Interview mit Raoul Kerr von Bloodywood

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Mit ihrem Debüt-Album „Rakshak“ haben die indischen Groove-Metaller die Metal-Szene weltweit in Aufregung versetzt. Wie es BLOODYWOOD ohne Label zu internationaler Beachtung gebracht haben, welche Rolle dabei YouTube spielt und warum BLOODYWOOD nicht vor politischen Messages in ihren Texten zurückschrecken, erklärt Rapper Raoul Kerr im Interview.

BLOODYWOOD - Pressefoto/© unbekannt
BLOODYWOOD – © unbekannt / Pressefoto

Ihr solltet jetzt eigentlich auf Europatournee sein, die Anfang März in Deutschland hätte beginnen sollen. Aber die Clubs machen erst jetzt wieder auf … wie fühlt sich das an?
Wenn sie erst jetzt wieder öffnen, wäre das zehn Tage nachdem wir in Deutschland hätten spielen sollen. Ich denke also, es war eine gute Entscheidung. Aber auch eine traurige, denn wir haben uns wirklich darauf gefreut, wiederzukommen!

Der Erfolg von BLOODYWOOD ist überwältigend – besonders für eine komplett selbstorganisierte Band. Wann habt ihr gemerkt, dass das ein großes Ding werden kann, wann kam der Ball ins Rollen?
Als wir „Ari Ari“ veröffentlicht haben, meinen ersten Song mit den Jungs – da ging es sozusagen von 0 auf 100. Ich würde sagen, dass das der Moment war, in dem uns klar wurde, wie groß das Ganze werden kann. Damals war Facebook auf einem Allzeithoch, mit den ganzen Möglichkeiten, seine Musik hochzuladen und dass die Leute sie teilen und auf der ganzen Welt entdecken können. Das gibt es heute in verschiedenen Formen auch noch, gerade ist Twitter für BLOODYWOOD regelrecht explodiert. Aber damals mit Facebook war es ein großes Phänomen: Das Internet war einfach das Internet, weißt du? Die besten Seiten des Internets kamen zusammen und brachten uns so weit, wie wir es uns als unabhängige Band, die gerade erst angefangen hatte, nur erhoffen konnten.

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Ich sage das, ohne das zu schmälern, was die Jungs erreicht haben, bevor ich in die Band kam. Sie haben Jahre damit verbracht, an Coversongs zu arbeiten, ein Publikum aufzubauen und einen Sound zu entwickeln. Der Sound, den man bei „Ari Ari“ hört, und der Sound, den man jetzt hört, ist dieser typische Folk Metal, dieser Punjabi-Metal, den sie entdeckt haben, während sie an den Coverversionen gearbeitet und sich ein Publikum aufgebaut haben: Unser YouTube-Kanal hatte bereits rund 20.000 Abonnenten, als wir „Ari Ari“ gemacht haben. Die Abonnentenbasis selbst war sehr vielfältig – die Jungs haben etwas geschaffen, das Leute aus der ganzen Welt angesprochen hat. Mit „Ari Ari“ war es dann, als ob das Benzin bereits durch das, was sie vorher gemacht hatten, hergeleitet worden war … zusammen haben wir einfach ein Streichholz draufgeworfen … und es ist explodiert.

„Social Media ist nur ein Werkzeug – es sind
die Menschen dahinter, die uns so weit gebracht haben“

Also war euer YouTube-Kanal der Schlüssel zu eurem Erfolg?
Hundertprozentig. Es war eine gute Symbiose zwischen YouTube und Social Media und auch Reddit. Und dann hat uns auch noch der YouTube-Algorithmus geholfen, und wir haben Nachrichten von Leuten bekommen, die uns von YouTube empfohlen bekommen haben. Das war wirklich der perfekte Sturm. Aber so dankbar ich Social Media auch bin, so sehr möchte ich auch die beteiligten Menschen hervorheben: die Unterstützung, die uns die Leute geben, indem sie unsere Inhalte teilen, indem sie anderen Leuten sagen, sie sollen sich unsere Band anhören. Social Media ist nur ein Werkzeug – es sind die Menschen dahinter, die uns so weit gebracht haben und uns diesen explosionsartigen Erfolg beschert haben.

BLOODYWOOD - © unbekannt / Pressefoto
BLOODYWOOD – © unbekannt / Pressefoto

Mit den Erfahrungen, die ihr gemacht habt: Würdet ihr sagen, dass Plattenlabels für Bands, die wissen, wie man mit Social Media arbeitet, heute nicht mehr relevant sind? Ich meine, ihr habt das alles ohne Label geschafft – was hätten sie mehr für euch tun können?
Ehrlich gesagt sind wir noch dabei, das herauszufinden. Uns wurden bisher viele Angebote gemacht, schon ganz am Anfang und bis heute. Wir waren in vielen Gesprächen mit Labels, die uns Angebote gemacht haben, und es waren einige wirklich tolle Namen dabei. Aber die Sache ist die: Wir wissen, was uns eine Plattenfirma bieten kann, aber gleichzeitig erkunden wir immer noch, wie weit wir als unabhängige Band kommen können. Ich merke immer noch einen Unterschied zwischen dem, was wir früher gemacht haben und dem, was wir jetzt mit diesem Album machen. Früher haben wir nur auf „Hochladen“ gedrückt und ein bisschen was auf Social Media gepostet, und unsere Fans waren diejenigen, die es dann so weit wie möglich vorangetrieben haben. Der Hauptunterschied war diesmal, dass wir eine PR-Firma eingestellt haben und mit einem Distributor zusammenarbeiten, der unsere Musik über verschiedene Kanäle vertreibt, und mit jemandem, der sich um unser Merchandise und all das kümmert – es ist also quasi die nächste Entwicklungsstufe einer unabhängigen Band, bei der man ein Team um sich herum aufbaut, aber immer noch unabhängig ist.

Raoul Kerr im Interview mit Moritz Grütz/Metal1.info

Wir finden also gerade heraus, wie weit wir als unabhängige Einheit kommen können. Labels haben die Erfahrung, die Ressourcen und die Möglichkeit, das Ganze auf eine ganz andere, größere Art und Weise voranzutreiben. Aber gleichzeitig haben wir von unserer Seite aus genug gesehen, um zu sagen: Hey, mal sehen, wie weit wir kommen und wann wir an den Punkt kommen, an dem wir sagen: „OK, so weit kommen wir alleine, vielleicht versuchen wir es jetzt mit einem Label-Deal“. Aber im Moment sind wir noch dabei, das auszuloten. Ich halte Labels also nicht für überflüssig, aber gleichzeitig würde ich auch nicht unterschätzen, was eine unabhängige Band im digitalen Internet- und Social-Media-Zeitalter erreichen kann.

Du hast bereits über den Prozess des „Learning by doing“ gesprochen – was waren die größten Herausforderungen auf dem Weg zum selbstveröffentlichten Debüt?
Es war verdammt viel Arbeit, aber gleichzeitig stellt sich für diese Band, für uns drei, nie die Frage, ob es zu viel Arbeit ist. Es wird einen Punkt geben, an dem es zu viel wird, aber gleichzeitig werden wir uns den Arsch aufreißen und hart an unserer Musik und unserem Können arbeiten. Aber wir investieren auch gerne die Arbeit, die nötig ist, um die Band als Unternehmen zu führen. Wir genießen das. Bevor wir eine Firma für unser Merch engagiert haben, haben wir unseren eigenen Shop aufgebaut, mit Kunden gesprochen und die Logistik selbst in die Hand genommen – das ist etwas, das in der DNA der Band liegt! Karan, unser Gitarrist und Produzent, hat gelernt, wie man Videos dreht und schneidet und wie man produziert, mischt und mastert. All diese Dinge haben wir uns selbst beigebracht – wieder über das Internet. Jeder von uns wird sich also darum kümmern und verschiedene Rollen übernehmen und die Arbeit investieren, die nötig ist, um sowohl die geschäftlichen Dinge als auch die Band zu betreiben. Es war also eine Menge Arbeit, musikalisch betrachtet, die Singles zu veröffentlichen und tolle Musikvideos zu drehen, um dann aus diesen Veröffentlichungen zu lernen und das Ganze dann zu wiederholen.

Bei dem Album ging es nun darum, mit einer Menge Musik auf einmal zu arbeiten und zu versuchen, sie als ein größeres Bild zu betrachten. Andererseits war es einfach nur mehr von dem, was wir bisher gemacht haben, bloß auf einem höheren Niveau. Aber wir hatten nicht das Gefühl, dass es außerhalb unserer Möglichkeiten läge. Wir waren froh, dass wir die Sache vorantreiben konnten, denn es geht um die Musik! Egal, wie viel Arbeit man dafür aufwenden muss, und es ist auch echte Schinderei – recherchieren, Statistiken auswerten, all diesen Scheiß durchgehen. Aber was dahinter steckt, ist die Liebe zur Musik und der Wunsch, diese Musik zu veröffentlichen und die Botschaft, die sie vermittelt. Es gibt nichts, was das Gefühl aufkommen lässt, dass es zu viel Arbeit wäre. Aber es stimmt schon, dass es einen Punkt geben könnte, an dem wir noch größer werden oder das Maximum dessen erreichen, das wir erreichen können und die Arbeitsbelastung für drei Leute zu groß sein wird. Dann müssen wir eben ein paar gute Leute zu finden, die uns dabei helfen. Wir nehmen es einfach, wie es kommt.

„Die Leute haben uns unterstützt – nur deshalb
können wir das unabhängig machen“

Macht ihr das alles im Moment noch als Hobby in eurer Freizeit oder ist die Band schon zu eurem Fulltime-Job geworden?
Wir sind wirklich in einer glücklichen Lage, hauptsächlich dank unserer Patreons – die muss ich hier wirklich mal erwähnen! Unsere Patreon-Community ist so verdammt stark, sie haben uns die ganze Zeit unterstützt – dass diese Leute uns ermöglichen, BLOODYWOOD als Vollzeit-Karriere zu betreiben. Sie sind so leidenschaftlich und engagiert und so hilfsbereit, sie unterstützen die Band jeden Monat. Und dann bin ich natürlich auch all den Leuten dankbar, die digitale Kopien des Albums kaufen. Wenn jemand heute ein digitales Album kauft – also etwas, das man auch einfach online streamen kann – ist das pure Unterstützung. Natürlich bekommt man bei einem Download eine bessere Audioqualität, aber trotzdem. Die Leute haben uns unterstützt, von den Patrons angefangen über die Leute, die unser Merch kaufen, bis hin zu den Leuten, die unsere Musik schon früher digitale gekauft haben und jetzt „Rakshak“ kaufen – nur deshalb können wir das unabhängig machen. Es ist kein Hobby mehr, sondern eine Vollzeitbeschäftigung: Und auch unsere gesamte Freizeit fließt in die Band, um ehrlich zu sein. (lacht)

BLOODYWOOD - Pressefoto/© unbekannt
BLOODYWOOD – © unbekannt / Pressefoto

Zumindest in Deutschland ist euer Album nur in eurem Online-Store erhältlich und beispielsweise nicht bei Amazon. Ist das ein Problem für euch, oder in gewisser Weise vielleicht sogar ein Vorteil?
Auch das ist etwas, das wir erst lernen mussten. Wir haben jemanden, der sich für uns in den USA um die Shops und Amazon kümmert. Aber leider haben wir uns nicht um Europa und den Rest der Welt gekümmert, was eine Lernerfahrung für uns ist: Okay, wir müssen klarstellen, dass wir einen physischen Vertriebspartner in Europa brauchen. Wir wussten ehrlich gesagt nicht, wie viele Kopien des Albums gekauft werden, wie viele physisch gekauft werden. Als das Zeug bei uns dann ausverkauft war und wir gemerkt haben, dass es einen größeren Markt gibt, kamen die offiziellen Läden ins Spiel. Vorher hatten wir nur mit kleinen Mengen geplant. Es geht also eher darum, dass wir unsere Planung verbessern!

Darstellerin des "Dana Dan"-Musikvideos von BLOODYWOOD
Darstellerin des „Dana Dan“-Musikvideos von BLOODYWOOD

Für eine Newcomer-Band setzt ihr mit euren Musikvideos stark auf den visuellen Aspekt: Geht es einfach nicht anders, erreicht man die junge Generation nur über YouTube, oder ist es euch auch aus künstlerischer Sicht wichtig, Videos zu den Songs zu machen?
Ehrlich gesagt geht es zu 100% um die Kunst. Man will den besten Weg finden, um seinen Sound visuell zu präsentieren. Wir denken gemeinsam über die Drehorte und die Art der Aufnahmen nach, ob wir damit eine Geschichte erzählen können und so weiter. Aber der andere Aspekt ist natürlich, dass wir versuchen, etwas zu machen, das die Leute von den Sitzen reißt und sie anspricht. Wir zeigen ihnen eine Seite Indiens, und zwar auf eine globale Art und Weise, mit der sich jeder identifizieren kann. Es geht also um die Kunst, in erster Linie um den Ausdruck der Musik in ihrer stärksten visuellen Form. Und dann ist da noch der Aspekt, dass wir so die Musik und die Botschaft nach außen tragen können. Das ist natürlich ein Teil der Überlegungen, aber in erster Linie geht es um die Kunst.

Auch diesbezüglich die Frage: Wie habt ihr es als Selfmade-Band geschafft, Videoclips auf diesem professionellen Niveau zu drehen? Habt ihr hier einen Experten angeheuert, der euch hilft, oder habt ihr auch das ganz alleine gemacht?
Basierend auf dem, was wir bis jetzt besprochen haben: Was denkst du? (lacht) Wir haben alles selbst gemacht! Ich muss Karan ein großes Lob aussprechen, der sich draufgeschafft hat, wie man ein Video dreht, bearbeitet und kalibriert, und zwar allein über das Internet! Die Videos sind also zu 100% inhouse gemacht, wie das allermeiste in unserer Band. Wir setzen uns zu dritt an ein Konzept, prüfen, welche Ressourcen wir haben, suchen nach Drehorten, planen einige Einstellungen … wir machen das als Team. Von Zeit zu Zeit heuern wir Videofilmer an, um uns zu filmen, da wir manchmal einen Bandshot brauchen, und so sehr wir Karan hinter der Kamera lieben, haben wir ihn doch noch lieber davor, mit uns als Band. Also engagieren wir jemanden, der bestimmte Szenen für uns dreht. Aber zum Beispiel für „Aaj“, die zweite Single des Albums, haben Jayant und ich einige Szenen gedreht – wir mussten das mitten im Nirgendwo lernen, es war ja nur Karan und einer von uns da. (lacht) Es geht auch um die Kontrolle über die Kunst: Es gibt viele Kreative da draußen, die wir für ihre Videos respektieren, und wir schließen nicht aus, in Zukunft mit solchen Leuten an Videos zu arbeiten, aber wir möchten wirklich die Kontrolle über die kreative Seite der Visuals haben. Wir sind die Leute, die die Musik machen, also gibt es etwas in uns, das uns auch sagt, wie wir sie visuell darstellen wollen. Es geht um die Leidenschaft für die Musik selbst, aus der sich unser Wunsch ergibt, auch die Videos zu machen.

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„Es geht eher um die Geburt von etwas Neuem
als um den Tod von etwas Altem“

Auch eure Musik ist ziemlich „eigenständig“. In der Vergangenheit haben Bands weltweit versucht, wie US-Metal oder britischer Metal zu klingen. Die erfolgreichen Bands unserer Tage sind Gruppen wie Alien Weaponry mit ihrem Maori-Thrash oder Einflüssen von indischem Folk. Würdest du sagen, dass die Zeit der klassischen Metal-Genres und Vorbilder vorbei ist?
Wenn jemand wie eine US- oder UK-Metal-Band oder nach traditionellem Metal klingen will, dann tut er das, weil er das so will. Die Bands, die ihre eigene Kultur mit traditionellem Metal verschmelzen, tun das, weil es natürlich ist – weil es gut klingt. Es repräsentiert sie selbst, ihre Vorstellung davon, wie ihre Musik klingen soll. Es ist das Ergebnis dessen, dass die Leute diese Art von Musik zu schätzen wissen: Sie haben Freude daran. Das ermutigt immer mehr Leute, etwas in dieser Art auszuprobieren. Aber ich glaube nicht, dass das beutet, dass der Metal tot ist … Ich glaube, das Genre ist so lebendig wie eh und je, aber es gibt eben dieses neue Subgenre, bei dem die eigene Kultur, die eigene traditionelle Musik mit Metal verschmolzen wird. Es geht also eher um die Geburt von etwas Neuem als um den Tod von etwas Altem.

Raoul Kerr im Interview mit Moritz Grütz/Metal1.info
Raoul Kerr im Interview mit Moritz Grütz/Metal1.info

Gibt es trotzdem einige klassische Metal-Bands oder auch Hip-Hop-Acts, die dich beeinflusst oder inspiriert haben, selbst Musik zu machen?
Ja, natürlich! Und weißt du, lustigerweise habe ich das erst so richtig gemerkt, als ich zum ersten Mal mit der Band zusammengearbeitet habe. Ich stand schon immer auf Bands wie Linkin Park, Rage Against The Machine, Limp Bizkit und System Of A Down. Die Reihenfolge ist nicht hierarchisch, aber die erste Band, in die ich mich verliebt habe, war tatsächlich Linkin Park: „Meteora“ war die erste CD, die ich mir gekauft habe. Das sind meine Einflüsse. Ich mochte diese Bands schon immer, aber erst als ich anfing, mit BLOODYWOOD zu arbeiten, wurde mir klar, wie natürlich es für mich ist, Hip-Hop mit Metal zu kombinieren. Das ist ein Teil von dem, was ich bin! Ich habe das nie wirklich erforscht, aber ich habe immer diese Musik gehört, also war das für mich ganz natürlich. Ich liebe diesen Kram, ich bin damit aufgewachsen!

Euer Bandname BLOODYWOOD ist ein Wortspiel mit Bollywood, der indischen Filmszene, die außerhalb Indiens weitestgehend ignoriert wird. Gibt es eine aktive indische Metalszene, die wir hier im Westen genauso wenig wahrnehmen wie die Bollywood-Szene?
Ich würde es als eine kleine, aber sehr starke und stolze Szene beschreiben. Wir zitieren immer eine Statistik, von der wir nicht wissen, ob sie stimmt, aber es fühlt sich so an und sie wurde uns von einem der Paten des indischen Metals, Sahil „The Demonstealer“ Makhija, gegeben: Er hat uns gesagt, dass es in unserem Land mit über einer Milliarde Menschen 10.000 Metalheads gibt. Es ist also ein sehr kleiner Anteil, aber die Szene ist sehr gefestigt. Man sieht regelmäßig Bandmitglieder von anderen Bands im Publikum anderer Shows und die Leute unterstützen sich gegenseitig. Auch wir haben Unterstützung von anderen Bands aus dem Land erfahren. Es gibt aber auch Abende, an denen die ganze Szene zusammenkommt und buchstäblich jeder, den man aus der Szene kennt, bei einem Gig anwesend ist und ihn zu einem besonderen Abend macht. Aber ich denke, die Szene wächst: Was uns persönlich als Band aufgefallen ist, war, dass nach einer unserer Shows – wir haben ein paar Warm-up-Shows in Indien gespielt, bevor wir das erste Mal auf Tour gegangen sind – einige Leute gesagt haben, dass das Publikum, das sie gesehen haben, nicht das gleiche war wie bei den anderen Metal-Gigs. Es waren ziemlich viele neue Gesichter dabei. Das ist also ein gutes Zeichen dafür, dass sich neue Leute für Metal begeistern können. Unsere Szene wächst also langsam aber sicher! Einer unserer Pläne ist es, auf College-Festivals zu spielen. Das ist eine tolle Gelegenheit, in Indien vor einem großen Publikum zu spielen. College-Kids sind wild und offen für harte Sachen wie Metal, was viele andere Menschen in unserem Land nicht unbedingt sind. Wir freuen uns also auf die Chance, vor einem jungen Publikum zu spielen und ihnen etwas indischen Folk Metal zu zeigen und dabei zu helfen, unsere Community zu vergrößern!

Bloodywood Band 2022
BLOODYWOOD – © Adeline L. Janovicz

In der deutschen Metal-Szene hört man über moderne Bands oft negative Kommentare, dass sie nicht „true“, „real“ oder „Metal“ seien. Gibt es solche „Metal-Puristen“ auch in der indischen Szene, für die ihr wegen der Rap- und Elektronikanteile keine „echte“ Metal-Band seid?
Ehrlich gesagt denke ich, dass das in der Metal-Community einfach so ist. Man findet es überall, dass die Leute meinen „Oh, das ist kein Metal“ oder „der Rap ist nicht Metal“ oder „die elektronischen Instrumente sind nicht Metal“. Aber diese „Torwächter“ werden niemals Erfolg haben: Sie können sagen, was sie wollen – die Musik, die alle lieben, wird trotzdem ihren Weg an die Spitze finden. Das ist ein überall bekanntes Phänomen, aber ehrlich gesagt hat es überhaupt kein Gewicht.

„Wir tragen Indien in die Welt, und die Welt reagiert darauf“

Normalerweise beginnen Bands ihre Karriere in ihrer Heimatstadt, werden dann in ihrem Land berühmt und werden später international bekannt. Da ihr über das Internet groß geworden seid, habe ich mich gefragt, ob es bei BLOODYWOOD vielleicht andersherum ist? Würdest du zustimmen, dass BLOODYWOOD international Berühmtheit erlangt haben, bevor ihr in eurer Heimat berühmt wurdet?
Ehrlich gesagt hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich will unsere indischen Fans nicht abwerten, denn man sieht sie in den Kommentaren und sie drücken ihre Liebe für die Band aus und erzählen jedem davon – aber gleichzeitig haben wir so viele Fans aus den USA! Prozentual gesehen liegen wir bei unseren Followern aus Indien im einstelligen Bereich. Es ist ein sehr kleiner Teil unserer Support-Basis. Aber auch hier: Er wächst und sie sind wirklich leidenschaftlich. Gleichzeitig ist es das, was das Internet so besonders macht: Du brauchst den Hype aus deiner Community und Umgebung, um auf traditionelle Weise erfolgreich zu sein, aber dank des Internets ist unsere Community die ganze Welt. Wir mögen eine indische Folk-Metal-Band sein, aber unsere Botschaft und unsere Musik sind universell. Wir tragen Indien in die Welt, und die Welt reagiert darauf. Diese Leute sind eine Gemeinschaft – egal, woher sie kommen. Sie sind es, die uns tragen. Es gibt jene, die uns vom ersten Tag an unterstützt haben, seit damals, als die Band noch Coversongs gemacht hat, bis hin zu unseren vier erfolgreichen Singles, und es gibt Leute, die erst vor zwei Wochen oder heute Morgen von uns erfahren haben – sie alle sind unsere Community.

Ich denke, das ist ein Zeugnis dafür, dass das Internet eine globale Gemeinschaft geschaffen hat: Eine Generation, die in ungefähr der gleichen Umgebung aufgewachsen ist, erschaffen durch das Internet. Egal, wie unsere Kulturen uns erziehen – im Internet sind wir alle auf eine ähnliche Art und Weise aufgewachsen – das ist unsere gemeinsame Basis. Unsere Gemeinschaft ist also weltumspannend. Ich meine, auch wir zwei leben das gerade, indem wir ein Interview über Zoom führen. Oder lass mich dir ein anderes Beispiel geben: Wir haben in einer Internet-Community Kommentare gesehen wie: „Wenn ich sehe, wie diese Band erfolgreich wird, sehe ich sie als meine Repräsentanten“ – wenn man das liest, ist das die bewegendste Sache überhaupt. Und das wurde aus den USA oder irgendwo in Europa gepostet. Aber diese Menschen reden über uns, als wären wir ihre Nachbarn, Leute aus der Straße, mit denen man zusammen aufgewachsen ist. Darum sehe ich es das als globale Community!

Generell interagiert ihr sehr aktiv mit euren Fans, ihr macht Live-Chats und so weiter. Ist das auch ein Teil des Geheimnisses eures Erfolgs?
Wir tun unser Bestes, um auf die Nachrichten, die wir bekommen, zu reagieren, um am Puls der Community zu bleiben und mit ihr zu interagieren. Das ist etwas, das wir auf jeden Fall so lange wie möglich beibehalten wollen!

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Eure Texte sind mitunter sehr deutlich politisch. Wie sieht es mit der Freiheit der Kunst in Indien im Allgemeinen aus? Gibt es Themen, die ihr aussparen müsst, um keinen Ärger mit der Staatsmacht zu bekommen, gibt es in Indien eine Art Zensur?
Wir sind in dieser Hinsicht noch nie in Bedrängnis geraten. Zensur ist in Indien aber ein Problem, und man beobachtet das ja überall auf der Welt: Die Leute versuchen, alles zu unterdrücken, was nicht mit ihrem Denken oder ihrer Sichtweise übereinstimmt. Wir versuchen, zum Ausdruck zu bringen, was uns wichtig ist, und wir tun das auf respektvolle Art und Weise. Es ist also ein Problem, ja, aber es gibt Themen, zu denen man sich einfach äußern muss, wofür man dann auch alles in Kauf nehmen muss – weil es etwas ist, das einfach gesagt werden muss. Insofern: Es ist ein Problem, ja, aber es wird uns nicht aufhalten. Wir müssen tun, was wir tun müssen! Was wir versuchen, ist, es auf die behutsamste und herzlichste Art und Weise zu formulieren. Auch dann kann es natürlich noch Konsequenzen haben, aber wir müssen diese Wahrheiten aussprechen.

„Man sagt einfach, was man zu sagen hat“

Das ist wirklich lobenswert! In Europa, wo die Meinungsfreiheit viel größer ist, versuchen viele Bands, dezidiert als „unpolitisch“ wahrgenommen zu werden: Statt ihre Reichweite für wichtige Botschaften zu nutzen, versuchen sie, kein Aufsehen zu erregen, um niemanden zu vergrätzen. Warum ist es für euch wichtig, dass eure Kunst auch politisch gelesen wird?
Zensur und die Sorge vor den Folgen eines politischen Statements gibt es überall auf der Welt – auch in Indien. Aber ich für meinen Teil habe daran nie einen Gedanken verschwendet. Für mich geht es darum, seine Wahrheit zu sagen und über das zu singen, was mir wichtig ist. Die Dinge anzusprechen, über die noch nicht gesprochen wurde. Man sagt einfach, was man zu sagen hat.

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Welches sind für dich die wichtigsten politischen Themen, über die du schreibst und singst?
Ich möchte sie nicht in eine Reihenfolge bringen, denn wir thematisieren immer das, was uns in dem jeweiligen Moment am meisten am Herzen liegt. Das hat auch damit zu tun, wie die Musik zu uns spricht. Auf „Rakshak“ sprechen wir beispielsweise über den Missbrauch von Religion durch die Politik, über Korruption, sexuelle Übergriffe, psychische Gesundheit, Mobbing und den Mangel an Integrität im heutigen Journalismus. Das, was wir auf „Rakshak“ thematisieren, ist, was wir jetzt ansprechen wollten. Aber diese Themen sind für uns deshalb nicht automatisch wichtiger als andere. Ich persönlich würde sagen – und ich spreche hier nur für mich, nicht für die Band – dass eines der wichtigsten Themen, über die gesprochen werden muss, der Klimawandel ist. Das ist etwas, was wir in der Zukunft tun werden, und ich halte das tatsächlich für das größte Problem, denn es bedroht die Zukunft der ganzen Welt, es bedroht unsere Existenzen. Es ist also definitiv das wichtigste Thema, über das gesprochen werden muss. Aber ich glaube, dass wir all diese anderen Probleme überwinden müssen, um an einen Punkt zu gelangen, an dem wir das kollektiven Ziel und den nötigen Zusammenhalt haben, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Ich würde also keinem Thema mehr Bedeutung beimessen als einem anderen … es ist eher wie eine Leiter: Man muss sich von unten nach oben vorarbeiten, bevor man die oberste Sprosse erklimmen kann. Aber wenn ich eines nennen müsste, dann wäre es der Klimawandel.

Gibt es in Indien ein großes Bewusstsein für die Klimakatastrophe?
Ich glaube, das gibt es überall. Das Bewusstsein ist da, aber wir alle müssen mehr tun. Es passiert, und die Menschen unternehmen sicher gute Schritte, aber gleichzeitig sind enorme Anstrengungen vonnöten. Wir müssen unglaubliche Maßnahmen ergreifen, um dieses Problem zu lösen oder um überhaupt eine Chance zu haben, es in den Griff zu bekommen. Alle Wissenschaftler der Welt sagen uns, dass wir an einen Punkt gelangen, an dem es kein Zurück mehr gibt, dass wir nicht mehr viel tun können und dass wir diesen Punkt vielleicht schon überschritten haben … es gibt so viele Informationen! Sie warnen uns, dass wir alles tun sollten, was wir können, um es zu schaffen. Die ersten Schritte sind getan, aber natürlich geht es um so viel mehr. Es ist ein langer Weg, aber man weiß schließlich nie. Vielleicht schaffen wir es ja doch noch!

Das ist ein schönes, ermutigendes Schlusswort. Danke für deine Zeit, Raul – und viel Erfolg mit „Rakshak“!
Danke dir vielmals! Wir sehen uns nächstes Jahr in München!

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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