Mitten in Hamburg steht das Logo mit seiner niedrigen Decke und der flachen, breiten Bühne. Darauf stehen heute – am sechsten Oktober 2015 – die drei nordamerikanischen Hardcore-Bands CAPSIZE, SENSES FAIL und COUNTERPARTS im Rahmen der „Tragedy Will Find Us EU/UK Tour 2015“.
Den Anfang machen die Jungs von CAPSIZE und katapultieren mit ihrem Melodic Hardcore die Fans in Sekunden von Null auf Hundert. Schon im Zuge der ersten Klänge von „I’ll Take The Blame“ beginnt ein heftiger Moshpit mit Tendenzen zum Violent Dancing und die überwiegend sehr jungen und in größerer Zahl männlichen Gäste shouten die Texte mit. Leider ist zumindest anfangs die Akustik nur mit viel Wohlwollen noch „mittelmäßig“ zu nennen, was vor allem die Stimme von Sänger Daniel Wand ins schwer Erträgliche verschiebt. Seine Ansagen zwischen den Songs werden so sehr von ununterbrochenem Gitarren-Lärm übertönt, dass die Interaktion mit den Fans kaum funktioniert. Die sind allerdings bestens drauf und feiern sehr, als die Band ihr Konzert für einen Song teilweise von der Bühne in die Menge verlagert.
Dass Daniel auch clean singen kann, beweist er in einem neuen Song, der eine angenehme Entwicklungsrichtung von CAPSIZE andeutet, da er geradezu eine Erholung für die an die Schmerzgrenze geshouteten Ohren darstellt. Den Beweis, dass CAPSIZE auch besser klingen können, als sie es heute im Logo tun, liefert zum Beispiel das 2014er Album „The Angst in My Veins“, dessen namensgebender Titelsong nach 30 Minuten den Auftritt abschließt.
SENSES FAIL bringen eine Mischung aus Post-Hardcore und poppigem Punk mit. Anfangs wirkt ihre Fangemeinde deutlich kleiner und nur drei bis vier sehr junge Männer stehen direkt vor der Bühne und schreien Sänger James Nielsen seine Songtexte entgegen. Der präsentiert sich etwas verwirrend: Während ihm zuerst eine Hipster-Ausstrahlung zwischen Hooligan und Holzfäller anhaftet, der auch mal Liegestützen in seinen Tanzstil einarbeitet, schwingt er im Verlaufe des Auftritts geradezu rührende Reden über Toleranz und gegen Drogen, denn wie er sagt: „The stage is a privilege. So I have to say something.“
Auch wenn seine Stimme gelegentlich ein wenig zu schwach für die Shouting-Parts klingt, weiß er gemeinsam mit den anderen Musikern von SENSES FAIL, wie man das Publikum für sich gewinnt. Mit jedem Song nimmt die Bewegung und die Aufmerksamkeit im Raum zu. Auch der schnelle Wechsel zwischen schreiend schmerzverzerrtem Gesicht und beinahe verträumt wirkenden Pirouetten trägt einen nicht unwesentlichen Teil dazu bei. SENSES FAIL können heute sicher einige neue Interessenten für ihre Musik gewinnen, der man in aktueller Ausführung auf dem Album „Pull The Thorns From Your Heart“ lauschen kann.
Anfang des Jahres waren sie als Vorband von ARCHITECTS bereits in Hamburg, heute sind sie das Zugpferd für die „Tragedy Will Find Us EU/UK Tour 2015“: COUNTERPARTS. Nach den eingängigeren und milderen Klängen von Senses Fail gibt es bei den Kanadiern mit metalcorigem Melodic Hardcore wieder richtig was aufs Fressbrett. In den starken Hardcore-Sound schleichen sich zahlreiche Breakdowns. Wirklich viele Fans flippen außergewöhnlich stark aus, sodass schon im zweiten Song das Crowdsurfen beginnt – was aufgrund der niedrigen Decke einen witzigen, eingeklemmten Eindruck macht. Dass dabei nicht alle Scheinwerfer in ihren vorgesehenen Positionen bleiben, stört gerade niemanden.
Der Song „Ghost“ vom 2013er Album „The Difference Between Hell And Home“ wird allen Menschen mit schweren Krankheiten gewidmet, was allerdings kaum zu hören ist, weil die Ansage wieder mal von Gitarren-Lärm übertönt wird. Immer wieder bedankt sich Sänger Brendan Murphy sehr ehrlich bei den Fans. Zu Recht, denn die liefern sich vor der Bühne einen regelrechten Violent-Dance-War und stürmen bei Mitsing-Parts die Bühne, um gemeinsam ins Mikrofon zu brüllen. Immer wieder fliegen junge Männer regelrecht über andere hinweg, aber ernsthafte Verletzungen scheint es heute keine zu geben.
Einen Einblick in das aktuelle musikalische Potenzial von COUNTERPARTS liefert das Album zur Tour: „Tragedy Will Find Us“.
Ein gemischter Abend im Zeichen des Melodic Hardcore liegt hinter den erschöpften Fans. Während die Stimmung bei allen drei Bands herausragend war, blieb die Akustik von CAPSIZE über SENSES FAIL bis COUNTERPARTS hinter den Erwartungen zurück. Auf der einen Seite verursachte unnötiger Lärm während der Ansagen Kommunikationsprobleme und die Musik hätte trotz des rohen Hardcore-Sounds gerne etwas sauberer klingen dürfen, aber auf der anderen Seite ging das durchschnittlich sehr junge Publikum fanatisch auf die Bands ab und unzufriedene Gesichter waren in der deutlichen Minderheit.