Interview mit Stefán von Árstíðir Lífsins

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Mit „Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir“ haben ÁRSTÍÐIR LÍFSINS ihr zweiteiliges Full-Length-Epos um den Aufstieg des norwegischen Heiligen König Olav II. Haraldsson auf eindrucksvolle Weise vollendet. Im folgenden Interview erklärt Multiinstrumentalist Stefán, warum die neue Platte der Pagan-Metaller um einiges mystischer als der erste Teil klingt, mit welchen unterschiedlichen historischen Quellen sich die Band zur Umsetzung des Textkonzepts auseinandergesetzt hat und wie er über die mitunter weniger akkuraten, musikalischen Geschichtsdarstellungen anderer Musikgruppen denkt.

Ich grüße dich! Danke, dass du dir hierfür etwas Zeit nimmst. Wie geht es dir derzeit?
Mir geht es gut, danke. Das Leben hier in Norwegen ist viel weniger von der Pandemie betroffen als in den meisten anderen Ländern Europas. Es ist schade, dass wir diesen Frühling nicht mit Helrunar live spielen konnten, aber so ist es wohl in diesen Monaten.

Ihr habt kürzlich mit „Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir“ den zweiten Teil eures mit „Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr“ begonnenen Doppelalbums veröffentlicht. Ist es für dich eine gewisse Erleichterung, dieses umfangreiche Projekt endlich abgeschlossen zu haben?
Ja, es ist in der Tat eine gewisse Erleichterung, diese Last von unseren Schultern genommen zu haben. Das Kreieren und Aufnehmen der Musik und die langwierige Designphase nahmen viel mehr Zeit und Energie in Anspruch als geplant. Aber andererseits passiert das immer bei jeder neuen Platte von uns, also hat sich diesmal eigentlich nicht viel verändert.

Das Album sollte ursprünglich noch 2019 erscheinen, es hat sich dann aber sogar noch vor dem Coronavirus verzögert, obwohl es zur Zeit unseres letzten Interviews bereits fertig war. Woran lag das?
Es gab mehrere Gründe, die alle eher uninteressant sind. Zuerst dauerte das Layout etwas länger und dann gab es bei Ván Records mehrere Releases, die davor noch herausgebracht werden mussten. Letztendlich verzögerte auch die aktuelle Pandemie einige Teile der Produktion. Aber um ehrlich zu sein, ist mir die Verzögerung nicht so wichtig. Fast alle unsere Alben, EPs und Splits wurden viel später als geplant veröffentlicht. Schließlich wird die Qualität einer Veröffentlichung nicht beeinträchtigt, wenn sie einige Monate oder sogar Jahre später als ursprünglich geplant erscheint.

Der später geplante Releasetermin konnte wegen Lieferproblemen aufgrund der Corona-Pandemie auch nicht ganz eingehalten werden. Hat euch die Situation rund um den Virus auch sonst in irgendeiner Weise getroffen – womöglich in Form von geringeren Verkaufszahlen?
Glücklicherweise nicht so sehr. Tatsächlich sind die Albumverkäufe überhaupt nicht zurückgegangen. Sogar ganz im Gegenteil: „Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir“ erwies sich für Ván Records bisher als großer Erfolg. Natürlich sind wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden, vor allem angesichts der chaotischen Umstände, unter denen es veröffentlicht wurde.

Was denkst du allgemein über den Umgang der Musikbranche mit dem Virus (z. B. Streaming-Konzerte, spezielles Merch)?
Ehrlich gesagt, ich bin kein großer Fan von Konzerten, die über das Internet gestreamt werden. Ich verstehe, dass Bands das Beste aus der aktuellen Situation machen wollen, aber ich bin nicht daran interessiert, eine „Live“-Show auf meinem Computerbildschirm zu sehen. Weder habe ich die Zeit dafür noch sehe ich einen besonderen Grund, mehr auf den Bildschirm zu starren, als ich ohnehin schon muss. Jetzt, wo der Sommer hier in Norwegen wirklich vor der Tür steht, möchte ich ihn lieber nutzen und das Leben draußen mit meiner Familie genießen, so gut es geht.

Ihr erzählt auf euren beiden aktuellen Platten von den Begebenheiten um den König und Heiligen Olav Haraldsson – einmal aus einem christlichen und einmal aus einem heidnischen Blickwinkel. Könntest du kurz etwas genauer darauf eingehen, worin sich diese beiden Blickwinkel im konkreten Fall unterscheiden?
„Vápn Ok Viðr“ ist stark christlich orientiert und aus diesem Grund haben wir in den Texten eine reiche Vielfalt an christlichen altnordischen Synonymen (Heiti) und Paraphrasen (Kennings) sowie entsprechende skaldische Strophen und Beschreibungen aus der jeweiligen Königssaga, Óláfs Saga Helga, verwendet. Einige dieser Strophen wurden entweder am Hof des Königs oder kurz danach verfasst, während andere aus christlichen Gedichten stammen, die in den folgenden zweihundert Jahren in Island entstanden. Sie alle drücken wichtige Themen des mittelalterlichen christlichen Glaubens aus und sind zuweilen sehr melancholisch und düster. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, die Texte für das erste Album zu komponieren und zu schreiben. Auf „Eigi Fjǫll Né Firðir“ hingegen verwendeten wir (größtenteils) heidnische Poesie und Paraphrasen, die sowohl aus der eddaischen als auch, wiederum, aus der skaldischen Poesie stammen. Insgesamt sind sie tief im mythologischen Verständnis der (vorchristlichen) skandinavischen Gesellschaft jener Zeit verwurzelt.

Würdest du sagen, dass eine der beiden Erzählungen eher der Wahrheit entspricht?
Nun, über das Leben und die Taten des Heiligen Olav ist vor allem mehr bekannt als über die nichtchristlichen Bauern seiner Zeit. Die Geschichtsschreibung Norwegens im elften Jahrhundert basiert in erster Linie auf dem Leben und den Taten seiner Könige und „Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr“ enthält deshalb natürlich mehr geschichtsbezogene Inhalte.

Denkst du, dass andere Metal-Bands, die sich mit historischen Themen beschäftigen, oft einen zu einseitigen Blickwinkel einnehmen?
Ja, bestimmt. Aber ich fühle mich nicht dafür zuständig, ihnen zu sagen, sie sollen das ändern. Solange historische Themen nicht für irgendwelche extremen politischen Ansichten missbraucht werden, gibt es ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit, das den Künstlern garantiert wird und das es auch geben sollte.

Die Platte ist erneut über 70 Minuten lang, was für eure Veröffentlichungen mittlerweile schon charakteristisch ist. Denkst du, dass die üblichen 40-50 Minuten zwangsläufig zu kurz sind, um Geschichten wie eure zu erzählen?
Ich würde die Möglichkeit nicht ausschließen, dass wir ein Album aufnehmen, das eine Standardspielzeit von nur einer Schallplatte umfasst. Aber bisher schienen wir es nicht für notwendig erachtet zu haben.

Das zweite Album wirkt aus meiner Sicht etwas mystischer und ungewöhnlicher als der erste Teil. War das von euch im Hinblick auf die Perspektive, aus der die Geschichte hier erzählt wird, so vorgesehen?
Ja, es war immer geplant, dass das zweite Album ungewöhnlichere Parts haben sollte. Dein Eindruck ist also nicht weit von der Wahrheit entfernt. Aber das lag vor allem an den Texten und dem Gesamtkonzept der beiden Platten: Während das erste Album eine brutalere und geradlinigere Metal-Aggression aufweist, drückt das zweite eine persönlichere und wahrscheinlich etwas reflektiertere Philosophie aus.

Ihr habt die beiden Platten zur selben Zeit geschrieben. Wie genau lief das ab – habt ihr abwechselnd für beide Alben Songs geschrieben oder zuerst das eine und dann das andere Album als Ganzes kreiert?
Ja, beide Alben wurden zur gleichen Zeit geschrieben und komponiert. Eigentlich sollten sie immer zusammengehören, ähnlich wie Helrunars „Sól“, wenn du so willst.

Einige der ruhigen Folk-Parts erinnern mich ein wenig an eure Musik in Wöljager. Würdest du sagen, dass die Erfahrungen mit diesem Nebenprojekt auch Einfluss auf ÁRSTÍÐIR LÍFSINS haben?
Die Aufnahme und die Live-Darbietungen des Debüts von Wöljager haben uns alle stark beeindruckt und es kann gut sein, dass einiges davon auch Eingang in die Musik unserer letzten Alben gefunden hat. Aber ich sehe keine starken Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Bands.

Ich habe den Eindruck, dass ihr in ÁRSTÍÐIR LÍFSINS wesentlich weniger auf eingängige Leadmelodien setzt als viele andere Bands des Genres. Denkst du, ein stärkerer Fokus auf vordergründige Melodien würde nicht zu eurem Stil passen?
Ehrlich gesagt haben wir nie das Bedürfnis verspürt, unsere Musik mit anderen zu vergleichen. Sie hat sich einfach immer so entwickelt, wie sie sich entwickelt hat, und das ist die ganze Geschichte. Wir haben natürlich auch unsere Einflüsse, aber wir hatten nie die Absicht, eine ähnlich „eingängige“ Musik zu spielen, wie sie andere Bands machen. Unsere Musik macht uns sehr viel Spaß – und das ist ehrlich gesagt für uns am wichtigsten. Wir kreieren unsere Musik in erster Linie für uns selbst und nicht für andere. Wir genießen es zu sehen, wie andere von dem, was wir tun, inspiriert werden. Aber am Ende ist das für uns nur zweitrangig.

Ihr habt zwischenzeitlich außerdem eine Split mit Carpe Noctem veröffentlicht, die ihr zuvor bereits angedeutet hattet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Alle bei Carpe Noctem und ÁRSTÍÐIR LÍFSINS sind seit langer Zeit gute Freunde und es war nur logisch, Musik für eine gemeinsame Veröffentlichung zu schreiben. Es war im Jahr 2015, glaube ich, als ich in London noch ein paar Bier mit Andri Þór von Carpe Noctem trank. Wir sprachen eine Weile über beide Bands und es dauerte nicht lange, bis wir eine gemeinsame Basis für „Aldrnari“, die kürzlich veröffentlichte Split, gefunden hatten. Im Rückblick ist unsere Split mit Helrunar fast auf die gleiche Weise entstanden.

Womit setzt ihr euch inhaltlich auf dieser Split auseinander?
„Aldrnari“ beschäftigt sich mit verschiedenen Themen wie Tod und Krieg, Feuer und Leben. Beide Bands haben sich intensiv mit der Ambivalenz des Titels auseinandergesetzt und ihn unter verschiedenen altnordisch-mythologischen und philosophischen Gesichtspunkten interpretiert.

Habt ihr inzwischen schon textliche oder musikalische Ideen für eure nächste Veröffentlichung?
Ja, ich habe bereits begonnen, einige Notizen für unser nächstes Album und eine EP niederzuschreiben. Die EP wird aus zwei ziemlich langen Liedern bestehen, die sich mit den beiden Tierarten beschäftigen, die Óðinn zugeschrieben werden. Obwohl es viele Bands gibt, die sich bereits mit ähnlichen Dingen beschäftigt haben, weiß ich, dass sich aus diesen Themen noch viel mehr herauslesen lässt. Was unser nächstes Album betrifft, so möchte ich zunächst etwas mehr komponieren und schreiben, bevor ich im Detail darüber sprechen kann.

Nochmals vielen Dank für deine Antworten. Möchtest du den Lesern zum Abschluss noch etwas mitteilen?
Vielen Dank für das Interview.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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