2009 in Hamburg gegründet, legt das Instrumental-Sludge-Trio SHAKHTYOR nun mit „Tunguska“ sein zweites Album vor. Gitarrist Chris über die Vorzüge rein instrumenteller Musik, die Bedeutung hinter dem kryptischen Bandnamen und die Bedeutung von Songtiteln für Musik ohne Texte.
Gratulation zu eurem zweiten Album, „Tunguska“. Seid ihr mit den Reaktionen auf das Album bislang zufrieden?
Vielen Dank! Insgesamt sind wir mit den Reaktionen zufrieden, ja. Wir haben einige sehr positive Reviews bekommen, das freut natürlich. Andererseits haben wir aber, wie auch schon beim ersten Album, einige Verrisse kassiert. Aber offen gestanden sehen wir das, was dort kritisiert wird, meist als genau das an, was für uns die Idee hinter unserer Musik ist. Insofern ist es natürlich im ersten Moment ärgerlich, aber die Geschmäcker sind halt verschieden.
Drei Gefühle, die du spontan mit dem Album verbindest?
Oh Mann, jetzt zwingst Du mich aber, glaube ich, hier Klischees zu bedienen. Ich höre das Album – und auch andere Bands des Genres – sehr gerne, wenn ich alleine in der Natur unterwegs bin und die Musik gibt mir dann so ein Gefühl von Weite und Freiheit, sie lässt meine Gedanken schweifen. Und auch wenn ich das Wort nicht so gerne mag, empfinde ich schon Stolz, denn wir haben eine ganze Menge Arbeit und Herzblut in die Scheibe und das drumherum gesteckt und wir sind mit dem Resultat top zufrieden.
Und welche Gefühle erhoffst du dir, mit eurer Musik beim Hörer auszulösen?
Ich würde mir wünschen, dass es uns auch mit diesem Album wieder gelingt, dass Leute sich in die Musik fallen lassen können. Das ist etwas, was wir auf Konzerten häufig gehört haben. Gleichzeitig möchten wir die Leute aber auch zum Abgehen und Headbangen animieren, gute Laune erzeugen. Und schließlich wäre es cool, wenn sich – ähnlich wie bei uns selbst – bei den Leuten im Zusammenhang mit den Songtiteln im Kopf eigene Filme entwickeln. Meines Erachtens muss man nicht durch einen Text vorgeben, worum es geht, es ist doch cool, wenn man nur durch ein Stichwort die Fantasie anregt und sich jeder seinen eigenen Plot dazu denken kann.
Ihr scheint ein Faible für ausgefallene Namen zu haben. Wofür steht „Tunguska“?
Tunguska ist der Name einer Region in Sibirien, wo es 1908 zu einem bis heute nicht vollständig geklärten Ereignis gekommen ist. Dabei wurden über 2000 km² Wald vollständig verwüstet. Am wahrscheinlichsten gelten bis heute ein Meteoriteneinschlag oder eine unterirdische Gasexplosion wobei ich persönlich selbstverständlich der Theorie eines abgestürzten UFOs anhänge. [lacht] Wir haben den Titel gewählt, weil wir finden, dass er den Charakter unserer Musik recht gut wiederspiegelt: Brachiale Akkorde treffen auf filigrane Passagen, endlose Weiten, Rätsel, Mystik.
Wenn wir gerade dabei sind: Was steckt hinter eurem Bandnamen, SHAKHTYOR?
SHAKHTYOR haben wir damals gewählt, weil wir einerseits etwas suchten, was die Schwere unserer Musik ausdrückt und etwas rätselhaft ist. Und es war uns wichtig, etwas außergewöhnliches und klischeefreies zu haben. Ich habe schon in einigen Bands gespielt und anders als mit SHAKHTYOR war eigentlich meist irgendwo der Punkt, wo man mit dem Namen nicht mehr zufrieden war, ich glaube wir haben es hier ziemlich gut getroffen.
Ihr arbeitet rein instrumental – warum habt ihr euch gegen einen Sänger entschieden, bzw. war Gesang bei euch je Thema?
Wir haben am Anfang kurz diskutiert, ob wir einen Sänger dazu nehmen wollen, haben uns dann aber bewusst dagegen entschieden. Wir wollten es einfach versuchen, da wir selbst eine ganze Menge instrumentale Musik hören. Ich finde es auch ausgesprochen schwierig, einen passenden Sänger zu finden. Meist prägt der Gesang den Gesamteindruck einer Band sehr stark und verleitet auch dazu, die Details in den Instrumenten aus dem Blick zu verlieren. Unsere Songs sind ja ohnehin nicht wie klassische Rocksongs angelegt sondern leben eher von den Entwicklungen. Wenn mir im Hinblick auf Gesang bei SHAKHTYOR überhaupt etwas fehlt sind es Passagen, die man mitsingen kann, aber für prägnante Refrains bieten sich eben unsere Songs eh nicht an.
Texte sind ja für viele Bands nicht nur Beiwerk, sondern ein weiterer, wichtiger Weg, ihrer Kreativität Ausdruck zu verleihen. Ihr verzichtet darauf bewusst komplett. Meint ihr nicht, dass auch eure Musik durch zumindest Stellenweisen Gesang noch an Vielschichtigkeit dazugewinnen könnte?
Natürlich ist es nochmal ein weiterer Aspekt, aber nur weil er nicht da ist heißt es ja nicht, dass er fehlt. Wieviele Genres gibt es denn, in denen es vollkommen selbstverständlich ist, dass ein Großteil der Kompositionen ohne Gesang auskommt: Jazz, Klassik, der ganze Technobereich, Kraut und diverse andere. Ich kann es nicht so ganz nachvollziehen, dass sobald eine klassische Rockbesetzung am Start ist, nicht vorhandener Gesang sofort Anlass für Fragen oder sogar Kritik und Unverständnis ist. Wir sind halt gezwungen, andere Akzente zu setzen und darin liegt auch eine Herausforderung.
Kann man bei Instrumental-Alben von Konzeptalben sprechen, und wenn ja, ist “Tunguska” ein solches?
Es gibt sicher eine Menge Instrumentalalben, hinter denen ein Konzept steckt, bei „Tunguska“ ist das nicht so. Trotzdem sind wir der Meinung, dass das Album als Ganzes am besten funktioniert, auch wenn jeder Song natürlich für sich alleine stehen kann.
Wie findet man für einen Instrumental-Song einen passenden Titel, beziehungsweise woran macht man fest, ob der Titel passt oder nicht?
Wir haben erst nach dem ersten Album angefangen, uns passende Titel für die Songs zu überlegen. Beim ersten Album waren es noch irgendwelche Begriffe, über die wir gerade viel gesprochen hatten, während der Song entstand. Bei Tunguska war es dann so, dass wir uns zu dem Charakter des Songs passendes überlegt haben. Meist findet sich das dann in so einem Dreieck aus „Bergbau“ – „Russland“ – „Science Fiction“. Und wenn dann ein Titel gefunden ist, entwickelt sich dazu auch eine Story zur Musik. Als Beispiel nenne ich mal „Solaris“. Dazu haben wir jetzt auch gerade ein Video veröffentlicht, das mit Bildern zum Thema des gleichnamigen Romans spielt.
Wie viel Bedeutung messt ihr einem Songtitel bei? Glaubst du, dass der Titel eines Songs in seiner Bedeutung wächst oder verliert, wenn er keinem Text übergeordnet ist, sondern quasi alleine den Song beschreiben muss?
Das kann ich nicht mit entweder – oder beantworten. Wie vorher schon erwähnt, ich finde es selbst auch spannend, mir nur anhand eines Stichworts zu überlegen, was die Musik ausdrückt. Insofern ist es etwas vollständig anderes, ob ich einen Titel zu einem Instrumental-Song oder zu einem Text habe. Habe ich nur den Titel, bin ich letztendlich fast gezwungen, mir selbst etwas zu überlegen. Andersrum möchte ich bei bestimmten Titeln ehrlich gesagt den Text dann lieber auch gar nicht kennen.
Plant ihr eine Tour oder zumindest Einzelgigs, um das Album zu promoten?
Wir haben ab Juni bislang neun Gigs für den Rest des Jahres fest, sechs davon im Zeitraum Oktober/November, evtl. kommen noch zwei, drei dazu, ich denke dass ist nicht so schlecht, da sind große Bands des Genres auch nicht unbedingt viel fleißiger, zumindest was Deutschland angeht. Letztendlich gibst es auch Regionen und Clubs, wo die Mucke funktioniert und andere Ecken, wo es praktisch keine Szene dafür gibt, das Potential für Shows ist irgendwo auch beschränkt.
Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Phantom Winter: Ich bin gespannt. Omega Massiv waren Hammer, was ich bislang von Phantom Winter gehört hab fand ich cool. Ich war zunächst überrascht, dass jetzt ein Sänger dabei ist, aber ich finde das auch konsequent., sonst wäre es einfach nur Omega Massif 2 gewesen Die Platte habe ich im ganzen noch nicht gehört aber ich hoffe, dass sie bald mal nach Hamburg kommen.
NSA-Skandal: Welcher jetzt? Haha… Was soll ich dazu sagen, ich finde es entlarvend und erschreckend. Wir Deutschen oder sagen wir mal lieber die Mehrheit in Deutschland ist ja meist der Ansicht, dass unser Land so gut und erhaben ist und hier zeigt sich mal überdeutlich, dass man eben mitten drin statt nur dabei ist. Und es zeigt auch, was Geheimdienste im Grunde für eine ekelhafte Veranstaltung sind, da geht es nicht nicht in erster Linie um Moral und Gerechtigkeit. Was mich am meisten beschäftigt ist eigentlich eher nicht, was da gemacht wurde sondern ob die Bundesregierung tatsächlich so unwissend und unbeteiligt ist, wie sie vorgibt, oder ob sie voll im Bilde ist über das was da vorgeht. Und auch wenn die zweite Option belegen würde, dass man uns hier nach Strich und Faden belügt wäre mir das unterm Strich fast lieber als davon ausgehen zu müssen, dass wir mit den Geheimdiensten einen Staat im Staate haben, in dem unsere Gesetze und Werte offensichtlich nicht gelten.
Neurosis: Legenden. Ich bin erst relativ spät mit ihnen bekannt geworden, als sie auf der „Through Silver in Blood“ Tour mit Entombed zusammen unterwegs waren. Ich bin damals in der Mitte ihrer Show rausgegangen, weil mich das dermaßen runtergezogen hat. Ich kenne wenige Bands, die eine solche Intensität haben wie Neurosis.
Meteoriten: A blast from the past … finde ich ziemlich spannend, Bruchstücke der Geschichte des Weltalls. Dichter werden wir als Menschen den „unendlichen Weiten“ wohl nie kommen. Ich finde es auch immer wieder spannend zu lesen, was passieren würde, wenn ein vergleichsweise kleines Stück Material auf unsere Erde treffen würde, siehe Tunguska …
SHAKHTYOR in 10 Jahren: Wir haben gerade unsere Welttournee zum 15-jährigen Band-Jubiläum mit Neurosis, Conan und Ufomammut im Vorprogramm hinter uns und konzentrieren uns erstmal auf unsere Soloprojekte. Um die Zeit zum zehnten Album zu überbrücken gibt es von Cyclone Empire ein Re-Release unserer ersten beiden Alben auf CD, nachdem dieses Medium in Insider-Kreisen plötzlich wieder hoch im Kurs steht.
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