Mit einer Einwohnerzahl von gerade einmal 56.000 auf einer Fläche, die sechsmal so groß ist wie Deutschland, ist Grönland das am dünnsten besiedelte Land der Welt. Juuna A. Zethsen von ARCTIC SPIRITS berichtet in Teil 20 unserer Serie „Metallisierte Welt – Auf den Spuren einer Subkultur“ über die Schwierigkeiten, sich in diesem Umfeld als Rock-Band zu behaupten.
Auf Facebook hast du einmal geschrieben, dass du ARCTIC SPIRITS auflöst, weil die Bevölkerung eures Landes einfach zu klein ist. Was bedeutet es, eine Metal-Gruppe aus Grönland zu sein?
Die Leute hier in Nuuk – wie auch im Rest von Grönland – kann man fast als Anhänger eines eigenen Musikgenres betrachten. Deshalb gibt es hier nicht viele, die offen sind für unsere harte Musik.
Welche Hindernisse stehen einer Band in Grönland im Wege? Wie steht es um Equipment, Aufnahmestudios und fähige Musiker für eine Gründung?
Gutes Equipment gibt es für unser Genre nicht. Pop-, Rock- Jazz-, Blues- oder Elektro-Musiker können ohne Probleme aufnehmen. Wenn aber eine Aufnahme in unserem Musikgenre gut klingen soll, müssen wir uns außerhalb von Grönland umsehen. Die Suche nach Hardrock-Musikern kann sich in Grönland ebenfalls als ziemlich schwierig erweisen.
Trotzdem habt ihr eine sehr aktive Musikszene, die mit Sume (Classic Rock), Chilly Friday (Rock) oder Siissisoq (Rock) auch einige überregional bekannte Rock-Bands hervorgebracht hat – es scheint also zumindest ein paar Fans dieses Genres zu geben?
Sume sind Legenden aus den Siebzigern, die wirklich jeder Grönländer kennt. Chilly Friday haben auf sich aufmerksam gemacht, weil sie ein paar Songs auf Englisch veröffentlicht haben, und Siissisog ist die erste Hardrock-Band aus Grönland, glaube ich. Ich war 13, als sie ihre erste CD veröffentlicht haben – verdammt, hat mich das damals für sie gefreut! Wenn du nämlich das Glück hast, eine CD herausbringen zu können, hast du durchaus die Chance, bei uns eine gewisse Popularität zu erlangen.
Welche anderen Hardrock- oder Metal-Formationen aus Grönland kannst du uns empfehlen?
An Rock-Bands fallen mir nur die bereits angesprochenen Siissisoq sowie Taaq ein. Beide kommen aus einer Stadt namens Uummannaq im Norden Grönlands.
Existiert so etwas wie eine spezielle Rock- oder Metal-Szene?
Von einer Szene würde ich nicht sprechen, aber es gibt ab und an Underground-Veranstaltungen.
Gibt es viele neue Rock-Hörer?
Es gibt in der Tat sehr viele junge Leute, die Hardrock und Metal hören, aber auch unter den Erwachsenen, die in den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern aufgewachsen sind.
Wie steht es um Nachwuchsbands?
Viele Leute hier machen Musik, Grönland hat sehr viele verschiedene Musikrichtungen zu bieten. Unser Stil ist hier aber noch nicht sehr weit verbreitet. Zum Glück gibt es mittlerweile ein paar andere Bands, die auch anfangen, harte Musik zu spielen, ohne sich darum zu scheren, was die Leute über ihren Sound sagen. Offensichtlich haben wir da auch einen guten Einfluss – momentan arbeiten wir ja an unserem nächsten Album.
Gibt es Orte, um diese musikalische Liebe auszuleben – Clubs, die Metal spielen, aber auch Locations für Live-Konzerte?
Clubs, in denen du unsere Musik hören kannst, gibt es nicht, nein. Die einzige Chance, die du als Band hast, ist, in einem Pub oder auf einem Musikfestival aufzutreten. Nur wenige Gruppen bekommen jedoch überhaupt die Chance, ein eigenes Konzert spielen zu können. Das Katuaq Kulturzentrum in Nuuk veranstaltet sehr selten einen Underground-Musik-Abend, aber wirklich sehr, sehr selten. Das Event hat uns als Band auch nie gereizt. Zumindest auf den Musikfestivals kann man sich aber präsentieren und eventuell die eine oder andere CD verkaufen.
Was motiviert dich trotzdem, ARCTIC SPIRITS am Leben zu halten?
Ich war schon kurz davor, die Gruppe wegen der geringen Bevölkerungsdichte hier aufzulösen. Aber drauf geschissen – es ist unsere Musik! Wir lassen uns unser Hobby nicht einfach nehmen!
Bekommt ihr über das Internet auch Feedback zu eurer Musik von außerhalb Grönlands?
Ja, sehr viel sogar. Unsere Musik kann auf internationalem Standard mithalten. Viele Leute fragen uns allerdings, warum wir nicht auf Englisch singen, sodass die ganze Welt uns verstehen könnte, und warum wir unsere Musik nicht weltweit herausbringen. Oder warum wir nicht einfach in ein anderes Land ziehen, in dem es mehr Auftrittsmöglichkeiten gibt. Tja … ich frage mich, warum wir das nicht einfach machen, wenn so viele Leute uns das fragen?
Was spricht denn aus deiner Sicht gegen englische Texte?
Wir sind nun einmal Grönländer – unsere erste Veröffentlichung musste deswegen einfach in unserer eigenen Sprache geschrieben sein. Aber weil so viele Leute von außerhalb Grönlands fragen, ob wir bald mal ein Album auf Englisch veröffentlichen, überlegen wir, ob wir das bei unserer nächsten Platte nicht doch mal tun sollten.
Bedauerst du es aus Sicht des Rock-Musikers manchmal, Grönländer zu sein, oder siehst du eure Herkunft als Vorteil, weil sie ARCTIC SPIRITS zu etwas Besonderem macht?
Manchmal ist es wirklich schade, nicht in Europa oder einem anderen Land zu leben, wo es diese unzähligen Musikfestivals und Konzerte gibt. Aber vielleicht stimmt auch Letzteres – vielleicht fällt mir das Komponieren und Songschreiben deswegen so leicht.
Inwieweit hat deine Heimat, die Natur, die Einsamkeit Grönlands deine Musik beeinflusst?
Sehr! Ich liebe mein Land, die Stadt, aus der ich komme, unsere Natur, alles hier. Ich mag nur die Art und Weise nicht, wie viele Leute hier leben.
Rock und Metal werden oft als Ventil für soziale Probleme genutzt. Die Leute fangen an, diese Musik zu spielen, wenn sie mit ihrer Situation unzufrieden sind, als Akt der Rebellion gegen die Gesellschaft. Wie ist das in Grönland?
Ich habe schon über gesellschaftliche Probleme, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus geschrieben. Die Songs, an denen ich jetzt arbeite, sind noch kritischer und ein noch direkteres Statement an unsere dummen Politiker hier in Grönland. Grönland ist kein Spielplatz, Grönland ist unser Land! Ich schreibe zwar auch manchmal über das Leben, Emotionen oder Geschichte, aber in Hardrock und Metal muss sich unser Zorn widerspiegeln!
Deine Band heißt ARCTIC SPIRITS. Wie würdest du diese „Spirits“ beschreiben, nach denen du die Gruppe benannt hast?
Der „Arctic Spirit“ heißt in unserer Sprache „Tupilak“, aber unsere Combo wollten wir nicht so nennen. Der Name bedeutet für uns einfach Seele: Wir sind fünf Kerle in der Band, also haben wir fünf Seelen.
Was halten deine Eltern von deinen musikalischen Aktivitäten?
Sie sind sehr glücklich darüber, dass wir Musik machen – mein kleiner Bruder spielt ja als Schlagzeuger auch bei ARCTIC SPIRITS. Unsere Eltern unterstützen uns zu 110 Prozent!
Gehen wir zurück zu den Wurzeln deiner musikalischen Vorliebe: Wie bist du mit Rock in Verbindung gekommen, was fasziniert dich an dieser Art von Musik?
Es war mein Vater, der das alles angestoßen hat – er hat viel Hardrock und Heavy Metal gehört, als mein jüngerer Bruder und ich klein waren.
Welche internationalen Metal- oder Rock-Bands hatten den größten Einfluss auf dich?
Ich habe früher viel Iron Maiden, Metallica, U.D.O., Scorpions, Marilyn Manson, Pantera, Slipknot, Dream Theater und Yngwie J. Malmsteen gehört. Ja, das sind meine Idole.
Vielen Dank für das Interview – zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Metal: Metal ist Metal!
Dänemark: Dänemark ist Dänemark.
Grönland: Grönland ist Grönland.
Eisbären: Dazu habe ich keine Meinung. Ich bin kein Jäger oder Fischer.
Lieblingsband: Habe ich keine – ich mag viele verschiedene Musikrichtungen.
ARCTIC SPIRITS in zehn Jahren: Vielleicht immer noch Arctic Spirits.
Danke für deine Zeit und Antworten. Die letzten Worte gehören dir:
Lebe das Leben, wie es ist, wenn du es nicht ändern kannst. Und du kannst die Welt nicht ändern, wenn du dich nicht selbst ändern kannst!