Review Joe Bonamassa – Tour De Force – Live In London

  • Label: Mascot
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Rock

2013 nimmt die Veröffentlichungswut JOE BONAMASSAs groteske Züge an: Vier DVDs sind es, die zusammen unter dem Titel „Tour De Force – Live In London“ erscheinen. Obwohl diese Mitschnitte von vier Konzerten in Londoner Venues je unter einem besonderen Motto stattfanden, darf doch schon im Vorfeld gefragt werden, warum man sich nach den DVDs „Live From The Royal Albert Hall“ (2009), „Beacon Theatre – Live From New York“ (2012) und „An Acoustic Evening At The Vienna Opera House“ (2013), die die aktuelle Diskographie im Wesentlichen abdecken und allesamt höchste Qualitätsstandards erfüllen, gleich wieder Konzertaufnahmen zulegen sollte.

„Tour De Force – Live In London“ beantwortet diese Fragen nur teilweise. Denn die Abende haben nicht ausschließlich Themen, die sich deutlich von den Vorgänger-DVDs abheben. Doch der Reihe nach:„The Borderline“, der erste der vier gefilmten Konzertabende, geht als positive Überraschung durch: Im gemütlichen gleichnamigen Club spielt Bonamassa mit Drummer Anton Fig und Bassist Michael Rhodes als Power Trio auf. Was dabei herauskommt, ist ein Gig in sehr intimer Atmosphäre, den die drei Musiker in bester musikalischer Verfassung bestreiten. Bonamassa zeigt, dass er bei allem verkünstelten Blues Rock, der auf den aktuellen Alben zum Zuge kommt, den knallharten Rock ’n‘ Roll keineswegs verlernt hat. Anton Fig ist als Allzweckwaffe am Schlagzeug ohnehin über jeden Zweifel erhaben, vor allem Michael Rhodes brilliert aber mit äußerst muskulösem Bassspiel, das sich der Gitarre im Mix kaum unterordnen muss. Die Setlist trägt ihren Teil dazu bei, dass hier kein Stein auf dem anderen bleibt: „Spanish Boots“, „Steal Your Heart Away“ oder „Story Of A Quarryman“ waren schon auf Album keine Gute-Nacht-Lieder, hier werden sie noch einmal eine Spur puristischer und härter präsentiert.
„The Borderline“ ist seine Anschaffung definitiv wert, nicht nur wegen dem erfrischenden Back-To-The-Roots-Ansatz, sondern auch, weil einige Songs zum ersten Mal überhaupt live gespielt werden.
Das Konzert im „Shepherd’s Bush Empire“ lief unter dem Banner „Blues Night“. Zu Bonamassas aktueller Tourband (bestehend aus Carmine Royas am Bass, Tal Bergman am Schlagzeug und Arlan Schierbaum an den Tasten) gesellt sich hier ein Bläser-Trio. Auch diese Konstellation hat natürlich ihren Reiz, obwohl man doch das Gefühl nicht los wird, dass die Arrangements der Exklusivität des Abends nicht gänzlich gerecht werden. So agieren die Bläser doch vergleichsweise limitiert und begleiten die Songs allzu oft nur. Das passt mal exzellent („So It’s Like That“), mal führt es dazu, dass in sich funktionierende Tracks überladen wirken („Lonesome Road Blues“). Man hätte die Möglichkeiten, die ein solches Ensemble eröffnet, weiter ausloten sollen, eine experimentellere Show wäre hier sicher spannend gewesen. Immerhin scheinen die Musiker allesamt Spaß zu haben, besonders Schierbaum ergeht sich regelmäßig in entfesselten Hammond-Soli.
„Shepherd’s Bush Empire“ ist insgesamt ein zweischneidiges Schwert, der Coolness-Bonus der Bläser auf der einen Seite steht einem relativ uninspirierten Einsatz derselben gegenüber. Zudem finden sich in der Setlist recht viele Nummern, die in jüngster Vergangenheit schon einmal in Bild und Ton festgehalten wurden, sich aber eben nicht immer so weit von diesen Versionen unterscheiden, als dass man sie zwingend noch einmal haben müsste.
„Hammersmith Apollo“ war als „Rock ’n‘ Roll Night“ ausgeschrieben. Was man sich darunter vorzustellen hat, mag jeder für sich selbst entscheiden, was man im Endeffekt sieht, ist ein typisches Konzert der jüngst vergangenen Europatour zum „Driving Towards The Daylight“-Album. Der einzige Unterschied besteht in der Hinzunahme eines Backgroundsängers und eines Perkussionisten. Dieses Konzert ist dasjenige, das für sich genommen nur Sinn macht, wenn man dringend die aktuellen Songs auch live dokumentiert sehen möchte. Daneben gibt es viel Altbekanntes in nur wenig aufgemotzten Versionen, was man auch auf den anderen aktuellen DVDs schon erleben konnte. Die Atmosphäre im Hammersmith Apollo ist zudem vergleichsweise steril: Auf einer viel zu großen Bühne wirken Bonamassa (zentral) und Schierbaum (links) im Vergleich zum Rest der Band, der sich rechts versammelt, bisweilen etwas verloren. Was die Location ansonsten besonders macht, erschließt sich nicht.
Atmosphärisch kann die altehrwürdige Royal Albert Hall vergleichsweise deutlich punkten. Halb akustisch, halb elektrisch sollte es zur Sache gehen, für den ersten Teil hat man sich das bewährte Ensemble aus der Wiener Oper eingeladen, das allerdings auch kaum andere Songs spielt als dort. Zusätzlich wird das Release als Best-Of-Show beworben, die man einerseits sicherlich auch geboten bekommt. Andererseits muss man auch konstatieren, dass gerade dieser Aspekt nicht dazu beiträgt, dass das Songmaterial mehr als um Nuancen variiert wird. Solch ein Konzept gerade in den Kontext von „Tour De Force – Live In London“ einzugliedern, ist ominös, sollte man doch meinen, dass die vier Abende in ihrer Gesamtheit das ultimative Best-Of-Produkt liefern und nicht eine Show allein dies leistet.

Das Doku-Material, das jedem Release beiliegt, ist ebenfalls schwierig zu beurteilen: Einerseits gibt es vollkommen aussagelose Road-Trip-Aufnahmen (man filmt mir einer Handkamera aus dem Fenster), die von Bildern unterbrochen werden, die zeigen, wie Bonamassa in einem Musikladen eine seltene Gitarre anspielt, andererseits werden Menschen wie Bonamassas Manager Roy Weisman interviewt, der doch einiges Interessantes zu sagen hat. Insgesamt ertappt man sich oft dabei, wie man sich parallel anderweitig beschäftigt. Da hätte mehr Input aus dem Tourbus sicher nicht geschadet, ist doch das Wesentliche, was einen Fan an so einer Tour-Doku interessiert, das, worüber die Musiker so reden und was sie so machen, wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Dieses „Behind The Scenes“-Gefühl stellt sich aber nur selten ein.

Um zur eingangs gestellten Frage zurückzukommen: Während „The Borderline“ aufgrund seiner Songauswahl und der sich klar abhebenden Setlist für alle Fans der ersten Stunde und für alle, die sich mehr Action in den Auftritten JOE BONAMASSAs wünschen würden, ein Fest ist, verwischen die Grenzen zwischen den anfangs genannten drei DVDs und den anderen hier präsentierten Konzerten zu sehr. Wer bereits im Besitz der ersteren ist, hat von zweiteren nur geringen Mehrwert zu erwarten. Aber auch, wenn man sich beispielsweise „Royal Albert Hall“ kauft, muss man „Hammersmith Apollo“ keineswegs auch noch haben. „Shepherd’s Bush Empire“ schließlich lässt sich zu wenig auf die Konstellation ein, um wirklich zu überzeugen.
Diese Kritikpunkte dürfen indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle vier Konzerte in Bild und Ton absolut hervorragend produziert sind, das ist JOE-BONAMASSA-Qualität auf höchstem Niveau, gar keine Frage. Insofern mag auch jedes Release für sich genommen seine Berechtigung habe, für Neulinge mag „Royal Albert Hall“ gar eine echte Empfehlung sein, im Kontext ist aber vieles redundant. Mit ein wenig mehr Hang zum Experiment bzw. konsequenter umgesetzen Themenabenden wie im Borderline hätte „Tour De Force – Live In London“ deutlich größer werden können, als es ist. Auch noch breiter gefächerte Setlists hätten viel dazu beigetragen, das Set zu dem definitiven JOE-BONAMASSA-Livedokument zu machen. Vielleicht hätte man auch noch ein oder zwei Alben releasen sollen, um mehr Schwung reinzubringen, was spielbare Songs angeht.

Fazit: Klare Empfehlung für „The Borderline“ und unter Vorbehalten für „Royal Albert Hall“, nämlich dann, wenn man die Vorgänger-DVDs nicht besitzt. „Hammersmith Apollo“ und „Shepherd’s Bush Empire“ sind dagegen mit Vorsicht zu genießen. Einen Grund, alle vier Releases auf einmal zu erwerben, sehe ich alles in allem jedenfalls nicht, gibt es doch nicht einmal ein Nice-Price-Angebot für das Gesamtpaket.

Keine Wertung

Publiziert am von Marius Mutz

Ein Kommentar zu “Joe Bonamassa – Tour De Force – Live In London

  1. Der Herr ist ja musikalisch wirklich toll, aber zuletzt echt nah an der Grenze einem mit den Veröffentlichungen auf den Nerv zu gehen. Außerdem ist es wirklich blöd, dass es kein erschwingliches 4-DVD-Pack gibt, denn wenn, dann macht dieser Rundumschlag ja auch wirklich besonders in Kombination Sinn. Aber das Deluxe-Pack mit allen Konzerten in der Verstärker-Box ist mit 399,- halt doch nicht so eine richtige Option.

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