WÖLJAGER haben mit „Van’t Liewen Un Stiäwen“ ein eindrucksvolles Debüt vorgelegt, das im Münster Plattdeutsch eine interessante Geschichte erzählt, untermalt von simplen, aber schönen Neo-Folk-Kompositionen. Im folgenden Interview mit Mastermind Marcel Dreckmann erfahrt ihr unter anderem, wie es zu diesem neuen Projekt kam, was ihn musikalisch und textlich beeinflusst hat und welche Wichtigkeit alten Sagen und Dialekten noch heute innewohnt.
Bisher kannte man dich vor allem durch Helrunar, mit denen du Black Metal spielst. Nun widmest du dich über WÖLJAGER dem Neo-Folk. Was hat dich dazu inspiriert, den akustischen Momenten deiner „Hauptband“ nun ein ganzes Projekt zu widmen?
Eigentlich entstand WÖLJAGER als Idee relativ unabhängig von Helrunar. Neo-Folk und ähnlich düstere, akustische Musik habe ich schon immer gemocht. Im Jahre 2008 kam mir dann die Idee, diese Art von Musik mit regionaler Folklore zu kombinieren. Damals arbeitete ich im Archiv der Volkskundlichen Kommission für Westfalen und entdeckte dort viele interessante Quellen. Die Idee lag dann bis 2014 in der Schublade, dann aber wollte ich sie endlich verwirklichen. Ermöglicht wurde dies vor allem auch durch die Hilfe von Stefan (Drechsler, Akustikgitarre) und Árni (Bergur Zoega, Akustikgitarre, Viola, Streicherarrangements), mit denen ich auch bei Árstiðir lífsins zusammenarbeite.
Siehst du WÖLJAGER als Nebenprojekt oder wirst du dich in Zukunft genauso darauf konzentrieren wie auf Helrunar?
Ich denke, beide Projekte sind für mich gleich wichtig. Man muss nur sehen, wie man Zeit und Energie aufteilt.
Das Debüt von WÖLJAGER, „Van’t Liewen Un Stiäwen“, ist ein eindrucksvolles Konzeptalbum, das die Lebensgeschichte eines sogenannten Spökenkiekers erzählt. Wie bist du auf diese Sagengestalt gestoßen und warum hast du ihr ein ganzes Album gewidmet?
Erste Erzählungen zu Spökenkiekern habe ich wohl schon als Kind gehört. Sie sind einfach ein wichtiger Teil der regionalen Folklore. Im Archiv fand ich dann noch sehr viel mehr Material dazu…, unter anderem auch ein Interview mit einem Spökenkieker aus den 80er Jahren. Mich interessiert daran natürlich die übernatürliche und recht unheimliche Komponente, die einfach gut zur Musik passt. Ebenso finde ich aber die Position eines Spökenkiekers in der Gesellschaft interessant… Er ist so etwas wie ein gefürchteter Außenseiter, der aber bemerkenswerte Fähigkeiten hat. Oftmals leidet er sehr unter seiner düsteren Gabe. Aus alledem kann man eine spannende Geschichte machen.
Wie sind die Reaktionen zu dem Album ausgefallen?
Bisher sehr positiv. Viele Hörer fühlen sich wohl sehr bewegt von der Stimmung des Albums… Das war natürlich auch das Ziel. Allzu weite Kreise scheint es aber bisher noch nicht gezogen zu haben. Doch das macht nichts. Mir war schon klar, dass damit nicht jedermann etwas anfangen kann.
Welchen Stellenwert haben Sagen wie die des Spökenkiekers für dich in der Jetzt-Zeit?
Zum einen sind es einfach schöne, unterhaltsame Geschichten. Ferner vermitteln sie viel vom Alltag in vergangenen Zeiten. Symbolisch erzählen sie natürlich auch viele Wahrheiten, über das Leben, über gewisse Moralvorstellungen. In einer völlig unüberschaubar gewordenen Welt wie der heutigen sind sie vielleicht fähig, so etwas wie Identität zu vermitteln und das ist etwas, nach dem offenbar viele suchen. Mir ging es bei WÖLJAGER allerdings nicht darum, etwas zu bewahren oder Traditionen zu pflegen… Wenn dem so wäre, dann wäre das Ergebnis wohl einfach nur kitschig geworden, wie die Arbeiten eines Trachtenvereins oder irgendeines Bauerntheaters. Vielmehr wollte ich interessante, nahezu vergessene Aspekte wie Sagen und Dialekt verwenden, um etwas Neues, Spannendes zu erschaffen. Es steckt auch viel Nostalgie darin.
Was sind die zentralen Motive der Geschichte von „Van’t Liewen Un Stiäwen“?
Da wäre zunächst einmal die übernatürliche Gabe der Hauptperson… Sie befähigt ihn, Unglücke wie Brände und Todesfälle vorherzusehen, aber auch nichts anderes. Nie kann er positive Dinge sehen. Das macht ihn zu einem gefürchteten, bisweilen gehassten Außenseiter. In sich geschlossene Dorfgemeinschaften können ja bisweilen recht gnadenlos sein. Es war mir wichtig, auch diesen negativen Aspekt von so etwas wie „Heimat“ nicht zu verschweigen. Allzu schnell landet man bei volkstümlichen Stoffen sonst in Kitsch und Idealisierung, wenn man vergisst, wie Menschen eigentlich sind – zu jeder Zeit und überall.
Aufgrund seiner Gabe bleibt es ihm jedenfalls verwehrt, normaler Teil der Dorfgemeinschaft zu sein oder auch nur ein gewöhnliches Leben zu führen. Auch seine große Liebe nimmt ein tragisches Ende, woran die Gesellschaft wiederum auch nicht ganz unschuldig ist. Erst gegen Ende seines Lebens kann er als alter Mann so etwas wie Vergebung finden wie auch schenken, weil die Zeiten sich geändert haben.
Eine weitere Besonderheit ist, dass das gesamte Album ist im Münster Plattdeutsch eingesungen ist. Was verbindet dich mit diesem Dialekt und warum hast du dich dafür entschieden, die Texte so vorzutragen?
Ich habe den Dialekt in meiner Kindheit von meinem Großvater gelernt, dennoch kam es mir fast vor, als müsse ich eine neue Sprache lernen, als ich dann wirklich anfing, darin Texte zu verfassen. Wie gesagt, es steckt auch viel Nostalgie in diesem Album, nicht nur sprachlich…, auch in den Naturschilderungen. Feld und Wald scheinen hier zu bestimmten Jahreszeiten eine ganz eigene Stimmung zu haben, die ich sonst nirgendwo finden kann. Der Dialekt passt letztlich sehr gut zu den verwendeten Geschichten und Motiven und verleiht ihnen auch klanglich die passende Atmosphäre. Man merkt richtig, dass die Sprache und auch die Erzählstoffe einfach aus der selben Erde gewachsen sind.
Auch bei Helrunar bist du gewissermaßen ein sprachliches Chamäleon, du hast bereits auf Englisch und auf Altnordisch gesungen. Wie wichtig ist es für dich, ältere Sprachen und Dialekte zu erhalten?
Mir geht es weniger um das Erhalten von etwas, wenngleich auch das wichtig sein mag. Wer soll denn die alten Quellen und die darin enthaltenen Informationen noch erarbeiten können, wenn niemand mehr die Sprache spricht? Wichtiger aber ist für mich das, was diese alten Texte und Erzählungen vermitteln… Ich verwende es in modernen Zusammenhängen, weil es noch heute Bedeutung und Gültigkeit hat, noch heute Menschen inspirieren und bewegen kann, ganz egal, ob es sich bei der zugrunde liegenden Erzählung um eine niederdeutsche Sage, einen Teil der Edda oder um einen altgriechischen Epos handelt. Eigentlich möchte ich vor allem eine spannende Geschichte erzählen oder in alten Geschichten neue Aspekte entdecken. Dass dabei auch etwas erhalten wird, ist ein positiver Nebeneffekt.
Als Metaller denkt man bei Neo-Folk vor allem an Empyrium, aber auch an Ulver oder Dornenreich. Bist du in Bezug auf WÖLJAGER von diesen Bands inspiriert und gibt es vielleicht noch andere Musiker, die dich dahingehend beeinflusst haben?
„Kveldssanger“ von Ulver ist eines meiner absoluten Lieblingsalben und die Neo-folkigen Alben von Empyrium waren sicher auch eine Inspiration… Darüber hinaus auch noch weitere Neofolk-Bands wie Sol Invictus, Death in June oder Darkwood. Wenn es um die Verwendung von Dialekt und regionalen Sagen geht, haben sicher auch Sturmpercht einen Beitrag zur Inspiration geleistet.
Das Albumcover von „Van’t Liewen Un Stiäwen“ erinnert stark an „Songs Of Moors And Misty Fields“ von Empyrium. Was kannst uns darüber erzählen?
Es gibt einige Holzschnitte von regionalen Künstlern, die versucht haben, Sagengestalten wie etwa Spökenkieker abzubilden. Dieser stammt von Heinrich Everz, einem Künstler aus dem Emsland. Man sieht hier einen Spökenkieker, der den Brand einer Stadt vorhersieht. So etwas findet sich in vielen Quellen.
Bleiben wir doch gleich bei Empyrium. Im Gegensatz zu deren Album „Weiland“ verzichtet ihr beispielsweise auf Flöten und Pianos, ihr beschränkt euch instrumental auf Streicher, Akustikgitarren und gelegentliche Perkussion. Wonach habt ihr entschieden, welche Instrumente ihr einsetzt?
Da ist die Antwort tatsächlich ziemlich banal… Wir haben aufgenommen mit dem, was verfügbar war und möglichst holzig und natürlich klang. Die Grundlage der meisten Songs bildet ja die Akustikgitarre, dann kam Árni noch mit seiner Bratsche hinzu und komponierte einige ganz bezaubernde Parts. Danach, das spürten wir, brauchte es eigentlich nicht viel mehr. Es kam noch eine alte Hausorgel hinzu (die man im Intro hört) und ein wenig Perkussion – fertig war das Gartenhäuschen.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Stefan Drechsler und Árni Bergur Zoega?
Das geht auf das Jahr 2009 zurück, als Stefan mich fragte, ob ich nicht bei Árstiðir lífsins einsteigen wolle. Árni habe ich dann glaube ich bei Aufnahmen im Jahre 2011 erstmals getroffen. Seitdem haben wir immer gut und effektiv zusammengearbeitet, da war es naheliegend, dass ich sie frage.
Sofern es dir recht ist, würde ich dich noch gerne an unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming teilnehmen lassen. Sag uns bitte, was dir zu folgenden Begriffen in den Sinn kommt:
Erster Weltkrieg: Vettainachtain („Vierzehnachtzehn“). So hat mein Großvater ihn immer genannt.
Black Metal: Freedom.
Folklore: Neulich habe ich mir diese „Dark Britannica“-Sampler von Cold Spring gegönnt. Viele schöne Sachen drauf!
Texte vs. Musik: Nix „vs.“! Müssen immer Hand in Hand gehen.
Politik: Diese Scheißwelt hat so langsam endgültig ihren Verstand verloren.
Dann nochmals vielen Dank für dieses Interview.