Unter seinem Pseudonym Teloch ist er Black-Metal-Hörern als Gitarrist und Songwriter von Mayhem und Nidingr bekannt. Unter seinem tatsächlichen Namen BERGETON entert der Norweger nun das Trendgenre „Retro-Wave“. Morten Bergeton Iversen über das Revival einer totgeglaubten Musikrichtung, Vinyl, Kokain und eine Extraportion Pink.
Ich hoffe, dass dort, wo du dich gerade aufhältst, Corona einigermaßen unter Kontrolle ist und alle Menschen in deinem privaten Umfeld sicher sind – wie ist die allgemeine Situation in Norwegen gerade?
Oslo, wo ich wohne, hat im Moment Status rot – wie viele andere Städte in Norwegen auch. Wir haben jetzt eine Welle von jungen Leuten, die sich infiziert haben. Aber die Zahl der Corona-Todesfälle ist mit insgesamt etwa 270 immer noch sehr gering. Im Moment sind wir also besser dran als die meisten Länder in der EU. Es könnte daran liegen, dass wir schon bevor Covid hier eingeschlagen hat, sehr gut im Abstandhalten waren. (lacht)
Corona hat die Live-Branche zum Erliegen gebracht, auch MAYHEM wurde mitten in der Tour von Corona gestoppt. Wie gehst du damit um, was machst du mit der frei gewordenen Zeit?
Es ist keine Überraschung, dass unsere Hauptarbeit und damit unser Haupteinkommen die Live-Auftritte sind. Jetzt, wo wir das nicht mehr tun können, sind wir pleite und haben viel Freizeit. Mein Problem und das der anderen Mitglieder von MAYHEM ist, dass wir etwas brauchen, woran wir arbeiten können. Wir wollten gerade unsere sehr erfolgreiche „Daemon“-Tournee fortsetzen, und werden das so bald wie möglich wieder aufnehmen. Mit etwas Neuem anzufangen, bevor wir mit dem „Daemon“-Album abgeschlossen haben, ist also nicht sinnvoll.
Ich persönlich konzentriere mich deswegen auf meinen YouTube-Kanal und lerne, wie man auf dieser Plattform Inhalte erstellt. Diesen Plan hatte ich auch schon vor Corona, ich wollte gerade anfangen, Road-Videos von unserer Tour zu machen. Momentan versuche ich nun also, ein Video pro Woche zu veröffentlichen. Viel Arbeit und beschissene Bezahlung, aber es ist cool zu sehen, wie meine Community sowohl auf YouTube als auch bei meinem Disord-Kanal wächst. Ich habe irgendwie das gleiche Gefühl wie damals, als Myspace noch cool war. (lacht)
Gibt es auch etwas Positives, das du aus der Krise mitnehmen kannst – oder hat sie dich dafür persönlich zu schwer getroffen?
Was mir an der Krise wirklich gefällt, ist, dass wir alles verlangsamen mussten, statt ständig hinterherzulaufen. Das Tempo, das zurzeit alles hat, passt mir viel besser.
Mit BERGETON veröffentlichst du jetzt ein Solo-Album im Synthwave-Genre. Ein ziemlicher Glücksfall, dass dein Name so perfekt zu einem solchen Projekt passt … war dir von Anfang an klar, dass du deinen zweiten Vornamen als Projektnamen verwenden wirst?
Tatsächlich habe ich diesen Namen immer für etwas Besonderes gehalten, und in der Vergangenheit haben mich immer wieder Freunde gefragt, warum ich ihn nicht für ein Projekt verwende. Ich konnte mir aber nicht wirklich vorstellen, ihn für ein Black Metal-Projekt zu nutzen. Jetzt war die Zeit reif, ihn zu verwenden, denke ich. Eigentlich hatte ich mir einen anderen Namen für das Projekt überlegt: Haxan Summer. Aber wenn ich den genommen hätte, hätte ich das Projekt über den Namen ausschließlich auf Synthwave beschränkt. Mit dem Namen BERGETON kann ich alles freier gestalten und bin nicht auf irgendein Genre in der elektronischen Welt festgelegt. Es geht um die Freiheit, meine kreative Kraft so einzusetzen, wie ich will.
Die meisten Leser kennen dich wohl eher als Teloch von verschiedenen Black-Metal-Projekten und Bands. Wann bist du zum ersten Mal mit Synthwave in Kontakt gekommen, was hat dich inspiriert, ein Projekt in diesem Genre zu starten – und welche Acts oder Veröffentlichungen haben deine Liebe zu diesem Genre geweckt?
Carpenter Brut hat mir diese Tür geöffnet. Dann habe ich angefangen, den Rest des Genres auszuloten. Dabei bin ich, wie ich zugeben muss, auf tonnenweise langweiliges Zeug gestoßen, von dem alles gleich klingt. (lacht) Das ist ein bisschen wie im Black Metal, schätze ich. Aber einige Bands fand ich wirklich gut und die haben mich inspiriert. Jedenfalls genug, um es selbst ausprobieren zu wollen.
Das Genre hat in den letzten Jahren ein echtes Revival erlebt – nicht zuletzt befeuert durch die Metal-Szene. Hast du eine Erklärung dafür? Was gefällt den Leuten, vor allem den Metalheads, plötzlich an Synthwave?
Ich habe keine Ahnung. Eine Theorie ist, dass wohl die meisten Metalheads Gamer sind, oder zumindest ehemalige Gamer, würde ich sagen. Oder vielleicht ist es die melancholische Seite, die ihnen gefällt. Ich weiß nicht so recht.
Ist die Retro-Synth-Welle durch das „Retro“ automatisch in sich limitiert und nur ein Trend, der früher oder später verschwinden wird, oder siehst du einen Weg, wie sich das Genre weiterentwickeln und spannend bleiben kann?
Ich bin überhaupt kein Experte für dieses Genre. Ich mochte ein paar Alben und habe dann meinen eigenen Versuch unternommen.
Synth-Wave ist oft ein eher fröhlicher, leichter Sound – steht also in extremem Gegensatz zum Black Metal. Siehst du trotzdem Parallelen zwischen beiden Welten?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die fröhliche Seite darin sehe, wie gesagt, ich finde es ziemlich melancholisch. Zumindest ist das meine Erfahrung mit dieser Musik und was ich dabei empfinde. Vielleicht bin ich aber auch einfach resigniert. (lacht)
Wann hast du angefangen, diese Art von Musik zu schreiben – und hattest du davor schon Erfahrungen mit Electronica/Sythnesizern oder zumindest mit Keyboards?
Ich hatte früher ein Keyboard, aber ich erinnere mich überhaupt nicht mehr, was das war. (lacht) Das ist schon lange her. Aber ich spiele mit dem Genre wohl seit Anfang der 1990er-Jahre herum – die Betonung liegt auf „spielen“, das war also nichts Ernstes. In der Zeit von 2000 bis 2005 hatte ich eine Phase, in der ich in diesem Genre tatsächlich etwas aktiver war: Damals habe ich etwa 30 Songs unter dem Projektnamen TRKTR produziert. Aber ich habe nie etwas veröffentlicht, sondern nur gebrannte CDs an Freunde verschenkt.
Lass uns nerdy werden: Manche Synthwave-Künstler benutzen spezielle, alte Synthesizer und Hardware – wie arbeitest du? Welche Tools hast du für „Miami Murder“ verwendet?
Ich besitze überhaupt keine physischen Synthesizer. Ich benutze Reason, und zwar seit V1. Für dieses Album habe ich die Sounds aber in der Regel von Grund auf selbst kreiert. Aber ich habe auch einige Synthesizer von Drittanbietern wie Serum, Arturia Analog Lab und Komplete 12, wobei ich den letzteren noch nicht allzu oft verwendet habe.
Wie gehst Du an das Songwriting für BERGETON heran – vor allem im direkten Vergleich zum Black-Metal-Songwriting für MAYHEM oder NIDINGR?
Es ist ganz anders, zumindest für mich. Wo meine anderen Projekte eher auf Riffs basieren, geht es bei dieser Musik in gewisser Weise mehr um Sound-Scaping. Normalerweise fange ich damit an, dass ich eine Art Synthesizer-Sound kreiere, der mir gefällt, und mache dann die Musik diesem bestimmten Sound entsprechend. Das ist vielleicht, was mich daran reizt: diese völlig andere Art, Musik zu machen.
Was inspiriert dich musikalisch oder wann bist du in der perfekten Stimmung, diese Musik zu schreiben?
Alle meine Kreationen beginnen damit, dass ich herumspiele oder etwas ausprobiere. Ich bin nie in einer bestimmten Stimmung, wenn ich etwas komponiere, sondern es fängt mit Herumspielen an und geht dann in einen kreativen Modus über, wenn mir ein Klang oder eine Idee gefällt.
Das Album heißt „Miami Murder“ – kannst du die Idee hinter dem Titel erklären?
Der rote Faden ist Kokain. Das Albumcover zeigt den Mord an einer Dame der Nacht – einer Stripperin . die wegen ihrer Gier nach Koks ermordet wird. Auf dem Albumcover kann man sehen, dass sie Koksreste in ihren Nasenlöchern hat, und ich habe auch die chemische Struktur von Kokain auf die Vinylversion gepackt: C17H21NO4. In dem Video zu „Miami Murder“ kann man die letzten Ereignisse aus dieser Nacht sehen, an die sich der spätere Mörder erinnert, bevor er diese Stripperin tötet. (lacht)
Die Ästhetik des Covers erinnert stark an die Computerspielserie „GTA“ – ist diese Parallele beabsichtigt? Was war die Idee dahinter?
Die Idee kam mir einfach, als ich den Titel „Miami Murder“ gefunden hatte. Ich habe dann eine wirklich schlechte Skizze gemacht und sie zusammen mit dem Farbschema, das ich wollte, an Christian Hall von American Vendetta geschickt. Er hat mir dann dieses superschöne Cover gemacht.
Generell herrscht in der Retro-/Synthwave-Szene eine große Begeisterung für Lila- und Pink-Töne vor. Was reizt dich als Black-Metaller an dieser Ästhetik – oder hast du da nur mitgespielt, weil es einfach zu diesem Genre dazugehört?
Als Black-Metaller arbeiten wir normalerweise in sehr dunklen Farben. Ich fand es erfrischend und interessant, mal das genaue Gegenteil davon zu machen. Das ist auch der Grund, warum ich die Schallplatte mit einem besonders pinken Farbton für das Vinyl bestellt habe.
Das Album wird auf CD, aber auch auf LP veröffentlicht. Retrowave auf Vinyl – mehr „Retro-Feeling“ kann man kaum bekommen. Teilst du die allgemeine Begeisterung für Vinyl?
Ja! Für mich fühlt es sich so an, als wäre ein Album gar nicht wirklich veröffentlicht, bis es auf Vinyl erscheint.
Verschiedene Synth-Wave-Bands treten auch live auf – die genannten Carpenter Brut zum Beispiel. Hattest du auch solche Pläne, bevor die Corona-Krise die Live-Branche zerstört hat – beziehsungsweise soll das irgendwann einmal passieren?
Es wäre tatsächlich schön, ein paar Live-Shows zu spielen. Aber ich möchte zunächst mehr Material zur Auswahl haben. Also bleibt BERGETON vorerst ein Studioprojekt. Ich würde mir auch darüber Gedanken machen wollen, wie ich das live präsentieren möchte. Aber ehrlich gesagt möchte ich im Moment nicht über Live-Auftritte nachdenken. Es geht ja momentan eh nicht.
Bring uns doch bitte zum Abschluss bezüglich deiner anderen Projekte auf den neuesten Stand: Wie steht es um einen Nachfolger für „The High Heat Licks Against Heaven“ von NIDINGR?
Keine Ahnung, wir haben momentan auch kein Label. Aber wir diskutieren und probieren ein paar Sachen aus. Aber das hat keine Eile; es wird kommen, wenn es kommt.
Arbeitet ihr bei MAYHEM bereits an einem neuen Album?
Wir haben angefangen, mit einigen Ideen zu arbeiten, aber es ist überhaupt keine Inspiration da. Wir werden also warten, bis wir wieder inspiriert sind, und bis die „Daemon“-Tournee beendet ist, denke ich. Aber wer weiß … wir werden sehen.
… und gibt es NUNFUCKRITUAL eigentlich noch?
Irgendwie schon, ich habe vor langer Zeit das zweite Album geschrieben. Fürs Erste liegt es aber nur auf einer Festplatte. Das hat auch keine Eile. (lacht)
Vielen Dank für das Gespräch! Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Donald Trump: lustig
Dein aktuelles Lieblingsalbum: Jacco Gardner – Somnium
Ein Essen, das dich immer glücklich macht: Pizza
Der perfekte Zeitpunkt oder Zustand, um BERGETON zu hören: beim Autofahren
Ein Ort, an dem du dein Zeitgefühl verlierst: Im Wald oder im Studio beim Musikmachen
BERGETON in 10 Jahren: Stadien, Baby!
Nochmals vielen Dank für deine Zeit. Die letzten Worte dieses Interviews gehören dir:
Danke für die Unterstützung und ich hoffe, dass ihr euch mein neues Album anhört und kauft!
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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