Interview mit Al-Namrood (Saudi-Arabien)

Während Metal bei uns kaum noch als rebellisch wahrgenommen wird, kann diese musikalische Vorliebe andernorts auf der Welt lebensbedrohlich sein. Zum Auftakt unserer Serie „Metallisierte Welt“ ein bereits 2015 veröffentlichtes Interview mit AL-NAMROOD aus Saudi-Arabien, in dem Enthauptungen nicht im Kontext makabrer Songtexte, sondern als realistische Strafe für die Musiker einer Black-Metal-Band auftauchen.

Die Black-Metal-Bands aus Saudi-Arabien kann man an einer Hand abzählen, AL-NAMROOD ist eine davon. Macht dich das traurig oder stolz?
Sehr stolz!

Wie bist du persönlich mit (Black) Metal in Kontakt gekommen?
Ein großes Interesse an düsteren Themen war sicher die größte Treibkraft auf dem Weg zum Black Metal. Wir sind von Dunkelheit, Bösartigkeit, Ungerechtigkeit, vom Obskuren, Dämonischen und dem Blutvergießen in düsterer Vergangenheit angetrieben – alles Themen, die man im Black Metal findet.

AlNamrood - حين يظهر الغسقWie schwer ist es in deiner Heimat, Zugang zu solcher Musik zu erlangen? Mal eben die neue Slayer-CD kaufen gehen dürfte sich schwierig gestalten, oder?
Natürlich gibt es da Einschränkungen – du wirst keine Black-Metal-CDs in Musikgeschäften bekommen … zumindest nicht offiziell. Insofern ist es keine Option, diese Musik einfach in lokalen Shops zu kaufen. Man muss nicht extra erwähnen, dass diese Geschäfte sowieso immer wieder Ärger mit der „Religionspolizei“ bekommen, einfach, weil sie Musik verkaufen. Unlängst haben Virgin ein paar Shops aufgemacht, allerdings unter starken Einschränkungen, was Merchandise und sonstige Artikel wie Bücher und Filme angeht.

Kauft ihr eure CDs also dann im Internet, oder ist auch das zu gefährlich?
Gefährlich nicht, allerdings trotzdem riskant: Online bestellen ist die beste Methode, aber ob man die Bestellung dann auch bekommt, ist reine Glückssache. Es hängt einfach davon ab, welcher Zöllner die Sendung bearbeitet und ob der das Päckchen einfach weiterleitet oder es als inakzeptabel deklariert – letzteres bedeutet, dass sie die Sendung einbehalten und später zerstören.

Wann kam für dich der Punkt, an dem du gemerkt hast, dass du nicht nur Black Metal hören, sondern auch aktiv spielen willst?
2007 haben wir über ein Black-Metal-Projekt diskutiert. Das hat einigen Freunden von uns nicht gepasst, denen wir (leider) vertraut hatten. Diejenigen, die verstehen, worum es dabei geht, lehnen Black Metal oft rigoros ab. Es war also extrem schwer, Mitstreiter zu finden, weshalb wir das Projekt zunächst als Duo in Angriff genommen haben. Wir haben damals Mephisophilus, eine sehr rohe Black-Metal-Band, gegründet. Als die Idee aufkam, Arabische Musik mit Black Metal zu kombinieren, kam dann ein drittes Bandmitglied für das arabische Keyboard dazu. 2008 haben wir dann Mephisophilus aufgelöst und AL NAMROOD gegründet.

Al-Namrood - Estorat TaghootWas bedeutet es, in Saudi-Arabien eine Metal-Band gründen zu wollen? Wie schwer ist es Mitglieder zu finden, Instrumente zu kaufen, einen Proberaum zu finden und dergleichen mehr?
Vor ungefähr zehn Jahren gab es hier so etwas wie eine Mini-Szene aus Bands, die Metal oder Rock gespielt haben – aber meist nur in privaten Zusammensetzungen im Ausland.  Wir konnten mit dieser Mini-Szene Kontakt aufnehmen, aber unsere Idee von Metal war dort nicht willkommen: Die lokalen Metal-Bands wollten diese Art Musik machen und dabei die Werte und Normen islamischer Tradition aufrecht erhalten. Wir empfinden das als sehr widersprüchlichen Ansatz, da Metal-Musik rebellisch und von natur aus liberal ist. Diese extrem unterschiedliche Sichtweise sorgte für Schwierigkeiten. Zumindest zwei Leute aus dieser Szene konnten sich aber arrangieren: Mephisto und Humbaba hatten ähnliche Sichtweisen und als sie Ostron getroffen haben, der sie schließlich mit Mukadars, unserem ehemaligen Sänger, in Kontakt gebracht hat, ging die Sache los. Weil wir absolut keinen Support von dieser Szene hatten, mussten wir alles in Eigenproduktion daheim machen. Das Equipment haben wir im Internet gekauft – alles im Verborgenen.

Was bedeutet der Name AL NAMROOD eigentlich und warum ist es der perfekte Name für diese Band?
Der Name AL NAMROOD ist an den Namen des Babylonischen Königs Nimrod angelehnt. Man kann den Namen auf verschiedene Arten interpretieren – AL NAMROOD ist der historische König, der das Göttliche verteidigt hat, dann hat es den rebellischen Aspekt und als drittes beschreibt es auch den Konflikt in unserem Leben sehr gut. Als es um den Namen ging, gab es auch keine lange Diskussion, weil wir zuerst den Song “Atba’a AlNamrood” geschrieben hatten – wir waren der Meinung, dass dieser Name den einzigartigen Wert unserer musikalischen Message gut repräsentiert.

Was ist denn diese Message eurer Texte?
Die Texte vereinen unsere Ideologie und Lebensereignisse mit religiöser Tyrannei, wie sie in unserem Land noch praktiziert wird. Dabei verbinden wir das Erzählerische mit historischen Aspekten, da wir bis ganz an die Wurzeln gehen wollen. Bei AL NAMROOD setzen wir all unsere Aggression und Frustration in intensiver Musik um.

Al-Namrood - Astfhl Al Tha'rWie schon angesprochen kombiniert ihr Black Metal mit typisch Arabischen Elementen und Skalen, was eure Musik sehr einzigartig macht. War euch von Anfang an klar, dass ihr diese Richtung einschlagen wollt und wie schwierig war es, diese Elemente in einen Black-Metal-Kontext zu stellen?
Das Ziel von AL NAMROOD war von Anfang an, diesen musikalischen Bastard zu erschaffen – das war der Grund, warum wir Mephisophilus aufgelöst haben. Wir wollten uns mehr auf diese Art zu komponieren konzentrieren, weil die Arabische Vierteltonskala sehr verschieden ist zur der einer E-Gitarre. Zwei verschiedene Tonsysteme zu kombinieren war eine Herausforderung, die viel Zeit in Anspruch genommen hat und einen gewissen Lernprozess erforderte – aber mittlerweile gelingt uns das sehr gut. Ich denke, wir haben mit unserer Idee Erfolg gehabt.

Ihr müsst bei der ganzen Sache komplett anonym bleiben, weil in eurer Heimat verboten ist, was ihr tut. Welche Konsequenzen hättet ihr zu befürchten, wenn eure Namen herauskommen?
Das hängt von den Anklagepunkten ab: Wenn man als Aufständiger angeklagt wird, bekommt man eine Gefängnisstrafe kombiniert mit einer Anzahl an Peitschenhieben und einem Reiseverbot für eine bestimmte Zeit. Wenn die Anklagepunkte schwerer wiegen und man für Gottlosigkeit verurteilt wird, wird das Gericht eine öffentliche Hinrichtung durch Enthauptung anordnen. Diese Bestrafungen sind hier ganz normal und es passiert quasi regelmäßig, insofern hat sich jeder dran gewöhnt.

Wissen eure Familien von eurer Band?
Nein, sie wissen nichts davon. Das wäre ein zu großer Schock für sie, deshalb behalten wir das lieber für uns. Außerdem könnten sie sonst Probleme bekommen, wenn wir auffliegen.

Erwartest du, den Tag zu erleben, an dem es in Saudi-Arabien legal und akzeptiert sein wird, Black Metal zu spielen?
In tausend Jahren nicht! Und das ist keine Übertreibung, nachdem es in diesem Land immer schlimmer wird.

Gibt es in Saudi-Arabien trotzdem eine Art Metal-Szene?
Wie vorher angesprochen gibt es eine sehr kleine, selektive Szene, vergleichbar mit einer Geheimgesellschaft. Wir waren mit dieser Szene früher in Kontakt, aber wie es um diese Szene heute steht und was mit den Leuten passiert ist wissen wir nicht.

Ihr habt also keinen Kontakt zu anderen Underground-Bands aus eurer Region?
Nein, wir haben schon vor langer Zeit den Kontakt verloren.

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Eure CDs erscheinen über das kanadische Label Shaytan, das sich auf arabischen Metal konzentriert hat. Wie kam der Kontakt zustande?
Shaytan Productions haben uns damals noch über Myspace gefunden, gerade einmal zwei Monate, nachdem wir AL NAMROOD aus der Taufe gehoben hatten. Es war ein echter Glücksfall, dass sie uns gefunden haben.

In eurer Heimat könnt ihr aus gegebenen Umständen nicht auftreten – wäre eine Tour in Amerika oder Europa ein Traum für euch?
Selbstverständlich!

Vielen Dank für das Interview und Respekt für eure Hingabe. Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Europa: Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Orphaned Land: Witzlos
Slayer: Legenden
Saudi-Arabien: Trostlosigkeit
Black Metal: Phänomenal
ALNAMROOD in zehn Jahren: Auf Tour!

Die letzten Worte gehören dir:
Danke für die Unterstützung!

Bereits im Jahr 2010 veröffentlichten wir ein Special zu Shaytan Productions und Arabischem Metal. Alle Reviews zum diesem Thema sowie ein ausführliches Interview mit Labelgründer Shahid findet ihr hier:

>> Zum Shaytan-Productions-Special …

shaytan

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Ein Kommentar zu “Al-Namrood (Saudi-Arabien)

  1. Ein wunderbares Interview! Ganz groß! Mich hätte noch interessiert, ob jemand aus der Band mal Gedanken dazu gemacht hat, das Land zu verlassen.

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