Festivalbericht: Tanzt! 2014

15.11.2014 München, Backstage

 

Nach der bemerkenswerten Entwicklung in den vergangenen Jahren ist es für viele nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich das TANZT!-Festival nach Headlinern wie Feuerschwanz oder Ignis Fatuu an die großen Namen der Szene wagt. Mit der LETZTEN INSTANZ auf deren A-Tour zum neuen Album „Im Auge des Sturms“ prangt der Name von ehemaligen Vorreitern in der weit gefassten Folk-Szene ganz oben auf dem Plakat. Übrig geblieben ist von dieser Stellung anno 2014 nicht mehr viel, wenn man sich den musikalischen Output der Kapelle in den letzten Jahren zu Gemüte führt. Dafür punktet das Festival in diesem Jahr mit einer harten Gangart sowie norddeutscher Unterhaltungsmusik als Kontrast.

SONY DSCDen Anfang machen die Schweinfurter Folk-Metal-Newcomer NARRATOR, die gerade eifrig damit beschäftigt sind, sich einen Namen in der Szene zu erspielen. Ihr gelungenes Video zu „Stunde der Wölfe“ nebst Prinz Richard Hodenherz von Feuerschwanz als Gast trägt seinen Teil zu dieser Mission bei. Der Song darf im rund vierzigminütigen Set natürlich nicht fehlen. Generell ist die Entwicklung der noch ungeschliffenen Rohdiamanten in den vergangenen 12 Monaten erfreulich. Die Ansätze stimmen, allein der Feinschliff und vielleicht auch die Vielseitigkeit kommen im Reportoire der Süddeutschen noch ein wenig zu kurz. Neben der Videoauskoppelung stechen „For The Golden Throne“ und „Luna“ positiv aus dem Set hervor und eben jene Titel werden vom bereits nennenswert vorhandenen Publikum am besten angenommen. Dazu bewirbt sich Sackpfeifenspieler Peter direkt in der nach oben offenen Kategorie „Längstes (Dudelsack-)Rohr“. Ein gelungener Einstieg in den Konzertabend bzw. -nachmittag.

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Die Italiener FUROR GALLICO setzten in München nach ihrem 2012er Gastspiel dort an, wo sie selbst damals und Narrator wenige Minuten zuvor aufgehört haben. Dieses Mal trifft die südeuropäische Folk-Metal-Explosion die Gäste im Backstage nicht so unvorbereitet wie vor zwei Jahren. Dafür hat sich Sänger Davide inzwischen von seiner markanten Mähne getrennt. Ansonsten zelebriert die Band mit Schminke im Gesicht und Schottenrock um die Hüften immer noch feinsten Folk Metal, der von den Melodieführungen und Co. eben noch diesen einen Tacken ausgefeilter und virtuoser daher kommt als beim Opener. Dass es FUROR GALLICO bis heute nicht gelungen ist, ihr zweites Album – trotz mehrfacher Ankündigungen – auf den Markt zu bringen, ist zwar einerseits ein Jammer für CD-Käufer, schadet dem Auftritt aber zu keiner Sekunde. So präsentieren Davide und Co. die bereits fertig arrangierten Songs einfach live. Diese geraten ähnlich einheitlich ausdrucksstark wie das Material von ihrem Erstlingswerk. Einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, dass Harfe und Geige im Sound- und Lichtkleid des Backstage Werks immer noch zu Randerscheinungen degradiert werden. Dies kompensieren FUROR GALLICO aber erneut durch eine Menge Spielfreude und Leidenschaft, besonders bei Fronter Davide, der sicherlich nicht ganz nüchtern, aber dafür umso überzeugender seine Growls performte.

SONY DSCRein akustisch drücken anschließend MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN aus dem karibischen Osnabrück (O-Ton der Band) auf die Folk-Metal-, nicht aber auf die Spaßbremse. Mit Auftritten beim Musica Antiqua Viva, Feuertanz und Festival Mediaval haben die Pulveraffen nach etlichen Markterfahrungen in der Heimat den fernen Süden Stück für Stück erobert. Beim TANZT! setzt das Trio seine erfolgreiche Kapernfahrt fort: Das Publikum  zählt als besoffener Piratenchor zu den integralen Bestandteilen der Show. Es gilt die Devise: Es muss nicht richtig gesungen werden, sondern einfach nur laut. Gerne wird sich mittendrin beim abwechselnden “Ach ja?”/”Komma her!” gegenseitig provoziert oder ein Loblied auf das bandeigene Schiff, die Lightning, angestimmt, bis schließlich die versammelte Menge erst einen Schritt nach Luv, dann einen nach Lee macht und die Damen wahlweise ihr Achterdeck oder ihren Bug schütteln. Das alles funktioniert dank herrlich eingängiger Melodieführungen und genug Charisma für eine komplette Schiffskombüse ganz hervorragend. Zum Thema Sexismus vertreten MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN auch einen ganz eigenen Standpunkt: „Wir stehen auf einer Bühne und tragen Kostüme. Das ist kein Sexismus, das ist Kunst.“ Durch die Kombination aus musikalischen Fähigkeiten und Schlagfertigkeit erklärt es sich quasi von selbst, warum ein zweifelhafter Musiker namens Tobee den größten Hit der Pulveraffen namens „Blau wie das Meer“ dreist geklaut und zu seinem Mallorca-Hit gekürt hat. Frisch und fröhlich kommen die Songs der Nordlichter daher, auch wenn Ms. Ivy Cox als optischer Genuss an diesem Tag unter Deck verharrt. Fans von Versengold und Knasterbart werden hier mit Sicherheit fündig. Einzig das katastrophale Bühnenlicht schmälert den Auftritt, da die Gestik und Mimik der ausdrucksstarken Musiker kaum zu sehen ist.

SONY DSCNach mehrjähriger Abstinenz feiern die Frankfurter Folkmetaller NACHTGESCHREI anschließend ihr Comeback auf dem TANZT!: Dass mit Sänger Martin LeMar inzwischen ein neuer Mann am Mikro steht, hat sich szeneweit herumgesprochen. Der glatzköpfige Hüne beweist im Rahmen dieses Auftritts erneut seine stimmlichen Qualitäten, die nicht zu vergleichen sind mit seinem Vorgänger und der gesamten Band ein anderes musikalisches Flair verleihen. Allgemein scheint der folkige Siebener nach den vergangenen beiden Jahren, die ganz im Zeichen des letzten Albums „Aus Schwärzester Nacht“ standen, nun vollständig emanzipiert von den Fesseln der Vergangenheit zu sein. Das beweist auch der neue Song „Das Nichts“ vom noch namenlosen Folgealbum, der von der springwütigen Menge begeistert gefeiert wird. Dazu funktionieren rockige Einstiegsnummern wie „Sirene“ vermixt mit Klassikern wie „Herzschlag“ oder „Niob“ und instrumentalen Einlagen im Stile von “Na Sdrowje!” auch im Backstage. Kleinere Pannen kompensiert Martin am Mikro spielerisch durch seinen Charme. Mit dem allerersten NACHTGESCHREI-Song „Der Meister“ und „Windstill“ beendet das Septett seinen Auftritt klassisch und gleichermaßen rockig-melodiös. Im Vergleich zu vielen anderen Gruppen haben die Frankfurter mit ihrem Sängerwechsel alles richtig gemacht, wenngleich sich das volle Potential wohl erst auf den kommenden Scheiben entfalten wird.

SONY DSCAlles richtig gemacht haben im letzten Jahr auch DALRIADA aus Ungarn. Wild kreisende Mähnen und ausgelassene Partytimmung waren 2013 die Folge des Folk-Metal-Gewitters, das über München herein brach. Akustisch und optisch stimmte damals alles. Nur ein Jahr später gesellt sich – wie anno 2010 in Kufstein – die tradtionelle Folk-Combo FAJKUSZ zu den ungarischen Szeneveteranen. Diese Ankündigung des ehemaligen TANZT!-Headliners verspricht viel, besonders im Hinblick auf das Vorjahr, doch am Ende überzeugt das Gesamtprodukt weit weniger als erwartet. Eine echte Harmonie zwischen den markanten Gegensätzen in Form von harten Riffs und weichen Geigen entsteht während der gesamten Show nicht. Zwar zeigen sich DALRIADA in Deutschland wieder außergewöhnlich motiviert und begeistert, doch auch der Klang in einigen Teilen der Halle und die dazugehörige Lichtshow ziehen den Auftritt unnötig nach unten. Das Sängerduo bestehend aus Laura und ihrem männlichen Gegenpart András funktioniert, doch dieses Mal reichen die Instrumente alleine als Unterhaltungsmedium nicht aus, um die ungarischen Textbotschaften so zu vermitteln, dass die unverständlichen Inhalte unabhängig ihres literarischen Nährwerts adäquat transportiert werden. Dank ihrer langjährigen Erfahrung fallen DALRIADA und FAJKUSZ allerdings nicht unter einen bestimmten Level. Das Gesamtprodukt – und nur als solches kann dieser Auftritt fernab einzelner Songhighlights bewertet werden – gerät dieses Jahr dennoch weit weniger ansteckend und energetisch als 2013.

SONY DSCEin TANZT! ohne VROUDENSPIL wäre irgendwie kein TANZT! So sind Ratz, Dax, Petz und Co. auch 2014 wieder mit von der Partie. Echte Neuigkeiten haben die Freibeuter und ihr Folk-Stilmix dabei kaum zu bieten. Einzig Neu-Basserin Zora mit ihrem elektronischen Bass erweist sich als echter Hingucker, aus dem die Kapelle bei der Präsentation noch mehr herausholen kann. Musikalisch gibt es wieder eine Menge „Pulverdampf“ zu hören und Frontmann Ratz von der Planke reaktiviert den besoffenen Piratenchor vom nachmittäglichen Gastspiel der Pulveraffen. Das funktioniert beim bandinternen Heimspiel ganz hervorragend. Im kommenden Jahr werden VROUDENSPIL an gleicher Stelle ihr neues Album vorstellen, aus dem sie mit „Am Weltenrand“ bereits einen ersten Vorgeschmack präsentieren. Dies erinnert ein wenig an das Schandmaul’sche „Bunt und nicht braun“. Davor und danach tanzt die Menge fröhlich aufeinander zu oder rudert gemeinsam am Boden sitzend im Takt. Die Mischung aus Ska, Folk, Punk und Samba hat sich inzwischen merklich eingegroovt und nach dem Ausscheiden von Bassistin Jane ist der mächtige Seewolf mit seinem Akkordeon ein noch zentralerer Bestandteil der Bühnenshow. Nach dem Auftritt von DALRIADA vereinen VROUDENSPIL weite Teile der Menge vor sich, für die besonders der Abwechlungsreichtum eine Wohltat zu sein scheint. Wobei für das Seefahrerseptett beim TANZT! generell die Devise gilt: Einmal Publikumsliebling, immer Publikumsliebling!

SONY DSCAuf derlei Vorschusslorbeeren muss die LETZTE INSTANZ, besonders mit ihrer letzten Veröffentlichung „Im Auge des Sturms“, verzichten. Umso spannender gestaltet sich die Frage, wie die Live-Umsetzung der rock-poppigen Studiokatastrophe aussehen würde. In München haben die Berliner mit Widrigkeiten zu kämpfen: So betreten sie als Headliner erst gegen 23 Uhr die Bühne und müssen dazu noch mit einer auf 90 Minuten gekürzten Spielzeit auskommen. Eine echte Nagelprobe also, speziell für das neue Material, welches sich zu den erwartenden Klassikern gesellt. Wirft man einen Blick auf das gesamte Backstage Werk, beantwortet sich die Frage nach dem Bestehen dieser Probe fast von selbst. Die neuen Songs entpuppen sich – fernab der Fans in den ersten Reihen – als echte Stimmungsgräber zur fortgeschrittener Stunde, was allerdings nicht nur dem rund sechsstündigen Festivaltag geschuldet ist. Generell fühlt sich die LETZTE INSTANZ, auch nach eigener Aussage, dem Folk, Mittelalter und damit verbundenem Rockbereich nicht mehr zugehörig, was die Musik voll und ganz widerspiegelt. Demnach dürfte es sich gleichzeitig um den ersten und letzten Headliner-Auftritt der Berliner beim TANZT! handeln. Dieser erinnert allenfalls bruchstückhaft mit älteren Liedern wie „Kalter Glanz“ daran, für was die selbstbetitelte Brachialromantik einst stand. Immerhin punkten Holly und Co. mit ihrer Lichtshow, die die größtenteils fehlende musikalische Substanz temporär kaschieren kann. Gleiches gilt für die Qualitäten eines Benni Cellini und für den Elan, mit der die gesamte Instanz zweifelsfrei zu Werke geht. Nur rettet dies weder ein „Ganz egal“ noch ein „Von Anfang an“, welches „Wir sind allein“ als finale Zugabe ersetzt. Das bekommen allerdings nur noch wenige Festivalgänger mit, da sich das Backstage gegen Ende merklich geleert hat. Dies ist ein bekanntes Phänomen gegen Ende des TANZT! und weniger der Performance des Headliners geschuldet.

SONY DSCDer Feier-, Sing- und Trinkmarathon fordert seinen Tribut. Das ist auch dieses Jahr besonders deutlich bei der LETZTEN INSTANZ als Headliner, die einen ähnlich schwachen Eindruck hinterlässt wie Ignis Fatuu im Jahr 2012. Im Jahr zuvor erging es FEUERSCHWANZ etwas besser. Das TANZT! zeichnet sich aber seit jeher dadurch aus, dass es beispielsweise auf klassische Marktbands für ausführlichere Verschnaufpausen verzichtet und die Umbaupausen eher knapp bemessen sind. Das ! im Namen ist Verpflichtung und Versprechen zugleich. Dies bedeutet aber auch, dass besonders die ersten Bands mehr zu gewinnen haben als die spätere Fraktion, die meist mit einem müden Publikum zu kämpfen hat. Gleichzeitig ist diese Herausforderung eines gesamten Festivaltages als Vorprogramm ein gewisses Qualitätsmerkmal für die Live-Qualitäten der „alten Hasen“ und denen, die es werden wollen.

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