Interview mit Nergal von Behemoth

Mit „Opvs Contra Natvram“ blasen BEHEMOTH zum nächsten audiovisuellen Großangriff: Was es mit dem Sound des Albums auf sich hat, warum Musikvideos für Nergal eine so wichtige Rolle spielen und zu welchen Musikern er noch aufschaut, erzählt uns der selbstsichere Pole ganz lässig vom Fahrersitz seines Sportwagens aus.  

Behemoth-Slider 2022

Lass uns am Ende des Albums anfangen: Gerade für Fans aus Deutschland dürfte es überraschend kommen, dass dort ein Psalm auf Deutsch zu hören ist – wie kam es dazu, warum auf Deutsch?
Du bist der Erste, der darauf eingeht! Es hat sich einfach richtig angefühlt – es klingt stark und kraftvoll. Ich habe also eher instinktiv entschieden, dass das auf Deutsch sein muss. Eigentlich wollte ich es nicht in einer anderen Sprache als Englisch machen, weil in dem Song ja schon Latein vorkommt und eine dritte Sprache hätte schnell zu viel werden können. Aber dann dachte ich mir: Es ist nur eine Zeile und es ist exakt der gleiche Text, den ich in der ersten Strophe auf Englisch singe – in der zweiten singe ich es jetzt eben auf Deutsch.

Musikalisch ist das Album wieder sehr anders als sein Vorgänger – in vielen Passagen erinnert es mich an einen Soundtrack. Kannst du das nachfühlen, oder würdest du mir da widersprechen?
Ich bin nicht hier, um dir zu widersprechen – ich bin hier, um mir deine Meinung anzuhören. Darum geht es doch. Und wenn es dich an einen Soundtrack erinnert, bin ich davon positiv überrascht: Wenn du darin diese Soundlandschaften findest, die dich an einen Soundtrack denken lassen, und das Album so intensiv und dicht und brutal ist – viel brutaler als das Letzte – ist das doch großartig! Ich freue mich, dass du diese Passagen herausgehört hast.

Ich meine, es gibt schon Stellen die etwas von einem Soundtrack haben – beispielsweise in „Ov My Herculean Exile“: Der Song ist über weite Strecken sehr monoton gehalten. Auch „Versvs Christvs“ hat solche Elemente, oder das Ende von „Thy Becoming Eternal“ … cool! Ich bin nicht unbedingt ein großer Soundtrack-Fan, aber ich mag es, Kontraste und Dynamiken innerhalb meiner Musik zu erschaffen. Wenn ich also einen wirklich extremen Part habe, werde ich in vielen Fällen versuchen, dem ein Gegenstück zu geben, etwas Gegenteiliges folgen zu lassen, das diesen Part kontrastiert. „Thy Becoming Eternal“ etwa ist ein wuchtiger, verrückter Dicke-Eier-Vollgas-Song, eine reine Riff-Kaskade, mit Geschrei und allem Möglichen … und dann endet der Song in diesem monumentalen, weiten, epischen Part mit dieser Ansprache: „We hail Satain, we hail the beast“. Das macht es erst spannend! Insofern, ja, war das natürlich Absicht.

„Ich kenne Leute, die mögen die Musik von BEHEMOTH nicht
– lieben aber unsere Videos“

Die Soundtrack-Assoziation wird sicher auch dadurch gestützt, dass ihr zu vier der Songs Musikvideos gedreht habt, die eher Kurzfilme geworden sind. Als Musikvideos dereinst aufgekommen sind, ging es nur darum, einen Weg zu finden, wie man Musik im Fernsehen zeigen kann. Hat sich das geändert, sind Musikvideos heute eigenständige Kunst?
Ja, es hat sich da eine ganz neue Sparte entwickelt. Sie ist nicht mehr nur eine Ergänzung, sie stehen für sich selbst. Ich kenne Leute, die mögen die Musik von BEHEMOTH nicht – lieben aber unsere Videos. Auch das ist ein Kompliment. Wenn ich Leute mit unserer Kunst begeistern kann, obwohl es Normalos sind, die mit unserer Musik nichts anfangen können, habe ich doch schon gewonnen. Vor allem „Ov My Herculean Exile“ ist ein echter Game-Changer: Das ist definitiv eines unserer besten Videos, da steckt einfach alles drin. Wir machen seit 30 Jahren Musikvideos, ich weiß gar nicht, wie viele das waren. Aber die meisten davon zeigen Kerle, die böse dreinschauen, rocken und headbangen. Das ist so ausgelutscht! Jeder macht das! Ich wollte etwas komplett anderes machen, etwas Künstlerisches.

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Aber dann ist man mit einem anderen Problem konfrontiert: Der Hauptgrund, warum heute vornehmlich solche langweiligen „Performance-Videos“ veröffentlicht werden, ist, dass die Youtube-Regularien in den letzten Jahren viel strenger geworden sind. Du kannst heute, wie wir das gemacht haben, einen Haufen Geld in ein Video stecken, und dann sagt Youtube „Sorry, das ist zu brutal“, und schränkt die Reichweite ein. Das ist dann ein echter Dämpfer – weil wir viel Geld investiert haben und es großartig geworden ist und ich es den Leuten genau so zeigen wollte. Aber was am Ende des Tages funktioniert und viral geht, sind drei oder vier Typen, die in einem verdammten Hangar oder einer alten Fabrik Karaoke zu ihrer eigenen Musik machen. Ich meine … ernsthaft?

„Ich werde mich nicht an irgendwelche
Standards anpassen, dafür bin ich zu alt!“

Ein weiteres Problem ist die Aufmerksamkeitsspanne der Leute heute – mich selbst eingeschlossen: Wir können uns nicht mehr auf etwas konzentrieren, das länger als 15 Sekunden dauert und skippen. Wie soll man also die Leute in einem Song halten – und das Video, von dem wir hier sprechen, ist acht Minuten lang! Das Video zu „O Father O Satan O Sun“ war damals fast neun Minuten lang! Das ist heute quasi Selbstmord. Aber ich bin in den 1990er-Jahren mit MTV groß geworden – da lief auch mal „One Rode To Asa Bay“ von Bathory, über zwölf Minuten hinweg. Das ist die Qualität, mit der ich aufgewachsen bin. Du erzählst eine Geschichte. Du versuchst dich nicht nur 15 Sekunden lang selbst darzustellen – schaut her, ich kann Tanzen und hole meinen Schwanz raus! Ich bin einfach nicht aus dieser Generation, ich verstehe das nicht. Für mich ist das Schrott. Das ist Bullshit. Aber ich bin auch ein 45-jähriger Arsch, also vielleicht solltet ihr mir nicht mal zuhören. Auf der anderen seite werde ich werde mich nicht an irgendwelche Standards anpassen, dafür bin ich einfach zu alt! Also investiere ich einfach trotzdem einen Haufen Geld in Material, das ich persönlich grandios finde. Und vielleicht wird es erhalten bleiben, wenn ich mal tot bin. Vielleicht wird es, obschon es heute nicht hoch gelobt wird, irgendwann aus irgendeiner Höhle ausgegraben, in Qumran oder so, und sie werden diese Videos finden und sagen: „Holy shit, da gab es diesen Typ namens Nergal, der komplett übertriebene Minivideos gemacht hat – der war seiner Zeit voraus! Wahnsinn!“ Vielleicht … nein, das war jetzt natürlich ein Witz auf meine Kosten. Aber nochmal auf den Punkt gebracht: Ich will mich nicht an Standards anpassen!

Behemoth Grzegorz-Golebiowski 02 2022
BEHEMOTH 2022; © Grzegorz Golebiowsk

Also wird es keine Performance-Videos von BEHEMOTH mehr geben?
In ein paar Tagen veröffentlichen wir unsere fünfte Single, „Versvs Christvs“, und das Video zeigt tatsächlich auch eine Band-Performance. Aber auf die richtige, sehr künstlerische Art. Ich habe für das Video mit einer befreundeten Produzentin zusammengearbeitet, die in Los Angeles Hollywood-Filme dreht. Sie kam nach Polen und wir hatten die gleichen Vorstellungen davon, wie es aussehen muss. Der Song hat eigentlich drei Kapitel. Ich wollte eine Performance, aber die kommt erst im dritten Teil und entwickelt sich dann weiter. Davor sieht man ganz andere Dinge.

„Am besten bin ich in meinem Leben darin,
ich selbst zu sein“

Wenn du dir ein Musikvideo anschaust, und es nicht gerade von Rammstein oder so ist, ist es doch fast immer so: Du hast eine „Erzählung“ – irgendwer tut irgendwas – und du hast die Band. Was also gemacht wird, ist folgendes: Man hackt beides in Fragmente und setzt sie abwechselnd hintereinander … und je schneller der Song wird und je mehr es dem Ende zugeht, desto dynamischer läuft das dann ab. Jeder Depp macht das so! Ich meine, ich bin nicht einmal Regisseur und selbst ich wüsste, wie man es besser machen könnte!

Gestern hatte ich ein ganztägiges Shooting – man sieht es noch in meinem Gesicht – und auch da haben wir ein Performance-Shooting gemacht. Aber auch dabei sind wir die Sache komplett anders angegangen: Die Performance wird in eine 3-D-Animation eingebaut werden. Das haben wir noch nie gemacht! Wenn du also unsere Video-Veröffentlichungen verfolgst, wirst du sehen, dass jedes neue Video anders ist. Und das ist volle Absicht. Ich bin mit allen Videos zufrieden, die wir für „I Loved You at Your Darkest“ gedreht haben. Aber sie waren sich sehr ähnlich. Dieses Mal wollte ich, dass jeder Clip komplett anders wird – andere Techniken, eine andere Herangehensweise. Das mag manchen Leuten nicht gefallen, aber ich muss uns auf die Probe stellen. Ich will Animationen, 3-D, Kurzfilm, dies, das … also mache ich es. Vielleicht ist das ein Fehler, aber auch das finde ich nicht heraus, ehe ich es nicht ausprobiert habe. Darum geht es doch in der Kunst! Sich selbst zu ermutigen, etwas auszuprobieren. Ich meine, wenn du mich fragst, ob ich weiß, was man tun muss, um den Leuten die Eier zu lutschen und sie glücklich zu machen – klar! Aber ich bin keine Nutte. Glaub mir: Am besten bin ich in meinem Leben darin, ich selbst zu sein. Schaut euch meine Storys, mein Instagram an. Es gibt so viele Arten, wie man Leute anpissen kann, und ich habe so viel Spaß daran, das zu tun. Ich will keine Figur sein, vorausplanen, auf Sicherheit spielen, nur um Platten zu verkaufen. „Trumpets Of Gabriel“ war erfolgreich, „Conquer All“ war erfolgreich, lasst uns davon Teil 2, Teil 3, Teil 4 machen? Niemals! Nicht über meine Leiche!

Behemoth opvs contra natvram - cover 2022Du hast die hohen Kosten eurer Videos schon angeschnitten, darauf würde ich gern nochmal eingehen. Musik aufzunehmen ist heute vergleichsweise billig geworden – geht der Großteil eures Budgets mittlerweile in die Visualisierung der Songs?
Wir haben ein verdammt riesiges Budget von Nuclear Blast bekommen. An dieser Stelle: Nucelar Blast, vielen, vielen Dank, Dankeschön dafür, dass ihr so viel Vertrauen in das setzt, was wir tun. Das ist großartig. Sie haben uns so große Freiheiten gegeben! Deswegen veröffentlichen wir all diesen Content – und sie investieren viel Arbeit, um uns weiter anzuspornen. Aber glaub mir: Klar, du kannst heute viel zu Hause machen. Aber weil wir dieses Budget bekommen haben, haben wir diesmal viel mehr Zeit im Studio zugebracht und haben zwei der größten Legenden für Mix und Master engagiert. Den Mix hat Joe Barresi gemacht, der Kerl, der schon mit Nine Inch Nails gearbeitet hat, mit Monster Magnet, Queens Of The Stone Age und diversen anderen. Und Bob Ludwig hat das Album gemastert – und der hat schon so gut wie alles und jeden produziert. Egal, an wen du jetzt denkst: Er hat sie produziert. Das geht von Jimi Hendrix über The Who, Queen, Madonna, jeden … er ist historisch. Ich glaube, er ist schon über 80 [77, A.d. Red]. Diese beiden Typen zusammen haben das Album anders klingen lassen als alles andere, was du derzeit im Markt findest. Wenn du glaubst, dass ich jetzt Quatsch rede, geh auf Spotify und vergleiche. Das Letzte, was ich wollte, war, dass das Album nach irgendeinem anderen Album da draußen klingt.

„Die Eier habe ich nicht,
zurück in die Höhle zu gehen“

Natürlich kannst du in deinem eigenen Sound noch kleine Revolutionen machen, wie Darkthrone es mit „A Blaze In The Northern Sky“ gemacht haben … das war beeindruckend. Aber ich glaube, die Eier habe ich nicht, zurück in die Höhle zu gehen. Oder Mayhem mit „Ordo Ad Chao“ – quasi einfach einen Proberaum-Mitschnitt veröffentlichen. Nah! Ich wette, die Leute würden es nur als großen Rip-Off ansehen. Also haben wir jeden verdammen Cent in die Produktion gesteckt – mehr als je zuvor. Und wir haben mehr Geld in Videos gesteckt – ich glaube, wir sind mittlerweile etwa beim Dreifachen dessen, was wir beim letzten Album dafür ausgegeben haben. Vielleicht ist das alles ein Fehler. Ökonomisch betrachtet sind wir als Band jetzt nicht mehr in der besten Position. Wir hatten jetzt drei Jahre lang quasi keine Konzerte … nur eine Tour in den USA, und die war zwar profitabel, aber nicht spektakulär. Aber von dem Budget haben wir bislang noch kein Geld für uns aufgespart … was wir vermutlich besser hätten tun sollen. Einfach, um jetzt auf der sicheren Seite zu sein, verstehst du? Einige von uns haben jetzt schon zu kämpfen. Ich hoffe einfach, dass es sich ab einem bestimmten Punkt dann auszahlt. Jetzt steht immerhin die Europatour an. Ich hoffe sehr, dass die dann auch stattfinden kann … das wird großartig!

BEHEMOTH live 2020; © Afra Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Aktuell ist es zumindest in Deutschland ein großes Problem, dass kaum Tickets im Vorverkauf gekauft werden … viele Bands müssen darum ihre Touren wieder absagen. Wie sieht es dahingehend bei euch aus?
Unsere Tour wurde bereits zweimal verschoben– darum sind die Tickets zum großen Teil verkauft. Insofern sind wir da auf der sicheren Seite, auch wenn noch nicht alle Shows ausverkauft sind. Aber ich verstehe das. Ich meine, wir sind am Arsch. Wir sind am Arsch. Drei Jahre Pandemie, und die ist ja noch nicht vorbei – wir haben nur angefangen, damit zu leben und aufgehört mit den ganzen Lockdowns, weil das vielleicht einfach nicht funktioniert. Also geht zu der verdammten Show, steckt euch gegebenenfalls an, steht das durch, werdet stärker … und geht zur nächsten Show. Das ist mein Rat. Aber davor geht und holt euch die vierte Impfung – das mache ich nächste Woche. Fuck it – man muss sich schützen! Macht euch keine Sorgen, vertraute der Wissenschaft und gebt nichts auf diese ganzen Verschwörungstheorien, vergesst diesen Dreck einfach. Seid clever, bleibt gesund, nutzt Masken … aber bitte: unterstützt Musik!

„Kultur – und das ist, was wir machen – steht am Ende der Liste“

BEHEMOTH live 2022; © Afra Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Aber warum, denkst du, kaufen die Leute keine Konzertkarten mehr – und wie wird es dann weitergehen?
Ich bin etwas optimistischer als ich vor ein paar Monaten war, aber lass uns mal abwarten, wie der Herbst wird. Wir befinden uns mitten in oder auch erst am Anfang einer Rezession. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber Gas, Strom, all das … aktuell ist es noch warm, über 23 ° Grad, da muss man nicht heizen. Und wenn es dann kalt wird, bin ich auf Tour. Aber ich weiß nicht, was in den kommenden Wochen und Monaten passiert. Insofern kann ich es niemandem übelnehmen, wenn er aktuell keine Konzertkarten kauft. Vielleicht wird das Essen bald dreimal so teuer sein. Da ist die Entscheidung klar: Du musst deine Kinder ernähren, dich selbst ernähren, die Rechnungen bezahlen … und dann kannst du schauen, ob noch Geld übrig ist. Kultur – und das ist, was wir machen – steht am Ende der Liste. Aber wenn dann noch etwas übrig ist, bitte, kauf dir ein Ticket für BEHEMOTH, Arch Enemy und Carcass und komm zu unserer Tour! Es wäre unmenschlich von mir, würde ich sagen: Kauft unter allen Umständen Tickets! Nein. Handelt vernünftig, aber behaltet im Kopf, dass wir davon leben. Wir müssen touren, um die Sache am Laufen zu halten, um als Künstler und Band weitermachen zu können.

Hier macht sich natürlich negativ bemerkbar, dass mit Musik selbst kaum noch Geld gemacht wird, sondern eigentlich nur noch mit Konzerten und Merchandise. Bei BEHEMOTH setzt ihr stark auf letzteres, ihr habt einen extrem umfangreichen Webshop. Hilft euch das in Zeiten wie diesen?
Absolut! Das ist ein großer Teil unserer Einnahmen. Auch hier gilt: Wenn du satt bist und finanziell abgesichert, bitte besuche unseren Webstore und kauf unser Merchandise. Das bezahlt uns. Genau wie die Tour. Tour und Merchandise sind die zwei Faktoren – wenn das läuft, geht es uns gut. Wenn das nicht mehr funktioniert, haben wir ein ernstes Problem, Houston.

Siehst du dich selbst manchmal eher als Verkäufer denn als Musiker?
Glaub mir, wenn es ginge, würde ich wirklich gerne einfach nur herumfahren, Gitarre spielen, schreien, dafür bezahlt werden und mich um nichts anderes scheren. Vielleicht war das früher auch so … vielleicht sogar bis in die 1990er-Jahre oder so. Heute muss ein Musiker, abgesehen davon, dass er Musiker und Künstler ist, sein eigener Manager sein, ein Geschäftsmann, ein Buchhalter, ein Marketing-Typ, Social-Media-Manager … und immer, immer mehr. Manchmal auch noch sein eigener Fahrer! Das habe ich auch schon gemacht, sogar erst letztens: Auf einigen Touren bin ich selbst von A nach B gefahren, weil es keine andere Möglichkeit gab. Um AC/DC zu ziteren: „It’s a Long Way to the Top (If You Wanna Rock ‚N‘ Roll)“ – ja, das ist es. Es ist ein langer Weg, und kein leichter. Du wirst nie hören, dass ich mich beschwere; ich liebe mein Leben, ich würde es nie für irgendein anderes tauschen wollen. Es ist das beste Leben, das ich führen könnte, und ich habe es mir bewusst ausgesucht. Ich liebe es. Aber es gibt Situationen, wie die jetzige Krise, die sehr beängstigend sein können. Die dein Universum komplett ins Wanken bringen können. Wenn alles so instabil ist, ist das kein Spaß. Aber lass uns hoffen, dass sich die Dinge vielleicht wieder in gewisser Weise normalisieren.

„Wenn du ein BEHEMOTH-Album kaufst,
kaufst du ein Erlebnis“

Was mich an BEHEMOTH in diesem Kontext beeindruckt, ist, wie du es geschafft hast, die Band zu einer Marke zu transformieren: Die Leute kaufen quasi alles, nur weil ein BEHEMOTH-Logo drauf ist. Das muss man so erst einmal schaffen …
Das ist außergewöhnlich, ja. Das Gute ist, dass unsere Legionen – die Leute, die an unsere Band glauben und auf das vertrauen, was wir tun – wissen, dass wir keinen Mist machen. Aber ich stimme dir zu – für zumindest ein oder zwei Dekaden habe ich hart daran gearbeitet, eine Marke zu etablieren und nicht nur eine Band. Vielleicht habe ich in gewisser Weise vorhergesehen, dass ab einem bestimmten Punkt die Musik alleine nicht mehr ausreicht. Wenn du ein BEHEMOTH-Album kaufst, kaufst du ein Erlebnis. Du bekommst keine schlechten Songs, keinen billigen Eigenproduktions-Sound. Du bekommst das volle Paket, inklusive Videos und Live-Shows. Und wir streben immer nach mehr, größer, besser, wenn es irgend möglich ist. Und noch ist das möglich.

Behemoth 02-20--5
BEHEMOTH live 2020; © Afra Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Eine der Bands, die ich sehr mag, zu denen ich aber auch wirklich aufschaue, sind Rammstein: Was sie geschaffen haben, noch dazu als Band aus Ostdeutschland … da kann ich nur sagen: wow. Sie sind absolute Vorreiter im Industrial-Metal, es ist eine verdammte Fabrik, wahnsinn… so gut gemacht, so beeindruckend! Was wir machen, ist extrem, und ich weiß, dass es ein Limit gibt. Wir können nur bis zu einer bestimmten Größe wachsen, und das war es dann. Wir wissen noch nicht, wo diese Decke ist, weil wir sie aktuell noch weiter anheben … und wir sind jetzt schon Headliner auf Wacken, was mir sagt: Hey, du bist gerade auf deinem absoluten Karrierehöhepunkt. Das haben wir bisher noch nicht gemacht. Insofern denke ich, dass wir noch etwas weiter gehen können – aber es gibt definitiv eine Grenze. Wir werden sehen, wo sie liegt, und was wir damit tun können.

BEHEMOTH live 2020; © Afra Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Bist du manchmal überrascht…
Ja.
… dass ihr mit eurer Musik …
Ja.
… so eine breite Hörerschaft erreicht, die weit über die reine Black- oder Death-Metal-Szene hinausreicht? Wie erklärst du dir diesen Erfolg über jede logische Genre-Grezen hinaus?
Ich weiß es wirklich nicht, aber ich bin verdammt dankbar dafür. Auch nachdem ich gerade schon Rammstein angesprochen habe, versuche ich mal eine Parallele aufzuziehen, die vielleicht Sinn ergibt, OK? Es gibt viele Leute, die keine Metalheads sind und trotzdem zu Rammstein-Konzerten gehen und ihre Alben kaufen. Rammstein ist am Ende trotzdem eine Heavy-Metal-Band, das ist Industrial Metal, verdammt harte Musik … keine verdammte Popmusik. Genauso gibt es ja auch Leute, die keine Metalheads sind, aber Metallica hören. Oder sogar Slayer! Obwohl sie Thrash Metal hassen, gibt es etwas an Slayer, das sie gut finden, weshalb sie diese Band verehren. Ich denke, bei all diesen Bands geht es auch um das Erlebnis.

„Ich mache ja viel mehr, als nur Riffs zu spielen.
Ich bin ein Mann auf einer Mission“

Instagram-Post von nergal69: My dad is 77 now and battling cancer. My mom is 76 and she’s unstoppable. And I’m a proud son of these two. It feels good to have them witness @behemothofficial and @meandthatman every time we r around… ❤️🤘🙏

Manche Musiker glauben vielleicht auch, dass du für die Fans etwas kaputt machst, wenn sie auf Instagram sehen, dass du einfach ein normaler Typ bist, der wie sie jeden Morgen kacken geht, sich einen runterholt oder krank wird, älter wird und irgendwann stirbt. Aber vielleicht ist es genau umgekehrt. Vielleicht – und das ist, was ich glaube – sagen die Leute eher: „Der ganze Extreme-Metal ist ein Brei, alles klingt gleich – aber da ist dieser Typ, Nergal. Der macht coole Musik, aber schau dir mal seine Instagram-Stories an. Der ist aufrichtig! Der erzählt keinen Scheiß, den kann man ernst nehmen. Der sagt, was er denkt … der hat mit Gerichtsprozessen zu tun und gewinnt sie!“ Ich mache ja viel mehr, als nur Riffs zu spielen. Ich bin ein Mann auf einer Mission. Wenn ich an andere Leute denke …ich zähle einfach mal die Personen auf, die ich bewundere, was ihre mutiplen Aktivitäten angeht.

Corey Taylor von Slipknot. Einer dieser Typen, die einfach alles machen. Übrigens ein großartiger Kerl. Bruce Dickinson – auch er ein Tausendsassa: Pilot, Bier-Brauer, Fronter der größten Metal-Band des Planeten, Autor, Redner … was denn noch alles? Raketenwissenschaften? Der Typ ist der Wahnsinn! Das will ich auch machen! Das ist mein Ziel! Und noch eine solche Person ist Maynard James Keenan von Tool. Ich bin kein großer Tool-Fan, wenngleich ich großen Respekt vor dem habe, was sie tun. Aber bei ihm ist das Gleiche: Er macht Wein, Kaffee, hat eine spektakuläre Stimme, multiple Projekte … das ist meine Energie. Das ist, was ich bin. Ich bin genau so ein Typ. Luft ist mein Element, ich bin überall, das ist meine Natur. Ich mache die Dinge natürlich auf einem viel niedrigeren Level, aber vielleicht steigt das ja noch.

Eine andere Sache, die ihr in der Pandemie gemacht habt, waren Stream-Shows – ihr habt da zwei Projekte umgesetzt, zunächst „In Absentia Dei“ und dann noch das fantastische „XXX Years Of Blasphemy“. Letztere ist bislang nicht physisch veröffentlicht worden – wird das noch kommen?
Bislang gibt es keine konkreten Pläne, wir wollen auch nicht zu viel Content auf einmal herausbringen. Das neue Album hat jetzt Priorität und in ein paar Tagen veröffentlichen wir erst einmal, was wir unlängst in Polen fabriziert haben. Wir haben auf dem Dach des Kulturpalastes Warschau gefilmt, mit Feuer und allem – dort performen wir die ersten vier Singles des Albums. Es gibt also viel Content, der noch veröffentlicht werden muss. Und absolute Priorität hat eben das Album, ganz klar. Da sind wir super aufgeregt und werden es pushen, wo es geht. Eventuell bringen wir „XXX Years Of Blasphemy“ dann nächstes Jahr heraus.

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Ich freue mich aber, dass du von filmischen Events sprichst, vor allem, was die zweite Show angeht – ich finde nämlich auch, dass „XXX Years Of Blasphemy“ seinen Vorgänger in den Schatten gestellt hat. „In Absentia Dei“ hat die Latte sehr hoch gelegt und jeder hat darüber gesprochen, aber „XXX Years Of Blasphemy“ war einfach nochmal besser. Ich bin immer noch beeindruckt davon, wie das gelaufen ist, von der Firma, mit der wir da gearbeitet haben … das war großartig. Und ich bin wirklich stolz auf das, was wir da geschaffen haben – ich meine, die ganze Welt stand still, es gab keine Touren, keine Shows, nichts. Als wir die Show ausgestrahlt haben, gab es allerdings in Amerika und einigen anderen Ländern schon wieder Konzerte, deswegen hat es sich nicht so gut verkauft wie erhofft. Gut, aber weit hinter den Erwartungen basierend auf der ersten Show. Vielleicht müssen wir das also ausgleichen, indem wir es als physisches Produkt veröffentlichen.

„In echt und vor echten Leuten zu performen
– dafür bin ich geboren“

Nergal im Interview mit Moritz Grütz/Metal1.info

Waren Streaming-Shows für dich denn eine reine Pandemie-Sache und sind jetzt tot?
Ich hoffe es!

Du bist also vom Konzept solcher „Special-Performances“ in besonderen Locations nicht so begeistert, dass du das nun regelmäßig machen willst?
Vor ein paar Jahren hat mir ein Freund einen Fallschirmsprung aus einem Flugzeug geschenkt. 4000 Meter. Und ich habe es gemacht. Wie war es? Es war verdammt genial, spektakulär. Will ich es nochmal machen? Verdammt noch mal, niemals! (lacht) Damit hast du deine Antwort. Die Menge an Arbeit, die Vorbereitungen … die Leute machen sich ja gar keine Vorstellung davon, was da erforderlich ist! Wochen-, monatelanges Proben, um die Songs der frühen Alben wieder neu zu lernen! Der Sound von „Sventevith“ und „Grom“ ist … was zur Hölle habe ich da auf der Gitarre gespielt? Wir müssen diese Songs neu erfinden! Manche kannst du niemals reproduzieren, sie sind heute nicht mehr spielbar. Wir sind heute so viel besser, wir können das so nicht mehr spielen. Insofern ist das wahnsinnig viel Arbeit. Es macht dann schon Spaß und ist befriedigend, aber bitte … nie wieder, OK? Stell mich einfach vor Leute, vor unsere Legionen … wenn du BEHEMOTH schon mal live gesehen hast, weißt du, dass ich mich für die Leute zerreiße. Ich kann es gar nicht abwarten, diese Europatour zu beginnen, das wird brillant. In echt und vor echten Leuten zu performen – dafür bin ich geboren. Darum hoffe ich wirklich, dass wir das nie wiederholen müssen. Außer wir können es auf dem Mond machen oder so. „BEHEMOTH on Mars – XV Years Of Blasphemy!“ (lacht)

Ich würds mir anschauen!
Ich würds spielen! (lacht)

Damit sind wir am Ende angekommen – danke für deine Zeit und die offenen Antworten!
Es war mir ein Vergnügen, vielen Dank! Auf Wiedersehen – und pass auf dich auf!

Behemoth Sylwia Makris, Christian-Martin Weiss 2022 01
BEHEMOTH 2022; © Sylwia Makris, Christian-Martin Weiss

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

2 Kommentare zu “Behemoth

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