Interview mit Fab und Cata von Aborym

Read the English version

Mit „Hostile“ verabschieden sich ABORYM endgültig vom Industrial Black Metal. Bandkopf Malfeitor „Fab“ Fabban und Schlagzeuger Gianluca „Cata“ Catalani über kreativ involvierte Produzenten, den Wert von Songtexten im Streaming-Zeitalter und warum sie es darauf anlegen, ihre Fans zu enttäuschen.

Danke, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview nehmt. Alles OK bei euch?
Fab: Es geht uns allen gut, wenn man bedenkt, dass wir uns mitten in einer Pandemie befinden …

Durch die Pandemie hat diese Eingangsfrage in der Tat ein ganz anderes Gewicht bekommen. Inwieweit hat die Situation euch und die Band beeinflusst, etwa in Bezug auf das neue Album?
Cata: Natürlich haben sich aufgrund der Pandemie einige Abläufe verlangsamt, aber glücklicherweise waren die Vorproduktions- und Aufnahmephase bereits vor Beginn des Lockdowns abgeschlossen. Die Mixing- und Mastering-Phase wurde per Internet und, soweit möglich, von jedem von uns mit unserem Ingenieur Andrea Corvo persönlich verfolgt. Jetzt hoffen wir einfach, dass sich die Situation bald beruhigt, damit wir „Hostile“ so promoten können, wie es sich gehört.
Fab: Die Situation in unserer Gegend, im Latium, scheint im Moment [A. d. Red.: das Interview wurde Mitte Dezember beantwortet] unter Kontrolle zu sein. Ähnlich wie in anderen Gegenden Italiens haben mehrere Einrichtungen Dutzende positiver Fälle unter ihren Patienten, da sie durch das dortige Personal unwissentlich dem Virus ausgesetzt wurden – Familien durften sie seit Beginn des Lockdowns nicht mehr besuchen. Der Anstieg der Fälle nach dem Sommer ist fast ausschließlich auf Patienten in Pflegeheimen und auf Patienten mit Vorerkrankungen zurückzuführen. Das ist sehr ernst, was wir alle erleben und durchmachen, also nehme ich die Auszeit einfach an, halte mich beschäftigt und hoffe, dass wir alle so schnell wie möglich durchkommen. Glücklicherweise hat sich für mich aber nichts grundlegend geändert, da ich nie aufgehört habe zu arbeiten – ich bin Grafikdesigner – und ich die Chance hatte, die letzten Aufnahmesessions für das neue Album zu machen, als der Virus noch nicht so stark zugeschlagen hat wie im März und April. Leider konnte unser Produzent Keith Hillebrandt nicht zu uns stoßen, um den finalen Mix mit uns im Studio zu begleiten – er lebt in Bangkok, Thailand -, aber dank des Internets konnten wir den Mix per Remote machen.

Bandfoto der Band Aborym
© Francesco Benvenuti

Was war Keith Hillebrandts konkrete Funktion, wenn er beim Aufnahme-Prozess nicht dabei war und das Album auch nicht gemischt oder gemastert hat?
Fab: Im Wesentlichen überwacht ein Produzent alle Aspekte der Entstehung eines Albums. Dazu gehören die Auswahl der Songs, der Instrumente, die Zusammenstellung der Tracklist … aber auch die Entscheidung, wie diese Instrumente gespielt und die Noten gesungen werden, und wo der Song oder das Album aufgenommen wird. Was der Regisseur für einen Film ist, ist der Musikproduzent für einen Song. Ich habe Keith im Dezember 2018 in Bangkok getroffen und wir haben über die neue Platte von ABORYM gesprochen, zu diesem Zeitpunkt steckte ich noch mitten im Songwriting-Prozess. Ich habe ihm das erste Demo geschickt und er war beeindruckt von den neuen Tracks. Mit einem Produzenten wie Keith zu arbeiten, war für uns als Band eine wichtige Erfahrung – und wichtig für das Album. Keith ist jetzt auch ein enger Freund. Ohne Zweifel war er das Sahnehäubchen für diese Platte. Das Album wurde von Andrea Corvo gemischt, der einen wirklich exzellenten Job gemacht hat. Dasselbe gilt für das Mastering. Wir hatten die Chance, eine wunderbare Combo von fähigen Technikern zu engagieren.
Cata: Wir arbeiten mit Keith Hillebrandt auf eine sehr kreative Art und Weise zusammen. Er hat uns im Arrangement-Prozess unterstützt und seine Ideen und Erfahrung eingebracht. Das hat die Songs sehr bereichert und sie auf eine neue Ebene gehoben. Am Ende des Pre-Production-Prozesses hatten wir fast zwanzig Songs vorliegen, mit ihm haben wir die besten ausgewählt … das Ergebnis ist das, was man jetzt hört. Leider hatten wir aufgrund von Corona nicht die Möglichkeit, ihn bei uns im Studio zu haben, also haben wir aus der Entfernung gearbeitet, aber auf eine sehr einfache und fruchtbare Weise.

Das Album trägt den Titel „Hostile“ – worauf bezieht sich das, was war die Idee dahinter?
Fab: Im Nachhinein würde ich sagen, dass dieser Titel wohl am ehesten das Jahr repräsentiert, das wir hinter uns lassen werden.

Bandfoto der Band Aborym
© Laura Aurizzi

Bezieht sich das auf die Texte, gibt es eine Art Konzept dahinter?
Fab: Nein, es gibt kein bestimmtes Konzept hinter der neuen Platte. Ich fand einfach, dass der Titel den unfreundlichen Charakter des Albums treffend widerspiegelt. Er bezieht sich auf die andauernden Feindseligkeiten, die wir alle durchleben. Wir leben in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft und die internationale Politik transformiert das System langsam in eine Art Tribalismus. Einwanderung, Steuerrecht, sexuelles Fehlverhalten, Waffenkontrolle … es scheint, als würden wir immer tiefer in einen Kreislauf aus Empörung, Misstrauen und Schuldzuweisungen geraten. Die Menschen erliegen dem moralischen Tribalismus. Doch weil sich die Menschen so sehr um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen sich und anderen kümmern, reichen selbst Kleinigkeiten aus, um ihr Gefühl für „wir“ und „sie“ zu verändern. Und Gruppengrenzen scheinen die Grenze zwischen Tugend und Laster zu markieren.

Der Pressemitteilung zum Album liegen ausführliche Linernotes bei. Das machen nicht viele Bands – kann man daraus schließen, dass euch die Lyrics besonders wichtig sind? Werden diese Linernotes auch veröffentlicht werden?
Fab: Ich weiß wirklich nicht, von welchen Anmerkungen du sprichst, aber die Lyrics sind natürlich sehr wichtig für uns. Ein einziger Text kann wie eine Million Stimmen schreien, wenn man das Gefühl hat, dass man nie gehört wird.

Bandfoto der Band Aborym
© Francesco Benvenuti

Wie gehst du an das Schreiben von Texten heran, woher nimmst du deine Inspiration für die Themen – und geht es dir mehr um den Klang der Worte, um die Botschaft oder eine Mischung aus beidem?
Fab: Ich neige dazu, mich von Dingen inspirieren zu lassen, die mir Angst machen und von allem, was ich nicht mag, was mich und mein Leben umgibt. Der Klang der Worte spielt eigentlich keine Rolle. Ich finde es einfacher, Songs über die negative Seite der Welt zu schreiben als über die glückliche. Ich habe über Depressionen, psychische Störungen, Drogen, Immigration (und deren Zusammenhang mit der Politik) geschrieben. Ich habe über mögliche Katastrophenszenarien geschrieben, die in direktem Zusammenhang mit der absolut falschen Klimapolitik stehen, und über vergangene Fehler wie die Katastrophe von Tschernobyl, die unsere Politiker weiterhin ignorieren. Ich habe meine eigenen Texte über das Gefühl geschrieben, allein zu sein und habe versucht, meine eigenen Ängste zu thematisieren. Und Religion ist eines der Dinge, die ich mehr als alles andere fürchte …

Je häufiger die Musik digital konsumiert wird, desto unwichtiger werden die Liedtexte: Die wenigsten Fans setzen sich heute noch mit dem Booklet hin und lesen die Lyrics. Bedauerst du das – und, Hand aufs Herz, machst du es selbst als Musikhörer anders? Interessierst du dich für die Texte anderer Bands?
Fab: Ich bin damit aufgewachsen, fast nur Vinyls zu hören, und das tue ich immer noch. Wenn ein Album also digital erhältlich ist, hatte ich meist schon die Möglichkeit, es anzuhören – und wenn es mir gefällt, kaufe ich mir die Vinyl-Version. Und natürlich genieße ich die Platte gerne in ihrer Gesamtheit, indem ich die Musik höre und die Texte, Credits und alles, was ich auf der Platte abgedruckt finde, lese.

Das Cover ist cool, aber – zumindest ohne weiteren Kontext – wirkt es auch ein bisschen austauschbar. Welche Verbindung zwischen Cover, Titel und Text habe ich übersehen? Warum ist das das perfekte Artwork für „Hostile“?
Fab: Normalerweise bekommen die Leute kein schlechtes Gefühl, wenn sie einen Fisch sehen. Das Interessante an diesem Bild ist, dass dieser Fisch kein gewöhnlicher Fisch ist: Diese Art hat einen der kräftigsten Bisse, die man bei Knochenfischen findet. Relativ zur Körpermasse hat er einen der stärksten Bisse, die bei Wirbeltieren gemessen werden. Das ist eine Art visuelle Metapher.

Musikalisch seid ihr dieses Mal etwas offener geworden – was hat diesen Prozess angetrieben … welche Musik habt ihr privat so gehört, oder was wolltet ihr mit ABORYM nicht mehr verfolgen?
Cata: Der Schlüssel ist definitiv die Tatsache, dass ABORYM jetzt ein stabiles Lineup von echten Musikern hat, bei denen jeder seine eigene Aufgabe hat. Vor allem hat jeder von uns einen völlig anderen und breit gefächerten Musikgeschmack und Hintergrund als die anderen. Das war eine Bereicherung für uns, und das Songwriting und die Enstehung von „Hostile“ hat dadurch sehr gewonnen. Ich persönlich höre und mag jede Art von Musik, während der Entstehung von „Hostile“ habe ich zum Beispiel viel Jazz und elektronische Musik gehört, vor allem aus den 1990ern. Das, was ABORYM sicherlich nicht mehr verfolgen werden, ist Black Metal. Das ist unsere Vergangenheit, und wir wissen, dass viele noch darin verankert sind, aber wir schauen nach vorne … immer.
Fab: Ich versuche normalerweise, mich nicht durch die Musik anderer Künstler ablenken zu lassen, wenn es an der Zeit ist, eine neue Platte zu schreiben. ABORYM ist eine Band und per Definition ist eine Band die Summe ihrer Teile … Das Interessante am Songwriting-Prozess von „Hostile“ ist, dass wir keine Grenzen oder sichere Bereiche definiert haben, um darin zu arbeiten. Was ich sagen will, ist, dass wir einen Prozess erzeugt haben, indem wir den emotionalen Zustand der Musik auf eine natürliche Weise verändert haben. Und jeder in der Band hat in diesem Prozess hart gearbeitet. Man kann also ein Musikstück oder einen Flow in der Musik haben, der in der einen Minute irgendwie fröhlich ist, in der nächsten Minute traurig und in der nächsten Minute wütend. Wir haben also Dynamik und verschiedene emotionale Zustände geschaffen, um den Hörer mit auf diese musikalische Achterbahnfahrt oder musikalische Reise zu nehmen. Wir wollten selbst zufrieden sein. Und das haben wir geschafft.

Bandfoto der Band Aborym
© Francesco Benvenuti

Das Album erinnert mich stellenweise an Marilyn Manson – ist das ein Zufall? Oder siehst du das vielleicht auch ganz anders?
Fab: Ich will keine Vergleiche anstellen und ich bin bereit, alle möglichen unterschiedlichen Kommentare über die neue Platte zu bekommen. Ehrlich gesagt höre ich keine Manon-Anleihen bei den Songs; davon abgesehen habe ich mir gerade Mansons letzte Platte „We Are Chaos“ gekauft und ich finde, dass es ein wirklich guter Kauf war.

„Hostile“ hat eine Menge Post-Rock/Metal-Vibes, aber es ist nicht mehr so aggressiv. Damit setzt sich der Trend von „Shifting.Negative“ fort – ist es jetzt endgültig Zeit für eine neue Zielgruppe? Mit anderen Worten: Glaubst du, dass alte ABORYM-Hörer noch etwas mit „Hostile“ anfangen können – und ist das etwas, worüber du als Künstler nachdenken darfst?
Fab: Bei einem neuen Album weiß man nie, was passieren wird, ob es ignoriert oder gelobt wird. Ich hoffe einfach, dass die Leute es genauso mögen wie wir. Jedenfalls ist es viel düsterer und wuchtiger, weg von der eher sensiblen Industrial-Pop-Schiene des letzten Albums, „Shifting.Negative“. Ich würde sagen, das Pop-Element wurde durch mehr Industrial-Rock-Metal Elemente ersetzt. Es ist immer noch erkennbar, dass es sich um ABORYM handelt, aber es ist einfach – du weißt schon: eine weitere Stufe in der Evolution und der Entwicklung der Band. Wir waren nie daran interessiert, uns zu wiederholen. Und jedes Mal, wenn die Fans denken, sie wüssten, wie sie uns kategorisieren können, machen wir große Brüche und sind sehr stolz darauf, sie zu enttäuschen … oder eben nicht. Oder sie zu überraschen, oder wie auch immer sie es sehen. Manche mögen es, manche nicht.
Cata: Was die Fans angeht … Ich denke, wenn es in der alten Fangemeinde intelligente Leute gibt, werden sie dieses Album sicher sehr zu schätzen wissen. Alle anderen, die in den üblichen Klischees verhaftet bleiben, sollten besser die Finger von dieser Platte lassen, denke ich. Kurzum: Hört euch die Musik an, die ihr mögt und die euch zufrieden macht.

Ist diese Entwicklung der Grund, warum ihr von Agonia Records weg und zum viel kleineren Label Dead Seed Productions gewechselt seid? Oder wie ist es dazu gekommen – und welche Vorteile hat Dead Seed für ABORYM?
Fab: Agonia Records arbeiten vor allem mit extremen Metal-Bands. Wir sind keine extreme Metalband. So einfach ist das. Dead Seed Productions hat sich um uns bemüht, indem sie altes Material und Merch veröffentlicht haben, und sie haben auch die „Something For Nobody“-Trilogie herausgebracht. Natürlich wollte ich, dass wir bei diesem Label dann auch das neue Full-Lenght veröffentlichen. Das ist ja nur sinnvoll.

Herzlichen Dank für das Interview. Zum Abschluss ein Brainstorming – was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Trent Reznor: Fab: einer der echten Innovatoren in der Musik
Corona: kein Autoverkehr in der Stadt, das ist fantastisch
Interviews: schwarzer Kaffee
Dein Lieblingsalbum aus dem Jahr 2020: „Existential Reckoning“ von Puscifer
Deine Hoffnung für 2021: wieder nach Kho Pangan zu fliegen
ABORYM in zehn Jahren: in einer Hängematte auf dem Lande meinen Ruhestand genießen (lacht)

Nochmals vielen Dank für eure Zeit und eure Antworten. Bleibt gesund! Die letzten Worte gehören euch:
Cata: Bleibt gesund und ich hoffe, wir sehen uns 2021 auf Tour, ich kann es kaum erwarten, dass ihr „Hostile“ live hören könnt!

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Publiziert am von

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert