Interview mit Santeri Kallio von Amorphis

Vierzehn Alben haben AMORPHIS mittlerweile auf dem Kerbholz. Dabei klingt, trotz ähnlicher Instrumentierung, kein Album wie das andere. „Halo“ steht in dieser Beziehung seinen Vorgängern in nichts nach und ist vielleicht das detailreichste Werk der Bandgeschichte. Wir sprachen mit Keyboarder Santeri Kallio über das Songwriting und den Einfluss ihres Produzenten Jens Bogren auf das fertige Album.

Hallo Santeri, was mich zuallererst einmal interessieren würde: Reflektiert ihr die vorherigen Alben, besprecht, was verbessert oder verändert werden soll?
Nein, sowas haben wir noch nie gemacht. Wir haben uns noch nie darüber unterhalten, in welche Richtung wir weitermachen möchten. Unser Produzent, dieses Mal Jens Bogren, fängt meist darüber zu sprechen an, wie etwas werden könnte. Ich kann mich in unserer Karriere aber nicht daran erinnern, dass wir als Band jemals darüber gesprochen haben, ob wir ein härteres oder ein melodischeres Album schreiben sollen. Außer, das fällt mir jetzt ein, als Tomi Joutsen zur Band gestoßen ist. Zu „Eclipse“, haben wir entschieden, dass es wieder Growls geben kann. Vorher, auf „Far From The Sun“, gab es ja gar keine. Das war wohl eine Entscheidung, die wir besprochen haben. Und manchmal stellen wir fest, dass Alben zu lang und zu viele Song darauf enthalten waren.

Bandfoto Amorphis
Santeri Kallio und Esa Holopainen live mit AMORPHIS 2019; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Aber es ist schon irgendwie lustig und interessant, dass wir unsere Musik nicht planen. Auch mit Esa, der auch ein Hauptsongwriter ist, unterhalte ich mich darüber nicht privat. Wir schaffen einfach etwas und versuchen herauszufinden, ob das Material gut genug ist, um es den restlichen Mitgliedern zu zeigen. Natürlich fließt dann hier eine persönliche Sicht mit ein, wenn man bestimmte Aspekte nicht mehr verfolgen möchte. Wenn du mit einer Richtung auf einem vorherigen Album nicht zufrieden bist, kannst du hier nachsteuern oder dich auch verbessern, wenn dir etwas nicht gut genug vorkam. Aber wir unterhalten uns als Band nicht darüber. Manchmal stellen wir fest, dass ein Song richtig scheiße war und lachen dann. Wir können uns aber natürlich nicht hinsetzen und sagen „Wir schreiben keine schlechten Lieder mehr!“. So etwas weiß man erst im Nachhinein.

Amorphis Halo Metal1.infoKorrekt! Dafür würde ihr schon eine Zeitmaschine benötigen …
Genau, aber generell kann so eine Diskussion natürlich vorkommen. Wenn du zum Beispiel eine Band bist, die zurück zu ihren Wurzeln will, dann musst du dich darüber unterhalten. Wenn diese Diskussion nicht stattfindet, dann bekommst du eventuell von einigen Personen Lieder, die zurück zu den Wurzeln gehen und andere in der Band schreiben Songs, die eher in die Zukunft gerichtet sind. In diesem besonderen Fall musst du dich unterhalten. Oder wenn du als Band zum Beispiel ein Akustikalbum veröffentlichen möchtest. Bei normalen Alben, die wir mit AMORPHIS veröffentlichen, planen wir die Musik nicht und sprechen auch nicht über die Richtung. Wir machen einfach das, was am Ende zu AMORPHIS wird. Glaub mir, ich weiß nicht, ob das eine gute oder schlechte Idee ist, ich weiß nur, dass ich mit diesem Prozess sehr zufrieden bin. Er ist sehr inspirierend und gibt allen die Freiheit Lieder zu schreiben oder sich selbst als Musiker zu präsentieren.

Welche Lieder hast du denn auf diesem Album beigetragen?
„The Moon“, „When The Gods Came”, „Seven Roads Come Together” und „Halo”.

Amorphis 01-20--17
Santeri Kallio live mit AMORPHIS 2017; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Okay, also nicht so viele wie auf den vorherigen Alben. Da haben sich Esa und du die Kompositionen ja meist 50/50 geteilt …
Das kann sein. Darauf achte ich nicht, da es mit den Bonustracks so viele Veröffentlichungen gibt. Ja, aber dieses Mal hatte ich ein paar Lieder weniger – aber mit demselben Aufwand wie sonst. (lacht) Jens hatte eine große Anzahl an Liedern, aus denen er auswählen konnte. Esa und ich hatten jeweils acht, neun Songs geschrieben. Olli hatte plötzlich auch acht oder neun dabei und Tomi hatte auch zwei mit. Die Auswahl war also wesentlich größer als auf „Queen Of Time“, dadurch dass es einen Musiker mehr gab, der viele Lieder beizutragen hatte.

Wenn du einen neuen Song schreibst, wie gehst du das üblicherweise an? Hast du hast du ein kleines musikalisches Thema im Hinterkopf was du ausarbeiten willst, schreibst du einfach drauf los oder beginnst du mit einer Idee, welcher Art von Lied du schreiben möchtest, eine Ballade oder Halbballade oder eine progressive Nummer und näherst dich dem Basis-Track von seinem Typ her?
Ich schreibe keine Balladen mehr, die werden meistens von der Auswahl ausgeschlossen. Vielleicht eines Tages wieder. Aber sonst hast du Möglichkeiten eigentlich schon genannt. Ich habe meist eine Idee, arbeite diese dann aus oder transferiere bei einer bestehenden Idee eine Melodie von einem Instrument auf die Gitarre. Aber ich bin aber wirklich kein guter Gitarrist. Die Riffs sind dann eher primitiv, kein Geniestreich. Ich versuche den Startpunkt aber nicht kaputtzudenken. Ich setze mich jetzt nicht hin und denke mir „Nun schreibe ich aber mal einen progressiven Track!“. Für mich fühlt es sich besser an einfach an einem Instrument zu sitzen und die Gedanken zu entleeren oder einen Rhythmus aufzunehmen, der mir in den Sinn kommt und dann weiterzuarbeiten. Meistens höre ich mir diese Ideen dann sehr oft an. Ich habe noch keinen fertigen Song, sondern meist nur eine endlose Melodie, die ich mir dann auf dem Balkon oder im Auto ständig anhöre. Manchmal geht dann das Lied in die eine Richtung und nach zwei Dritteln schlägt er eine andere Richtung ein. Ich mache das dann klassisch und nehme alles mit einem Klavier auf. Aber es gibt keine Formel. Ich versuche mich immer herauszufordern und mich ein bisschen weiterzuentwickeln. Das Risiko besteht, gerade bei unserem Stil, dass man sich wiederholt. Bei anderen Bands mag das funktionieren. Die schreiben fünf Alben die gleich klingen, bei denen jedes Lied auf jedem Album stehen könnten. Aber das ist aktuell nicht unser Stil.

Amorphis Eclipse Cover ArtworkDu bist nun seit gut 20 Jahren in der Band und dein Name taucht seit „Eclipse“ in den Credits auf. Hat sich das Songwriting während dieser Zeit verändert?
Ich habe auch schon für „An Universum“ und „Far from the Sun“ viel geschrieben. Es war damals nur unsere Entscheidung, das nicht in den Credits aufzuführen. Warum weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr, aber es hatte sicher etwas mit Konflikten in der Vergangenheit zu tun. Aber es ist auf jeden Fall nicht so, dass alle Mitglieder von AMORPHIS alle Lieder geschrieben haben. Es gab und gibt bei AMORPHIS aber keinerlei Einschränkungen. Jeder darf Songs einbringen. Du kannst dann den anderen am Gesicht ablesen, ob sie deine Nummer mögen. Für „Halo“ hat sogar Jan einen Song beigetragen.

Wenn du einen Basic-Track ausgearbeitet hast, hast du dann auch schon konkrete Vorstellungen wie wo gesungen werden muss? Was ist da die Rolle von Jens Bogren?
Das ist unterschiedlich. Bei „The Bee“ (vom letzten Album; Anm. d. Red.) war mir zum Beispiel von Anfang an klar, dass es in den Strophen Growls geben muss. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass Tomi für eine Stelle Gesangsmelodien ausgearbeitet hatte und Jens dann bestimmt hat, dass es an dieser Stelle Grunts geben muss. Ich erinnere mich da an „Pyres on the Coast“ vom letzten Album, da hatten wir schon voll ausgearbeitet Melodielinien, die dann verworfen wurden. Jens ist da sehr strikt. Er weiß immer ganz genau, wo es mehr Grunts oder mehr Klargesang, benötigt. Es gibt aber auch hier etwas Freiheit. Wenn du ein Lied schreibst, weißt du aber zumindest, wo du melodischen Gesang verwenden kannst. Den Growlgesang kannst du quasi überall hin packen, wenn es sein muss.

Amorphis Halo CoverartworkNun haben wir schon ein bisschen über Jens Bogren gesprochen. Das ist nun das dritte Album, was ihr mit ihm produziert habt. Wie hat sich das Arbeitsverhältnis mit ihm über die Zeit verändert – abgesehen davon, dass das Album nicht bei ihm in Schweden aufgenommen werden konnte?
Das ist eine gute Frage. Ich für meinen Teil nehme meine Keyboards seit „Eclipse“ selbst auf. Es war also für mich keine große Umstellung, nicht bei ihm aufzunehmen. Er hat mich quasi noch nicht aufgenommen. Außer mal einen Tag, wenn ich mich recht erinnere. Sonst habe ich ihm immer gezeigt, was ich habe. Ich würde sagen, weil es nun das dritte Album mit ihm zusammen und das Verständnis füreinander gewachsen ist, hätten wir diese Art von Prozess nicht für „Under The Red Cloud“ durchziehen. Weil aber Jens zu „Under The Red Cloud“ und „Queen Of Time“ die gesamte Kontrolle hatte, jedes Instrument kontrolliert und jeden Knopf gedreht hat, wussten wir, wie Jens arbeitet, dass wir Jens vertrauen können und er uns. Ohne dieses Verständnis hätte es nicht so funktioniert. Es wäre dann eher „Aufgenommen von AMORPHIS, gemischt von Jens Bogren“. Da wir nun aber schon eine Geschichte zusammen haben, hat er sich teilweise nicht mal per Zoom dazugeschaltet, wenn wir aufgenommen haben. Ich glaube, er hat diesbezüglich schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht. Eigentlich hätte er nämlich auf dem Monitor sein sollen, als Tomi und Olli aufgenommen haben. Er war also während den Aufnahmen nicht einmal digital anwesend. Wenn du dir das Schlagzeug und all die Feinheiten anhörst, gibt es da dieses Mal mehr auf „Halo“ zu hören, weil wir uns selbst aufgenommen haben.

Amorphis Band 2022 01

Du hast schon erwähnt, dass du dich selbst aufnimmst. Was ich mich gefragt habe: Wie entscheidest du, welches Instrument du wo einsetzt? Es gibt Orgeln, Hammondorgel und natürlich Keyboards auf dem Album zu hören.
Ich entscheide das manchmal gar nicht selbst. Ich gehe einfach in die Kirche und spiele die Orgel zum Song. Ich setze mich aber nicht hin und plane das. Ich spiele zuerst alles auf dem Klavier ein und probiere mich dann an der Orgel. Man merkt dann schnell, ob es passt oder nicht. Ich lass dann Jens als Produzenten entscheiden, welche Spuren wir verwenden und welche nicht. Es gibt dann noch offensichtliche Elemente, Grundmelodien, die Esa oder ich in unseren Skizzen verwendet haben, die sicher verwendet werden.

Ich habe gelesen, dass Francesco Ferrini von Fleshgod Apocalypse, der euch schon auf dem letzten Album mit der Orchestrierung unterstützt hat, dieses Mal wieder mit von der Partie war. Kannst du mir hierzu was erzählen? Was ist seine Rolle?
Ich hoffe ich erzähle hier jetzt keinen Mist, aber er ist am Orchester beteiligt. Was ich sicher weiß ist, dass er den Beatles-Part in der Mitte von „Halo“ beigesteuert hat. (lacht) Daneben transferiert er viele unserer Ideen und Melodien, die wir schon mit Keyboards skizziert haben, auf ein echtes Orchester, lässt sie groß klingen und fügt zusammen mit Jens noch einige Sounds hinzu. Er ist der Orchestrator, das ist das beste Wort dafür, denke ich. Er stellt sicher, dass alles gut klingt. Bei „Seven Roads“ zum Beispiel gab es die Melodie, die er dann umgesetzt hat, sogar schon vor dem Song.

Francesco Ferrini live mit FLESHGOD APOCALYPSE 2019; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Auf der letzten Nummer des Albums „My Name Is Night“ gibt es eine Gastsängerin. Wer ist sie?
Ihr Name ist Petronella Nettermalm, sie sang in einer Band namens Paatos. Jens schlug sie uns vor, weil sie eine einzigartige Stimme hätte. Er hatte die Idee von einem Duett. Als sich herauskristallisierte, dass wir eine Art von Ballade auf dem Album haben würden, hat Jens vorgeschlagen sie auf diesem Song auszuprobieren. Auf ein paar anderen Nummern haben wir auch Noa Gruman mit drauf, die uns schon bei „Queen Of Time“ unterstützt hat, Petronella singt aber das Duett. Das war meiner Meinung nach eine gute Entscheidung. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ihre Stimme in der zweiten Strophe dazukommt!

Danke dir für die Zeit und viel Erfolg mit dem Album!

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Publiziert am von Manuel Stein

Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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