HEINRICH VON HANDZAHM ist Liedermacher. Er textet aus dem Leben für das Leben, ohne dabei auf kitschige Plattitüden zurückzugreifen oder in Schlagerrhythmen zu verfallen. Der studierte Anwalt offenbart im Gespräch mit uns die Hintergründe seines Alter Egos und dessen Musik, welche Schwierigkeiten das Pseudonym mit sich bringt, warum die heutige Gesellschaft viel zu laut ist und vieles mehr.
Hallo Heinrich. Besten Dank, dass du dir die Zeit nimmst, unsere Fragen zu beantworten. Fangen wir von vorne an: Gemäß deiner Homepage befinden sich in deinem imaginären Stammbaum u.a. Schriftsteller, Musiker und Erfinder wie Rainer Maria Rilke, James Dean und Isaac Newton. Sind dies alles Menschen, die dich in deinem Leben bzw. deiner Musik beeinflusst haben oder wie entstand genau diese Zusammenstellung historisch fragwürdiger Liaisons?
Heinrich von Handzahm ist eine Melange aus all diesen Personen. Natürlich weiß man nie, was diese Lichtgestalten der Weltgeschichte dem Heinrich genetisch mit auf den Weg gegeben haben. Aber der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Hinter „Heinrich von Handzahm“ würden einige eher einen mittelmäßig begabten Mittelalterbarden sehen als einen handfesten Liedermacher. Wie begegnest du Vorurteilen gegenüber deinem Namen?
Da hast Du Recht. Der Name überrascht zunächst und verwirrt einige Leute. Ich muss mich allerdings aktuell mehr mit der Frage rumschlagen „Meint der das wirklich ernst“ als nach der mittelmäßigen Begabung. Ich meine das ernst. Der Grad der Begabung hat – was den kommerziellen Erfolg anbelangt – nur wenig Einfluss. Es sind meiner Ansicht nicht die Begabtesten, die am meisten Erfolg im Musikbusiness haben. Wie sagte Freud so schön „Die Stimme des Intellekts ist leise“. Der Name Heinrich von Handzahm hat auch eine lange Entstehungsgeschichte – aber dazu im nächsten Interview. Es ist eine laaaaange Geschichte.
Du bezeichnest deine Lieder selbst als kleine Kinder, die du in die Welt schickst und die ihren Weg gehen. Hat eines davon schon einmal andere Pfade eingeschlagen als von dir gedacht?
Ja. Zwei Kindern haben einen ganz überraschenden Weg eingeschlagen. Ein sehr alter Song von mir heißt „Morgen“. Dieser hat seinen Weg in den Kölner Karneval gefunden und wird dort von einer Kölner Band in der kölschen Fassung „Morje“ gespielt. Den Song „Hannover“ habe ich vor vielen Jahren mit Andy Love und Frank Ramond für ein Comedy-Projekt geschrieben. Danach hat ihn Barbara Schöneberger in entschärfter Form auf ihr Album genommen – und nun habe ich ihn in seiner Originalversion mit auf mein neues Album geholt. Hannover is coming home. Heino hat mich Gott sei Dank bisher mit seinen Cover-Versionen verschont.
Du gibst auf deiner Homepage oft ausführliche Informationen zu den einzelnen Songs und deren Hintergründen. Könntest du dadurch deinen Hörern ein wenig von ihrem eigenen Interpretationsspielraum rauben?
Ich hoffe, die Leute hören die Musik zuerst und lesen dann meine Ansichten zu meinen Liedern. Mein großes Anliegen ist es, dass sich der Zuhörer selbst seine Gedanken zu meinen Texten macht. Ich versuche Fragen zu stellen und keine Antworten zu liefern. Jeder freie Mensch kann das selbst am besten. Moralisierende Texte mag ich nicht. Das fand ich in der Bibel schon immer so anstrengend.
Wenn du dich auf drei deiner Stücke beschränken müsstest, um deinen selbsttitulierten Storypop einem Unwissenden vorzustellen – welche wären dies und warum?
„Mr Right“ erzählt die Geschichte einer Frau im besten Alter, die so hohe Ansprüche an ihren Mr Right hat, dass er sich schwer finden lässt. Es ist spannend, dass die meisten Single-Frauen ihren Traumpartner nicht finden, weil sie ihre Ansprüche so hoch schrauben und die meisten Single-Männer daran scheitern, weil sie nicht genug Mut haben, ihre Traumfrau anzusprechen. „Affairen haben kein Happy End“ ist vom Titel her schon selbsterklärend. Der Song beschreibt die etwas verlogene Entwicklung einer Affaire und die immer wiederkehrenden Dialoge. Das kann ja nie gut ausgehen. Und Song Nummer drei ist meine Lieblingsgeschichte auf dem Album „Milchschaumplantagen“. Sie handelt von einem bodenständigen Hamburger, der sich auf den Weg nach Berlin macht, um mit Latte-Macchiato-Müttern und Kreativ-Direktoren mit weißen Schals und MacBooks an seinem neuen Projekt zu arbeiten.
„Was treibt dich an“ ist nicht nur der Titel deines neuen Albums, sondern zählt auch zu den menschlichen Grundsatzfragen und ist gleichzeitig als Titelsong auf der Studioproduktion vertreten. War diese Frage im Entstehungsprozess des Albums zentral für dich oder wie kam es dazu, dass du dich für diese rhetorische Frage als Albentitel entschieden hast?
Der Albumtitel kam erst ganz am Schluss, als das Album fertig war. Während der Produktion war der Arbeitstitel „Herr der Lage“ – was ich allerdings nicht immer war. „Was treibt dich an“ war zunächst nur ein Song. Aber ich habe mir während der Produktion oft die Frage gestellt, warum ich das eigentlich mache. Was treibt mich an, soviel Zeit und Geld in ein Album zu stecken, von dem ich gar nicht weiß, ob das außer mir jemand hören will. In mir gab es nur eine Antwort – ich muss es einfach machen. Ich bin stolz auf mich, dass ich es durchgezogen habe und so viel positive Rückmeldung dafür bekomme.
Viele deiner Texte drehen sich um das Thema Liebe wie z.B. die Suche nach „Mr Right“, mögliche Doppelleben oder der Theorie, dass Affären kein Happy End haben. Inwieweit sind diese Texte autobiografisch?
Ich bin ein guter Beobachter. Ein bisschen was persönliches steckt natürlich immer drin.
Mit „Du bist viel zu laut“ willst du bewusst einen gezielten, leisen Kontrast zur schrillen, lauten Gesellschaft schaffen. Wie schwer ist es, damit Gehör bei den Menschen zu finden, an die diese Botschaft gerichtet ist?
„Die Lauten werden die Leisen nie verstehen“ ist eine zentrale Textzeile aus diesem Song. Den Song habe ich geschrieben, weil es mich nervt, dass die Leute, die am meisten Schreien auch am meisten gehört werden. Wir leben in einer Gesellschaft der Schreihälse. Die wirklich wichtigen Nachrichten bleiben dabei auf der Strecke. Aber auch die Lauten hören Musik und vielleicht habe ich Glück und sie hören dabei auch mal richtig zu.
Wie stehst du zum Thema Ironie und Sarkasmus in deinen Werken? Stichwort: „Hannover“
Ironie ist ein schönes Werkzeug zum Texten. Ich benutze es gerne, da es den Sinn des Gesagten oft umdreht, funktioniert aber auch nur, wenn der Hörer es versteht. Es ist eine freundliche Art, sich über Dinge lustig zu machen. Sarkasmus will verletzten, verspotten und kommt daher in meiner Sprache und Lebenseinstellung nur selten vor. Was „Hannover“ anbelangt – hier fällt es mir sogar schwer das unter Ironie einzuordnen. Das unterhaltsame an diesem Text ist, dass man über die platte Wahrheit schmunzeln muss „und alles schreibt sich so wie man es spricht“.
Du hast früher selbst in der freien Wirtschaft gearbeitet und behandelst auf deinem neuen Album auch das Thema „Burn-Out“. Wie unterscheidet sich das Arbeiten als Musiker von deinem früheren Berufsleben im Hinblick auf Stress und mögliche Folgen? Würdest du den Schritt erneut in dieser Form gehen?
So ganz habe ich mich aus dem Wirtschaftsleben noch nicht verabschiedet. Ich muss tagsüber noch wie viele andere Menschen ganz normal schuften um abends was auf dem Teller zu haben. Allerdings habe ich mein Lebens- und Karriereplan deutlich verändert und räume der Musik mehr Zeit und Raum ein. Das Arbeiten eines Musikers – um hier mal zu verallgemeinern – ist auf alle Fälle weniger stressbelastet als das eines Managers. Die Arbeit in einem Musikstudio ist sicher inspirierender als im Großraumbüro einer Versicherung. Dafür sind die Ausschläge im Musikgeschäft massiver. Euphorie und Niederlage liegen nah beieinander. Von Planungssicherheit ganz zu schweigen. Trotzdem ist es ein sehr befreiendes Lebenskonzept, wenn Freiheit das ist, wonach man sich im Leben sehnt.
Nach „Was treibt dich an“ hast du ein Video zu deinem neuesten Lied „Keine Geheimnisse“ online gebracht. Dort thematisierst du die NSA und Ed Snowden. Welche weiteren Ideen schwirren dir gerade im Kopf umher – basierend auf aktuellen Ereignissen und Entwicklungen?
Ich arbeite gerade an zwei konkreten Texten, aber da bin ich Perfektionist. Über meine Songs spreche ich erst, wenn sie fertig sind. Generell versuche ich die Politik in meinen Songs zu vermeiden. Ansonsten bin ich für viele Themen offen. Nur mit romantischen Liebesliedern tue ich mich bisher schwer. Das können andere besser.
Du singst mehrheitlich Deutsch, hast dich aber auch schon in französischen Kompositionen versucht. Was zeichnet deiner Meinung nach die deutsche Sprache gegenüber der englischen oder anderen aus?
Die deutsche Sprache ist großartig, weil sie einem das Texten so schwer macht. So leicht kann eine Aussage ins Schmierige, Kitschige abrutschen. Bei meinen Texten kämpfe ich daher um jedes Wort. Aber wenn eine Zeile sitzt, finde ich sie oft stärker als im Englischen.
Provokativ gefragt: Ist deine Musik bzw. ist Heinrich von Handzahm allgemein zu anspruchsvoll für die breite Masse?
Ich befürchte ja. Aber in dieser breiten Masse gibt es eine erfreulich große Gruppe von Menschen, die auch anspruchsvolle Musik hören und – was meine Musik anbelangt – nicht nur hören, sondern auch zuhören können.
Hast du bei deinen Songs meistens zuerst eine Textidee oder eine Melodie im Kopf – oder ist das immer unterschiedlich?
Das ist unterschiedlich. Ich habe zwei Schubladen: eine mit Melodien, zu denen ich noch den passenden Songtext suche und eine mit Textideen, für die noch die passende Melodie fehlt. Manchmal mach ich so eine Art Datingbörse und da treffen sich beide Schubladen. Aber nicht immer kommt da eine große Liebe bei raus. Die besten Songs kommen zu Stande, wenn Text und Melodie gemeinsam entstehen.
Es liegt in der menschlichen Natur, Vergleiche zu ziehen. Bei dir kämen den Hörern deiner Musik wohl zuerst Namen wie Reinhard Mey, Max Raabe und Co. in den Sinn. Wie gehst du damit um?
Gegen diese Herren habe ich nichts. Der Mensch braucht ja Vergleiche um sich im Leben zurecht zu finden. Reinhard Mey habe ich als Kind gerne gehört, als Jugendlicher dann Fugazi, Tool, RHCP etc. Und Max Raabe ist ein schönes Beispiel, wie man eine Figur konsequent etabliert und vermarkten kann. Wer Erfolg hat, darf weitermachen – hat glaube ich Keith Richards mal gesagt.
Auf deiner Website gibt es Rubriken wie „Was ich las“, „Was ich sah“ und „Was ich esse“. Für einen Musiker ist diese Informationsbandbreite eher ungewöhnlich in dieser Form. Wie entstand die Idee dazu? Liegen dir Literatur, Medien und Kulinarisches besonders am Herzen?
Heinrich von Handzahm ist mehr als ein Musiker. Mit ihm habe ich ein Alter Ego mit Stammbaum und Vergangenheit erschaffen. Heinrich soll eben kein mittelbegabter Musikbarde aus dem Mittelalter sein, sondern eine lebende Figur mit spannender Historie. Die Bücher und Filme auf meiner Seite habe ich besonders gerne gelesen und gesehen. Inspiriert durch diese Liste schicken mir nun auch immer mehr Menschen ihre Buch- und Filmempfehlungen. Das finde ich großartig, denn nichts geht über persönliche Empfehlungen. Und Heinrich ist auch ein Genießer. Daher die empfohlenen Restaurants, in denen man mich auch tatsächlich immer wieder mal treffen kann.
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
Die Arbeit am nächsten Album hat bereits begonnen. Parallel entstehen noch ein paar andere spannende Dinge im Leben des Herrn von Handzahm wie z.B. ein eigenes Kartenspiel, eine neue Rubrik „Handzahm Hilft“ als Video-Tutorial mit Überlebenstipps für den Herren von Welt, ausgewählte Konzerte und weitere Überraschungen.
Zum Abschluss unser traditionelles Metal1-Brainstroming. Was fällt dir zu diesen Begriffen spontan ein:
Selbstverwirklichung: ICH-Syndrom
Schnelllebigkeit: Alles beginnt jetzt
Facebook: Hat das Heimweh gekillt
Frauen: Muss man lieben, nicht verstehen
Liedermacherinterviews und -rezensionen auf Metalseiten:
Schön, dass der Metaldetektor auch bei Liedermachern ausschlägt.
Du hast auf deiner Webpräsenz außerdem eine Rotation mit einigen Zitaten. Möchtest du speziell unseren Lesern zum Abschluss etwas Bestimmtes mit auf den Weg geben?
Ein Zitat von Rene Descartes: „Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jeder ist überzeugt, dass er genug davon hat.“
Vielen Dank für das Interview!