Interview mit Till Herence von apRon

Crossover-musikalische Rollenspiele sind das Steckenpferd der Münchner Grenzgänger apRon, auch auf ihrem neuen Album „Auf dem Ponyhof“. Wenige Tage vor dem offiziellen Release nahm sich Sänger Till Herence erneut die Zeit, um ausführlich über alles Wissenswerte zur aktuellen Veröffentlichung, den direkten und indirekten Sprachbildern darin, neuen Möglichkeiten durch neue Partner und vieles mehr zu sprechen.

Hi Till! Beim letzten Mal hast du eure Musik noch kurz und prägnant als „knallharten Punchrock“ bezeichnet. Nun wildert ihr bei „Auf dem Ponyhof“ vermehrt auch in pop-rockigen Gefilden. Ein Bruch bzw. eine Zäsur in eurer Vita oder eine konsequente Weiterentwicklung eures Stils?
Ich würde sagen eine konsequente Weiterentwicklung, da wir uns ja eigentlich als Crossover-Band definieren und somit das Gefilde wie ein Chamäleon die Farbe wechseln können. Nenn‘ es wie du willst: PonyPop, PonyCore, PonyPunchRock…

Siehst du „Auf dem Ponyhof“ als Konzeptalbum?
„Auf dem Ponyhof“ funktioniert sowohl als auch. Es gibt wieder ein übergeordnetes Konzept und auch ein Kurzgeschichtenbuch dazu, welches Medusa und ich geschrieben haben. Die Bebilderung zur Story hat auch diesmal wieder Andi Papelitzki übernommen, welcher schon für den Punch-Comic als Zeichner verantwortlich gewesen ist. Anders als beim Punch haben wir bei „Auf dem Ponyhof“ die Geschichte erst geschrieben, als die Songs schon alle fertig waren. Prinzipiell sind die Lieder bei uns textlich ja meistens ein Rollenspiel und eignen sich daher von Natur aus ziemlich gut für Konzeptarbeit.

Wen wollt ihr mit der Veröffentlichung erreichen?
Alles und jeden ;-)

Wenn du dich auf drei Anspieltipps für Neulinge oder Interessierte festlegen müsstest, welche wären dies?
„GFLLT MR NCHT MHR“, „Mensch Aus Glas“ und „In Cerebrum Cacatur“.

Nachdem „Auf dem Ponyhof“ in den Startlöchern steht, kannst du die Katze vielleicht nun aus dem Sack lassen: Gab es spezielle Aspekte auf „Der Punch“, die ihr dieses Mal anders bzw. besser machen wolltet als damals?
Wir wollten uns beim Songwriting nicht im Voraus an eine Geschichte binden und allgemein die Thematiken etwas zugänglicher und breitgefächerter machen. Deshalb kam die Story erst danach und das hat auch sehr gut funktioniert. Dadurch war vieles viel freier beim Schreiben der Songs und wir hatten ein viel größeres Themenspektrum. Was Produktion, Songwriting, etc. angeht, entwickelt man sich natürlich auch immer ein Stückchen weiter.

Gläserne Bürger, das Schwimmen gegen den Strom, Überwachung und der moderne Mensch an sich – ihr gebt euch (zeit)kritisch mit vielen kreativen Sprachbildern. Die Texte stammen größtenteils aus deiner Feder. Wie haben sich diese Themen bei dir ergeben und dann den Einzug bei apRon erhalten?
Das ist ganz unterschiedlich und kann von überall her kommen. Meistens sind es Dinge, die ich beobachte, die sich dann manchmal (aber auch nicht immer) mit persönlichen Erfahrungen mischen. Themen gibt es ja genug. Oft springt mich das eine oder andere förmlich an, manchmal ist es zäh wie Kaugummi. Wichtig ist mir nur, dass es mich beschäftigt und inspiriert.
Wir sprechen auch als Band über viele der Themen, die dann in unserer Musik vertont werden. „Wenn der Damm bricht“ beispielsweise kam als Idee und Text von Medusa. Das Besondere daran ist, dass wir beide eine Trennung zur gleichen Zeit zu bewältigen hatten und ich somit sehr viel mit der Grundidee des Songs anfangen konnte und damit auch wieder ein Rollenspiel und meine Interpretation vom Leiden ausleben konnte.

Stilistisch setzt ihr euch als Rockband der härteren Gangart auch auf „Auf dem Ponyhof“ keine bewussten Grenzen. Wie verhindert ihr umgekehrt Beliebigkeit in der musikalischen Ausgestaltung bzw. wie findet/definiert ihr euren Stil, dem ihr treu bleibt und den ihr gleichzeitig erweitert?
Guter Crossover kann nicht beliebig sein, finde ich. Ich denke, unsere eigene Note ist sehr deutlich erkennbar. Die Musik sollte einfach nicht eintönig sein, so wie es auch das Leben nicht ist. Es gibt nicht nur Wut und Hass und auch nicht nur Liebe und Glückseligkeit. Sich musikalisch auf ein Gefühl zu beschneiden wäre schrecklich und würde sich fürchterlich unfrei anfühlen. Um dem Stil treu zu bleiben, brauchen wir eigentlich nicht viel zu tun als die Songs zu schreiben und auszuwählen, auf die wir wirklich Bock haben und was uns berührt.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Im Vorfeld habt ihr mit „In Cerebrum Cacatur“ eine EP ins Rennen geschickt, auf der auch bereits „Der Prokrastinator“ zu hören gewesen ist. Warum fiel die Entscheidung auf eben jene Songkombination als Appetithäppchen?
Zum einen wollten wir natürlich nicht zu viel verraten, zum anderen sind beide zwei Knallersongs. Musikalisch zeigen die beiden Nummern ziemlich gut, welche Zutaten man in der Mischung auf „Auf dem Ponyhof“ erwarten kann.

In „Mensch aus Glas“ vertont ihr quasi einen Binärcode aus humanen 0en und 1en, wahlweise mit und ohne Licht. Wie sehr prägen die Menschen heutzutage selbst dieses Bild mit und was ist eure Intention mit dieser Analyse der Gesellschaft?
Es ist verrückt. Vor nicht allzu langer Zeit gingen die Menschen auf die Straße um gegen allgegenwärtige Überwachung zu demonstrieren und heute findet das Privatleben vieler im Netz statt. Freiwillig. Das hat sicherlich Vorteile, aber auch Nachteile. Das ist sicherlich auch kein neues Thema, aber ich finde es manchmal immer noch beängstigend, was da so alles über einen gespeichert ist und welches Bild sich große Konzerne oder wer auch immer über einen machen können. Man stelle sich vor, in den 68ern hätte jemand den Menschen gesagt: „Es gibt da eine Firma, die weiß genau über deine körperliche Verfassung Bescheid, wann du schlafen gehst und wann du aufstehst und und und…“ George Orwells 1984 wirkt da irgendwie gar nicht so abgedreht und weit weg. Wo fängt die Überwachung an und hört die Freiwilligkeit in Bezug auf die Preisgabe des eigenen Lebens auf?
Der Song ist auch eine düstere Zukunftsvision. Wie real sind wir noch, wieviel Platz nimmt unser Avatar im Leben ein und wie oberflächlich finden Emotionen im Netz statt? Wieviel echter Mensch steckt noch in uns? Und wenn das Licht aus ist, ist es dann wirklich aus?

„Mensch aus Glas“ ist gleichzeitig ein gutes Beispiel dafür, wie ihr bewusst den Härtegrad auch in den einzelnen Stücken variiert. So pendelt das Ergebnis zwischen Eingängigkeit und Intensität. Würdest du das als eines eurer aktuellen Charakteristika bezeichnen?
Ja, definitiv. Das Wechselspiel aus Spannung und Entspannung ist ja das was Musik meiner Meinung nach gut macht. Auch hier wieder finde ich Eintönigkeit schrecklich ermüdend.

„GFLLT MR NCHT MHR“ schlagt ihr eine ähnliche Kerbe. Seht ihr euch als musikalischen Gegenpol zum Zeitgeist bzw. der Beliebigkeit der sozialen Medien oder wollt ihr am Ende mehrheitlich unterhalten?
Der Song ist offensichtlich eine Nummer, die schnell ins Ohr geht und so mancher kann sicher sehr schnell eine Verbindung dazu finden. Die Aufzählung vieler belangloser Konsumgüter, Trends und Modeerscheinungen berührt denke ich viele auf oberflächlicher Ebene. Somit dient er auch als reine Unterhaltung. Hinter dem Song steht aber auch das Gefühl von Austauschbarkeit auf menschlicher Ebene. Was ist, wenn wir irgendwann nicht mehr fähig sind, wirklich tief zu empfinden und unsere Mitmenschen nur noch austauschbare Facebook-Freundschaften und Klicks sind? Thematisch gibt es da zwischen „Mensch aus Glas“ und „GFLLT MR NCHT MHR“ klar einen Zusammenhang.

Wie bewertet ihr Facebook schlussendlich? Einerseits erreicht ihr dadurch mehr (potentielle) Hörer, andererseits habt ihr auch Rechtsgesinnte, die euch dort heimsuchen.
Fluch und Segen zugleich. Was die rechtsgesinnten Vollidioten betrifft, waren die auch vorher schon da, nur jetzt kommen sie eben zum Beispiel über Facebook aus ihren Löchern gekrochen. Ich glaube, es ist besser, wenn der braune Sumpf sichtbar wird, dann lässt er sich vielleicht leichter austrocknen.

Ist „Seiltanz“ eure Interpretation einer langfristigen Liebesgeschichte?
Kann man so sehen, ja. Prinzipiell kann dieser Seiltanz aber für so ziemlich jede zwischenmenschliche Beziehung stehen, die destruktiv ist und aus Abhängigkeiten besteht. Derjenige, welcher sich auf dem Seil halten kann, ist vielleicht im ersten Moment der, der unbeschadet aus der Beziehung hervorgeht. Allerdings nur so lange, bis erneut jemand auf das dünne Seil steigt. Nach wie vor fehlt der feste Boden unter den Füßen. Manchmal stürzen dann auch beide ab.

(c) Thomas Ranner Photographie

Am Anfang von „Wenn der Damm bricht“ wandelt ihr ein wenig auf den Spuren von Kapellen wie AFI und Konsorten, nur um dann wieder den Bogen zu eurem Sound zu schlagen. Wer von euch steuert derlei Elemente bei?
Ob AFI hier eine Spur haben, weiß ich tatsächlich nicht, dazu kenne ich die Band zu wenig. Die Grundidee zu dem Song stammt wie oben schon erwähnt von Medusa. Das Intro sollte ein stetes Tröpfeln sein, das irgendwann zu einem Tsunami wird. Ich habe dann mein Gefühl dazu in die Stimme gepackt und dieses „Brabbelmantra“ an den Anfang gebaut um dieses unterschwellige Druckgefühl auszubauen. Als Band haben wir dann die Vision zum Leben erweckt und Sebi und Marvin haben hier auf Instrumentalebene das Ganze zu einem regelrechten Gewitter werden lassen. Nicht zuletzt hat hier aber auch Nick Kapros, der für das Programming verantwortlich ist, tolle Arbeit geleistet. Die Ambient-Sounds kommen von ihm und haben den Song gleich in die richtige Richtung geschickt.

Mit „Alice D“ habt ihr eine akustische Singer/Songwriter-Nummer in petto. Ein Novum bei apRon – wo seht ihr den Charme in der nicht elektronischen Gitarren in eurem Universum?
Auch hier geht es wieder darum Mittel und Wege zu finden, bestimmte Gefühle auszudrücken und nicht darauf zu schauen, was man in ein Stilkorsett zwängen kann. Für mich passt zum verbitterten, zynischen Cowboy, dessen höchste Gefühlregung ein „ganz gut“ ist, am besten eine akustische Gitarre am imaginären Lagerfeuer.

Wäre apRon unplugged denkbar?
Wir können uns fast alles vorstellen ;-)

Ihr wählt eine sehr direkte Sprache, u.a. auch in „Pinocchios Nasen-OP“. Darin bezeichnet ihr Lügner als Dreckschweine. An anderer Stelle zensiert ihr euch in einem Stück selbst. Ist die direkte Sprache ein Widerspruch zu den Metaphern und Allegorien, die ihr sonst verwendet, oder dient sie der Unterstützung der Direktheit in eurem Punch-Rock?
Das hängt immer ein bisschen vom Song und der Thematik ab. Manchmal kann zum Beispiel eine Zensur viel direkter wirken, weil jeder weiß was eigentlich kommen müsste, es wird aber nicht ausgesprochen. Somit steht bei der Zensur der sprichwörtliche Elefant im Raum. Und manchmal tut es einfach nur gut, direkt zu sein, zum Beispiel wenn man jemanden oder das was er/sie tut beim Namen nennt. „Pinocchios Nasen-OP“ bezieht sich auf eine Berufsgruppe, in der die Lüge sehr häufig ihren Platz findet. Wahlkämpfe sind dafür sehr anschauliche Beispiele.
Manches sollte man nicht direkt ansprechen, da die Worte dafür schon zu ausgelutscht sind und beim Zuhörer in ihrer eigentlichen Intention gar nicht mehr durchdringen. Da helfen dann Metaphern, Bilder und Allegorien, um so manche Ohren auf indirektem Wege wieder zu öffnen. Das ist widersprüchlich von Song zu Song, wie eben das Leben auch oft.

Beim letzten Mal hattet ihr Schandmaul-Sänger Thomas Lindner als Sprecher für die Geschichte zwischen den einzelnen Stücken. Dieses Mal gibt es mit „Jochbeinbruch“ lediglich ein kurzes Hip-Hop-Skit. Wolltet ihr den Fokus mehr auf eure Musik legen oder wie habt ihr diese Brücke geschlagen?
Es hat sich einfach so nicht ergeben. Und irgendwie hätte es bei „Auf dem Ponyhof“ nicht so gut gepasst. Dafür haben wir jetzt eben Farad Gang als Feature bei „Jochbeinbruch“…hat ja auch nicht jeder ;-)

Wie war/ist es für dich als Sänger, bereits sehr früh so maßgeblichen Einfluss in einer Band zu haben? Im Grunde stammt fast das gesamte Textmaterial von dir und auch ein Teil der Kompositionen.
Das war und ist für mich auch eine Bedingung um in eine weitere feste Band einzusteigen. Ich war ja bei Loonataraxis schon nicht „nur“ ausführender Sänger sondern auch Songschreiber und Texter. Den Raum habe ich auch bei apRon bekommen, das ist schon sehr wichtig für mich und schätze ich auch sehr an der Band. Natürlich muss man auch erst Vertrauen aufbauen, aber wir haben uns ja eigentlich schon vorher in unserer Arbeitsweise geschätzt.

Singst du lieber deine eigenen Texte?
Natürlich singe ich lieber meine eigenen Texte, die sind ja auch viel näher an mir dran. Aber auch ein Text von jemand anderem, der mich inspiriert und indem ich viele Anteile von mir selbst finde, kann für mich als Sänger sehr gut funktionieren.

(c) Marcus Bernarding

Ihr arbeitet nun labelseitig mit „Laute Helden“, einem Ableger von SPV, zusammen und seid bei Headline Concerts unter Vertrag. Zwei große Schritte. Welche Vorteile haben sich daraus für euch ergeben und was erhofft ihr euch konkret für 2017?
Daraus haben sich sehr sehr viele Vorteile ergeben, denn jetzt arbeitet ein richtiges Profiteam mit uns zusammen daran, dass die Band die nächste Stufe erreicht. Da werden viele Dinge einfach auf professionelle Art und Weise gut erledigt, die wir sonst alleine so nicht schaffen würden. Unseren Manager Chris Klimek von EattheBeat sollte man hier nicht vergessen, der uns auch wunderbar mit Rat und Tat zur Seite steht. Ebenso sind wir Dirk Verseck, Patrick Kirsch und Chrissy Schneider wahnsinnig dankbar für ihre großartige Arbeit, die sie bei Headline Concerts für uns leisten. Labelseitig steht uns Georg „Schorse“ Schröder zur Seite, der an uns glaubt, für uns ackert und gar so schöne Konfigurationen von unserem Album pressen lässt :-)

Ende 2016 seid ihr erneut mit Hämatom auf Tour gewesen, habt das Punchfest in München zum dritten Mal veranstaltet und begebt euch nun auf eure eigene Clubtour in der ersten Jahreshälfte 2017. Wollt ihr Ende des Jahres wieder mit einer größeren Combo unterwegs sein oder wie sehen eure Pläne aus?
Dazu kann ich dir noch nichts verraten.

Beim Punchfest trug die Puppe von Mr. Punch temporär einen Cowboyhut. Welche Abwandlungen davon könnt ihr euch zukünftig noch vorstellen?
Oh, da können wir uns ziemlich viel vorstellen. Denkbar ist alles ;-)

(c) Oliver Olligs

Zum Abschluss traditionell ein kurzes Metal1-Brainstorming:

Gefällt mir – Metal1
Der Wilde Westen – spannend und staubig
LSD – Geh weg!!! GEHH WEG!! LASS MICH! Lass den PapAgei in Ruhe!!
München – schöne Stadt
The BossHoss – kenn ich nicht
2020 – war das nicht dieser Film mit den Booten und dem vielen Wasser?

Die letzten Worte gehören dir…
Alle 5?

Vielen Dank für deine Zeit und das Interview und euch viel Erfolg mit „Auf dem Ponyhof“!

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert