Interview mit Jens Ryland von Borknagar

Mit „Urd“ haben die norwegischen Urgesteine ein neues Album am Start. Dabei sind sie ihre bemerkenswerte Entwicklung weiter gegangen und haben neue Maßstäbe gesetzt. Gitarrist Jens Ryland erklärt, wie sich das musikalische Schaffen in den letzten Jahren entwickelt hat, mit welchen technischen Raffinessen der neue Sound möglich wurde, warum ein stabviles Line-Up noch lange keinen Erfolg ausmacht und darüber hinaus hat er noch fundierte Aussagen zur Weltpolitik parat.

Hy Jens, wie gehts? Zu Beginn möchte ich gleich mal gratulieren, das neue Album ist absolut großartig!
Hy! Mir gehts bestens, vielen Dank. Und vielen Dank für Deine Unterstützung!

Die Platte kommt die Tage raus, hast Du deshalb viel zun tun?
Das kannst Du mir glauben, jede Menge Interviews und so ein Zeug. Ich sitze nicht einfach faul herum, hehe.

Liege ich falsch, oder ist das neue Material einerseits Euer progressivstes, andererseits aber auch das „langsamste“, das Ihr jemals geschrieben habt?
Ich habe das noch nie so betrachtet, aber ich denke, Du könntest recht haben. Progressive in dem Sinne, dass viele Details und so drin stecken und vielleicht weniger Blasts als sonst? Ich denke, eine Sache unterscheidet „Urd“ von den Vorgängern; man kann die ganzen Details, die wir schon immer drin hatten, jetzt viel besser heraushören, sonst sind sie oft in der Produkton untergegangen.

Ich nehme an, dies ist das Resultat einer Entwicklung über die letzten zehn oder fünfzehn Jahre?
Klar, wir sind von der Sorte Bands, die niemals ihre Entwicklung stoppen, um ein Album zweimal zu machen. Weißt Du, es ist immer eine Verbesserung, eine Entwicklung vorhanden. Alle Alben wurden davon beeinflusst, wer zu der Zeit gerade in der Band war. Line-Up-Wechsel bringen nicht immer nur schlechte Ergebnisse, hehe.

Wie „verantwortlich“ ist die Reunion mit ICS Vortex hierfür? Er ist immerhin ein wundervoller Clean-Sänger.
Vortex hat schon einige neue Inspiration mitgebracht, das ist sicher. Er ist einer der Typen, die man immer leicht wiedererkennt, natürlich auch auf „Urd“.

Gutes Stichwort, lass uns ein bisschen über das neue Album reden. In meinen Ohren ist der Mix sehr warm und harmonisch, vor allem der Gitarrensound.
Wir haben im Studio immer Engl Verstärker benutzt, aber dieses mal die Weiterentwicklung vom Powerball 2’s und dem Vintage Cabinet (aha – Anm. d. Verf.). Ich denke, wir haben nach einem wärmeren Sound gesucht, mehr die Overdrive-Röhre als ein Verzerrer, der nach einer Biene klingt. Und die Gibsons machen es einem auch deutlich leichter. Was Ihr zu hören bekommt, ist die gute Produktion und der tolle Mix von Jens Bogren.

Viele Bands versuchen, sehr kompakte Songs zu schreiben, BORKNAGAR schreibt immer noch Lieder von epischer Länge, die dennoch kompakt klingen. Ist Songwriting wie ein hausbau, das ausgehend von einem festen Fundament immer größer wird?
In unserem Fall geht es darum, eine Balance zu finden, die Melodie, die gut zur vorherigen oder zur nachfolgenden passt. Es geht darum, Musik zu erschaffen, die keinem vorgegebenen Muster folgt, außer dem, welches dem Song seine Struktur verleiht. Ich denke, nach neun Alben und ungefähr 120 oder 130 Songs kann man natürlich schon ein Muster erkennen, aber es ist eben das „BORKNAGAR-Muster“, wenn Du verstehst, was ich meine.

Abgesehen von den angesprochen Innovationen, ist das typische BORKNAGAR-Feeling überall auf „Urd“. Lass mich so fragen: wollt Ihr nicht anders spielen oder ist das einfach die Art von Musik, die ihr nur spielen könnt?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage richtig verstanden habe (ich fürchte nicht – Anm. d. Verf.); Du denkst, wir entwickeln und nicht genug (keineswegs – Anm. d. Verf.). Sicherlich wollen wir unseren angestammten Bereich nicht so weit verlassen, dass man uns nicht mehr wahrnimmt. Und die einzige Musik, die wir spielen können? Sieh es so: Øystein; Molested, Cronian. Vintersorg; Otyg, Vintersorg, Cronian ++. Lars; Solefald. Vortex; Arcturus, Dimmu Borgir, Lamented Souls, ICS Vortex ++und ich selbst bei Artisan und ICS Vortex.

Was kannst Du mir zu den Texten auf „Urd“ sagen, welche die Norne der Vergangenheit ist.
Da muss ich Dich leider an Øystein verweisen.

Bezieht Ihr Eure Inspirationen immer noch hauptsächlich aus der Natur, wie früher oder hat sich das mit den Jahren verändert?
Das Leben ist Inspiration und Natur ist ein großer Teil davon. Obwohl ich jetzt in Oslo lebe, bin ich weit nördlich des Polarkreises aufgewachsen und das steckt natürlich noch tief in mir. Øystein lebt in einem dieser Fjords drüben an der Westküste und ich weiß, dass er häufig durch die Berge wandert.

Weißt Du etwas über die Reaktionen von Fans bezüglich der Entwicklung seit den ersten Alben? Mögen die Fans von „Borknagar“ und „The Olden Domain“ Alben wie „Universal“ genauso gerne?
Wir bekommen da viel Zuspruch, sowohl von alten als auch von neuen Fans. Da gibt es eine breite Vielfalt, welche Alben die Leute gut finden und ich gebe niemanden die Schuld, wenn er nun dieses oder jenes lieber mag. Das geht mir ja genauso.

Würdest Du mir zustimmen, dass die Basis von Erfolg ein stabiles Line-Up ist, welches sich über all die Jahre bei Euch kaum verändert hat (besonders für eine skandinavische Band)?
Ne, da gehört schon einiges mehr zu. Da gibt es viele Faktoren, eine Band aufzubauen ist so, wie wenn man einen Betrieb aufbaut. Manche Bands sehen das ganzheitlich, Band und Geschäft, andere gehen diesen Weg nicht. BORKNAGAR ist diesbezüglich etwas zwiegespalten, manche würden gerne mehr investieren und schauen, wo die Reise hingeht, andere haben eben andere Prioritäten. Die Bands, die den meisten Erfolg haben, haben eine günstige Kombination aus Glück, guter Musik, Ambitionen und Kontakten und Wechsel im Line-Up dienen lediglich, die richtige Mischung zu finden.

Probt Ihr eigentlich noch regelmäßig oder tauscht Ihr einfach Dateien aus, so dass jeder weiß, was er spielen muss und probt dann, wenn Ihr ein Album aufnehmt oder vor einer Tour?
Alle Aufnahmen haben wir ohne eine einzige Probe erledigt. Seit Jahren treffen wir uns nur noch vor Konzerten, zum letzten Mal 2009, jetzt wieder wegen dem Inferno Festival.

Gehst Du denn immer noch gerne auf Tour?
Ich würde gerne noch öfter unterwegs sein, ich liebe Touren wirklich sehr.

Wie sieht es denn mit Live-Aktivitäten aus, spielt Ihr eine Tour und was ist mit der Festival-Saison?
Bis jetzt haben wir nur das Inferno Festival zu Ostern.

Hat sich Dein eigener Musikgeschmack geändert oder hörst Du noch das gleiche Zeug wie vor zehn Jahren? Welche Musik hat Dich zuletzt am meisten beeindruckt?
Ja also, der ändert sich schon häufig, aber manchmal dreht er sich auch im Kreis. Manchmal stehe ich total auf meine Teenager-Idole, das Zweug, welches ich gehört und nachgespielt habe, als ich das Gitarrespielen lernte. Inzwischen habe ich den Überblick über die Szene aber schon verloren, neulich wurde ich beispielsweise gefragt, welche weißrussische Black-Metal-Band ich am besten finde. Tatsächlich höre ich gar keinen Black Metal, hehe. Zur Zeit höre ich viel In Flames, Devin Townsend, Opeth, Dream Theater, Paradise Lost, Ihsahn…

Was ist Deine Meinung zu den sich schnell ändernden sozialen Netzwerken? mySpace war jahrelang das Nonplusultra, aber jetzt ist es mehr tot als lebendig. Sind Facebook und Twitter als Beispiele von einem ähnlichen Schicksal bedroht?
Ja, bei den sozialen Netzwerken läuft viel über Hype und Veränderungen, in ein paar Jahren werden Facebook und Twitter genauso nutzlos sein wie MySpace heute. Das liegt in der Natur dieses Phänomens und da kann man auch nichts gegen tun. Ich persönliche finde, das gute alte „Dot.com“ sollte die Basis sein und dann kann man immer noch die unterschiedlichen sozialen Netzwerke nutzen.

Interessierst Du Dich für Politik? Da gibt es ja schon ordentlich Theater um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Welchen Kandidaten und welche Partei befürwortest Du?
Ja, ich behalte die Politik schon im Auge. Die amerikanischen Wahlen sorgen immer für reichlich Gesprächsstoff, sie haben schließlich weltweite Auswirkungen. Wird der neue Präsident ein Händchen für Russland und China haben oder kriegen wir wieder einen Kriegstreiber wie Geoge Bush? Werden die Amerikaner die Wirtschaft stabilisieren oder verlieren wir Norweger weiteres Geld an korrupte Banken in Übersee? Die amerikanischen Parteien sind alle viel, viel weiter rechts als jeder Politiker in Norwegen und ich denke, in ganz Skandinavien gibt es kaum jemanden, der die Republikaner unterstützt. Vor allem die enge Verbindung zwischen den Republikanern und der religiösen Rechten ist sehr besorgniserregend. Es war leider klar, dass Obamas Popularität aufgrund der wirtschaftlichen Situation in den Staaten abnimmt, aber ich hoffe immer noch, dass er es wieder packt.

Fürchtest Du das iranische Atomprogramm? In der Vergangenheit waren sie angeblich immer nur einen Schritt von der Bombe entfernt. Glaubst Du,k sie werden in absehbarer Zeit erfolgreich sein?
Die Nationen, die die schlimmsten Fehler mit der Atombombe begangen haben, waren die ersten, die sie hatten, richtig? Die ganze Welt weiß, welche schlimmen Auswirkungen es hätte, heute eine Atombombe abzuwerfen. Ich sah kürzlich eine Dokumentation mit Robert McNamarra, der über die Kubakrise sprach und darüber, wie dicht die Welt vor einem nukleaen Krieg stand (Stichwort: Invasion in die Schweinebucht – Anm. d. Verf.) und die diplomatische Situation ist heute in Bezug auf den Iran ganz ähnlich. Der Iran sieht sich ständig einer internationalen Bedrohung ausgesetzt und sie wollen ihre Souveränität bewahren. Ich sehe, die Israelis fürchten sich, dass der Iran eines Tages die Bombe haben wird und Israel ausgelöscht wird, aber denken wir mal eine Sekunde weiter: wird der Ayatollah eines Tages aufwachen und sagen „Heute sterben wir alle“ und eine Bombe Richtung Israel schicken? Was meinst Du, würde dann passieren? Da sind eine Menge verrückter Leute, aber kollektiver Selbstmord einer ganzen Nation ist nicht sehr üblich.

Was wäre die richtige Reaktion? Krieg? Wirtschaftshilfen? Diplomatie?
Ich bin ein Freund von diplomatischen Bemühungen, klar. Ob es das Problem lösen wird, weiß ich nicht, aber wann hat Krieg das je getan?

Ok, dann lass uns das Interview mal mit dem traditionellen Wortspiel beenden, Deine ersten Ideen zu den folgenden Stichwörtern:
Schnee: Skifahren
Bier: Frühling
Holmenkollen: Fernsehen
Occupy Wall Street: vergiss es
Metal1.info: Musik
Alles klar, das waren meine Fragen. Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, die letzten Worte gehören Dir.
Macht weiter mit Eurer tollen Arbeit :)

Publiziert am von Jan Müller

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