Teil zwei unseres Specials dreht sich um Metal in Madagaskar. Mandimby Ranaivo und Herisetra von BEYOND YOUR RITUAL berichten über die lokale Szene, religiöse Einflüsse und das Problem der Abgeschiedenheit im flächenmäßig zweitgrößten Inselstaat der Welt.
Wie ist es um den Metal in Madagaskar bestellt? Gibt es eine Szene?
M.R.: Eine Metal-Szene gibt es hier jetzt seit 30 Jahren – mal mehr, mal weniger. Die Liebe der Madagassen zum Metal hat sie am Leben gehalten. Ein großes Problem auf Madagaskar ist, ganz generell, die schlechte Vernetzung. Das verhindert, dass die Metal-Szene floriert – obwohl es unzählige Initiativen gibt, um die Szene zu fördern. Abgesehen davon macht es es sehr schwer, zu sagen, wie viele aktive Bands es gibt, wie groß die Fanbase ist und was es für kulturelle Aktivitäten im Metal-Bereich gibt. Aber ich würde sagen, dass es ungefähr 20 Bands und 1500 Fans gibt. Rock nicht mit eingerechnet.
Wie präsent ist Metal bei euch im Allgemeinen in Medien wie TV oder Radio? Einige Metal-Acts wie Kiaka sollen ja sogar ihren Weg in den madagassischen Mainstream gefunden haben?
M.R.: Also es ist so: Aus Kiaka hat sich eine Rock-Band namens „Ambondrona“ entwickelt, die bei einem Gig die satte Ausbeute von 50.000 Zuschauern machen konnten. Der Rock ist hier wirklich angekommen, Rock hat aber auch nie unter Einschränkungen durch die Mainstream-Medien gelitten. Aber wenn es um Metal geht … es ist eine lange, frustrierende Geschichte.
Was bedeutet das für die Szene? Steigt die Zahl der Bands, Auftritte und Veröffentlichungen sowie das Interesse der Fans?
M.R.: Im Jahr haben wir hier in Antananarivo vielleicht fünf Metal-Shows und drei Underground-Gigs. Aber auch hier ist es schwer, die genaue Zahl zu nennen, wegen der bereits erwähnten mangelnden Strukturierung der Szene, die wir hier haben … ich würde nicht sagen „mangelhafte Organsation“, aber mangelnde Strukturierung. Die Bands verkaufen auch nur selten CDs, weil die Leute hier diesbezüglich einfach anders ticken.
H.: Es gibt natürlich auch in anderen Städten wie Antsirabe und Fianarantsoa eine Metal-Szene, aber wie hier in Antananarivo ist die Underground-Szene sehr klein, 300 bis 700 Leute, würde ich sagen, und du siehst bei jedem Konzert, das du spielst, immer die gleichen Gesichter. Es gibt zwar ein paar Gruppen von leuten, die sich darum bemühen, das weiterzuentwickeln, Konzerte zu veranstalten, die in allen technischen Details perfekt ablaufen und so, aber ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, zu behaupten, die Szene würde merklich anwachsen.
Wie seid ihr selbst mit Metal in Berührung gekommen?
M.R.: Mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, war ein Gitarrenfanatiker und ihr Schwager war früher Mitglied bei einer relativ bekannten madagassischen Band namens Kazar. Damals war ich 15, aber die Idee, selbst Metal zu spielen, kam mir erst mit 21. Der Metal hat sich mir ins Ohr geschlichen und es war um mich geschehen.
H.: Was mich angeht, war ich schon immer von Gitarren fasziniert. Metal hat mich aufgrund seiner Komplexität und Aggressivität angezogen, die Schwierigkeit, ihn zu spielen, hat mich gereizt. In meiner Familie ist zwar kein Metalhead, aber mein Vater war Rock- und Blues-Fan, und als ich Kind war, habe ich oft seine Eagles- oder Rod-Steward-Sachen gehört. Vielleicht kam so auch die E-Gitarre in mein Bewusstsein.
Ist es in Madagaskar generell einfach, News aus der Szene oder eben auch Tonträger zu bekommen?
M.R.: In Zeiten sozialer Netzwerke und Websites ist es auch für uns hier einfach, mit der weltweiten Szene in Verbindung zu bleiben.
H.: Aber was CDs angeht, nein, die bekommt man hier quasi nicht. Aber selbst, wenn man sie bekommen würde, würde sie niemand kaufen – wie Mandimby schon gesagt hat, kaufen madagassische Metalheads keine CDs. Sie laden sie einfach herunter und damit hat sich’s. Deshalb ist es sehr schwer, hier CDs zu verkaufen.
Welche Metal-Genres sind denn auf Madagaskar am populärsten?
M.R.: Heavy Metal und Hard Rock sind immernoch am beliebetesten. Aber die junge Generation bringt schrittweise neue Genres wie Speed Metal, Hardcore, Death Metal, Djent oder Deathcore auf den Plan.
Was bedeutet es, Metal-Fan in Madagaskar zu sein?
M.R.: Abweichungen von der Norm sind in Madagaskar generell nicht gerne gesehen, da die madagassische Kultur sehr konservativ ist. Insofern wird Metal oft als Gefahr für die madagassische Zivilisation angesehen. Aber eigentlich nicht nur Metal, sondern jede neue Weltsicht, die aus der westlichen Welt herüberschwappt. Abgesehen davon, hören Rocker und Metaller was sie wollen und leben ihr Leben auf ihre Art – ohne sich um soetwas zu scheren.
H.: Für mich hat es keine Auswirkungen auf den Alltag, aber ich zeige den Leuten auch nicht, dass ich ein Metaller bin. Sie wissen es zwar, wenn sie mich kennen, aber das respektiert jeder. Bisher hat sich da niemand reingesteckt, und das ist O.K. für mich.
Ihr spielt selbst in einer Band, BEYOND YOUR RITUAL. Was heißt es, in Madagaskar in einer Band zu spielen? Ist es schwer, Equipment aufzutreiben, aufzunehmen oder auch Locations für Konzerte zu finden?
M.R.: Sich musikalisch auszudrücken ist ein Teil des madagassischen Lebens. Es gibt hier verschiedenste Musikrichtungen und in einer Band zu spielen ist etwas sehr normales. Es gibt sogar Studios, die auf Metal spezialisiert sind, Equipment kann man aus dem Ausland importieren.
Ihr habt 2014 euer drittes Album veröffentlicht. Wie lief das Songwriting und der Recording-Prozess ab?
H.: Wir haben es zu 100 Prozent daheim gemacht: Ich habe ein kleines Studio daheim, wir haben alles selbst gemacht. Was das Songwriting angeht, nun, einer schreibt das Grundgerüst (zum tabben nutzen wir Guitar Pro), schickt es den anderen und jeder versucht, seine Note einfließen zu lassen, es zu editieren oder sagt auch einfach, dass er es schlecht findet und nicht mag. Am Ende gehen wir in den Proberaum, finalisieren es und schauen, ob der Song funktioniert. Später kommen die Texte dazu.
Welche Bands haben euch am meisten inspiriert oder beeinflusst?
H.: Schwer zu sagen, wir haben eigentlich keine speziellen Bands, die uns inspiriert haben. Wir hören ganz unterschiedliche Sachen, von Thrash bis Prog-Djent, insofern haben wir auch sehr weitläufige Einflüsse.
Die malagassische Kultur ist stark vom Christentum geprägt. Seid ihr religiös oder seht ihr einen Konflikt zwischen Religion und Metal?
M.R.: Ja, Madagaskar ist sehr stark vom Christentum geprägt. Ich selbst war immer Freidenker und habe mich schließlich dazu entschieden, meinen Weg mit dem Freimaurertum zu gehen. Religiöse Dinge sind nicht meins, das überlasse ich denen, die daran interessiert sind. Einmal musste ich bei den Freimaurern eine Arbeit mit dem Titel „Untergrund-Kultur und Esoterische Organisation“ präsentieren. Zunächst war ich ziemlich gestresst, so ein Thema präsentieren zu müssen. Aber nachdem ich in der Loge gut aufgenommen worden war, habe ich mich frei und befreit gefühlt. Seit diesem Moment suche ich mir wege, auf denen ich mich nicht ständig rechtfertigen muss.
H.: Ich bin Christ, aber in keiner Weise religiös. Eine der Gemeinsamkeiten in der Band ist, dass wir alle Freidenker sind, und dass wir alle den von den anderen gewählten Weg respektieren. Wir sprechen nicht darüber, und versuchen auch nicht, die anderen dahingehend zu beeinflussen oder dergleichen Unsinn. Um also auf deine Frage eine klare Antwort zu geben: Das steht in keinem Konflikt, nein. Wir sind frei und fühlen uns frei, unsere Gedanken zum Ausdruck zu bringen, um unsere Botschaft darzulegen.
Was bedeutet euch das Metal-Zeichen, die „Devilhornes“?
H.: Es ist nur ein Handzeichen … ich benutze es zum Spaß.
Was war deine beeindruckendste oder intensivste Erfahrung mit Metal?
H.: Der beste Gig überhaupt, 2011. Das Publikum war großartig, der Gig war geil.
Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming:
Disney’s „Madagascar“: M.R.: Der erste Teil war ziemlich typisch „madagassisch“, allgemein fast lächerlich wahr. / H.: Sehr unterhaltsam!
Slayer: M.R.: Ich bin kein großer Fan dieser Band, oder genauer ihrer Art Musik, aber ich bin mir natürlich bewusst, dass sie viel für die Geschichte des Thrash Metal und die Metal-Kultur als solche getan haben. / H.: Ich bin ein großer Fan, aber ich höre sie nicht mehr so oft.
Deutschland: M.R.: Ich hatte von Deutschland immer das Bild der Verkörperung von pragmatischem Denken. Manchmal, wenn ich technisch brillianten und gut strukturierten Metal hören will, suche ich nach deutschen Bands im Internet. Die, die ich wirklich mag, sind beispielsweise Necrophagist oder Centaurus A. Letztes Jahr war ich außerdem auf eine Halloween-Feier eingeladen, auf der ein deutsches Mädchen unter den Gästen war. Ich weiß nicht, ob es an ihr lag, aber ich muss zugeben, dass ich das auch zu würdigen wusste. / H.: Land der großen Leute, harte Sprache, sehr schlau und ein guter Sinn für Humor
Traditionelle malegassische Musik: M.R.: Wie unser sehr vielseitiger Abstammungshintergrund, unsere kulturelle Vielfalt, ist sie sehr reich und authentisch. Was ich persönlich sehr mag, sind die Rhythmus-Figuren – da fängt man direkt an, sich geschmeidig zu bewegen. Unsere Musik ist etwas sehr typisches für die madagassische Identität, vermischt mit dem Insulaner-Gefühl. / H.: Die traditionelle Musik hier ist sehr inspirierend, vor allem für Leute, die nach etwas authentischem, rhythmischem und tropischem zugleich Ausschau halten. Wie Mandimby schon gesagt hat, bringt es dich von der ersten bis zur letzten Note dazu, dich zu bewegen – und wenn du weg bist aus deinem Land, bringt sie dich zum weinen.
BEYOND YOUR RITUAL in zehn Jahren: M.R.: Eine Dekade der Selbstbeobachtung: Uns und die Gesellschaft (Musik, Glaube, Perspektiven, Ziele) … / H.: Evolution: Wir entwickeln uns technisch, musikalisch, spirituell und was unser Selbstvertrauen angeht, kontinuierlich weiter!
Vielen Dank für eure Antworten! Wenn ihr noch etwas über Metal in Madagaskar zu erzählen habt, raus damit:
H.: Metal in Madagaslar …. das ist wie ein Boot in der Mitte des Ozeans, auf dem du Radioempfang hast, der dir erlaubt, alles aus der restlichen Welt zu empfangen … aber du kannst nichts hinaussenden: Keiner hört dich, keiner weiß, dass du da bist. Und auf dem Boot versucht jeder, seinen Weg nach außen zu finden. Aber manchmal vergessen sie, dass sie immernoch alle auf dem gleichen kleinen Boot sitzen.
Total geniale Reihe, wirklich. Bin gerade erst darauf gestoßen und lese mich soeben durch die Seiten! Super Sache und auch ganz hervorragend geschrieben.
Vielen Dank für die netten Worte – sowas liest sich gerne! Bleib dran, es kommen noch viele spannende Teile dieser Serie!
Selbstverständlich, bin ich doch schon seit 10 Jahren :)
Umso besser. Danke für 10 Jahre Vertrauen in unsere Arbeit!
Damit auch eine Rückmeldung kommt:
Ich finde diese Serie großartig. Danke dafür!
Vielen Dank für das positive Feedback – freut uns! Bleib uns als Leser treu, es kommen noch viele weitere, spannende Teile dieses Specials!