Review Hämatom – Wir sind Gott

Von der kränken Wut über den Teufel hin zum Keinzeitmensch und nun: Gott! Diesen Weg zeigt die Diskografie der NDH-Crossover-Metaller HÄMATOM auf. Vollmundig klingt der Titel „Wir sind Gott“, vollumfänglich überzeugend dringen die 13 Titel über die Lautsprecher. Früher belächelt, inzwischen mit Rammstein die Bühne geteilt und nun auf dem besten Weg dahin, wo artverwandte Combos wie Eisbrecher und die Berliner Szeneurgesteine bereits stehen: Nord, Ost, Süd und West klopfen nicht an Türen, sondern treten diese ein und werfen gleichzeitig eindringliche Fragen über die gesellschaftlichen, religiösen und politischen Zeitphänomene auf.

Das fünfte Studioalbum, produziert in den Kohlekeller Studios von Kristian Kohlmannslehner, der auch für den Sound von Künstlern wie Powerwolf und Eskimo Callboy verantwortlich ist, ist textthematisch erneut im Hier und Jetzt verankert. Löst die Liebe wirklich alle menschlichen Probleme wie es „All U Need Is Love“ andeutet? Oder ist das bisschen Sprengstoff das entscheidende Zünglein an der Waage? Mit diesem intensiven NDH-Reißer, dem Titeltrack und dem plakativen „Fick das System“ marschiert „Wir sind Gott“ genauso kraftvoll los wie der Vorgänger. Der Unterschied besteht darin,  dass die vier Himmelsrichtungen ihre Intensität dieses Mal durchgehend halten und gleichzeitig neue Akzente in ihrem Repertoire setzen.

Kontrovers, unbequem und wütend greifen HÄMATOM auf Namedropping zurück, um wie in „Wir sind Gott“ und „Made in Germany“ ihre Botschaft nachhaltig zu verdeutlichen. Wenn der Mensch Gott spielt, trennen Kleopatra und Kik nur wenige Zeilen. Im Refrain von „Made in Germany“ greifen die Süddeutschen synthesizergeschwängert erstmals auf weibliche Backing Vocals zurück, ehe Beckenbauer, Einstein und Winnetou den Status Quo unseres Landes zusammenfassen. Apropos unser Land: Mit „I Have A Dream“ gelingt den vier Musikern ein klares Statement gegen Rechts und für mehr Toleranz, das vom musikalischen Nährwert und Unterhaltungsfaktor beispielsweise Schandmauls „Bunt und nicht braun“ locker in die Tasche steckt. Allgemein hört sich „Wir sind Gott“ wie aus einem Guss: Jeder Song befindet sich an der passenden Stelle, so dass sich NDH-Riff-Gewitter und Nords aggressive Vocals wunderbar mit ruhigeren Momenten wie im rockigen „Hollywood brennt“ oder dem melancholischen „Zu wahr um schön zu sein“ ausbalancieren. Mag der Aufbau der schnelleren Stücke zwar simpel gehalten sein – sie funktionieren mit strophenweiser Hinführung zu eingängigen Refrains voller Härte und Melodik. In der Mid-Tempo-Nummer „Offline“ wird die bewährte Kombination am Ende mit einigen abgewandelten Samples aus der modernen Mobilfunkwelt angereichert: Bitte wiederholen Sie Ihre Eingabe – nicht. Die Aufforderung nach mehr Individualität und Selbstbestimmung in „Tanz aus der Reihe“ und „Mach kaputt“ geht indes einher mit der Evolution von Deichkinds „Remmidemmi“ zur „Halli Galli“-Drecksauparty. Alles wunderbar tauglich für die heimische Stereoanlage und kompatibel zum bandeigenen Liveset. Gegen Ende packen die Crossover-Künstler noch einmal die Akustikgitarren aus, um in „Ist das Kunst?“ mit heimischem Liedgut abzurechnen. Die Texte werten insgesamt die mit verschiedenen Gitarren hervorragend austarierten Stücke nochmals auf und heben sich damit deutlich vom Szenestandard ab.

„Der Wahnsinn regiert!“ – mit diesen Worten beschließen HÄMATOM einen ihrer Songs und gleichzeitig fasst dies ihr neues Album perfekt zusammen. Das Quartett hat im Vergleich zum Vorgänger an den letzten verbleibenden Stellschrauben gedreht und vermutlich das Ultimum aus seiner musikalischen Ausrichtung herausgeholt. Ein Gesamtwerk, das sich vor allem mit seinem gesamten Drumherum auf einschlägigen Kanälen wie Facebook und YouTube, vor keiner namhaften Konkurrenz mehr verstecken muss. Wer es gleichzeitig hart und textlich anspruchsvoller als in der NDH üblich braucht, bekommt hier die volle Dröhnung.

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Wertung: 10 / 10

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