael Stanne von Dark Tranquillity

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Auf der Bühne wirkt Mikael Stanne wie der sympatischste und glücklichste Mensch auf Erden. Ersteres stimmt definitiv – zweiteres wohl eher nicht, wie sich schnell zeigt, wenn man sich mit ihm über die Hintergründe von „Endtime Signals“ und damit die Weltlage, unterhält. Aus dem Home-Office heraus sprach er außerdem über den personellen Umbruch bei DARK TRANQUILLITY, die Preisexplosion bei Tickets und Merch sowie das Musiker-Dasein im Streaming-Zeitalter.

Ich hoffe, du bist noch nicht zu erschöpft von der Promoarbeit … Machst du das gerne, oder ist es eher anstrengend für dich?
Nein, es ist noch relativ früh … Ich habe noch einen weiteren vollen Tag vor mir. Und ich mag das, wirklich. Es macht Spaß, über Dinge zu sprechen, für die man sich begeistert. Aber ich bin diese Woche nur zwei Tage zu Hause, und an beiden Tagen gebe ich Interviews. Und dann fliege ich wieder irgendwohin. Das ist vielleicht der schwierige Teil, aber das ist mein Problem. (lacht)

Euer neues Album trägt den Titel „ Endtime Signals“, was nicht besonders optimistisch klingt. Kannst du uns die Idee hinter dem Konzept erklären oder inwiefern es sich auf unsere heutige Zeit bezieht?
Ja, es ist wohl nicht sehr optimistisch. Früher oder normalerweise hatte ich immer das Gefühl, dass alles irgendwie gut wird … es wird sich von selbst regeln, wir sind schließlich Menschen, und wir werden es schaffen. Wir haben einen Überlebensinstinkt und die Bereitschaft, Probleme und Fragen zu lösen, also wird es sich von selbst regeln. Aber in letzter Zeit habe ich das nicht mehr so richtig gespürt. Es ist immer schwieriger geworden, positiv zu bleiben. Ich mag dieses Gefühl überhaupt nicht, ich hasse die Tatsache, dass ich diesen Optimismus verloren habe. Und besonders in den letzten zwei Jahren, als wir anfingen, dieses Album zu schreiben, hatte man das Gefühl, dass die Dinge noch viel schlimmer werden, bevor sie sich zum Guten wenden, wenn sie es überhaupt jemals tun. Das war ein frustrierender, niederschmetternder Gedanke, denn das ist das Letzte, worüber man nachdenken möchte. Man möchte sagen: „Ja, das wird schon wieder! Es gibt Höhen und Tiefen in dieser Welt. Natürlich streben wir alle danach, besser zu werden, unsere Probleme zu überwinden, Probleme zu lösen und netter und besser zueinander und zu uns selbst zu sein.“ Aber ich habe das nicht mehr wirklich gesehen, und das hatte einen großen Einfluss auf mich, und es hatte einen großen Einfluss auf uns, als wir aus der Pandemie zurückkamen.

„Ich wollte keine Positivität.
Ich wollte mich nur im Elend suhlen“

Wir haben etwas Traumatisches durchgemacht, wir alle, der ganze Planet hat das Gleiche hinter sich, und man sollte meinen, dass das eine verbindende Erfahrung ist: Hey, wir haben etwas gemeinsam durchgemacht. Jetzt kommen wir zurück und fangen an, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen und auch die Welt besser zu machen, basierend auf den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Aber das ist nicht so passiert, wie ich gehofft hatte. Dann gingen wir auf Tournee, und man konnte sehen, dass sich viele Orte wirklich verändert hatten, vor allem Nordamerika, das sich gerade von den Geschehnissen während der Pandemie erholte. Und das hatte einen wirklich tiefgreifenden Einfluss auf uns. Als wir angefangen haben, das Album zu schreiben, haben wir versucht herauszufinden, wie wir mit dem umgehen, was in den letzten paar Jahren passiert ist. Wie können wir das in Worte und Musik fassen? Da wurde uns klar, dass wir vielleicht einfach all die Negativität, die Sorgen und Ängste in das Album einfließen lassen sollten, um zu sehen, ob wir uns dadurch besser fühlen. Denn das war es auch, was ich damals in der Musik gesucht habe, die ich gehört habe: Ich wollte keine Positivität. Ich wollte mich nur im Elend suhlen. Ich habe die depressivste, düsterste, zerstörerischste Musik gehört und fühlte mich dabei gut gefühlt, weil ich das Gefühl hatte, dass jemand anderes die gleiche Stimmung hat. Das hat uns inspiriert. Dann haben wir angefangen, über das Cover-Artwork und den Titel und alles andere nachzudenken. Die Idee war: Wie wäre es mit dieser dystopischen Zukunft? Wenn sich also nichts verbessert, was wäre dann das ultimative Ergebnis dieser Entwicklungen? Was ist die schlimmste Version der kommenden Ereignisse? Wenn alles so schlecht läuft, wie es nur geht – wie würde das aussehen? Das war der Ausgangspunkt für das Cover-Artwork und den Titel. Niklas und ich haben auch viel darüber gesprochen, wie wir das Album dann nennen sollen. Was würde Sinn ergeben, und was würde ihn dazu inspirieren, sein Cover zu gestalten? „“Endtime Signals“ fühlte sich einfach so an, als ob dies die letzte Art von Übertragung wäre. Vielleicht das, was die nächste Phase für uns einleitet.

DARK TRANQUILLITY 2024; © Michele Aldeghi
DARK TRANQUILLITY 2024; © Michele Aldeghi

Ich verstehe dich vollkommen. Ich hatte genau das gleiche Gefühl und ich denke, viele Menschen auf der ganzen Welt. Aber vieles von dem, was in dieser Welt schief läuft, können wir als Individuen gar nicht beeinflussen, deshalb ist es ein guter Ansatz, es in Kunst umzusetzen. Ich finde, das hat in diesem Fall sehr gut funktioniert. Ein interessanter Punkt ist, dass ihr wieder einige Besetzungswechsel hattet. Mit Anders Jivarp hat einer eurer Songwriter die Band verlassen – nachdem zuvor schon Niklas Sundin ausgestiegen war. Und auch Anders Ivers und Christopher Ammott sind nicht mehr dabei. Inwiefern hat das die Arbeitsweise der Band verändert?
Es ist immer frustrierend, wenn sich jemand entscheidet, die Band zu verlassen, oder wenn man sich entschließt, getrennte Wege zu gehen. In diesem Fall war es während der Pandemie, als plötzlich nichts mehr auf dem Plan stand und man anfing, seine Prioritäten zu überdenken und zu überlegen, was man tun wollte. Es ist leicht, einfach weiterzumachen, noch eine Tour, noch ein Album, noch eine Tour … aber dann steht plötzlich alles still, und man hat etwas Zeit zum Nachdenken. So war es auch für Anders und Anders. Sie erkannten: Vielleicht sollte ich etwas anderes mit meinem Leben anfangen und nicht nur in dieser Sache stecken bleiben. Und das Wichtigste für mich ist, dass sie super glücklich sind. Sie sind zufrieden und glücklich damit. Das gilt auch für Chris. Er wollte einfach seine eigene Musik machen, und Teil des Teams zu sein, das wir sein wollten, war nicht so sein Ding. Also habe ich gesagt: Na gut, was auch immer das Beste für dich ist, das wird passieren. Natürlich ist das frustrierend und schwierig, aber gleichzeitig fühlte es sich so natürlich und einfach an, Joakim für das Schlagzeug und Christian für den Bass zu finden, weil sie unglaubliche Musiker sind, großartige Personen und weil sie genauso engagiert bei der Sache sind wie wir. Aber wie du schon sagtest, hat Anders Jivarp eine Menge Material für die letzten Alben geschrieben. Es ging also darum, einen neuen Weg des Komponierens zu beschreiten.

„Wir mussten keine Kompromisse eingehen

Anders hatte eine ganz bestimmte Art zu schreiben und Martin und Johan auch, was zu vielen Kompromissen geführt hat. Man hat eine Idee, aber dann wird sie von Johan oder Martin „übersetzt“, und es war immer ein Hin und Her, bis wir uns auf etwas einigen konnten. Doch so sehr ich diese Kompromisse im Laufe der Jahre auch geschätzt habe, bei diesem Album war das nicht nötig. Im Grunde waren es Johan und Martin, die das Album geschrieben haben, und wir haben viel über die Richtung gesprochen und darüber, wie es sein sollte und wie es sich anfühlen sollte und wohin wir gehen sollten und was wir machen könnten und was wir mit den neuen Leuten für möglich hielten. Wir mussten also keine Kompromisse eingehen, sondern hatten eine sehr klare Vorstellung davon, wie die Band in den nächsten Jahren aussehen sollte. Am Anfang war es nicht einfach, aber gleichzeitig war es sehr erfüllend, weil wir die ganze Zeit über auf einer Wellenlänge waren. Das hat wirklich geholfen. Es ging also nur darum, es richtig zu machen und nichts dem Zufall zu überlassen. Wir mussten sicherstellen, dass es die emotionale Wirkung hat, die wir haben wollten, dass wir alle Zutaten drin hatten, die man von einem DARK TRANQUILLITY-Album erwartet. Aber auch neue und coole Ideen, die wir nur dank Christian und Johan und Joakim umsetzen konnten. Ich habe dieses Album wirklich genossen, und so kompliziert und emotional herausfordernd es auch war, es hat sich gelohnt, weil wir letztendlich unglaublich zufrieden damit sind. Wir hatten wieder ein Gefühl der Erfüllung und eine neue Dynamik in der Band, und die Vorfreude auf die kommenden Tourneen und die Veröffentlichung des Albums und alles andere ist unglaublich. Es fühlt sich also wirklich toll an.

Dark Tranquillity Endtime SignalsIch würde sagen, dass man das hören kann, trotzdem bin ich immer wieder beeindruckt, wenn eine Band es schafft, solche Besetzungswechsel so zu kompensieren, dass am Ende neue Musik dabei herauskommt, die alle Trademarks enthält. Wie habt ihr es geschafft, die DNA eurer Band auf die neuen Kollegen zu übertragen?
Johan ist ein Fan der Band, seit er in den 1990er Jahren mit Death Metal angefangen hat, und wir waren oft zusammen auf Tour. Aber ich glaube, am meisten hat er bei den Aufnahmen zu „Moment“ gelernt. Da war schon viel Material geschrieben, und er musste der Gitarrist sein, der es umsetzt. Er musste Songs lernen und neu arrangieren. Das war wirklich eine großartige Lernerfahrung für ihn – denn wir wussten, dass wir bereits gutes Material hatten; es ging nur darum, es an Johans Stil anzupassen und ihn auch an unseren Stil zu gewöhnen. Das hat es für dieses Album einfacher gemacht. Wir mussten nicht explizit darüber reden, wie, „ Oh, es muss diese Art von Riff sein“. Es kam einfach von selbst. Martin Brändström hat unsere Alben über viele, viele Jahre mehr oder weniger produziert, seit wir begonnen haben, sein Studio als Hauptaufnahmeort zu nutzen. Und er ist mehr und mehr in diese Produzentenrolle hineingewachsen. Mit jedem Album hat er sich mehr in alles eingebracht. Inzwischen gibt es keinen einzigen Ton und kein einziges Wort auf dem Album, mit dem er nicht einverstanden wäre. Er muss alles absegnen, sonst würden wir es niemals veröffentlichen. Ich denke, das spielt auch eine große Rolle. Aber es geht auch darum, über die Sachen zu reden und Songs immer wieder anzuhören, bis wir wissen, dass sich das einfach gut anfühlt und dass es das ist, was wir jetzt machen wollen. Trotzdem haben wir natürlich immer im Hinterkopf, dass es „richtig“ klingen muss, aber auch „neu“ sein muss. (lacht)

„Ich höre keine einzelnen Songs –
ich höre mir Alben an.

Das Album ist noch nicht erschienen, aber ihr habt bereits drei Singles veröffentlicht. Das ist ein neuer Trend, dass vorab viele Singles veröffentlicht werden. Findest du es als Fan gut, schon einen guten Teil eines Albums zu kennen, bevor man es in voller Länge anhören kann?
Als Fan mag ich das nicht. Wenn eine Band, die ich liebe, ein neues Album ankündigt und die erste Single herauskommt, höre ich mir die an und denke: „Okay, ja, gut. Ich werde mir das Album gleich am ersten Tag kaufen“, und dann weiß ich Bescheid. Ich muss mir nicht vier oder fünf Singles anhören, das brauche ich wirklich nicht. Aber gleichzeitig verstehe ich, dass das heutzutage mit den digitalen Medien so funktioniert und dass die Leute Playlists hören und so weiter und so fort. Es geht also nur darum, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Ich höre Musik nicht auf diese Weise, ich höre keine einzelnen Songs. Ich höre mir Alben an. Ich bin da ganz altmodisch, und ich liebe diese Erfahrung. Die Bands, die ich mag, schreiben Alben und haben eine Kontinuität über das ganze Album hinweg, es hat einen Anfang und ein Ende, und es zieht sich eine Erzählung oder eine Stimmung durch das ganze Album. Das gefällt mir einfach besser. Aber es geht auch darum, ein neues Publikum zu erreichen und neue Leute anzusprechen … so etwas ist eben Teil davon. Aber das Schöne ist ja, dass man die Wahl hat. Wenn du nur einen Song hören willst, gut, schau dir ein Video an, super. Wenn du dir alle Songs immer wieder anhören willst, weil du dich so auf das Album freust, ist das auch toll. Man muss einfach nur dafür sorgen, dass man alle Optionen anbietet.

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Beeinflusst dich das als Musiker, weil du weißt, dass du mindestens vier oder fünf Songs auf dem Album haben musst, die als Single funktionieren? Ist es nicht schwierig, das mit all dem in Einklang zu bringen, was du gerade über die Kontinuität, das Geschichtenerzählen oder die Stimmung eines Albums gesagt hast?
Nein, das hat keinen Einfluss darauf, wie wir es angehen. Diese Gespräche beginnen, wenn die Songs geschrieben und auch abgemischt sind. Wenn wir den Song aufnehmen, denkt man vielleicht: „Oh, das Lied könnte tatsächlich eine erste Single sein, weil es alles hat, was wir wollen. Der schwierige Teil ist, herauszufinden, welche Songs verschiedene Geschichten darüber erzählen, wie das Album klingt. Natürlich wird nicht die ganze Geschichte erzählt, aber im Grunde genommen war unsere Überlegung, dass der erste Song „The Last Imagination“ sein sollte. Er ist heavy und hat eine sehr doomige, düstere Stimmung, die die Geschichte des übergeordneten Konzepts erzählt. Dann folgt „Unforgivable“, superschnell, superintensiv, und dann „Not Nothing“, das noch einen anderen Aspekt des Albums hervorhebt. Diese Phase ist also wirklich spannend. Man denkt eher in Richtung Vermarktung des Albums, was aber auch Spaß machen kann.

„Man muss sich mit den Gegebenheiten
der Musikindustrie abfinden

Außerdem geht es auch darum, die visuelle Erzählung festzulegen, die Videos und die Art und Weise, wie sie aussehen und sich anfühlen, damit das auch auf der Bühne gezeigt werden kann, wenn wir auf Tour gehen. Ich habe immer noch Freude an diesen Dingen, auch wenn es, wie schon gesagt, nicht so viel Spaß macht, Singles auszuwählen. Aber es geht darum, das Beste aus der Sache herauszuholen und dafür zu sorgen, dass es ein komplettes Bild oder zumindest einen Ausschnitt davon vermittelt. Oder dass man zumindest eine Vorstellung vom Spektrum des Albums bekommt. Es ist immer noch frustrierend, aber man muss sich mit den Gegebenheiten der Musikindustrie abfinden. Man kann entweder Singles veröffentlichen, oder man kann sagen, scheiß drauf, wir machen es nicht. Wir haben uns entschieden, das Beste daraus zu machen und dafür zu sorgen, dass das gesamte Album den Stil hat, auf den wir uns geeinigt und den wir gewählt haben. Das ist der aufregende Teil, kreativ gesehen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre es was anderes, aber …

Das Album ist etwa 50 Minuten lang, das ist eine Menge an Material. Es dürfte ziemlich schwer sein, die Songs auszuwählen – vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Song, der nicht als Single ausgewählt wird, niemals die gleiche Aufmerksamkeit bekommen wird?
Ja, ist es. Ich versuche, darüber nicht nachzudenken. Aber natürlich hoffe ich, dass, sobald die Singles veröffentlicht sind, sie in das Album integriert werden – zumindest auf den digitalen Plattformen, auf Spotify und Tidal und so. Dann wird daraus einfach das Album, und das ist es, was man sich anhört.

Außer bei Playlists …
Außer bei Playlists, ja, natürlich. Aber ich bin schon in so vielen Meetings über dieses Thema gesessen und ich sage immer, „Oh, bitte, hört euch einfach das Album an“. (lacht) Aber ja, wie schon gesagt, es liegt nicht wirklich an uns. Es ist eher so, dass wir sagen, okay, wenn das so funktioniert, dann ist es für uns in Ordnung. Aber ja, Singles auszuwählen ist immer ein absoluter Albtraum, wirklich.
Andererseits macht es Spaß, Videos aufzunehmen und herauszufinden, wie alles aussehen soll. In ein paar Wochen kommt ein weiteres Video heraus, das ist immer noch aufregend. Und natürlich macht es Spaß, dass die Leute sich damit beschäftigen. Das ist der einzige Teil vor der Veröffentlichung des Albums, bei dem man die Reaktionen der Leute beobachten kann, die es sich anhören. Man bekommt Kommentare auf YouTube oder was auch immer, oder in den sozialen Medien. Das macht Spaß und bedeutet, dass die Leute gespannt sind, dass sie bereit sind und sich den Song anhören. Das ist natürlich auch schön.

„Man veröffentlicht jetzt Musik,
damit man auf Tour gehen kann“

Wo wir schon vom Streaming sprechen: Es ist eine Tatsache, dass sich physische Produkte nicht mehr so gut verkaufen wie zu der Zeit, als das die einzige Möglichkeit war, Musik zu hören – und einige Musiker beklagen sich darüber, dass sie heutzutage keine Musiker mehr sind, sondern T-Shirt-Verkäufer, die auf Tournee gehen und Merch verkaufen müssen, um Geld zu verdienen. Inwieweit beeinflusst euch das, wenn es um die Frage geht, wie oft man ein Album veröffentlichen oder auf Tournee gehen „muss“?
Ich finde nicht, dass man ständig ein Album herausbringen muss. Aber wir haben darüber auch noch nicht so viel nachgedacht. Wir merken natürlich auch, dass das Touren wichtiger ist als Alben zu veröffentlichen. In den 1980er- oder 1990er-Jahren hat man das Geld noch mit der Musik verdient. Und dann ist man losgezogen, um das Album auf Tournee zu promoten – wohingegen man heute ein Album veröffentlicht, um eine Tournee zu promoten. In gewisser Weise ist das ein trauriger Umstand, aber man kann ein bisschen darüber jammern, nach dem Motto: „Oh Mann, ich wünschte, es wäre die gute alte Zeit!“, aber die wird nie wieder kommen. Das ändert also nichts daran. Aber es ist schon seltsam. Ich glaube nicht, dass es sich auf das Songwriting auswirkt, es hat keinen Einfluss darauf, wie man ein Album herausbringt, zumindest nicht in unseren Köpfen, denn wir sind da ziemlich old school, was das angeht. Wir wollen es also auf die alte Art und Weise … aber das bedeutet natürlich, dass man Jahre im Voraus planen muss, weil man weiß, wie viel man touren wird, und dann gibt es eine gewisse Auszeit, um wieder mit dem Schreiben anzufangen, und dann beginnt man mit der ganzen Sache von vorne, was manchmal etwas nervenaufreibend sein kann. Aber so funktioniert es nun mal. Also ja, das hat sich natürlich geändert. Man veröffentlicht jetzt Musik, damit man auf Tour gehen kann.

DARK TRANQUILLITY 2024; © Alessandro Di Martino
DARK TRANQUILLITY 2024; © Alessandro Di Martino

Kannst du grob umreißen, wie viel von dem, was ihr mit der Band verdient, immer noch von der Musik selbst kommt, und wie viel von Tourneen und Merchandise?
Nein, ich habe keine Ahnung, keine Zahlen. Das Touren ist die größte Einnahmequelle, aber ich weiß nicht, inwiefern das der Fall ist. Ich bin wirklich schlecht in solchen Sachen.

„Wenn wir Geld verdienen wollen,
müssen wir die Preise zu erhöhen

Auf der anderen Seite steigen die Preise für Merchandise-Artikel wie verrückt: 30-35€ für ein T-Shirt ist mittlerweile normal, einige Bands verlangen sogar bis zu 50 oder 60€. Ich frage mich, wie lange die Preise noch steigen können, bevor die Leute aufhören, T-Shirts zu kaufen. Dasselbe gilt für die Ticketpreise …
Ich glaube, man muss das Bild noch weiter fassen. Flüge beispielsweise sind dieses Jahr mindestens doppelt so teuer wie im Jahr 2019. Das heißt, wenn du eine Tour-Gruppe von 10 oder 15 Leuten bist, entspricht das der gesamten Gage, die du bei einem Festival bekommst. Oder es ist zumindest ein großer Teil davon. Dadurch ist es wirklich schwer, Gewinn zu erwirtschaften … und das Gleiche gilt für Gehälter und so weiter. Tourneebusse sind mehr als doppelt so teuer, was wirklich viel ausmacht, weil sie ohnehin schon wahnsinnig teuer sind. Benzin ist unglaublich teuer, und Stoff ist verdammt teuer. Die Herstellung eines Shirts ist jetzt also mehr als doppelt so teuer wie 2019. Das heißt, wenn wir Geld verdienen wollen, müssen wir die Preise erhöhen. Aber natürlich gibt es dafür eine Grenze. Und natürlich fühlt es sich blöd an, 50 € oder so für eine Show zu verlangen. Aber das ist eben auch die traurige Wahrheit: Wenn du das nicht tust, kannst du vielleicht nicht auf Tour gehen. Und wie du weißt, werden viele Tourneen abgesagt, weil es einfach nicht rentabel ist. Das ist die Kehrseite der Medaille. Es ist wirklich schwierig. Die gesamte Branche macht Veränderungen durch, die wirklich schwer zu bewältigen sind. Die Kriege in der Welt haben dazu geführt, dass die Preise für so viele Dinge in die Höhe geschossen sind. Das betrifft alle Bereiche der Herstellung, auch die Produktion von Schallplatten wie CDs und Vinyl. Auch das ist jetzt unglaublich viel teurer, als noch vor drei, vier Jahren. Das ist ätzend. Es ist ätzend, dass Alben heutzutage 60 € kosten. Da denke auch ich: „Was? Was ist denn da passiert? Vorher waren es 30€!“ Das ist Wahnsinn.

Aber ich habe keine Ahnung, wann sich die Dinge wieder ändern werden. Wenn die Kosten sinken, sinken auch die Preise. Unglücklicherweise liegt es nicht an den Bands oder dem Management oder den Plattenfirmen, die müssen sich einfach an die Realität der Welt anpassen. Man kann den Bands keine Schuld geben. Das ist einfach die Realität. Entweder man kann zu einer Show gehen und ein T-Shirt kaufen, oder das alles gibt es gar nicht. Das ist leider die Realität. Natürlich ist das nicht überall so – es gibt auch viele Bands, die überzogene Preise haben. Aber das war schon immer der Fall, das ist nichts Neues. Aber selbst bei Bands, die nur das absolute Minimum an Geld mit einer Tour verdienen wollen, die also die niedrigsten Preise für Tickets und Merch verlangen … ist es immer noch teurer, als wir alle es uns wünschen würden.

„Entweder man verlangt so viel,
oder man kann nicht auf Tour gehen

Ich frage mich nur, ob wir dann die neue Generation für die Szene verlieren. Als ich ein Teenager war, hätte ich diese Beträge für Platten, Shirts oder Tickets nicht bezahlen können …
Auf jeden Fall. Das war immer ein Kampf, auch für mich. Geld zu verdienen, damit ich mir Platten und Tickets kaufen kann – das machte schon immer einen großen Anteil an meinen Ausgaben aus. Und jetzt zu wissen, oh, verdammt, die Festivaltickets sind unglaublich teuer, all das Zeug … es ist verrückt. Aber ja … leider habe ich keine Antwort, aber vielleicht eine Erklärung, warum das so ist. Es liegt nicht an den Bands. Also schlussendlich natürlich schon, aber es ist eben auch so: Entweder man verlangt so viel, oder man kann nicht auf Tour gehen. Das ist die traurige Realität.

Mikael mit DARK TRANQUILLITY (2017) © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Das ist wahr. Danke für deine Antworten, ich habe zum Abschluss noch ein kleines Brainstorming vorbereitet:
Das letzte Album, das du dir angehört hast: Die letzte Causa Sui … Ein dänisches, progressives, verrücktes, improvisiertes, psychedelisches Rockalbum. Nein, stimmt gar nicht! Das letzte Album, das ich auf Vinyl gehört habe, war der „The Last Of Us“-Soundtrack des ersten Videospiels. Ich habe mir vor sechs Monaten dieses vierteilige Vinyl-Boxset bestellt, und es kam eben erst an, als ich aus Finnland nach Hause kam. Oh, Mann, es ist einfach wunderschön und eindringlich und unglaublich! Das war also das letzte Album, das ich mir angehört habe.
Ich schätze, die nächste Frage ist schon beantwortet – denn es war „Vinyl“ … und wenn man so eine Box kauft, ist man wohl begeistert? Das stimmt. Ja, ich kann mir nicht helfen. Es macht so viel Spaß … Ich meine, es ist ein tolles Hobby, etwas zu sammeln, aber ich liebe es auch, Bands zu unterstützen und coole Versionen der Alben zu haben. Ich kaufe eigentlich keine Major-Alben oder so etwas. Ich kaufe von kleineren Bands und normalerweise direkt im Bandcamp oder bei Konzerten, weil ich weiß, was das für einen Unterschied macht. Das macht also Spaß. Ich habe so viele Platten, die ich gerade erst gekauft habe, weil ich auf vielen Konzerten war, aber ich habe noch keine Zeit gehabt, sie mir anzuhören, weil ich nie zu Hause bin. (lacht) Aber es fühlt sich trotzdem gut an. Du unterstützt Bands, und das ist etwas, das wirklich wichtig ist.
Das Geld, das ich mit der Musik verdiene, stecke ich wieder in die Musik.
Das ist cool. Ich kenne so viele Musiker, die selbst nicht mehr zu Konzerten gehen, weil sie selbst so oft spielen und so weiter. Also wollen sie einfach nicht mehr hingehen …
Das ist natürlich einfach, aber es gibt so viel tolles Zeug. Und ich habe das Glück, in einer Stadt zu leben, die coole Veranstalter hat und in der wirklich coole und interessante Bands auftreten. Ich kann mir also nicht helfen.
The Cure: Die Band? Oh, Mann! Ich bin mit The Cure aufgewachsen und hatte sie immer im Hinterkopf, als ich Anfang bis Mitte der 1990er Jahre auf Goth-Rock stand, als ich The Mission und die Sisters Of Mercy entdeckte – The Cure war damals sehr wichtig für mich. Dieser Vibe, diese Art von melancholischer, angstbesetzter Musik war sehr prägend für meine musikalische Entwicklung.
Die Wahlen in den USA: Ein absoluter Albtraum. Und ich hasse die Tatsache, dass ich davon besessen bin, ständig. Ich kann mir nicht helfen. Ich sehe mir Nachrichten an. Ich lese Nachrichten. Ich höre mir Podcasts an. Ich verschlinge alles, was ich darüber finden kann. Das sollte ich nicht, denn ich fühle mich dabei nicht gut. Und es schadet wahrscheinlich meiner geistigen Gesundheit. Aber ja, es ist da, und es ist faszinierend – aber es ist so frustrierend, weil … verdammt. Es ist das Gegenteil dessen, was eine gute Art von Demokratie sein sollte, glaube ich. Aber lass uns mal abwarten. Ich werde in den letzten Monaten der Wahlperiode in Amerika sein. Und glücklicherweise werde ich nicht dort sein, wenn die eigentliche Wahl stattfindet. Denn das würde ich nicht wollen. Aber ja, es ist ein absolutes Chaos.
DARK TRANQUILLITY in zehn Jahren: Ich hoffe, dass wir dasselbe machen können wie jetzt. Als wir angefangen haben, dachte ich, dass fünf Jahre zu viel sein würden. Und dann waren zehn Jahre undenkbar. Und jetzt sind es schon 30 Jahre. Also, hey, warum sollten wir aufhören? Wenn es sich immer noch gut anfühlt und wir es tun können und damit durchkommen, werden wir weitermachen.

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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