Nach Silver Lake By Esa Holopainen lässt nun auch der zweite Amorphis-Gitarrist, Tomi Koivusaari, seinen ureigenen musikalischen Visionen freien Lauf. Im Interview erklärt uns Tomi, wie sein Projekt BJØRKØ und das Debüt „Heartrot“ entstanden ist, wie es bei Amorphis weitergeht und welche Chilisorten er züchtet.
Soweit ich weiß, hast du das Album während der Pandemie fertiggestellt. Hast du mit Ideen gearbeitet, die du im Laufe der Jahre gesammelt hast, oder hast du das Album von Grund auf geschrieben?
Ich hatte einige grobe Ideen und Riffs auf meiner Festplatte, das älteste davon ist etwa 15 Jahre alt. Ich schätze, jeder Songwriter hat ein paar Ideen, die einfach nicht zu dem passten, was man zu der Zeit gerade gemacht hat, die nicht dem Stil der Hauptband entsprachen oder man wusste einfach nicht, wie man mit dieser Idee weiter verfahren sollte. Wenn man sie dann später wieder anhört, kommen einem vielleicht neue Ideen. So erging es mir während der Pandemie. Wir hatten die Aufnahmen für das „Halo“-Album von Amorphis bereits abgeschlossen, und ich habe ein paar Sachen, die ich auf meiner Festplatte habe, durchgesehen und angefangen, sie zu jammen, zunächst einfach nur zum Spaß. Einige der groben Ideen sind also von vor 15 Jahren, aber nicht die kompletten Songs, zumindest nicht so, wie sie auf „Heartrot“ zu hören sind. Ungefähr die Hälfte des Materials sind komplett „neue“ Songs, die während der Pandemie entstanden sind, nachdem ich beschlossen hatte, mich an ein komplettes Solo-Album zu machen.
Es waren also nicht alle Ideen für ein Soloalbum gedacht, sondern auch „Überbleibsel“ aus der Arbeit für andere Bands, die du jetzt wieder ausgegraben und für dieses Album zusammengefügt hast?
Ich habe alles mit dem Gedanken an ein Solo-Album umgeschrieben, es gab keine Songs, die bereits „Songs“ waren, nur einzelne Ideen und Riffs. Aus einigen Ideen habe ich einen Song gemacht und das ursprüngliche Riff hat es nicht einmal in die endgültige Version des Songs geschafft, es diente nur als Startschuss für den Prozess.
Bezüglich dieser älteren Ideen … war dir von vornherein klar, dass du sie nie für Amorphis verwenden würdest? Wie entscheidest du das, wenn du eine Idee für ein Riff hast?
Wie gesagt, einige der Riffs, die ich vor Jahren gemacht habe, waren nur kurze Riff-Ideen. Bei einigen habe ich vielleicht damals schon gemerkt, dass sie nicht nach Amorphis klingen und die Idee dann einfach fallen gelassen. Bei einigen hatte ich zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich noch keine Idee, wie ich mit dem Song weitermachen sollte. Manchmal wird man anders inspiriert, wenn einige Zeit vergangen ist.
Waren die Songs dann schon fertig, als du ins Studio gegangen bist, oder hast du bis zur letzten Minute an ihnen gearbeitet?
Die Songs waren so gut wie fertig, mit Ausnahme der Gesangslinien. Ich habe alle Songs selbst als Demo aufgenommen, und andere Musiker haben zu diesen Demos ihre Instrumente eingespielt. Natürlich bekommt man jedes Mal, wenn man im Studio arbeitet, neue Ideen. Und natürlich wurden einige Arrangements, wie etwa die Bass- oder Keyboard-Lines, im Studio noch überarbeitet, wenn es einen Profi gab, der sie eingespielt hat. Einige meiner eigenen Gitarrenspuren, etwa die Soli, stammen vom Original-Demo, da manchmal der erste Take der beste zu sein scheint, oder zumindest befreit und inspiriert.
Inwieweit hat die Pandemie die Entstehung des Albums beeinflusst – auch im negativen Sinne?
Ich habe mich sehr inspiriert gefühlt, da wir zu der Zeit kaum Auftritte hatten. Darum hat es sich sehr gut angefühlt, Gitarre zu spielen. Außerdem habe ich die meiste Zeit in meiner Hütte mitten im Wald verbracht, und im Winter gab es nicht wirklich viel anderes zu tun, als an diesen Songs zu arbeiten. Ich habe mir dort ein kleines Heimstudio gebaut. Ich habe auch meistens nachts gearbeitet, was die Atmosphäre und den Klang der Songs bestimmt beeinflusst hat. Außerdem hatte ich alle Zeit, die ich gebraucht habe, was normalerweise nicht der Fall ist, da wir ziemlich viel auf Tour sind. Ich glaube nicht, dass es aus meiner Sicht etwas Negatives gab, abgesehen von der ganzen Pandemie selbst natürlich.
Stilistisch ist das Album sehr breit gefächert – manche Leute kritisieren, dass es keinen roten Faden gibt oder dass es zu uneinheitlich klingt. Kannst du das verstehen?
Sicher, ich verstehe das. Aber so ist es auch, ich wollte, dass es mehr wie eine Sammlung von Songs ist, ohne stilistische Beschränkungen. Wenn jeder Song von einem anderen Sänger gesungen wird und drei verschiedene Sprachen verwendet werden, dann klingt es eben nicht wie ein gewöhnliches „Band-Album“. Ich habe mich für diesen Weg entschieden, weil es mein Solo-Projekt ist und ich es so machen wollte. Ich habe auch viel positive Resonanz dafür bekommen, dass ich so breit aufgestellt bin. Das ist heutzutage nicht sehr üblich, aber das ist kein Grund für mich, es nicht so zu machen. Ich finde, es könnte eher der Soundtrack für einen imaginären Film sein. Oder eine Sammlung von verschiedenen Liedern, was es auch ist. Als ich mit diesem Projekt angefangen habe, war ich mir nicht einmal sicher, ob es jemals veröffentlicht werden würde oder nicht. Ich habe es für mich selbst gemacht, ohne jeglichen Druck, ich habe alles selbst finanziert, also hatte ich das letzte Wort für alles. Erst als das ganze Album gemischt und fertig war, bin ich mit Plattenfirmen in Kontakt getreten, um herauszufinden, ob jemand Interesse hat, es zu veröffentlichen.
Ich finde, es hat ein bisschen Best-Of-Charakter, sozusagen das Best-Of deiner Songs, die du nicht für eine Band geschrieben hast. Trifft es das?
In gewisser Weise ja. Aber ich habe auch noch hunderte von Ideen, die ich noch nirgendwo verwendet habe, also würde ich nicht Best-of sagen. Es sind eher die Ideen, die mich am meisten inspiriert haben, als ich angefangen habe, daran zu arbeiten.
Das Cover erinnert mich ein bisschen an eine männliche, bunte Version des „American Beauty“-Covers – auf alle Fälle ist es ziemlich kitschig. Warum wolltest du deinen nackten Körper in einem Meer von Blumen auf dem Cover sehen?
(lacht) Ob ich das wirklich wollte, weiß ich gar nicht so genau! Ich wollte auf jeden Fall etwas, das „out-of-the-box“ ist. Dieses Bild entstand zufällig während eines Promo-Shootings, als die Frau des Fotografen Sam Jamsen all diese toten Blumen ins Studio gebracht hat, um sie für ihr eigenes Projekt zu verwenden – was auch immer das war. Sam schlug am Ende des Shootings vor, einfach so zum Spaß noch so ein Bild zu machen, und das haben wir dann auch gemacht. Es sollte eigentlich gar nicht auf dem Cover landen, aber es sah wirklich ungewöhnlich und anders aus, also haben wir beschlossen, es für das Cover zu verwenden, da wir zu dem Zeitpunkt noch keins hatten. Ob kitschig oder nicht, es sticht auf jeden Fall heraus.
Ja, das stimmt allemal. Der Bandname BJØRKØ bedeutet Birkeninsel, soweit ich weiß, oder zumindest gibt es eine Insel mit demselben Namen in Schweden. Warum war das der perfekte Name für dein Soloprojekt?
Mein Nachname, Koivusaari, heißt auf Englisch Birch Island, auf Schwedisch Björkö . Das klang cooler als Koivusaari für den Projektnamen. Es gibt ein paar Inseln in Finnland, Schweden und Dänemark, die Björkö, Bjørkø oder Koivusaari heißen.
Soweit ich weiß, gibt es aber weder im Finnischen noch im Schwedischen ein ø – warum hast du die Schreibweise mit den beiden ø gewählt?
Ø sah für mich in diesem Zusammenhang cooler aus als Ö. Außerdem hebt es dich dann deutlicher von der Künstlerin Björk ab – die übrigens großartig ist.
Du hast eine Menge Gastmusiker auf dem Album – hast du auch mit ihnen an den Songs oder den Gesangsarrangements gearbeitet, oder war es mehr die individuelle Arbeit der jeweiligen Gäste und du hast die fertigen Tracks geschickt bekommen?
Die meisten der Sänger haben ihre Gesangsarrangements selbst gemacht, die Hälfte von ihnen hat auch die Texte geschrieben. Ich glaube, es gab drei Lieder, die komplett von mir oder mir und dem Produzenten Nino arrangiert wurden. Ich habe jeden Sänger gefragt, wie er es machen will, selbst oder von uns im Voraus arrangiert bekommen. Insofern ist es natürlich nicht nur mein Solo-Album: Viel Lob gebührt natürlich den mitwirkenden Künstlern.
Du freust dich sicherlich über jeden einzelnen Gast, da sie alle Freunde von dir sind – aber wenn du einen oder zwei hervorheben müsstest, über deren Zusage du dich besonders gefreut hast … wer wäre das?
Ja, jeder hat einen großartigen Job gemacht! Ich hatte für jeden einzelnen eine gewisse Vorstellung davon, wie es werden würde, aber auch wenn meine Erwartungen hoch waren, sind sie alle noch besser geworden, als ich vermutet hatte. Ich kann wirklich nicht eine oder zwei Personen hervorheben, sie sind alle großartig.
Oft hat man die fixe Idee eines Gastbeitrags und dann klappt es aus irgendeinem Grund am Ende doch nicht. Abgesehen von den Leuten, die wir jetzt auf dem Album hören können, hattest du noch andere Leute im Kopf, mit denen du gerne auf dem Album gearbeitet hättest?
Eigentlich haben fast alle Leute zugesagt, die ich gefragt habe – Sänger wie auch Musiker. Darüber bin ich sehr froh und dankbar. Es gab nur einen Sänger, den ich ins Auge gefasst hatte, der aus terminlichen Gründen nicht mitmachen konnte. Das ist aber immer noch ein toller Prozentsatz.
Du hast vorhin erwähnt, dass du noch eine Menge Material auf dem Computer hast – wirst du daraus ein weiteres BJØRKØ -Album machen?
Ich habe eine Menge Riffs und Ideen aus der Vergangenheit, die noch ungenutzt sind. Ich weiß aber noch nicht, ob ich diese Ideen verwenden werde oder ob es ganz neue sein werden, sollte ich jemals ein weiteres BJØRKØ-Album machen.
Hast du generell vor, mit dem Projekt weiterzumachen, weitere Alben zu veröffentlichen und vielleicht sogar auf die Bühne zu gehen?
Warum nicht, es war eine sehr befriedigende und lustige Sache. Jedenfalls habe ich jetzt einen Kanal, um unterschiedliche Ideen zu veröffentlichen, wenn ich will. Aber Amorphis nimmt natürlich die meiste Zeit in Anspruch und darauf liegt natürlich mein Hauptaugenmerk. Ich habe keine Liveshows für BJØRKØ geplant, theoretisch wäre es möglich, aber es wäre sehr schwer, alle Musiker zusammenzubringen, da alle in ihren eigenen Bands so beschäftigt sind. Aber sag niemals nie … eine Show wäre schon lustig.
Und zu guter Letzt: Was können wir in naher Zukunft von Amorphis erwarten? Arbeitet ihr an neuem Material?
Ja, wir haben begonnen, mit Amorphis an neuem Material zu arbeiten, jeder komponiert jetzt für sich und wir werden die neuen Songs bald gemeinsam prüfen. Wir planen, Ende des Jahres ins Studio zu gehen, sodass das nächste Amorphis-Album 2025 erscheinen kann. Wir touren aber noch dieses Jahr mit dem letzten Album, „Halo“. Insofern wird es auch 2024 ein arbeitsreiches Jahr für uns werden.
Vielen Dank für deine Antworten – zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming. Was kommt dir als in den Sinn, wenn du die folgenden Begriffe hörst?
Death Metal: Ich liebe ihn, vor allem Old School Death Metal der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre.
Deutschland: Ein sehr wichtiger Markt für Amorphis seit den Anfängen unserer Karriere. Auch die Heimat unseres Labels.
Das Beste am Leben auf Tour: Die Shows. Fans zu treffen. Neue Orte zu sehen … in den letzten Jahren waren das allerdings nicht mehr so viele.
Das Schlimmste am Leben auf Tour: Warten, warten … Manchmal kann auch das Reisen selbst hart sein. Man hat nicht allzu viel Zeit zum Schlafen.
Deine Lieblingsblumenart: Ich habe keine Ahnung von Blumen, aber ich liebe Chili und züchte meine eigenen Chilipflanzen. Habanero und Carolina Reaper sind meine Favoriten.
The Silver Lake by Esa Holopainen: Wirklich gutes Material von meinem Band-Bruder.
BJØRKØ in zehn Jahren: Das wird die Zeit zeigen.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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