Interview mit Dan Wilberg von Arctos

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Melodic Black Metal wird üblicherweise mit den kalten Gefilden Skandinaviens assoziiert. Doch auch in Kanada sind die Temperaturen oft alles andere als mild, was so manche dort beheimatete Band ebenfalls zu besagtem Genre hinzieht – so auch ARCTOS, die mit „Beyond The Grasp Of Mortal Hands“ ein ausgesprochen gelungenes Debütalbum vorgelegt haben. Anlässlich der Veröffentlichung hat uns Frontmann Dan Wilberg unter anderem einige Fragen zu der Entstehung der Platte, dem darin zum Ausdruck kommenden Einfluss seiner Heimatregion und seiner persönlichen Kitschgrenze beim Einsatz von Keyboards beantwortet.

Euer Bandname ARCTOS passt meiner Ansicht nach sehr gut zu eurer Musik – er klingt kalt und erhaben. Wie seid ihr auf den Namen gekommen?
Es dauerte einige Zeit, bis wir uns für einen Namen entschieden hatten, der unserer Meinung nach der Band und unserer Musik entspricht. Ich las einen Artikel über die Bemühungen zum Schutz der Wildtiere in unseren Nationalparks und das Wort fiel mir als Teil der wissenschaftlichen Bezeichnung für einen Grizzlybären auf. Bei weiteren Recherchen entdeckte ich, dass Arctos ein lateinisches Wort ist, das, wie wir es verstehen, „Bär“ oder „Nordländer“ bedeutet. Wir fanden dies sehr passend für uns, da wir stark von der Natur und unserem nördlichen Lebensraum inspiriert sind.

Du hast mit ein paar deiner Bandkollegen in ARCTOS bereits zuvor in einer gemeinsamen Band gespielt. Was hat euch dazu bewegt, ARCTOS zu gründen?
Ja, ein paar von uns waren über die Jahre hinweg an einem Blackened-Folk-Metal-Projekt namens Trollband beteiligt. ARCTOS war immer ein Ziel von mir, und obwohl ich gerne in anderen Bands spielte, wollte ich immer meine eigene Musik machen. Als Trollband 2014 eine Pause einlegten, beschlossen Nick, Josh und ich, weiter zusammen zu spielen, und schließlich präsentierte ich ihnen einige Songideen, an denen ich gearbeitet hatte, bevor ich zu Trollband kam. Wir entdeckten schnell, dass wir ganz natürlich zusammenarbeiten konnten und so begannen wir, als Band Musik zu schreiben. Jetzt ist ARCTOS das einzige Projekt, in das ich involviert bin.

Eure Musik lässt sich grundsätzlich als Melodic Black Metal bezeichnen. Was ist deiner Ansicht nach euer markantestes, musikalisches Merkmal, das euch von anderen Bands des Genres abhebt?
Ich denke, es ist schwer, eine bestimmte Sache als unser „einzigartiges“ Merkmal zu bezeichnen. Ich würde sagen, dass wir insgesamt viele verschiedene Sounds aus vielen verschiedenen Musikrichtungen zusammenfügen, und ich möchte gerne glauben, dass wir sie so integrieren, dass wir dem Black-Metal-Genre treu bleiben. Wir wollen nie kitschig klingen oder so, als ob wir die Dinge bloß zusammenmischen, um auf Biegen und Brechen etwas Neues zu schaffen. Eine Sache, die wir meiner Meinung nach gut machen, ist, zu vermeiden, in Klischees zu fallen. Unsere Texte befassen sich mit Themen, die oft mit Black Metal in Verbindung gebracht werden, aber jeder Song hat eine persönliche Note, die ihn in Authentizität verwurzelt hält. Wir wollen nicht nur schwafeln, also handeln unsere Lieder von uns und unseren Erfahrungen und Gedanken, von Dingen, die wir tatsächlich gelebt haben. Gelegentlich verwenden wir Metaphern, um den Texten einen aufregenderen Touch zu verleihen, aber alles basiert auf der Grundlage gelebter Erfahrung.

Woher beziehst du den Großteil deiner Inspiration als Musiker?
Nun, ich habe bereits das Land um uns herum erwähnt, die ist die Größte, aber es ist auch unsere Umgebung im Allgemeinen. Die Gesellschaft hat sich immer wieder darin bewährt, die Mittelmäßigkeit zu feiern und Menschen davon abzuhalten, Herausforderungen anzunehmen und Widrigkeiten zu überwinden. Nachdem ich in meinem Leben große Herausforderungen und auch große Verluste bewältigt habe, habe ich oft über die Sterblichkeit nachgedacht und darüber, was es wirklich bedeutet, zu „leben“. Wenn ich morgen aus irgendeinem Grund sterbe, möchte ich wissen, dass ich zumindest versucht habe, etwas zu schaffen, das die Welt und mein Leben zu einer reicheren Erfahrung machen könnte. Leben ohne Zweck ist nur Existenz und Leben ohne Ende ist Unsterblichkeit. Musik ist Unsterblichkeit. Die Schaffung unsterblicher Kunst scheint eine äußerst inspirierende Beschäftigung im Leben zu sein und solange ich am Leben bin, werde ich diesen Weg weitergehen.

Musik wird oftmals mit der Region, aus der sie stammt, assoziiert – im Metal zum Beispiel schwedischer Death Metal oder norwegischer Black Metal. Würdest du sagen, dass sich eure kanadische Herkunft auch in eurer Musik widerspiegelt?
Auf jeden Fall! Als Land sind wir viel jünger als die meisten anderen, sodass für uns die Geschichte unseres Landes weniger von Bedeutung ist, als es die Geschichte Norwegens oder Schwedens wohl für ebenjene Bands war. Für uns ist das Land selbst der größte Teil der Inspiration. Unsere Winter sind lang und kalt, während unsere Sommer heiß und kurz sind. Wir haben einige wirklich erstaunliche Naturgebiete, einige der besten der Welt, aber wir haben auch riesige Prärieflächen, die in ihrer Leere bedrückend sein können. Das Land hat einen sehr dualistischen Charakter und das dient uns als inhaltliche Inspiration.

Black-Metal-Bands, die in ihren Songs oft auf Keyboard und Piano zurückgreifen, werden oftmals als kitschig angesehen. Wo ziehst du diesbezüglich deine Grenze?
Das ist in diesem Fall eine sehr schwierige Frage. Ich denke, die Grenze liegt für mich dort, wo es von der Musik ablenkt oder zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es muss in Harmonie mit allen anderen Bestandteilen funktionieren und den Song als Ganzes verbessern. Wir benutzen Tasteninstrumente normalerweise unterstützend, aber ab und zu gibt es einen natürlichen Bereich, in dem die anderen Instrumente die zweite Geige spielen. Nick, der das Klavier und die meisten anderen Tasteninstrumente arrangiert, hat ein sehr gutes Händchen dafür, Stücke zu schreiben, die zur Musik passen. Ob er nun Parts schreibt, die zu etwas passen, das ich geschrieben habe, oder umgekehrt, er weiß, wann er sich zurückziehen oder die Zügel übernehmen muss. Dynamik ist meiner Meinung nach der Schlüssel zum Songwriting und Keyboards und Klavier können eine wirklich unglaubliche Dynamik erzeugen.

Laut eurem Label habt ihr im Geheimen drei Jahre lang an eurer ersten EP „A Spire Silent“ gearbeitet. Warum habt ihr euch dafür so viel Zeit genommen und nicht schon vorher etwas dazu bekanntgegeben?
Wir wollten nur sichergehen, dass wir mit der Musik zufrieden sind. Geduld ist der beste Freund eines Künstlers, auch wenn es manchmal ein sehr frustrierender Freund sein kann. Die meisten der Songs auf der Platte wurden interessanterweise vor den Songs der EP geschrieben, was hoffentlich auch für unser Qualitätsbewusstsein sprechen sollte. Wenn wir Musik veröffentlichen, wollen wir verdammt sicher sein, dass wir stolz darauf sein können.

Mit „Beyond The Grasp Of Mortal Hands“ habt ihr nunmehr euer erstes vollumfängliches Album kreiert. Inwiefern siehst du die Platte als Weiterentwicklung gegenüber eurer EP an?
Ich denke, dass sie auf der EP aufbaut, aber nicht drastisch. Wie ich gerade erwähnt habe, wurden viele der Songs des Albums und die EP etwa zur gleichen Zeit geschrieben, also sind es in vielerlei Hinsicht sehr ähnliche Veröffentlichungen. Ich würde sagen, die wichtigsten Verbesserungen ergeben sich aus der Aufnahme. Auf der EP benutzten wir digitale Verstärker und einige gesampelte Drums, und obwohl wir dadurch etwas Geld gespart haben, wünschte ich, wir hätten etwas mehr gespart, um uns für den natürlicheren Ansatz entscheiden zu können. Die Aufnahme der Drums in einem großartig klingenden Raum und die Verwendung unserer aktuellen Ausrüstung für Gitarren- und Bassaufnahmen haben einen großen Beitrag dazu geleistet, unseren Live-Sound einzufangen.

Auf dem Album gibt es mit „The Light Beyond The Sky (The Passage II)“ eine Fortsetzung zum Titeltrack eurer EP. In welcher Verbindung stehen die beiden Songs zueinander?
Die Ereignisse in diesen beiden Liedern beziehen sich eigentlich auf persönliche Erfahrungen, die ich gemacht habe, als ich in einen Schneesturm geriet, während ich auf einem Berggipfel war, und als ich allein (bei einer anderen Gelegenheit) die Nordlichter während einer sehr schwierigen Zeit in meinem Leben beobachtete. Beide Ereignisse waren sehr tiefgründig und haben mich auf verschiedene Weise zum Nachdenken angeregt und ich wollte versuchen, meine Gedanken durch die beiden Songs weiterzugeben. „A Spire Silent“ beschäftigt sich mit der Akzeptanz von Widrigkeiten in der Hoffnung auf das Erreichen von Wachstum, Stärke und Erfolg. „The Light Beyond The Sky“ ist der Abschluss dieser Reise und bestätigt, dass der wahre Weg zu einem würdigen Leben Anstrengung erfordert, aber immer die Reise wert sein wird. Die Zeile „the weak shall die before their time, they shall not wait for death to claim“ scheint vielleicht von Selbstmord zu handeln, aber in Wirklichkeit beziehe ich mich auf Menschen, die sich angesichts von Schwierigkeiten oder Herausforderungen kauern. Auf diesem Weg kann man keine Stärke gewinnen, also stelle sicher, dass du den richtigen Weg gehst.

Würdest du sagen, dass euch die neuen Songs mitunter vor spieltechnische Herausforderungen gestellt haben?
Ganz im Gegenteil. Wir spielen diese Songs seit Jahren, und obwohl wir ständig daran gearbeitet haben, sie zu verfeinern und so perfekt wie möglich zu machen, sind wir mit ihnen jetzt so vertraut, dass es das Spielen zum Kinderspiel macht. Wir üben auch regelmäßig, was uns hilft, auf dem Laufenden zu bleiben.

Bezüglich der Produktion habt ihr euch für einen eher modernen, kräftigen Sound entschieden. Bist du der Ansicht, dass ein Lo-Fi-Sound nicht so gut zu eurer Musik passen würde?
Ehrlich gesagt, denke ich, dass das Album ziemlich gut mit einem Lo-Fi-Sound klingen würde. Ich habe viel über den klassischen Black-Metal-Sound nachgedacht und obwohl ich ihn liebe und die Alben, die ihn geprägt haben, schätze, denke ich, dass es fast weniger „true“ von uns wäre, diesen Sound zu wählen. Wir haben gute Verstärker, wir haben gute Drums, und wir haben Zugang zu einem Studio mit wirklich exzellenter Aufnahmetechnik. Um einen Lo-Fi-Sound zu erreichen, würden wir im Grunde genommen unseren roh aufgenommenen Sound nehmen und darüber einen „Kvlt-Filter“ legen. Das kommt mir verdammt unsinnig vor. Unsere Performances sind minimal bearbeitet, es gibt keine Drum-Samples, und alle Amps sind echt. Für mich ist das ungefähr so nah am passenden ARCTOS-Sound, wie man ihn nur bekommen kann. Das ist es, was ich für wirklich einzigartig an diesem Produktionsansatz halte; keine Studiohexerei, wir spielen schlicht unsere Musik mit unserer Ausrüstung.

Bist du mit der Produktion rückblickend vollauf zufrieden oder gibt es da noch Dinge, die du beim nächsten Mal anders machen würdest?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis des Albums. Ich denke, sobald man die Stop-Taste gedrückt hat, wird man immer sofort Ideen zu Dingen haben, die man hinzufügen oder anders machen könnte. Das ist eben Kunst, und gerade das macht sie so schön. Ein Album spiegelt eine ganz bestimmte Zeit in deinem Leben wider und sollte als Markierung auf diesem Weg dienen. Ich habe einige Ideen, die ich für unsere nächste Aufnahme umsetzen möchte, aber momentan bin ich einfach nur stolz auf meine Arbeit und die aller meiner Bandmitglieder. Alle haben sich gesteigert und auf diesem Album Fantastisches geleistet.

Das Artwork von „Beyond The Grasp Of Mortal Hands“ ist äußerst ansehnlich und passt ebenfalls gut zur Musik. Wer hat es kreiert und was war der Gedanke dahinter?
Danke, ich bin froh, dass du so denkst. Das ist tatsächlich ein Foto, das ich gemacht habe, als wir unsere Bandfotos im Hinterland der kanadischen Rockies hier in Alberta gemacht haben. Ich denke, dass das Bild ein schönes Gesicht unserer Welt einfängt, das die Menschen oft nicht sehen wollen. Die Winter in Kanada sind hart und kalt und viele Menschen werden sich nie dazu durchringen, die Wärme und Geborgenheit ihrer Häuser zu verlassen, wenn sie es nicht unbedingt müssen. Die Wildnis hat so viel zu bieten, und einen Sonnenuntergang in den Bergen mitten im Winter zu sehen, ist ein Erlebnis wie kein anderes. Im Hintergrund des Covers sieht man einige niedrige Berge. Diese Berge sind ein sehr wiedererkennbares Merkmal der Stadt Canmore, aber das ist eine Ansicht von ihnen, die viele nie gesehen haben werden. Das unterstreicht an sich die Idee hinter dem Albumtitel.

Ihr habt euch bezüglich der Veröffentlichung für das Label Northern Silence entschieden. Hattet ihr davor auch noch andere Optionen in Betracht gezogen oder war von Anfang an klar, dass eure Wahl auf Northern Silence fallen würde?
Northern Silence war einer meiner ersten Anlaufpunkte. Es gibt nur wenige andere Labels, vor denen ich viel Respekt habe, und ich habe mich auch an sie gewandt, aber nach der ersten E-Mail-Antwort konnte ich sofort sagen, dass Northern Silence das Richtige für uns sein würde. Torsten ist ein enthusiastischer Kerl, der die Bands seines Labels wirklich liebt, und ich fühle mich echt privilegiert, jetzt ein Teil der Familie zu sein.

Was sind eure weiteren Pläne für ARCTOS? Werdet ihr euch für euer zweites Album wieder viel Zeit nehmen?
Schwer zu sagen, wie lange die zweite Veröffentlichung für sich in Anspruch nehmen wird, aber wir haben bereits ein paar Songs geschrieben und viele Ideen in Arbeit. Wir haben viel Zeit damit verbracht, unseren eigenen „ARCTOS-Sound“ zu finden, sodass wir jetzt eine solide Grundlage haben, auf der wir arbeiten können. Ich denke, dass wir in Zukunft einen kooperativeren Ansatz für das Schreiben entwickeln werden. Jeremy und Jacob haben viel zu bieten, und ich weiß, dass ihre Ideen dazu beitragen werden, unseren Sound weiter zu entwickeln und uns alle als Künstler voranzutreiben.

Als Letztes möchte ich mit dir noch kurz unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming durchgehen. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen als Erstes ein?
Epik: Überbeanspruchtes Wort, sollte sparsam verwendet werden.
Klimakrise: Die Rechnung ist fällig.
Symphonic Metal: Normalerweise lahm, kann manchmal in Ordnung sein.
Batushka: Totales Durcheinander im Moment.
Sommer: Zu heiß, aber gut zum Wandern und Mountainbiken geeignet!
Melodie: Nur Molltöne sind real.

Zum Abschluss nochmals vielen Dank für deine Zeit. Gibt es noch ein paar letzte Worte, die du an die Leser richten möchtest?
Ich danke dir! Ich hoffe, ihr genießt das Album und bitte hört es euch mindestens einmal ganz an. Wenn man es sich irgendwo in der Natur anhören kann, ist das noch besser.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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