Festivalbericht: Tanzt! 2015

21.11.2015 München, Backstage

Präsentierte sich das TANZT!-Festival bereits 2014 von seiner härteren Sorte, so behält der Veranstalter den Kurs dieses Jahr bei. Mit den Schweizer Folkmetal-Ikonen Eluveitie begrüßt die Veranstaltung obendrein ihren bis dato größten Headliner. Doch damit nicht genug: Im vierten Block ihrer „Origins“-Welttournee spielen Frontmann Chrigel und die übrigen Bandmitglieder in München ein besonderes Set mit einem akustischen Zwischenteil. Dazu nutzen die Freibeuter von Vroudenspil ihr Haus- und Hoffestival, um mit ihren Fans den Release ihres neuen Studiowerks „Fauler Zauber“ zu zelebrieren. Zusammen mit dem verbleibenden Programm feiert das TANZT! sein vielleicht musikalisch bestes Jahr.

THE PRIVATEER als bis dato metallastigster Opening Act des TANZT! stellen bereits am frühen Nachmittag die Weichen für ein hervorragendes Festivalprogramm. Zwei Alben und eine Demo bringen die Musiker aus dem Breisgau mit – und überzeugen mit 30 ausgewogenen Minuten. Sänger Pablo mischt seine Growls mit Klargesang und wird dabei vereinzelt von Geigenspielerin Clara unterstützt. Die Kompositionen aus „Facing The Tempest“ und „Monolith“ sind durchweg geprägt von melodiöser Härte. So erinnern THE PRIVATEER etwas an die jungen Eluveitie in dreckiger Piratenkluft. Das bereits jetzt zahlreich anwesende Publikum feiert bereitwillig mit den Musikern auf der Bühne, die ihr kurzes Set klug struktieren, und konsequenterweise fliegen bereits früh die ersten Matten durch die Luft. Mit dieser Musikrichtung zu dieser Zeit mehr aus einem halbstündigen Set herauszukitzeln dürfte schwierig sein. Am ehesten gelang dies beim TANZT! noch Vermaledeyt vor einigen Jahren, jedoch mit deutlich sanfteren Tönen. So zählt der härteste Opener insgesamt betrachtet auch zu den besten in der Geschichte des Festivals.

In eine ähnliche Kerbe wie The Privateer schlagen anschließend die Regensburger INGRIMM. Im Vergleich zum Opener deutsch-folkrockiger, profitiert die Combo rund um den stimmgewaltigen Neu-Frontmann Rene von der Nähe zu ihrer Heimat sowie von einigen Klassikern wie „Sag mir nicht“ oder „Teufelsweib“, die sich zu einer Auswahl an Songs vom letzten Longplayer „Henkt ihn!“ gesellen. Das neueste Material, das auf CD eher wenig mitreißt, offenbart live, allen voran durch Dudelsackspieler Hardy, durchaus seine Qualitäten. Bereitwillig hebt die Menge ihre Trinkhörner, Krüge und andere Gefäße, als INGRIMM mit „Skudrinka“ zwischenzeitlich sogar traditionell mittelalterliche Klänge anschlagen. Weitere Nummern wie „Diaboli“ oder „Tempus Fugit“ runden das gelungene Set ab. Ein bemerkenswerter Achtungserfolg der folkmetallischen Sechsers, der abseits des TANZT! in den letzten Jahren eher selten vor größeren Mengen zu sehen gewesen ist. Dies könnte sich nun ändern.

Ähnlich wie Ingrimm sind auch die Berliner CULTUS FEROX etwas aus dem Fokus der hiesigen Mittelalter-/Folkrockszene gerückt. Im Gegensatz zu den Oberpfälzern allerdings zurecht, wie sich schnell herausstellt. Sich selbst bezeichnen die Hauptstädter auf ihrem neuen Werk ironisch als „Nette Jungs“, zusammen mit den „Freaks“ von Harpyie liefern sie sich auf der dazugehörigen Tour ein entsprechendes Duell um die Publikumsgunst. Beim TANZT! ist die Konkurrenz in München ungleich größer, so dass der musikalische Qualitätsabfall bereits beim ersten Bassgewummer unüberhörbar ist und auch die wechselnden Verkleidungen der Bandmitglieder nicht über eine äußerst fragwürdige Performance hinwegtäuschen können. Besonders wenn Strahli der Animator sich dem Mikrofon nähert, droht die „wilde Lebensart“ (so die Übersetzung des Bandnamens) schnell zur „exzessiven Trommelfellbelastung“ auszuarten. Dass das Endprodukt (vor dem wahrscheinlich größten Publikum der jüngeren Bandgeschichte) derart mies klingt und lieblos wirkt, überrascht dann doch ein wenig. Etwas überspitzt ausgedrückt wirken CULTUS FEROX wie 9mm Assirock mit Dudelsack. Dies mag einem gewissen Klientel gefallen, aber genau dort endet die Herrlichkeit der Berliner Charmeoffensive. Selbst wer auf der neuen CD noch Spaß am hingerotzten Partyfolk hat, verzweifelt live leicht an der Kombination aus unterirdischem Gesang, nackten Ärschen und einer Präsentation, die ab und an von der Intonation des Sprachrohrs her an Corvus Corax erinnert. Indiskutabel – und das nicht auf die liebenswürdige Art und Weise.

Deutlich sympathischer kommen die Nordlichter von KNASTERBART bei ihrem ersten Auftritt in München daher. Über den Umweg Feuertanz nahmen Hotze, Fummelfips und Co. dieses Jahr Kurs auf die bayerische  Landeshauptstadt. Dass sie mit ihren Gossenhauern die richtigen Töne anschlagen, beweist der Siebener anschließend in 50 stimmungsgeladenen Minuten, die die Berliner Proletenparty zuvor schnell vergessen lassen. Denn genau hier liegt der Unterschied: KNASTERBART kokettieren mit ihrem Image auf musikalisch hohem Niveau, was unter anderem Fidolin bei seinen Soli an der Geige eindrucksvoll beweist. Die Truppe kleckert nicht, sie klotzt und die Feierlaune im Backstage mündet langsam in den Abend, während KNASTERBART unter anderem der “Leckeren Lotta” huldigen, “Branntwein für alle” fordern und ihr „Gossenabitur“ (nebst „Gossenabitanz“) zelebrieren. Kompositorisch ist dies alles allererste (Gossen-)Sahne und verglichen mit dem übrigen Billing merklich softer. Im Gegensatz zum Feuertanz stimmt bei den Nordlichtern dieses Mal auch die Anordnung der Songs. Folgerichtig schwenkt München feierlich die Fahnen der BVP (Branntweinvolkspartei) und KNASTERBART feiern ein gelunges Debüt jenseits des Weißwurstäquators.

Alte Bekannte in München sind die Italiener FOLKSTONE, die bereits mehrfach zum Line-Up des TANZT! zählten, letztmals 2012 in der kleineren Backstage Halle. Drei Jahre später spielen Sänger Lore und der Rest der spielfreudigen Südeuropäer erstmals im größeren Werk auf. Mit dabei haben die Folkrocker ihr neues Album “Oltre… l’Abisso”, das allerdings keine zentrale Rolle in der Show einnimmt. Stattdessen mischen FOLKSTONE ihr Set querbeet durch, worunter ein wenig die Struktur bzw. der Konzertaufbau leidet. Das Publikum nimmt beispielsweise erst nach dem zweiten Song wirklich aktiv an der Show teil, und vereinzelt ebbt die Stimmung während der 50 Minuten Spielzeit ab, besonders wenn die Italiener zwischen ihren Stücken verhältnismäßig lange Pausen einstreuen. Als Stimmungsgaranten kristallisieren sich an diesem Abend die Bandhymne “Folkstone” , das neue “In Caduta Libera” und “Il Confine” vom gleichnamigen Longplayer am Ende des Set heraus. Auf weitere TANZT!-etablierte Live-Kracher wie “Terre Santa” und “In Taverna” muss das Publikum verzichten. So kann am Ende des Auftritts, vor allem bei langjährigen Weggefährten der Band, der Eindruck entstehen, dass insgesamt etwas mehr möglich gewesen wäre.

Nach einigen Jahren “Pulverdampf” präsentieren VROUDENSPIL vor heimischer Kulisse erstmals ihr neues Album “Fauler Zauber” beim TANZT! 2015. Die neuen Stücke, welche mit “Am Weltenrand” und “Knochensack” zum Teil liveerprobt nach München kamen, erweisen sich als willkommene Frischzellenkur im Freibeuter-Folk der letzten Jahre. Die frischen Melodien kommen durchweg sehr gut an und können das Publikum direkt überzeugen. Während “Püppchen” im frechen Tanz-Rhythmus daherkommt, zeigen die Wahl-Piraten bei “Fauler Zauber”, dass sie auch anspruchsvolle Taktwechsel in einen Ohrwurm-Garanten verpacken können. Trotz der mysthischeren und düstereren Auslegung des neuen Albums behalten sich VROUDENSPIL stets ihr Augenzwinkern und ihre gute Laune bei. Neuzugang Zora drückt den Stücken mit ihrem Bass und ihrer frechen Art zudem hörbar ihren Stempel auf. Natürlich werden auch die altbewährten Stücke nicht vernachlässigt: “Spilmannsweise“, „In der Halle des Dattelschnapskönigs“ und “Meute toter Narren“ beispielsweise finden ebenfalls ihren Platz im Set. So ist die Setlist an diesem Abend vielfältig und unterhaltsam, und das ebenso gut gelaunte Publikum dankt es den Freibeutern mit lauten Chören und Mitmach-Fieber. Da stört es überhaupt nicht, dass VROUDENSPIL am Schluss auf eine Zugabe und damit auf den “Unwichtigen Bösehold” verzichten (müssen).

Als letzte Band und damit Headliner des TANZT 2015 beweisen ELUVEITIE eindrucksvoll, warum sie zurecht einer der größten Namen dieses Musikgenres sind. Die Besonderheit: Schon im Vorhinein kündigte die Band für ihr TANZT!-Konzert an, sowohl ihr Metal-Set als auch einen längeren Akustik-Block zu spielen. Für ein Festival eine ungewöhnliche Entscheidung, doch das Konzept geht auf. Brachial und kraftvoll holen die Schweizer das Publikum direkt bei ihrer Feierlust ab, und Metal-Fans kommen bei Songs wie “Origins”, “Nil” oder “Thousandfold” voll auf ihre Kosten. Dass ELUVEITIE mitten in ihrer internationalen Tournee stecken und im September kurzfristig sogar die Violinistin austauschen mussten, ist nicht zu spüren. Im Gegenteil, die Folk-Metaler sind froh, wieder so nah an der Heimat zu sein, und geben ihre Ohrwurm-Single “The Call of the Mountains” direkt auf Switzerdütsch zum besten – “De Ruef vo de Bärge”. Mit Drehleier-Spielerin Anna am Mikrofon ist auch direkt der sanfte Übergang zum Akustik-Block gegeben: Mit der Metal-Version von “Omnos”, aber auch Stücken wie “Brictom” und “Memento”, die alle auf dem Akustik-Album “Evocation I: The Arcane Dominion” zu finden sind, werden Puls von Band und Publikum heruntergefahren und der Folk-Anteil kräftig nach oben geschraubt. Als schließlich alle Bandmitglieder bis auf Anna die Bühne verlassen und das Licht gedämpft wird, kommen auch die Feierwütigen zur Ruhe, bis man schließlich bei der Gänsehaut-Performance von “Scorched Earth” Stecknadeln fallen hören könnte. Sänger Chrigel, begleitet von akustischen Melodie-Instrumenten, findet zu traditionellen keltischen und irishen Melodien die richtigen Worte: Diese Musik ist mitunter die älteste der Welt, wird von Generation zu Generation verändert und neu interpretiert, und verliert dennoch nie ihre Seele. So entführen ELUVEITIE mit minimalster und maximalster Besetzung in alte, mystische Zeiten. Mit “Carnutian Forest” schließen die Eidgenossen ihren Akustik-Block ab und heizen dem Publikum noch einmal ordentlich ein, bevor sie die Bühne verlassen – und sie natürlich noch einmal für ihren Dauerbrenner “Inis Mona” betreten.

Alles in allem kann das TANZT! auch 2015 voll überzeugen. So ist die musikalische Qualität – mit der inzwischen beinahe obligatorischen Ausnahme – durchgehend auf einem hohen bis sehr hohen Niveau, und Bands wie Publikum durch sympathische Auftritte stets gut gelaunt. Das wahrscheinlich beste TANZT! seit dem Umzug ins Backstage Werk legt in der Gangart definitiv einen Zahn zu und hat mit ELUVEITIE einen Headliner der besonderen Art gefunden, der mit seinem speziellen Mix aus Metal und Folk die Grundpfeiler des TANZT! perfekt zum Ausdruck bringt.

Doch nicht nur die einzelnen Auftritte, sondern auch der menschliche und atmosphärische Rahmen lässt nicht zu wünschen übrig. Auf eine “Lückenfüller-Band” zwischen den Umbaupausen wurde wie schon im Vorjahr verzichtet, dafür zeigen sich die Bands durch lange Autogrammstunden sehr publikumsnah, und direkt am Eingang gibt es erstmalig einen großen Metverkauf. Das stets hohe Niveau des Festivals sowie das unermüdliche Engagement des Veranstalters, der Jahr für Jahr nach Verbesserungen im Konzept, neuen Highlights sowie passenden, abwechslungsreichen Bands aus dem In- und Ausland sucht, machen das TANZT! zum Pflichttermin für Folk-Liebhaber und gestaltet das Festival auch für Szenekenner und regelmäßige Konzertgeher dynamisch und besuchenswert. Für viele Bands aus dem Norden Deutschlands sowie aus dem Ausland ist das TANZT! bereits ein Sprungbrett nach Bayern bzw. nach Müchen geworden. Eine willkommene Entwicklung für beide Seiten. Kommendes Jahr feiert das TANZT! sein 10-jähriges Jubiläum – und wenn es so weitergeht, wird es dieses besondere Festival sicherlich noch lange geben.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Peter Seidel / http://www.metalspotter.de – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Konzert!

 

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