Interview mit Ismaeel Attallah von Crescent (Ägypten)

Im Rahmen unserer Serie „Metallisierte Welt“ haben wir 2016 auch mit CRESCENT aus Ägypten gesprochen. Nachdem der Text bislang nur im Buch „Metallisierte Welt – auf den Spuren einer Subkultur“ abgedruckt wurde, möchten wir das Interview mit Ismaeel Attallah über Metal in Ägypten und die Folgen des Arabischen Frühlings nun auch online verfügbar machen.

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Ganz allgemein: Wie wichtig ist Musik für die Leute in Ägypten?
Sie ist Teil der ägyptischen Kultur und ist ziemlich bedeutend, würde ich sagen. Arabische Musik, alte und neue … und wie überall sonst ist auch hier die Popkultur domiant.

Und wie steht es um Metal? Existiert eine Metal-Szene in Ägypten, mit Bars, Konzerten, Läden für CDs, Shirts und ähnliches?
Es gibt eine winzige Szene. Wir haben Plattenfirmen, aber nicht für Metal oder Rock. Wir haben auch keine Rock- oder Metal-Bars. Es gibt mehrere Pubs und Bars, aber sie spielen nur sehr selten Hard Rock. Dafür existieren aber einige Locations, die Rock- und Metal-Gigs veranstalten.
CD-Läden, die sich auf Metal festgelegt haben, gibt es dagegen nicht. Es gab mal einen Laden, der eine Rock-/Metal-Abteilung hatte, aber mittlerweile wurde er geschlossen. Der Virgin Megastore ist noch übrig geblieben, aber dessen Auswahl hat sich drastisch verschlechtert. Dann waren da noch einige Metal-Shirt-Shops, aber ich glaube nicht wirklich, dass sich ihr Geschäft gelohnt hat.

Wie aufgeschlossen sind die „normalen“ Menschen gegenüber Metalheads? Beeinflusst deine Vorliebe für Metal dein soziales Leben und wie andere Leute auf dich reagieren?
In den 90er-Jahren war alles gut, bis im Jahr 1996 auf Iniitative der Regierung etwas Entsetzliches geschah: Viele Metalheads wurden von der Polizei festgenommen und inhaftiert, weil sie angeblich den Teufel verehrten. Das geschah, nachdem die Medien das Thema groß gemacht und in verschiedenen Talkshows gehetzt hatten, wie sehr die ägyptische Gesellschaft von der westlichen Ideologie attackiert wird, die abartig ist und zu Ketzerei und Teufelsverehrung führt.
Natürlich kursierte das dann in allen Medien und das Augenmerk richtete sich natürlich auf die jungen Metalheads, die Musiker waren und Metal hörten. Es war völlig beschissen und es tötete die Metalszene zu einer Zeit, als sie gerade stark wurde. Wir erfuhren später, dass alle Metalheads nach zwei bis vier Wochen im Gefängnis freigelassen wurden, wo sie gedemütigt wurden und in kalten, dunklen Verliesen festgehalten worden waren. Das alles war eine Farce und wurde als Ablenkung genutzt, um ein anderes wichtiges Thema zu verschleiern, das zur gleichen Zeit in Ägypten passierte. Die Metalheads mussten als Sündebock herhalten.
Aber zurück zum eigentlichen Punkt: Die ägyptische Gesellschaft ist gereift und reagiert nicht mehr auf derartige Vorwürfe. Heute wird darüber gelacht, wenn jemand mit solchen Unterstellungen anfängt. Einige unverbesserliche Journalisten probieren zwar dann und wann ihr Glück und graben die gleiche Geschichte wieder aus, aber es gibt keinerlei Reaktion der Massen und es schwindet eventuell aus dem Gedächtnis.

crescent-02Circa 90 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind Sunniten. Das Christentum und Judentum sind auch staatlich anerkannt. In welcher Weise hat diese Religiösität Auswirkungen auf Metalfans?
Es ist unterschiedlich. Eine Minderheit würde Musik am liebsten verbieten, manche würden Musik nach ihren Inhalt beurteilen. Wenn es um Metal geht, wurde dieser zuerst negativ wahrgenommen, da er von Natur aus rebellisch ist und der Gesellschaft in vielem entgegensteht. Vor allem aber hast du mit Metal eine große Plattform, um jedes Thema anzusprechen, das dir wichtig erscheint.
Es gibt ein kleines bisschen Zensur oder lass es mich so sagen: Es gibt einen festgelegten Rahmen in Ägypten, wenn es um bestimmte Themen geht. Natürlich sind anti-religiöse Inhalte nicht gern gesehen und werden bekämpft, aber die meisten Metal-Bands sind entweder Muslime oder Christen und es ist selten, dass Bands in erster Linie an religiösen Themen interessiert sind – sogar, wenn sie Corpsepaint oder Pentagramme tragen. Da geht es nur um das Image.

Wie hat sich die Situation und Rolle von Metal-Bands und -Fans durch den Arabischen Frühling im Jahr 2011 verändert?
Nach dem Arabischen Frühling hätte ich vermutet, dass mehr Rock-Bands in Erscheinung treten, die auf Arabisch singen. Vielleicht zumindest ein paar Metal-Bands, die in ihren Texten in eine politische Richtung gehen würden. Aber es hat sich in Ägypten wieder gezeigt, dass die Situation der Metalheads wacklig ist … es gab im Folgenden einige Angriffe auf Metalheads. Deswegen sind die Bands vorsichtig und wenn sie bestimmte Dinge ansprechen, tun sie das immer nur indirekt.

Hatte diese Revolution einen Einfluss auf die Metalszene in Ägypten? Ist Ägypten jetzt liberaler als es das noch unter Murabak war?
Es gibt jetzt Raum für Selbstverwirklichung. Wir versuchen, die Grenzen der freien Meinungsäußerung auszuweiten, aber das braucht noch Zeit. So etwas dauert Jahrzehnte.

crescent-pyramid-slavesIn Deutschland hören wir viel über die Einschränkung der Pressefreiheit und Zensur in Ägypten. Betrifft euch das auch als Metal-Band? Gibt es Einschränkungen im Bezug auf die Inhalte der Texte oder Auftrittsverbote?
Ja, es gibt Einschränkungen und du kannst nicht einfach überall auftreten, wo du gerne möchtest. Es gibt eine unabhängige Location, die Metal-Gigs veranstaltet. Es ist ein Kulturzentrum, das eine Bühne und veraltetes Equipment besitzt, dass niemals gewartet wird. Aber immerhin akzeptieren sie Metal. Deshalb bringen mittelgroße bis große Bands ihr eigenes Equipment mit. Das Kulturzentrum macht es aber auch für den eigenen Gewinn, denn Metal-Gigs können durchaus profitabel sein.

Wie sehr ist die alte Kultur der Ägypter für die heutige Bevölkerung prägend? Ist sie noch im kollektiven Gedächtnis verankert?
Die Leute sehnen sich nach der alten Kultur, weil traurigerweise damals vieles besser war als heute. Die zeitgenössische Kunst in Ägypten ist ziemlich dekadent und trist. Aber Untergrund-Musik und Independent-Kunst verbreiten sich schnell und haben einiges zu bieten.

maiden-powerslaveDeine Band CRESCENT behandelt auch historische Themen. Was denkst du über Bands aus anderen Ländern, die Texte schreiben, die von der ägyptischen Kultur beeinflusst wurden oder die wie Nile sogar ihr gesamtes Konzept darauf fokussieren?
Ich finde das absolut großartig. Ich finde nicht, dass die Inspiration durch ägyptische Mythologie oder Geschichte nur durch Bands aus Ägypten genutzt werden darf. Geschichte ist für jedermann und sollte nicht exklusiv sein. Es macht uns stolz, dass Bands aus der ganzen Welt ihre Metal-Musik mit dem altertümlichen Ägypten verbinden. Nile ist eine große Band in der Death-Metal-Szene. Außerdem sind wir alle mit „Powerslave“ von Iron Maiden aufgewachsen

Wie bist du selbst mit Metal in Kontakt gekommen?
Als ich zum ersten Mal Iron-Maiden-Tapes an einem der kleinen Verkaufsstände in den Straßen von Kairo gesehen habe. Ich fühlte mich sofort vom Artwork angezogen, das hat mich fasziniert. Dann bekam mein Vater, der regelmäßig nach Europa reiste, meine Kassetten-Wunschliste – später waren es dann auch CDs.

Welche Bands haben dich am meisten beeinflusst?
Das variiert. Aber hauptsächlich waren es Bands wie Death, Dissection, At The Gates, Bolt Thrower und so weiter.

Wie ist es, in Ägypten in einer Metalband zu spielen?
Früher wurde man nicht verstanden, verlacht und abgestempelt. Aber in den letzten zehn Jahren werden Metalbands mehr und mehr akzeptiert. Wir haben im Cultural Wheel [eine Location in Kairo, Anm. d. Red.] einen Zufluchtsort gefunden, weil wir dort nicht irgendeinen bürokratischen Prozess durchlaufen müssen, um die Erlaubnis zu bekommen, einen eigenen Gig zu organisieren. Wir haben Equipment, aber die Sammlung nicht groß … die Preise sind ziemlich hoch im Vergleich zu Ländern in Europa oder den USA. Es gibt zwar einige Studios, die man stündlich mieten kann, aber keine isolierten Übungsräume, die man für Monate oder Jahre mieten kann, wie das bei euch in Europa der Fall ist.
Es gibt auch Aufnahmestudios, aber die großen, die sehr gut ausgestattet sind, verstehen nichts von verzerrtem Sound und wenn doch, haben sie nicht viel Erfahrung mit den Aufnahmen einer Metal-Platte. Du hast dann am Ende einen miesen Plastiksound, der keine Durchschlagskraft und Dynamik hat. Einige kleine bis mittelgroße Studios werden so langsam besser, was die Tontechnik betrifft und entwickeln sich weiter – was wirklich großartig ist. Dank der sozialen Medien erreichen wir aber wenigstens die Fans wirklich leicht.

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Was ist typisch für traditionelle ägyptische Musik und fließt diese auch in die Musik von CRESCENT ein?
Ägyptische Musik basiert vor allem auf tiefen Gefühlen, weniger auf Technik. Wir haben natürlich unser Erbe und wir haben unseren eigenen Klang in der Musik. Die morgenländischen Tonleitern passen wirklich perfekt zu unserer Musik. Sie können eindringlich und schön sein, so dass es dich in Ehrfurcht versetzt, aber auch melodisch und episch klingen. Somit beinhalten sie eigentlich alle Elmente, die wir bei CRESCENT einbringen und kultivieren wollen.

Würdest du also sagen, dass dein Heimatland CRESCENT nicht nur im Hinblick auf die Texte, sondern auch musikalisch geformt hat?
Ja, dem stimme ich voll zu, dadie orientalischen Tonleitern in unserer Musik fest verankert sind – wir sind ja alle überall davon umgeben. Doch in der Musik ist meine Kultur nicht nur östlich und ich interpretiere Musik anders als jeder Durchschnittsägypter. Aber klar – die Melodien kommen einfach aus uns heraus und die sind natürlich original und authentisch.

Was war persönlich deine beeindruckenste Erfahrung mit Metal?
Ich bekomme heute keine Gänsehaut mehr, wenn ich eine neue CD besitze – anders als damals, als ich noch ein Kind war. Insofern würde ich sagen, war es der Nervenkitzel, als wir durch Europa getourt sind – die Freude und das Glück, als wir durch Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik, die Niederlande und Belgien reisen durften. Tausende Kilometer zu fahren und Schlafentzug zu haben, und trotzdem so viel Spaß zu haben.

Was bedeutet das Metal-Zeichen, die „Devil Horns“, für dich?
Einfach nur „Metal“!

Vielen Dank für deine Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Deutschland:
Organisiert!
Melechesh: Orientalisch
Islamischer Staat: Fake
Touristen: Kommt nach Ägypten!
Das Grab von Nofretete: Gigantisch
Rob Halford: Erstklassiger Sänger
CRESCENT in zehn Jahren: Die Herrscher!

Die letzten Worte gehören dir:
Glaubt nicht alles was ihr im Fernsehen seht. Wir suchen alle Frieden und wir sind alle eins!


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Publiziert am von und Christian Denner

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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