Interview mit Marcus Siepen & Frederik Ehmke von Blind Guardian (Teil 2/2)

BLIND GUARDIAN haben Anfang dieses Jahres ihr neues Album „Beyond The Red Mirror“ veröffentlicht und während die Scheibe musikalisch durchweg positives Feedback bekommen hat, gab es eine Menge negative Kritik an der Produktion. Was die Band dazu zu sagen hat und wie sie an die Live-Umsetzungen geht, erfahrt ihr im zweiten Teil unseres Interviews.

>> Teil 1 des Interviews nachlesen!

Es gab ja aus dem Hörerkreis eine Menge Kritik an der Produktion von „Beyond The Red Mirror“. Wie seht ihr das?
Marcus: Ich habe mitbekommen, dass die Platte circa zwei Wochen vor Release im Netz geleakt worden ist und das in einer fürchterlichen Variante mit irgendwelchen MP3-Files, die beschissen komprimiert waren und die wirklich grauenvoll klangen. Ich habe mitgekriegt, dass Leute sich die Dinger runtergeladen haben, weil sie ja nicht abwarten können und gesagt haben: „Boah, das klingt aber scheiße.“ Ja, aber wenn du dir irgendeine MP3 aus dem Netz lädst, Raubkopie hin oder her, dann darfst du nicht die Megaproduktion erwarten. Ich habe auch von Leuten, die über diese Version gemeckert haben, im Nachhinein gehört: „Okay, ich habe jetzt das Album gekauft und der Sound ist schon fett.“ Ich sehe nicht, wo die Produktion schwach wäre. Was viele Leute vielleicht nicht kapieren, ist, dass du bei der Art von Musik, die wir machen, nicht alle mixtechnischen Freiheiten hast, die du meinetwegen bei einer Band hast, die nur zwei Gitarren hat.
Frederik: Oder wie bei Green Day oder so.
Marcus: Bei solchen Bands kannst du natürlich durchgehend ein volles Gitarrenbrett fahren, was bei uns nicht geht. Wenn das Orchester für einen Part wichtig ist, dann musst du die Gitarren zurücknehmen, ansonsten ist kein Raum für das Orchester. Wenn dann die Gitarren da sind, dann musst du das Orchester zurücknehmen. Du musst ständig den Raum freimachen.

Logische Konsequenz.
Frederik: Du hast auch immer die Typen, die sagen, ich will die Gitarren lauter und die, die sagen, ich will das Schlagzeug lauter. Ich habe halt beides gehört. Wir versuchen das so zu machen, wie wir es einfach als angenehm empfinden und wir wollen es so transparent, dass wir den ganzen Stimmen eben folgen können und das alles irgendwo da ist. Fett genug ist es auch, wie Marcus schon gesagt hat. Man kann es natürlich nie immer allen recht machen.
Marcus: Dazu gibt es noch eine andere Fraktion. Viele Leute sind in diesem Loudness-War stecken geblieben. Viele Bands versuchen, die Platten ständig am Peak zu halten und es muss so laut wie möglich aus deinen Boxen trümmern. Die klingen alle scheiße. Die sind alle verzerrt und übersteuert. Das ist eine Ohrenqual. Wenn du zwischen zwei solcher Produktionen diese Scheibe auflegst, dann wirkt die erst mal zehnfach leiser. Viele Leute kapieren das nicht und denken: „Was ist das denn für eine Produktion, ich höre ja gar nichts. Ich muss da erst mal die Anlage aufreißen.“ Dafür klingt sie aber nicht verzerrt und übersteuert.
Frederik: Das Orchester, welches ein sehr dynamischer und organischer Klangkörper ist, kannst du nicht total komprimieren.
Marcus: Das kann auch nicht der Sinn der Sache sein. Wir möchten natürliche Sounds, denn das ist uns wichtig. Wenn du aber alles bis zum Anschlag komprimierst, dann klingt es scheiße.
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Ich konnte die Kritik auch nicht ganz nachvollziehen und fand den Klang in Ordnung.
Marcus: Was ich erschreckend fand, ist, dass solche Kritik zwei Wochen, bevor das Album überhaupt auf dem Markt ist, losgetreten wird. Da frage ich mich: Leute, worüber unterhalten wir uns? Wartet doch mal, bis die Scheibe auf dem Markt ist, und ihr die Chance habt die CD zu hören.

Ich hab die ganze Diskussion tatsächlich erst nach dem Release mitbekommen.
Marcus: Das ging tatsächlich vorher schon los und ich dachte mir, auf diese Diskussion muss ich mich jetzt nicht einlassen.
Frederik: Ich sehe das so, dass gute Musik auch so funktionieren kann, selbst wenn man nicht mit allen Feinheiten total zufrieden ist. Klar, die Produktion ist wichtig, aber gute Musik bleibt gute Musik. Das ging mir bei anderen Bands schon so, auch wenn manches schlecht aufgenommen ist. Eine Demo kann mich mehr kicken, weil die Musik geil ist, als eine toll produzierte, aber langweilige Platte.

Wenn wir schon bei der Produktion waren: Im Booklet ist zu lesen, dass Charlie Bauerfeind an einem Song mitgeschrieben hat. War es das erste Mal, dass er mitgeschrieben hat?
Marcus: Charlie arrangiert viel und gibt gute Ratschläge.
Frederik: Es ist ein fließender Übergang, würde ich sagen. Er ist viel ratgebend tätig und hat immer seine Meinung, die er offen kundtut. Ab einem gewissen Punkt kommt man dann einfach in einen Bereich, in dem man sagt, es greift jetzt in das Songwriting ein und hat tiefgreifende Auswirkungen. Dann gibt man natürlich auch den Credit, denn es muss ja anerkannt werden.

Gibt es etwas, mit dem ihr nicht zu 100 Prozent zufrieden seid, nach so kurzer Zeit?
Marcus: Bis jetzt noch nicht. Mit einem gewissen Abstand, zum Beispiel nach zwei Jahren auf Tour, wird es immer irgendwelche Sachen geben, bei denen man sagt, das hätte man anders machen können. Ob das nun besser oder schlechter wäre, weiß man nicht und müsste man dann probieren. Aber jetzt ist das Album erst eine Woche raus und es gibt nichts zu meckern.
Frederik: Ich würde solche Konzeptsachen am liebsten immer als ein Stück spielen, vor allem als ein Live-Stück, aber das ist ja leider nicht möglich.

BG3Hattet ihr bestimmte Kriterien, nach denen ihr die Orchester und Chöre ausgewählt habt?
Marcus: Mit dem Sinfonieorchester aus Prag haben wir schon zuvor gearbeitet. Wir mussten irgendwann weitere Orchester involvieren, weil das Orchester aus Prag zu einem Zeitpunkt während der Produktion nicht verfügbar war. Wir mussten also ein anderes Orchester an den Start bringen. Bei den Chören war es nicht von Anfang an geplant, drei verschiedene Chöre einzubeziehen. Du musst aber eine gewisse Größe erzielen und diese Größe erreichst du nicht mit einem Chor von 30 Mann. Selbst wenn du diesen die ganze Zeit doppelst, erreichst du keine Größe, denn es sind ja die gleichen Stimmen und irgendwann löschen sich dann die Phasen aus. Du musst mehr Sänger an den Start bringen, um den Effekt der Größe zu erzielen.
Frederik: Wir haben ja schon öfter Chöre gehabt und die waren auch fett, aber bei den englischsprachigen Stellen, die exponiert stehen, merkte man den leichten Akzent, da sie es nicht so gewohnt waren englisch zu singen.

Da muss ich mal drauf achten.
Frederik: Nee nee, das kannst du ja jetzt nicht mehr hören, weil wir ja den englischsprachigen Chor hatten. Also mussten wir da nicht noch mal nacharbeiten und die anderen Chöre wurden zusätzlich verstärkt.

Die gesamte Aufmachung des Earbooks ist sehr imposant geworden. Habt ihr Felipe Machado Franco hier freie Hand gelassen oder wurde hierfür oft Rücksprache gehalten?
Marcus: Da gab es sehr viele Rücksprachen, da wir einfach zu perfektionistisch veranlagt sind, um zu sagen, mach mal und das wird schon passen. In unserem Kontext würde es einfach nicht funktionieren. Das war schon während der gesamten Karriere von BLIND GUARDIAN so und unabhängig vom Künstler. Der Künstler bekommt von uns die Thematik und dann beginnt es mit Skizzen und geht so lange hin und her, bis wir es absegnen.
Frederik: Es ist halt schon so, dass wir sagen, bestimmte Elemente müssen enthalten sein, wie zum Beispiel die Krähe bei „A Voice In The Dark“.

Eine ganz andere Frage, die sich ebenfalls immer wieder stellt: Wie wollt ihr das neue Material live umsetzen? Werdet ihr versuchen mehr Sachen vom Band laufen zu lassen oder gibt es kräftige Downgrades für die Songs?
Marcus: Wir müssen ja allein schon wegen der Gitarren sehr viel runter arrangieren. Das machen wir schon seit vielen Jahren und das funktioniert eigentlich sehr gut. Es gab nie wirklich Probleme und auch bei den Trailern konnte man ja bereits sehen, wie das abläuft.

Ach ja, die Szenen, in denen Hansi entspannt im Stuhl sitzt und singt. (lacht)
Marcus: Jaja, und wir arbeiten. (lacht) Es funktioniert auf jeden Fall, man muss natürlich nur viel Arbeit reinstecken und gucken wo und wie es passt.
Frederik: Wir haben natürlich kein Orchester auf der Bühne, aber die Parts wie eben Zuspieler und einige Synthies werden schon dabei sein. Was wir spielen, ist logischerweise ohne Unterstützung, aber die Orchesterspuren müssen wir natürlich auf Tour dabei haben. Es ist wieder ein guter Mix aus den Spuren aus der Produktion und dem, was wir als Band dann live beisteuern. Ein ganzes Orchester können wir halt nicht mitnehmen.

Also ist das eher was für die Festivals? (lacht)
Marcus: Mit dem Orchester spielen wäre natürlich genial.
Frederik: Das wäre halt ein riesiger Aufwand und mit Dirigent muss man dann auch noch spielen können. Es ist immer leicht gesagt, spielt doch mit Orchester, aber dahinter steckt wesentlich mehr Aufwand, als es einfach zu sagen.

Abschließend möchte ich noch eine ganz andere Frage in den Raum werfen: Gibt es vielleicht noch Ideen für andere Projekte, wie es beispielsweise Nightwish mit „Imaginaerum“ verwirklicht haben oder die Arbeit von Kobi Farhi an der Metaloper „Kanaan“?
Marcus: Das kommt auf die Idee, auf das Angebot oder was auch immer an. Es gibt mit Sicherheit interessante Ideen, wobei wir da jetzt keine konkreten Pläne haben.
Frederik: Man sollte auf jeden Fall offen sein für alles. Ich kann da jetzt nur für mich sprechen, aber man sollte ruhig jede Möglichkeit ergreifen und auch mal andere Musik ausprobieren. Es muss eben nur den gewissen Anspruch von BLIND GUARDIAN erfüllen und von vornherein versprechen, dass es gut werden kann. Ich würde mich keiner Idee grundsätzlich verschließen.

Vielen Dank nochmals für das Interview. Die letzten Zeilen gehören natürlich euch.
Marcus: Dann fragen wir jetzt einmal ein paar Sachen.
Ihr fragt jetzt ein paar Sachen?
Marcus: Ja. Was hast du dir denn gedacht als du diese Fragen zusammengestellt hast?
Kurz gesagt, ich wollte euch ein wenig zum neuen Album befragen und natürlich hören, was es zum Orchesterprojekt zu sagen gibt und was ihr für zukünftige Pläne habt.
Marcus: Super Idee. Bist du denn mit deiner Produktion zufrieden?
Ja…
Marcus: Du hast doch noch gar nicht reingehört. (lacht)

Publiziert am von Christoph Ilius

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