Review Paradise Lost – Host

  • Label: EMI
  • Veröffentlicht: 1999
  • Spielart: Electronic

Beinahe im Gleichschritt haben sich die drei Briten-Doomer (PARADISE LOST, My Dying Bride und Anathema) über die Jahre entwickelt. Die Popularität nahm ebenso zu wie die Qualität der Bands, die allesamt beim Kult-Label Music For Nations gestartet waren. Interessant, dass alle drei jeweils eine „Leiche“ im Keller haben. So veröffentlichten Anathema aus katharsischen Gründen das nach wie vor unglaublich sperrige „A Fine Day To Exit“, My Dying Bride experimentierten mit „34,788 % …Complete“ und PARADISE LOST überraschten die gotische Fanbase um die Jahrtausendwende mit „Host“, einem beinahe rein elektronischen Album.

Ist Überraschung eigentlich das richtige Wort? Schwierig, denn schon der Vorgänger „One Second“ deutete die Richtung mehr oder weniger an, schon hier ergänzten die Briten ihre typisch zynisch-düstere Musik mit allerlei Klängen aus dem Keyboard, bauten Loops ein und machten einfach mal das, was ihnen gefiel und nicht, was man von ihnen erwartete. Dennoch hatte man vielleicht nicht mit der Konsequenz gerechnet, mit der „Host“ umgesetzt wurde, denn E-Gitarren und „reguläres“ Schlagzeug haben hier wirklich nur Seltenheitswert. Sehr oft kommen E-Drums zum Einsatz, die Gitarren sind in ihrer Bedeutung weit hinter dem Keyboard zurückgefallen und so bleibt die nach wie vor hervorragende Stimme von Nick Holmes das einzige Trademark, welches Wiedererkennungswert zu früheren Veröffentlichungen schafft.
Rückblickend kann man vielleicht unterstellen, dass PARADISE LOST mit diesem Album ihrer Zeit (mal wieder?) ein Stück voraus waren. Wenn man sich die Gothic-Szene heute ansieht, sind derartiges Songwriting absolut keine Visionen mehr, sondern schlicht in den Alltag integriert. Sicherlich nicht mit der Vehemenz wie auf „Host“, aber Bands wie Katatonia greifen mittlerweile eher selbstverständlich als verschämt auf solche Elemente zurück.
Diese Ausführungen beantworten bislang natürlich nicht, ob „Host“ nun ein gutes Album ist oder nicht. Das ist auch nicht so ohne weiteres zu beantworten, man stößt sich schon an den überbordenden elektronischen Spielereien. Mal ist das ja ganz nett, einzelne Songs oder dezent auf einem gesamten Album, aber durchgehend über fast eine Stunde, das ist wohl eher nur für die hartgesottenen Elektriker etwas. Im Prinzip ist die Platte mehr Depeche Mode als PARADISE LOST.
Trotzdem hat „Host“ eine Faszination, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Einige Songs sind wirklich sehr gut geraten, wobei ich den Verdienst dabei fast alleine Holmes zubilligen möchte. Nicht nur die Stimme ist großartig, auch die eingängigen Melodien im Opener „So Much Is Lost“, „In All Honesty“ und in „Behind The Grey“ tragen maßgeblich zum Hörgenuss bei – gleiches gilt für die schicken weiblichen Vocals, die wie Arsch auf Eimer zu den männlichen passen. Instrumental gesehen überzeugen vor allem und eigentlich auch ausschließlich die Streicher, denen es zwar (vermutlich aus produktionstechnischen Gründen) etwas an Kraft fehlt, die aber dafür einen entspannten Gegenpool zu den kalten Elektrosounds bilden.

Etwas zwiegespalten bleibt man also auch nach all den Jahren noch zurück. PARADISE LOST selber haben immer wieder betont, wie wichtig das Album für sie gewesen sei. Im speziellen gilt das für Sänger Nick, der textlich den Tod seines Vaters verarbeitet hat. Eine interessante Frage wäre, wie die Platte klingen würde, wenn sie „metallisch“ konzipiert wäre. Remixe von Metalsongs gibt es doch schon reichlich, warum nicht mal ein Metallied aus einer Elektronummer machen?

Wertung: 7 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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