Interview mit Sascha Paeth von Produzenten-Special – Teil 8: Sascha Paeth

1996 von der Band Heavens Gate gegründet, findet sich bis heute in Ehmen (nähe Wolfsburg) das Gate Studio. Nach Auflösung der Band 1999 übernahm Gitarrist Sascha Paeth das Studio gemeinsam mit Michael „Miro“ Rodenberg.
Seit dem gibt sich die Melodic- / Power Metal-Szene dort die Klinke in die Hand: Avantasia, Edguy, Rhapsody, Kamelot, Epika, Gamma Ray oder Luca Turilli – sie alle wissen die Dienste des Produzenten zu schätzen, welcher für seine Arbeit als Produzent und Tontechniker an „The Scarecrow“ von Avantasia den Goldenen Bobby vom Verband Deutscher Tonmeister verliehen bekam. Im Februar 2013 führten wir ein Telefonat mit ihm.

Produzenten Special Teil 8

Hallo Sascha! Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Sage uns doch, an welchem Projekt du aktuell arbeitest.
Kürzlich bin ich mit der neuen Avantasia fertig geworden. Gestern und vorgestern habe ich da noch die Bonustracks rausgeschickt. Glaube, das ist auch ganz gut geworden – orchesterlastiger, bombastischer… „fantastischer“, könnte man sagen. Ansonsten mach ich immer mehrere Sachen gleichzeitig, auch mit der eigenen Band jetzt, da bin ich immer ganz gut beschäftigt.

Fangen wir ganz am Anfang an: Wie bist du zu deiner Produzententätigkeit gekommen? Ist das dein erlernter Traumberuf oder bist dupaeth2 ein „Quereinsteiger“?
Ich bin da eigentlich eher reingerutscht. Also ich wollte schon immer professionell etwas mit Musik machen. Nach elf Jahren Schule wollte ich dann eigentlich Musik studieren, was auch ohne Abitur geht. In meinem Jahr Wartezeit, in dem ich viel Rock gemacht habe, wurde ich dann aber gefragt, ob ich nicht ein Gitarrensolo für eine Platte einspielen will. Das war so der erste Kontakt mit Heavens Gate, in der Folge waren wir dann auch häufiger auf Tour, weshalb ich dann doch nicht Musik studiert habe. Ich habe dann auch schon immer die Demos gemacht, bei der dritten Platte, die Charlie Bauerfeind gemacht hat, habe ich noch mehr an der Produktion selbst mitgearbeitet. Charlie fragte mich irgendwann, ob ich nicht selber eine Platte produzieren wolle, ich bin dann ins kalte Wasser gesprungen und das hat soweit ganz gut geklappt. Ab dem Zeitpunkt waren wir Partner, haben dann ja auch die „Holy Land“ von Angra zusammen gemacht, ich war für Orchesterarrangements und Aufnahmen zuständig, Charlie hat gemixt. Da haben wir fünf Jahre lang auch wirklich gut zusammen funktioniert, sind da als Freelancer herumgezogen und haben einfach eine Platte nach der anderen gemacht.
Im zum Studio umgebauten Heavens-Gate-Proberaum habe ich dann 1996 unser Album „Planet E“ produziert und 2000 habe ich das Studio dann mit Miro Rodenberg übernommen. 2005 hat Olaf (Reitmeier) das Team komplettiert und seit 2007 ist auch Simon Oberender als Freier Mitarbeiter dabei. Wir sind im Laufe der Zeit wirklich gewachsen, mit ganz verschiedenen Bands, aber vielleicht doch einem Fokus auf Melodic Metal, eine unserer frühen Arbeiten war beispielsweise Rhapsody  mit ihrem ersten Album. In zehn Tagen haben wir die glaube ich gemacht.
Nach wie vor versuche ich auch, mich vor allem auf der musikalischen, kreativen Seite als Produzent einzuklinken. Die technische Seite mache ich zwar auch, aber das Künstlerische ist mir doch vor allem wichtig – dass man musikalisch das beste aus einer Platte herausholt.

Inwiefern siehst du dich, obwohl du versuchst, kreativ Einfluss zu nehmen, auch in einer Dienstleisterrolle für die Bands und inwiefern ist es hier wichtig, wie gut dir die Musik selber gefällt?
Ich versuche eigentlich immer, das Ganze zu beeinflussen, da kommt es auch gar nicht so sehr darauf an, ob mir selber die Musik gefällt oder nicht, solange ich sie verstehe. Manchmal ist es sogar ganz gut, wenn man sich in einem Genre nicht so heimisch fühlt, da geht man unvorbelasteter an die Sache heran. Man denkt sich dann halt in den Stil der Band herein und versucht, ihre Stärken zu betonen.

Du produzierst ja doch überwiegend Melodic- und Power Metal, man könnte also vermuten, dass die Ansprüche überall ähnlich sind. Schleicht sich da nicht eine gewisse Routine ein? Oder unterscheiden sich die Sound-Bedürfnisse von Band zu Band doch so sehr?
Irgendeine Routine stellt sich schon ein, aber das ist eher das Handwerkszeug, das unabdingbar ist. Ansonsten sind die Bedürfnisse tatsächlich sehr individuell. Es gibt Bands, mit denen gehe ich in den Proberaum und spiele mal zwei Wochen auf Gitarre oder Bass mit, um besser in die Musik einzutauchen. Es kommt zwar auch vor, dass die Band ins Studio kommt und alles fertig hat – auch eher selten –, aber im Allgemeinen bin ich schon der Typ, der gerne auch Vorschläge macht. Möglich ist auch, dass mir jemand eine Proberaumaufnahme schickt und ich mache alles alleine, inklusive Aufnahmen & Arrangements, Songs umschreiben oder auch neu schreiben. Auch die Größe der Produktion kann sich deutlich unterscheiden, ob bspw. eine Live-Aufnahme auf dem großen Studioschlagzeug oder Programming gefragt ist… Insofern kann man nicht wirklich davon reden, dass es immer dasselbe wäre. Wie gesagt, gleich ist immer nur, dass für mich am Anfang der Versuch steht, den Song wirklich gut zu machen, ohne guten Song wird man sich meiner Meinung nach auch schwer tun, einen guten Sound zu bekommen.

paeth3Wenn du für Bands ganze Songs schreibst und diese auch einspielst, wo ist dann eigentlich noch deren Anteil?
Naja, manche brauchen oder wollen halt noch einmal kreative Unterstützung, das sieht auch immer anders aus. Für manche Bands schreibe ich beispielsweise Gesangsmelodien oder Texte. Andere geben mir grobe Strukturen und ich bau da noch Teile wie einen Chorus oder eine Bridge dazu, ändere mal die Tonart… Da fällt schon relativ häufig relativ viel an. In solchen Fällen wird der Produzent dann eben Teil der Band, das wollen die Bands, die zu mir kommen, dann aber auch. Und mir macht es dann natürlich gleich viel mehr Spaß, wenn ich mich einbringen kann.
Andererseits habe ich aber auch nichts dagegen, wenn eine Band konkrete Vorstellungen von dem hat, was sie tut, manchmal mache ich ja auch nur Mix und/oder Mastering.

Verfolgst du weiter, was mit einer von dir produzierten Platte passiert? Liest du Kritiken, informierst du dich über Charteinstiege usw.?
Charteinstiege bekommt man natürlich mit, weil man meistens im Verteiler von der betreffenden Plattenfirma ist, aber ansonsten eher nicht. Falls ich mal über etwas stolpere, schaue ich mir das schon an, aber eigentlich lese ich keine CD-Kritiken, ich gebe da, um ehrlich zu sein, auch nicht viel auf fremde Meinungen. Früher habe ich das öfter gesehen, dass zwei Platten von mir, die im selben Magazin besprochen wurde, und wo bei der einen wirklich etwas dahinter steckte und die andere eher so naja war, genau letztere deutlich besser wegkam… Was Erfolg hat und was den Journalisten gefällt, ist eben oft ein Mysterium. Es kommt auch immer auf das Magazin an, ich weiß inzwischen, wo welche CD gut ankommt und welche nicht. Das ist wirklich beinahe komplett subjektiv, und manche Leute haben halt leider überhaupt keine Ahnung, wovon sie sprechen.
Ich habe auch selber mal bei so einem Soundcheck mitgemacht, als ich noch bei Heavens Gate war, und klar, da musst du halt auch 35 Tapes durchhören, wie sollst du da die einzelne Band auch nur irgendwie einschätzen können? Immerhin: Damals waren da noch die Red Hot Chili Peppers dabei, ich kannte die da noch gar nicht so wirklich. Aber da lief es es genauso: Beim ersten Mal war ich mir nicht so sicher, beim zweiten Mal fand ich es geil und damit stand die Bewertung dann auch fest. Darauf kann man dann halt nichts geben.
Natürlich gibt es auch Leute, die wirklich versuchen, was zu beschreiben und sich in die Musik hineinzudenken, aber die meisten haben wirklich null Ahnung von nichts, da kann ich mir oft nur an den Kopf fassen. Insofern: Wen interessiert das schon… Im Endeffekt entscheidet der Fan, man sollte sich als Band auch nicht von so etwas runtermachen lassen.

paeth4Hast du das Gefühl, dass mit der freien Verfügbarkeit von ProTools, Logic usw. die Zahl der professionellen Produktionen abgenommen hat?
Anfangs hat sie wirklich abgenommmen, inzwischen werden es wieder mehr, einfach weil die Leute merken „Ups, ist ja doch gar nicht so einfach“. Was oft total vergessen wird, ist, wie wichtig das Studio als Ort ist, an dem man sich einfach komplett aus dem Alltag ausklinken kann. Das funktioniert zu Hause einfach nicht. Das ist auch das Problem von vielen heutigen Produktionen, vieles klingt da extrem zusammengeschustert und hat nur noch sehr wenig von einer Performance, total editiert, total geradegebogen. Emotional gesehen find ich ganz schön übel, was da läuft. Oder nimm nur einmal, was heute im Radio kommt, mit was für Methoden die Vocals bearbeitet werden, da fehlen mir zum Teil die Worte. Da steckt überhaupt kein Gefühl mehr drin, und wenn das der Fall ist, finde ich Musik leider total scheiße.
Ich kann schon verstehen, dass man als Band Geld sparen will, aber diese Masse an Produktionen hat leider auch dafür gesorgt, dass die wenigen Bands, die doch noch etwas Besonderes haben, in der Masse total untergehen. Zumal Qualität für Erfolg ja überhaupt keine Rolle spielt, es muss sich nur gut verkaufen, und was die Leute kaufen sollen, kannst du ihnen offenbar auch einfach einreden, da muss die Musik lange nicht gut sein. Merkt man ja an dem Zeug, was immer läuft, was dann hochgelobt wird, sich aber nachher doch als wenig nachhaltig erweist. Oder man sehe sich diese Superstar-Geschichten an, wo die Teilnehmer dann ein paar Lieder auswendig lernen und dafür gefeiert werden. Künstlerisch wird da überhaupt nichts erschaffen, man wird auch nicht Michael Jackson, weil man eines seiner Lieder singen kann. Dementsprechend wandelt sich auch die Motivation, warum junge Menschen mit dem Musik machen beginnen, häufig (nicht immer!) geht es da nur noch um die Kohle. Als ich 14 war, wollte ich das als Beruf machen, das war eine Erfüllung für mich, ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet, ob ich damit berühmt werden kann. Aber klar, heute ist die coole Pose wichtiger als die Musik, was sich dann natürlich negativ auf die Musik auswirken muss. Und auch die Wertschätzung von Musik ist durch diese Überflutung gesunken, Hauptsache billig oder gleich umsonst – „15 Euro für ne CD? Ich schmeiße denen doch nicht mein letztes Geld in den Rachen!“, hör ich immer wieder. Dabei müssen eigentlich wirklich fast alle Künstler, die ich kenne, schauen, wo sie bleiben. Die arbeiten, geben Gitarrenunterricht, machen irgendetwas, um sich über Wasser zu halten… Klar gibt es Bands, die es wirklich geschafft haben und Kohle ohne Ende haben, aber das sind die Ausnahmen. Aber auch nicht nur von denen, auch von allen anderen wird natürlich fleißig kopiert und heruntergeladen, das können Labels auch nicht mehr auffangen.
Man muss sich nur einmal überlegen: Das Geld, das heute für eine ganze Produktion reichen muss, wurde vor 20 Jahren verwendet, um ein Cover zu machen. Finanziell lohnt es sich überhaupt nicht mehr, ein Album aufzunehmen, das einzige, wo noch etwas hereinkommt, sind Touren. Insofern sinken Alben inzwischen manchmal zum Promotionzweck und einem Vorwand für eine Tour herab. Klar, als Kunstobjekt steckt man immer noch Mühe herein, aber verdienen kann man damit gar nichts, nur noch einmal auf Tour gehen und sich an jeder Steckdose den Arsch wegspielen.
Wer findet, dass Kunst kostenlos und für jeden frei verfügbar sein muss, muss konsequenterweise auch umsonst arbeiten gehen. Aber diese Wertschätzung ist völlig abhanden gekommen, man erwartet, dass Leute umsonst den Kasper für einen machen.

Obwohl die Qualität von Produktionen also gesunken ist, gibt es trotzdem ab und zu noch Sounds in heutigen Produktionen, die du cool findest und eventuell auch nachahmen willst?
Ich würde nicht sagen, dass sich etwas verschlechtert hat, eher: verändert. Es hat sich alles technisiert, viele Produktionen werden heute total machomäßig aufgeblasen und sind vollkommen emotionslos. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, wie da alles verzerrt plattgemacht und das Master so lang komprimiert wird, bis es scheiße klingt. Ansonsten gibt es technisch natürlich auch hochwertige Sachen, aber ich höre moderne Sachen eigentlich eher wenig und orientiere mich auch nicht daran. Ich höre sowieso fast gar keine Musik mehr, und wenn doch mal, dann das alte Zeug, was ich schon kenne. Dann kann ich das noch genießen, aber nach einem ganzen Tag, den du ununterbrochen mit Musik zu tun hattest, gibst du dir nicht am Abend noch einmal drei Stunden.
Coole Sachen finde ich zwar auch ab und zu, aber das ist dann eher zufällig. Ich bin niemand, der da aktiv danach sucht. Billy Talent fand ich produktionsmäßig in den letzten Jahren zum Beispiel sehr gut. Aber wie gesagt, es gibt auch viel Mist.

paeth5Kann dir eine schlechte Produktion dann auch ein Album beim Hören verderben?
Allein schon, wenn das Ganze zu sehr aufgedreht wird, kann es viel zerstören. Ich habe das jetzt erst wieder bei mir selbst bei der neuen Avantasia gemerkt, wo ich es noch gut im Kopf habe, weil es eben das letzte Projekt war: Ich habe da die Aufnahmen und den Mix gemacht und Miro das Mastering (eigene Sachen mastere ich nicht, da fliegt mir der Kopf weg, wenn ich da auch noch versuche, das allerbeste herauszuholen), und wir haben dann hier und da auch immer ein bisschen aufgerissen. Nicht so stark wie das bei vielen anderen Produktionen der Fall ist, aber wir haben uns die bis dahin fertigen Songs dann zu Hause angehört und fanden es beide total furchtbar. Die ersten zwei Minuten kam das geil, aber danach wurde es total anstrengend, sich das am Stück anzuhören. Wir haben das dann noch einmal komplett neu gemacht und alles deutlich leiser gedreht. Bedeutet: Weniger Kompression, weniger Dichte im Signal, dafür mehr Dynamik. Da macht es einfach viel mehr Spaß, Musik zu hören. Und wenn ich es lauter haben will, dreh ich halt auf. Klar muss man auch dafür sorgen, dass auf dem iPod oder so eine Lautstärke eingestellt werden kann, dass man das auch im Zug oder so noch gut anhören kann. So leise wie früher kann man da natürlich nicht mehr werden, aber ansonsten ist es echt egal, wie laut es ist. Da fände ich es schön, wenn man sich da wieder im Allgemeinen ein bisschen mäßigen und es dem Hörer überlassen würde, wie er seine Musik hören will. Nebenbei bemerkt, nicht nur in der Musik, auch in der Gesellschaft und der Politik geht es eigentlich nicht darum, wer am lautesten schreien kann…

Noch eine Frage zum Schluss: Du hast für die Avantasia-Platte „The Scarecrow“ den goldenen Bobby gewonnen. Findest du diese Platte denn auch persönlich am gelungensten unter deinen Produktionen?
Ich finde die schon sehr gelungen, ja. Ich finde, die Platte hat einen sehr eigenen Sound und einen eigenen Charakter. Aber die anderen Avantasia-Alben sind dann auch alle in diese Richtungen und es gibt auch viele andere Alben, auf die ich stolz bin. „The Scarecrow“ habe ich da halt einfach mal eingereicht, normalerweise mache ich so etwas auch gar nicht mit, aber das hatte ich dann gerade fertig und fands ganz gut. Und hat dann ja auch auf Anhieb geklappt.

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Publiziert am von Marius Mutz und

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