(Electropop) Man kann ja von radiotauglicher Popmusik halten, was man möchte, aber ab und zu verstecken sich hinter all den lieblos produzierten Auftragsarbeiten auch wirkliche Künstler, die etwas zu sagen haben. Sia Furler hielt sich in dieser Welt zunächst viel im Hintergrund auf, kaum jemand kannte sie, und doch waren viele, ohne es zu wissen, mit ihren Arbeiten vertraut.
SIA ist beruflich eigentlich Songwriterin und hat zahlreiche erfolgreiche Hits für unter anderem Rihanna, Beyoncé oder Christina Aguilera geschrieben. Sie selbst war zwar musikalisch auch aktiv, sowohl in Bands (Zero 7), als auch Solo, jedoch war diese Musik nie wirklich radiotauglich, wurde aber durchaus in der Popkultur benutzt. So untermalte beispielsweise ihr Song „Breathe Me“ 2005 das vielleicht beste Serienfinale aller Zeiten von „Six Feet Under“. 2014 gelang ihr dann, skurrilerweise ungewollt, mit „1000 Forms Of Fear“ ein weltweiter Durchbruch, nachdem sie aus vertraglichen Gründen dazu verpflichtet war, ein weiteres Album zu veröffentlichen, obwohl sie sich eigentlich dem Songwriting für andere Künstler widmen wollte. Mit ihren früheren Indie-Werken wie „Some People Have Real Problems“ hatte dieses Album nichts mehr zu tun. SIA war im Radiopop angekommen. Und dennoch blieb sie auch in diesem Bereich eine absolute Ausnahmekünstlerin. Wer sie kennt, weiß über ihre etwas eigenartigen, für öffentliche Charaktere unüblichen Verhaltensweisen Bescheid. So dreht sie beispielsweise live dem Publikum durchgehend den Rücken zu, damit dieses sich mehr auf die Musik konzentrieren kann und überlässt auch in Musikvideos Tanzkünstlern die optische Performance.
Mit „This Is Acting“ erschien nun noch eine weitere Soloarbeit von SIA, die sich nach dem Erfolg von „1000 Forms Of Fear“ doch dazu entschieden hatte, noch weiter zu machen. Den Titel des Albums wählte SIA, da alle Songs ursprünglich Auftragsarbeiten für andere Künstler wie Adele und Rihanna oder für Filme wie „Pitch Perfect 2“ waren, dann aber abgelehnt oder von SIA selbst zurückgezogen wurden. Das äußert sich insofern, als die Texte dieses Mal thematisch deutlich inhomogener wirken. Besang SIA bisher hauptsächlich psychische Probleme wie Depressionen, bipolare Störungen, Abhängigkeit oder verlieh Menschen eine Stimme, die in ihren Außenseiterrollen einfach anders sind, gesellen sich hier seltsam unpassende Songs über das Tanzen in Clubs oder Flirts hinzu, die SIA so wohl nie für sich selbst schreiben würde. So beispielsweise „Sweet Design“, „Cheap Thrills“ oder das leider furchtbar misslungene „Move Your Body“. Für sie ist es eben wie in eine Rolle zu schlüpfen, sprich: Acting. Auch musikalisch variiert SIA auf „This Is Acting“ daher deutlich mehr als auf dem Vorgänger, was der Platte aber tatsächlich überwiegend zugutekommt, auch wenn das Album, wie bereits von SIA im Vorfeld angekündigt, noch poppiger ausfällt als „1000 Forms Of Fear“. SIAs Stärken liegen jedoch nach wie vor in den ruhigeren, emotionaleren Stücken, denen immer eine sanft bedrückende Melancholie und Trauer innewohnt, die andere Popkünstler mit ihren übertrieben kitschigen Holzhammerballaden nie erreichen werden. SIA singt ihre Melodien nicht, sie lebt sie. Jeder Bruch, jedes Quietschen, jeder leidende Seufzer in der Stimme ist individuell an den Moment angepasst und verleiht den Stücken stark emotionalen Charakter. Höhepunkte des Albums sind daher die Songs, die eher zu ihr passen, wie beispielsweise „Bird Set Free“, „Unstoppable“, „Footprints“, das sich um Entfremdung drehende „Space Between“ oder das zum Dahinschmelzen schöne „Broken Glass“, der wohl beste Song des Albums. Im erstgenannten singt sie daher treffenderweise: „I don’t care if I sing off key / I find myself in my melodies / I sing for love, I sing for me”.
Auch wenn frühere Werke wohl aus musikalischer Sicht mehr zu bieten hatten, allein schon durch tatsächlich eingespielte Instrumente statt wie hier programmierte Songs, hält sich SIA immer noch in künstlerischen Sphären auf, von denen andere nur träumen können. Selbst aus auf den ersten Blick billig wirkenden Kompositionen, aus Standardakkordfolgen und simplen Arrangements zaubert sie noch etwas Besonderes. Wer noch immer gehofft hat, dass SIA nach ihrem Ausflug in die Welt der Radiomusik wieder zu ihren Indie-Wurzeln zurückkehrt, der wird wohl auch hier enttäuscht sein, aber ein schönes Album ist es trotzdem geworden.
Wertung: 7 / 10