Obwohl HEGEMON seit 20 Jahren musizieren, gehört die Band aus Frankreich nicht zu den Profiteuren des Hypes um französchen Black Metal der letzten Jahre. Warum das so ist, erklärt Sänger N. im Interview anlässlich der Veröffentlichung ihres vierten Albums „The Hierarch“ .
HEGEMON wurden bereits 1996 gegründet. Weil ihr schon so lange dabei seid: Was könnt ihr uns über die Metal-Szene in Frankreich und deren Entwicklung berichten?
Auch wenn wir schon seit über 20 Jahren dabei sind, stehen wir keiner französischen Band nahe – generell stehen wir niemandem nahe. HEGEMON ist immerschon auf seinen eigenen Pfaden gewandelt, ohne irgendwelche Begleiter. Nicht, dass wir uns überlegen fühlen, wir sind einfach einsame Menschen, deren Ziel es ist, die Musik zu spielen, die in ihren Adern fließt. Insofern fühlen wir uns keiner Szene verbunden. Davon abgesehen, habe ich schon das Gefühl, dass die französischen Bands in den letzten Jahren – völlig zu Recht – viel Aufmerksamkeit erfahren. Es scheint eine Art „französischen Touch“ zu geben.
Du kannst uns also auch keine Newcomer empfehlen?
Ich weiß nicht recht. Ich persönlich habe großen Respekt vor Bands wie The Great Old Ones, Seth, Temple Of Baal oder Necrowretch. Aber damit spreche ich nur für mich, nicht für HEGEMON.
Euer letztes Album wurde vor sieben Jahren veröffentlicht. Warum hat es so lange gedauert, bis „The Hierarch“ in die Läden kam?
Weil wir keine professionellen Musiker sind, wir weit voneinander entfernt wohnen und in den letzten Jahren in Punkto Schlagzeuger einige Lineup-Probleme hatten. Unser Schlagzeuger ist nach der Veröffentlichung von „Contemptus Mundi“ ausgestiegen, wir mussten also einen neuen finden – Pierre Beziat. Leider ist er dann auf tragische Weise ums Leben gekommen. Dann wieder einen neuen Schlagzeuger zu finden, hat uns wieder viel Zeit gekostet. Aber vor allem wollten wir, dass die Musik auf dem Album möglichst genau so klingt wie in unseren Köpfen. Und das ist viel Arbeit …
In der Tat klingt das Album sehr kohärent, und auch die Songtitel lassen eine Art Albumkonzept vermuten. Was ist die zentrale Idee hinter „The Hierarch“?
Das Album hat eine Art Konzept, ja. Aber eher in Form eines roten Fadens – es erzählt die Geschichte des Universums und der Menschheit, und durch unsere eigenen Augen, vom ersten Lichtstrahl bis zum erwartungsgemäßen, absoluten Ende des Universums. Die Menschheit versucht sich zweifelsohne selbst zu zerstören, seit dem ersten Tag ihrer Existenz. Warum? Sollten wir nicht besser verschwinden, um diesen Planeten zu säubern? Was ist die Verbindung zwischen dem Kosmos und den Menschen? Was ist die Beziehung zwischen dem Chaos und uns? Zwischen Licht und Dunkelheit? Wir denken und fühlen, dass alles, was wir sehen, nichts als eine Lüge ist, in der wir blind leben. Aber ist da mehr, als wir mit den Augen wahrzunehmen im Stande sind? Wir glauben schon. Der Charakter in „The Hierarch“ ist der letzte Mensch auf der Erde, der letzte Kämpfer, der alleine auf dem brüchigen Thron seines verlorenen Reiches steht. Er ist alleine und blickt auf sein Werk, das nirgends hingeführt hat. Das ganze Leben voll Krieg, Hass, Blut und Ekel für nichts. „The Hierarch“ repräsentiert das pathetische Ende dieser bedauernswerten Spezies namens Mensch.
Wie wird das in den Texten umgesetzt?
Kurz gesagt, handelt der erste Song vom Urknall und der achte von den letzten Stunden des Kosmos, wie wir ihn heute kennen (oder eher glauben, ihn zu kennen, um genau zu sein). Zwischen diesen beiden Songs folgt das Album dem Pfad, auf dem die Menschheit gewandelt ist – auf dem sie so viele schöne Dinge erschaffen hat, aber noch viel mehr hässliche und brutale Zeugnisse ihres Hasses. Die Songs handeln von der Liebe zum Krieg und den Pfaden, die wir immer schon gegangen sind, um Gewalt und Schrecken zu bringen. Religionen und all die Probleme, die sie erschaffen, der Kosmos und die Quantenphysik, die uns eine Idee davon vermittelt, dass wir eigentlich wirklich gar nichts wissen. Wir sind jetzt schon eine verlorene Rasse. Wir sind sehr pathetisch, und natürlich schließen wir uns da mit ein. Wir haben keine Lösung parat, wir legen nur die Fakten offen. Je weiter wir in der Geschichte unserer Rasse wühlen, desto mehr realisieren wir, dass wir nichts wissen – wir leben in einer einzigen Lüge und sind nur eine Krankheit, die ausgelöscht gehört.
Wie wichtig ist dieses Textkonzept für das Verständnis des Albums als Kunstwerk?
Als derjenige, der die Texte schreibt, würde ich sagen, sie sind sehr nützlich, um die ganze Idee und Vision hinter „The Hierarch“ zu verstehen. Aber ich weiß auch, dass fast niemand sie wirklich lesen wird. Wir sind wie eine leere Flasche, die in einen endlosen Ozean aus Tränen geworfen wurde: Es gibt keine Message, nur einen Verzweiflungsschrei. Sollten wir das eines Tages ändern?
Aber es ist klar – wenn du dich tief in die Texte einarbeitest, wird dir die Musik verständlicher erscheinen. Es ist eine Einheit. Ich habe nicht die Überheblichkeit, zu behaupten, meine Texte wären fantastisch, aber sie sind zumindest der ehrliche Spiegel unserer Seele.
Auf „The Hierarch“ textet ihr englisch. Hast du auch schonmal über Texte auf Französisch nachgedacht?
Ich habe das einmal ausprobiert – das Ergebnis war aber nicht zufriedenstellend genug, um es dann wirklich zu verwenden. Sonderbarerweise, auch wenn ich meine Muttersprache liebe, finde ich dennoch, dass das Englische eine viel kraftvollere, stärkere Aussprache hat, die perfekt zu unserer Vorstellung von Kraft passt. Ich denke immer auf Englisch, wenn ich Texte schreibe, Ich übersetze sie nicht aus dem Französischen.
Ihr haltet eure Namen streng unter Verschluss. Warum ist es euch wichtig, unter euren bürgerlichen Namen nicht mit der Band in Verbindung gebracht zu werden?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen haben wir alle, als wir HEGEMON gegründet haben, noch in anderen, „etablierteren“ Bands gespielt, von denen einige auch noch existieren, und wir wollten nicht, dass die Leute HEGEMON nur unserer anderen Bands wegen lieben oder hassen. Wir wollten, dass diese Band von unseren anderen Projekten unabhängig ist. Ein anderer Grund ist, dass wir glauben, dass wir nichts sind – als Musiker wie auch als menschliche Wesen. Niemand muss wissen, wer wir sind, auch wenn wir nicht berühmt sind. HEGEMON ist keine All-Star-Band. Wir sind eine Einheit, die unsere Gesichter und Namen auslöscht. Und der letzte Grund, den ich dir nennen kann, ist, dass sich das Konzept von HEGEMON selbst um die Menschheit als eine Masse, eine Einheit dreht. Und wir sind Teil dieser Masse, auch wenn wir manchmal lieber nicht dazugehören wollen würden. Nebenbei bemerkt ist das das einzige, dem wir angehören: Die Menschheit. Es ist nicht wert, zu wissen, wer wir sind – dafür gibt es keine Notwendigkeit. Die Musik alleine sollte für sich selbst sprechen. Es gibt keinen Grund, warum man wissen müsste, wer sie spielt. So können die Leute nur unsere Musik hassen oder lieben – sie sind frei von Vorurteilen unsgegenüber.
Eure Musik wird mitunter mit der vieler berühmter Bands wie Dimmu Borgir, Borknagar, Enslaved oder Emperor verglichen. Würdest du diese Vergleiche unterschreiben, oder welche Bands würdest du als Inspiration nennen?
Absolut nicht, was Dimmu und Borknagar angeht. Keiner von uns hört diese Bands, und wir finden alle, dass unsere Musik auch nichts mit diesen Bands zu tun hat – weder musikalisch, noch im Geiste. Mit Emperor und Enslaved sieht es anders aus: Wie auch Satyricon, Dissection, Abigor, die erste Setherial-LP, aber auch Death, Obituary, Morbid Angel und Entombed haben uns diese Bands sehr geprägt. Das sind unsere echten Wurzeln, neben vielen anderen. Viele Leute sagen, wir würden keine eigene Musik spielen, dass wir Zeug wie aus den frühen 90ern machen würden. Und ich sage: Ja, das stimmt, und wir sind stolz darauf – weil genau das ist es, was wir sind. Wir versuchen nicht wie dieses oder jenes zu klingen. Wir versuchen nicht, originell zu sein, das war nie der Plan! Ich meine, nach 20 Jahen mit HEGEMON … warum realisieren ein paar Leute nicht, dass wir alt sind? Wir sind alle jenseits der 40 – wir werden nie modernen oder was auch immer für Black Metal spielen. Wir können unsere Einflüsse nicht verleugnen, und wir wollen das auch gar nicht. Weil wir jetzt zum ersten Mal in 20 Jahren Bandgeschichte orchestrale Elemente verwendet haben, haben uns ein paar Leute als Symphonic Black Metal eingestuft – das ist wirklich witzig. Alle unsere Kompositionen basieren auf Riffs! Ohne ein gut ausgearbeitetes Riff bekommst du gar nichts! Orchestrierungen sind nichts mehr als ein neuer Weg für uns, einige Momente herauszuheben, weil die Musik selbst es verlangt hat.
Plat ihr auch Konzerte, um „The Hierarch“ zu promoten?
Außer unserem Auftritt auf dem Hellfest 2016 ist nichts geplant. Aber wir würden mit diesem Album wirklich gerne auf der Bühne stehen. Wir wissen, dass wir nicht bekannt und interessant genug sind. So läuft das eben. Vielleicht bezahlen wir so für unser isoliertes Dasein in der Szene. Aber wie heißt es so schön … „Never mind the bollocks“! Aber wenn uns jemand nach Deutschland einladen will, darf er das gerne tun!
Vielen Dank für Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Paris: Die Stadt, in der ich 15 Jahre gelebt habe. Ich bin sehr zufrieden, dass ich vor einiger Zeit von dort weg bin, vor allem nach allem, was im letzten November dort passiert ist. Du willst dazu die lustigste und hässlichste Tatsache wissen? Der 13. November war der Veröffentlichungstermin von „The Hierarch“. Paris ist eine der schönsten, aber auch schrecklichsten Städte, in denen ich je war. Und es gibt dort natürlich die „berühmte“ Pariser Metal-Szene, von der wir uns fernhalten. Zu viele „berühmte Leute“ für unseren Geschmack.
Dein Lieblingsalbum aus 2015: Nur eines? Nun … vielleicht „Kyr“ von Kontinuum oder „Liber Lucifer“ von Thy Darkened Shades, wenn es um Metal geht. Aber außerhalb des Metal hat mich Ozark Henry mit „Paramount“ beeindruckt – das ist wirklich extrem gut.
Flüchtlinge: Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll. Ich glaube nicht einmal, dass es dafür eine Lösung gibt. Das kann man nicht einfach mal so diskutieren, wie hier. Ich werde hier nicht die „Truer Black Metal im Wald Satans“-Seelen zufriedenstellen, aber ich glaube nicht, dass wir sie abweisen sollten. Einfach, weil das nun eben der Lauf der Welt ist. Alle Grenzen sind dazu verdammt, zu fallen – sei es zum Guten oder zum Schlechten. Ich glaube aber auch nicht, dass es eine gute Lösung ist, jeden ohne irgend eine Leitlinie willkommen zu heißen. Insofern glaube ich, gibt es zwischen dem „engelsgleichen“ Standpunkt und den Reaktionen der Extremisten noch einen anderen Weg. Aber das ist nicht die Sache von HEGEMON, das zu diskutieren. Wir sind nichts, was dir sagt, was richtig oder falsch ist. Überall herrscht Terror, auf europäischem Boden – und so zahlen wir jetzt für Jahrzehnte der Kolonial- und Nach-Kolonial-Politik.
Schwedischer Black Metal: Einer unserer Einflüsse, was Dissection oder Setherial angeht, aber wir haben generell immer die Norwegische Szene bevorzugt, wie ich vorher schon angedeutet habe. Die Norweger haben in Sachen Melodie einen ganz anderen Ansatz, klar. Was die heutigen Szenen angeht, habe ich nicht viel Ahnung. Die letzte schwedische Band, die mich wirklich gerockt hat, war Funeral Mist.
Norwegischer Black Metal: War der Beste bis in die Mitte der 90er. Die Bands aus dieser Zeit waren für uns eine solche Offenbarung – das hat uns für Äonen geprägt. Aber lass mich dir eines sagen: Wir sind dahingehend nicht nostalgisch. Wir haben in dieser Zeit nur unsere Wurzeln.
HEGEMON in zehn Jahren: Wir werden unser fünftes Album veröffentlichen, zu unserem 30. Geburtstag. Jeder wird sagen, wir spielen alten, überflüssigen Melodic Black Metal, aber wir werden uns dann genausowenig darum scheren wie wir es heute tun. Die Chancen sind hoch, dass es uns dann noch geben wird, weil der einzige Grund für uns, Musik zu machen, ist, dass wir es brauchen. Insofern werden wir wohl erst aufhören, wenn wir tot sind.
Vielen Dank nochmal, die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für dieses wirklich gute Interview – es ist lange her, dass uns jemand interessante Fragen gestellt hat. Vielen Dank auch für dein Interesse, halte die Flamme am Leben! Der einzige Gedanke, den wir noch anfügen können, ist: Denkt selbst … aî ibur shapû!