Interview mit Neige von Alcest

Nachdem ALCEST uns in der Promophase zu ihrem letzten Album, „Écailles de Lune“, leider entkommen waren, ergab sich auf dem Ragnarök-Festival doch noch die Gelegenheit, Bandkopf Neige vors Diktafon zu bekommen.
Aufgrund unglücklicher Umstände verschwand das Interview anschließend erst einmal in der Schublade – da das Gespräch jedoch trotzdem kaum an Aktualität eingebüßt hat, haben wir uns nun dazu entschlossen, es euch doch noch nachzuliefern… denn wie heißt es so schön: Besser spät als nie.

Allo Neige!
Ihr habt grade eure Show hier auf dem Ragnarök-Festival gespielt. Wie wars für euch, verglichen mit anderen Shows?

Heute war wirklich ein guter Tag für ALCEST, dabei haben wir eigentlich garnicht so viel erwartet. Ich wiederhole mich da immer und immer wieder: Wir sind sehr glücklich, wenn eine Show gut gelaufen ist, und sind sehr, sehr traurig, wenn eine Show mal nichts gewesen ist… wir sind sehr emotional, weißt du… wir sind sehr darauf bedacht, alles gut zu machen und unser Bestes zu geben.

Hattet ihr das Gefühl, die Leute kannten euer Material, oder waren mehr Leute im Publikum, die ALCEST eher nebenbei mitgenommen haben?
Ich denke, beide Sorten waren vertreten. Aber das ist auch nicht so wichtig für uns… Es gibt viele, die sagen „Ah, ALCEST, das is son schwuler Scheiß“ – Nein! Wir stecken wirklich unser Herz und unsere Seele in die Musik… und das kommt von viel weiter drinnen, als irgendwer sich auch nur vorstellen kann… das ist kein verdammtes Emo-Zeug – ich denke, das sollten die Leute wissen, sonst denken sie nur falsch von uns.

Das Publikum ist hier ja hauptsächlich Metal…
Ja, das ist witzig. In Deutschland mit Prophecy und unserem Team, werden wir nur in der Metal-Szene promoted… in anderen Ländern, wie England, ist es hingegen sehr gemischt… da spielen wir auch mal mit Folk-Rock-Bands… dort ist das nicht so streng beschränkt auf Metal, was wir sehr zu schätzen wissen.

Passt ihr denn in ein Lineup wie dieses, auf einem Pagan-Festival wie dem Ragnarök?
Jaja, auf jeden Fall… natürlich. Wenn wir hier nicht reinpassen würden, wären vorher nur 10 Leute vor der Bühne gestanden… nachdem das aber nicht der Fall war, denke ich mal, dass uns einige Metaller mögen, auch wenn wir keinen konventionellen Männer-Metal spielen.

Was spielt ihr denn?
Wir spielen ALCEST. Wie spielen Musik. Ich hasse Grenzen und Schubladen… wir spielen einfach ALCEST, und das ist ehrlich.

Ist ALCEST eine klassische Liveband, wurden die Songs geschrieben, um live performed zu werden?
Nein, nein. Weißt du, die Band gibt es jetzt seit mehr als 10 Jahren. Ich habe sie mit 14 oder 15 gegründet… mein Schlagzeuger ist erst vor 2 Jahren dazugestoßen, wir haben vorher aber schonmal in einer anderen Band zusammen gespielt. Wir wollten dann ein paar Konzerte spielen, also haben wir eine komplette Band zusammengestellt und haben vor einem Jahr dann angefangen live zu spielen.

Ist ALCEST trotzdem noch ein Soloprojekt?
Bis 2009 war es das, jetzt haben wir ein Lineup… aber im Studio sind ALCEST immernoch nur Winderhalter (Schlagzeug) und ich.

Ihr habt ja wie gewohnt bei Markus Stock in dessen Studio E aufgenommen. Hat er auch Einfluss auf die Musik gehabt?
Niemand ausser mir beeinflusst die Musik von ALCEST. Ich weiß genau, was ich will, und das wird gemacht. Ich habe ja in vielen Bands gespielt, Amesoeurs und so weiter, aber ALCEST ist wirklich, wirklich etwas sehr persönliches.

In wie weit musstet ihr die Songs umarrangieren, damit sie live umsetzbar wurden?
Garnicht. Wir ändern nichts an Songs. Wenn sie live nicht umsetzbar sind, spielen wir sie nicht. „Tir Nan Og“ beispielsweise hat ein zu komplexes Keyboard…
Wir sind nicht die Art Band, die live unbedingt rocken muss. Wir wollen den Leuten nur die Emotionen, die sich auch auf dem Album finden, weitergeben. Heute zum Beispiel war eine wirklich gute Show. Wir spielen kein catchy Zeug, bei uns geht es um die Emotionen, und die bekommen die Leute geboten, wenn sie zu unseren Konzerten kommen.

Improvisiert ihr dabei auch manchmal?
Nein, ich hasse Improvisation. Das ist wie bei einem Orchester, da kann auch nicht einfach einer improvisieren. Ich meine, ich mache ja kein Entertainment. Es geht darum, das Konzept ALCEST live zu reproduzieren. Ich habe mir ja etwas dabei gedacht, wie ich es komponiert habe, und dabei soll es dann auch bleiben.

Ok, kommen wir zu eurer neuen EP, „Le Secret“: Das Package enthält das Original sowie eine neu aufgenommene Version der EP. Was war der Grund dafür?
Ich denke, es geht vielen Leuten so, dass sie so Demo-Sound von Zeit zu Zeit gerne hören. Ich persönlich hasse ihn, weil es meine Band ist, und ich den Sound einfach furchtbar finde… aber ich weiß, dass es Leute gibt, die ihn mögen, also wollte ich ihnen die EP wieder verfügbar machen – zusammen mit einer Version, die ich auch mag, nämlich der neu aufgenommenen.Die Originalaufnahme ist quasi ein Bonus, damit niemand auf ebay so viel Geld für die Songs zahlen muss.

Die neue Version hat natürlich auch ein neues Cover. Was bedeutet dir das alte Artwork, und das Neue?
Wenn ich darüber jetzt reden würde, müsste ich weiter ausholen und über das komplette Konzept hinter ALCEST referieren…
Gerne…
…und das könnte länger dauern…
Wir haben Zeit…
Naja, ok… Weißt du, ALCEST ist eine Band über esoterische Themen, über ein Leben nach diesem Leben, einen Ort, zu dem wir gehen können, wenn wir tot sind… über Erinnerungen an meine Kindheit.
Als ich ein Kind war, habe ich Dinge gesehen, die nicht aus diesem Leben stammen. Und da kann mir jetzt jeder erzählen, dass ich ein verrückter Träumer bin…das war real, verstehst du? Etwas, das in vielen Religionen als „Himmel“ oder dergleichen bezeichnet wird… und die beiden Kinder auf dem Covers sind für mich soetwas wie Wächter dieses Ortes.

Und bei dem Neuen?
Das ist im Endeffekt das gleiche Cover, nur, dass die Beiden älter geworden sind. Aber im Endeffekt geht es um diesen Ort. Es gibt Leute, die sagen, das wäre bloß Phantasie. Aber das ist es nicht: Es ist real. Egal, was die Leute sagen – ich weiß, dass es etwas jenseits unseres alltäglichen Lebens gibt…


Ihr habt heute aber keine Songs von der EP gespielt, oder?

Nein, heute nicht, weil wir nicht genug Zeit für soetwas hatten. Generell spielen wir aber beide Songs, „Le Secret“ und „Élévation“. Das sind sehr lange Songs, die nicht so richtig auf die Bühne passen, weil es sehr hypnotische Stücke sind… für heute haben wir uns für die eher eingängigen Nummern beschränkt.

Es wird zu der EP ja auch eine „Collectors Edition“ geben…
…ja, und zwar eine wirklich gute!

Wer hat den Inhalt der Box zusammengestellt?
Nun, wir haben uns da etwas sehr Spezielles ausgedacht… der Schlüssel, das ist der Schlüssel zur Welt von ALCEST. „Le Secret“ war das erste, was ich mit ALCEST gemacht habe, was diese Welt beschrieben hat… und zu dieser Welt ist das hier der Schlüssel.

…zudem ist da ja noch anderes Bonus-Material enthalten: Efeublätter zum Beispiel. Wer hat sich das ausgedacht?
Ich natürlich. Nichts bei ALCEST ist dem Zufall überlassen.

Warum ausgerechnet Efeu?
Efeu ist für mich ein Symbol für diese Welt…
… aber Efeu ist doch auch giftig …
Echt? Das wusste ich nicht… aber ich interessiere mich auch nicht für…
…deine Fans? (lachen)
Neinneinnein… aber mir ist egal, ob Efeu für Menschen gefährlich ist oder nicht.

Ja, aber unabhängig davon: Der Efeu wird gesammelt, in die Box gelegt, und welkt dann vor sich hin … wo liegt da der Sinn?
Der Efeu wird handgepflückt und in die Box gelegt … Naja, das ist ja nur ein kleiner Bonus für die Fans…

Aber dafür dann 50€ verlangen?
Naja, wenn du das Geld nicht hast, kaufs eben nicht. Das ist dann ja nicht mein Problem … Ich meine, es sind nicht die paar Efeublätter, die den Preis steigern … der Efeu kostet gar nichts … aber es gibt eben Leute, die gerne etwas haben, was mit der Band zu tun hat und für diese wichtig ist. Ich mache diese Band und das alles nur für mich!

Ist in allen Boxen die gleiche handschriftliche Textpassage enthalten?
Ja…
Und wie hast du diese ausgewählt?
Es ist eine Phrase von „Le Secret“.

Ok, kommen wir zum Songwriting. Wie entsteht ein typischer Alcest-Song?
Nun, ich bin immer von dem bereits erwähnten Konzept geleitet, ich versuche also immer, neue Inspiration daraus zu ziehen. Ich habe konkrete Erinnerungen an diesen Ort, Bilder in meinem Kopf. Und das versuche ich auf die mir bestmögliche Weise zu beschreiben. Ich kann das natürlich nicht adäquat beschreiben, weil es einfach unbeschreiblich ist, aber ich versuche, diese Erinnerungen bestmöglichst zu verarbeiten…

Schreibst du erst die Texte oder erst die Musik?
Immer zuerst die Musik … ich hasse es, Texte zu schreiben.

Hast du, auch ohne konkreten Text, schon ein Konzept im Kopf, worum sich ein Song drehen soll, wenn du ihn schreibst?
Es ist immer das gleiche Konzept. Hinter allen Songs steckt das gleiche Konzept, wie ich vorher schon erläutert habe, verstehst du?

Ihr spielt in letzter Zeit mehr live als früher. Beeinflusst das deine Art, Songs zu schreiben?
Ja. Ich habe nicht mehr so Lust auf die Art Musik, die ich früher gemacht habe. Ich will jetzt mehr… wie soll ich es sagen, „catchy“ trifft es nicht richtig, aber…
Wenn wir die Songs von „Le Secret“ live spielen, merkt man ja, dass diese Stücke nicht für die Bühne gemacht sind. Ich mag das natürlich immernoch, aber so würde ich heute keine Songs mehr schreiben.

Also eher etwas rockiger? Wobei, du meintest vorher ja zu Recht, dass ihr eine Art Band seid, die nicht unbebdingt rocken muss…
Nein, ich hasse Rock’n’Roll. Ich hasse es, wirklich. Ich hasse auch Blues… ich hasse all das…

Kommen wir zu den Texten. Du schreibst alles auf Französisch, aber die meisten Fans sprechen diese Sprache wohl nicht. Ist das für dich kein Problem, dass du die meisten deiner Hörer mit deiner Message garnicht erreichen kannst?
Wisst ihr, das ist ganz einfach. Das komplette ALCEST-Konzept ist überall erklärt … auf der Homepage, auf Myspace und so weiter … Englisch ist einfach nicht meine Sprache – aber wenn jemand an den Texten interessiert ist, braucht er bloß „ALCEST english“ googlen, und er wird er schon finden, wonach er sucht.

Aber ihr habt doch auch Songs auf Englisch?
Nein, nur Songtitel, aber diese Songs haben dann keinen Text, das ist nur Stimme.

Achso, ok. Aber warum dann Titel auf Englisch?
Weil es besser klingt als Französisch. Auf Französisch klänge das echt scheiße… (lacht)

Habt ihr schon Pläne für ein neues Album?
Ja, das ist sogar schon aufgenommen… nur der Gesang fehlt noch.

Gibt es bereits einen Titel für uns?
Nein.

Wie viele Songs…
Acht Songs. Das Album ist wieder etwas länger…

…und wann wird es veröffentlicht?
Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres…
Ok, wir sind gespannt!

Kommen wir zu einem anderen Thema: Du bist ja auch Teil von Lantlôs… wie kam der Kontakt zu Herbst zu stande?
Der zweite Gitarrist von Amoseurs hat das Artwork von Lantlôs gemacht, und darüber ist man dann irgendwann zufällig in Kontakt gekommen.

Singst du nur, oder bist du auch anderweitig eingebunden?
Nein, ich singe nur. Herbst hat mir zwar angeboten, eigene Ideen einzubringen, aber ich hab da einfach keine Zeit für.

Hat er dir für „.neon“ dann einfach die Songs und Lyrics geschickt und gesagt mach mal?
Ja, genau…

…und das nächste Album wirst du auch machen?
Ja, es ist schon aufgenommen.

Der Name Amesoeurs ist ja auch schon gefallen. Ist die Band wirklich für immer Geschichte?
Ja.
Warum?
Weil halt.

ein bisschen genauer vielleicht?
Es war einfach zu schwierig, das alles zu Handhaben, es gab viele Streitereien in der Band…

Nun ja, aber du arbeitest ja mit vielen der Leute jetzt wieder zusammen…
Ich will nichts Schlechtes über Ex-Bandkollegen sagen. Wir haben es aus persönlichen Gründen nicht geschafft, die Band am Leben zu halten, mehr möchte ich dazu gar nicht sagen. Es gab darüber im Internet so viel Mist zu lesen… wäre da nicht so viel Scheiße geschrieben worden, wäre die Sache vielleicht sogar anders gelaufen…

Ihr seid mit ALCEST ja bei Prophecy Productions unter Vertrag. Interessieren euch die anderen Bands, die bei dem Label sind, auch? Habt ihr deren aktuelle Releases gehört? Mögt ihr die letzten Alben von Vision Bleak, Lifelover und so weiter?
Einige Sachen von Lifelover mag ich sehr, sehr gerne, und mit Vision Bleak waren wir ja sogar schon auf Tour…das sind sehr gute Freunde und auf der Bühne rocken sie einfach. Und A Forest Of Stars sind auch wirklich cool… kennst du die? Eine recht neue Band… das ist mitunter der beste Avantgarde Black Metal, den ich je gehört habe.

Nachdem Markus Neuner von Dornenreich das Interview hier koordiniert hat, scheint ihr ja eine sehr enge Beziehung zu Dornenreich zu Pflegen… was macht er für euch?
Alles…

Wie seid ihr an ihn gekommen?
Ich glaube, das war, als wir letztes Jahr mit Vision Bleak auf Tour waren. Mittlerweile ist er unser Agent, und er macht das wirklich besser als jeder andere…

Mögt ihr auch, was er mit Dornenreich macht?
Ja, das ist sehr passionierte Band.

Gibt es diesbezüglich Parallelen zwischen Dornenreich und ALCEST?
Nein, ich denke nicht. Ich denke, das ist in jeder Hinsicht etwas anderes. Oder siehst du irgendwelche Gemeinsamkeiten?

Wir haben uns natürlich als Antwort ein „Ja, natürlich, und zwar… “ erhofft. (lachen)
Nein, ich denke Jürgen (Eviga) hat ein sehr sehr eigenen Charakter, ähnlich mir. Er zieht auch sein Ding durch, und ich denke, es gibt keine Band, die wie Dornenreich klingt…

Eben. Beide Bands sind sehr individuelle, emotinale Projekte einer sehr starken Persönlichkeit…
Ja, aber es ist auf verschiedene Art emotional. Dornenreich sind sehr expressiv…

Dolk von Kampfar hat uns vorher im Interview erzählt, dass er immer 100% für Kampfar gibt und sich nicht vorstellen könnte, nebenher ein anderes Projekt zu betreiben. Wie schaut es bei dir so aus?
Ja, ich mag das gerne.

Also nicht 100% ALCEST?
Nun, ich stecke so viel in ALCEST, aber als Mensch muss man auch mal etwas anderes machen. Vielleicht gründe ich auch mal ein Death Metal Projekt oder was auch immer. Da gibt es jetzt nichts konkretes, aber vielleicht sagen wir eines Tages, komm, lass uns das mal machen.

Also momentan nur ALCEST und Lantlôs?
Und Old Silver Key! Das ist eine Band mit Leuten von Drudkh…

Vielen Dank für eure Zeit und die informativen Antworten!

Publiziert am von Marius Mutz und

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