Geneigte Leserin, geneigter Leser, bitte lesen Sie dieses Review bis zum Ende durch – sonst „reiße ich Ihnen den Kopf ab und scheiß Ihnen in den Hals“. Wer sich jetzt schon auf seine erste Beleidigungsklage freut, dem sei gesagt: Ich habe lediglich paraphrasiert. Ich darf mir also ganz legal denken: „Leck mich am Arsch“ (Zitat) und wenn du Typ da hinten noch einmal so blöd schaust, dann hau ich „dir auf die Fresse bis ich mich vergesse“ (ebenfalls Zitat). Ach, eigentlich sind das doch alles postpubertäre Selbstversicherungen letztlich angezweifelter Maskulinität, denn im Grunde will ich doch nur sagen: „Baby ich brauch dich, wie Luft zum Atmen, wie der Schatten das Licht“ (letztes Zitat).
Die Berliner Deutschrock-Band TXL hat gute Chancen, mit ihrem aktuellen Album den Preis für das verstörendste Album 2014 zu erhalten. Nicht der Musik wegen, die ist mit dem Label „Deutschrock“ ausreichend präzise beschrieben, hier gibt es druckvolle, auf fett gebügelte Punk- und Rockriffs, einen knurrenden Gesang und treibende Rhythmen. Alles nichts Weltbewegendes, aber eben auch nichts, was den Durchschnittshörer groß schocken könnte. Der Gruselfaktor beginnt erst auf der, wenn man so möchte, semantischen Ebene. Schon vor dem ersten Ton muss man an diesem Titel-Kalauer vorbei: „Kopfschuss. Weil Musik in den Kopf muss“. Ganz schöne intellektuelle Verrenkung, die einem da abgefordert wird, um von einer gewaltsamen Todesart zu einer die Musik betreffenden wirkungsästhetischen Aussage zu gelangen. Na ja, auf der anderen Seite versteht man den Satz wenigstens – aber TXL können auch mit mehr Enigmatischem aufwarten; wobei ich nicht weiß, ob mir die Zeile „denn auch ein Traum gebaut auf Sand, bleibt oft im Leben unerkannt“ (vom Lied „Mayday“) inhaltlich oder syntaktisch fremd ist.
Im Grunde schwanken die Berliner permanent zwischen harter Oberarmmuskulaturlyrik und gewollt sanften Untertönen, die durch die Tatsache geeint sind, dass die sprachliche Qualität, die Reime, die Metaphern teils so schief, so flach sind, dass „Kopfschuss“ zu 90% aus ungeplanter Komik besteht. Am deutlichsten wird das, wenn man sich direkt auf Bedeutungssuggestion verlegt, wie dies in „Wie es mal war“ geschieht. Da reiht man einfach, unterlegt von akzentuierendem, aber wirkungslosem Stakkato-Riffing, die Wörter „Illusion, Quantensprung, Zeitrechnung, Wahrnehmung, Eingebung“ aneinander und, voilà, fertig ist das qualitative Gegengewicht zu dem vorangegangenen „Ich reiße dir den Kopf ab und scheiß dir in den Hals“, das auf jeder Party zumindest kurzweilig für Vergnügen sorgen sollte.
Ob ich wohl den humoristisch-ironischen Unterton verpasst habe? Ist diese ganze CD vielleicht nur ein souveränes Spiel mit unserer zur Phraseologie verkommenden Alltagssprache, ein großes musikalisches Sprachspiel also? Nein. Man kann mir meinetwegen Humorlosigkeit vorwerfen, vor allem wenn es sich um den Vorschlaghammerhumor auf dieser CD handelt, aber hier ist absolut nichts ironisch, dazu fehlt es der Band schlicht an Feingefühl – das ja auch nicht zum gezockten Deutschrock passen würde. „Kopfschuss“ ist wenig mehr als eine Kalauersammlung mit nervenstrapazierenden Haufenreimen, die einen wünschen lässt, man wäre nie der deutschen Sprache mächtig genug gewesen, um diesen mit Jovialität und Coolness gewürzten Unsinn zu verstehen. Ich weiß, TXL wollen niemandem etwas, das soll doch alles nur Spaß machen, oder? Getreu dem Motto „TXL und wir rocken den Scheiß“ (Zitat) – oder doch etwa nur „Wir rocken scheiße“? Tja, im Kontext diverser anderer Veröffentlichungen dieses Jahres heißt es für die Berliner wohl: „Eene, meene muh und raus bist du!“ (Schlusszitat)
Wertung: 4 / 10