Einer der Vorteile von der Bemusterung mit Promo-CDs ist, dass man als Rezensent nicht, wie ein potentieller Käufer im Laden, vom Artwork beeinflusst werden kann – wäre dem nämlich so, hätte es „Wahnsee“ der Würzburger Black Metaller KLAMM vermutlich nicht einmal in meinen Player geschafft. Nicht, dass das Artwork des Albums unansehnlich hässlich wäre (auch wenn der Knick in der Perspektive schon ein wenig stört…) – vielmehr lässt mich das Bild mit seiner augenscheinlich recht platten Umsetzung des Feuer-Wasser-Luft-Elemente-Konzepts in recht steriler Darstellungsweise schlichtweg völlig kalt.
Wo die CD nun aber schon auf meinem Tisch liegt, komme ich natürlich nicht umhin, mich damit auch auseinanderzusetzen – und werde sogleich überrascht. 1:18:05 zeigt der Player als Spielzeit an… nicht nur für ein Debüt-Album eine ganz schön amtliche Spielzeit hart an der Grenze zur maximalen Kapazität eines Silberlings.
Auch der Blick ins Booklet sorgt für Erstaunen: In den hier komplett abgedruckten, deutschen Lyrics lässt sich kein Refrain, kaum ein wiederholter Vers finden – statt dessen handelt es sich bei den Texten um Geschichten von beachtlicher Länge (bei Songspielzeiten von bis zu 17 Minuten eigentlich kein Wunder). Inhaltlich anspruchsvoll und thematisch interessant, sprachlich jedoch teilweise etwas holprig gereimt und gewollt wortgewandt beziehungsweise pseudo-eloquent formuliert, erinnern diese (im Guten wie im Schlechten) ein wenig an die lyrischen Ergüsse ihrer bayerischen Landsmänner und Genrekollegen von Nebelkrähe.
KLAMM scheinen mit dem Hörer mit „Wahnsee“ tatsächlich viel vorzuhaben – und in der Tat braucht es einige Hördurchgänge, bis sich die Gedanken über das Album halbwegs klar sortiert zu Papier bringen lassen.
Zunächst ist der Aspekt der technischen Umsetzung anzusprechen. Hier kann man über die 2005 gegründete Band fast ausschließlich Positives sagen: An ihren Instrumenten fit, hat die Band ihrem Album einen sehr professionellen Charakter verliehen – nicht zuletzt durch den für ein selbstproduziertes Erstlingswerk wirklich amtlichen Sound: Sicherlich, etwas voller könnte „Wahnsee“ schon klingen, und gerade das Schlagzeug lässt im Vergleich mit Studioproduktionen doch merklich an Druck und Fülle im Klangbild vermissen – einer Band, die ein komplettes Album in Eigenregie veröffentlicht hat, einen solchen, meist vom geringen Budget abhängigen Aspekt anzukreiden, wäre jedoch mehr als unfair, wenn sich das abgelieferte Resultat doch so gut schlägt wie in diesem Fall. Am Sound scheitert „Wahnsee“ auch nicht – ebenso wenig an mangelnder Abwechslung (gerade der vielleicht gerade im Clean-Bereich nicht immer 100% souveräne, dafür jedoch aufs Ganze gesehen sehr vielseitige Gesang sei an dieser Stelle positiv erwähnt) oder Individualität – KLAMM haben Ideen, die es sie umzusetzen drängt… das merkt man. Und genau hier liegt das „Problem“ des Albums, wenn man es so nennen will: Bei aller Kreativität verlieren KLAMM bisweilen den Blick aufs „große Ganze“, also das Album als Album, aber auch auf den Hörer.
Denn gewiss – in jahrelanger Arbeit entwickelt, erscheint auch die vertrackteste Songstruktur, der verworrenste Ablauf logisch und ganz natürlich. Hat man jedoch dieses intime Verhältnis zu den Kompositionen nicht, und wird vor die knapp 80 Minuten Musik gesetzt, verliert man über kurz oder lang doch irgendwann den Faden und damit auch ein wenig die Lust an dem Werk.
Dass das Material deshalb schlecht wäre, wäre definitiv die falsche Folgerung – treffender wäre wohl die Beschreibung als „überambitioniert“, gehen hier doch viele gute Ansätze in dem Wust aus Ideen, der auf den Hörer hereinbricht, unter und verloren, so dass sich die viele Arbeit, die hier zweifelsohne investiert wurde, am Ende nicht einmal so richtig rentiert hat.
„Wahnsee“ ist ein schwieriges Album, welches seine Vorzüge beileibe nicht auf dem Silbertablett präsentiert: Von Eingängigkeit kann hier nicht ansatzweise die Rede sein, Hits sucht man genauso vergebens wie wirklich markante, aus dem „großen Ganzen“ herausragende Höhepunkte – dafür ist das Werk jedoch ein kraftvoller Beweis für den Tatendrang, die Kreativität und die Hingabe dieser jungen Band, der für zukünftige Alben viel Hoffnung macht.
Dass man sich auch „Wahnsee“ über viele Hördurchgänge erschließen und so Freude an dem Album finden kann, will ich nicht bestreiten, auch wenn es dafür wohl einiger Zeit und Hingabe bedarf. Den leichten Weg in die Herzen der Hörer beschreiten KLAMM mit ihrem Debüt definitiv nicht – dafür jedoch kommt die Musik hörbar von Herzen und ist mit dessen Blut geschrieben.
Wertung: 6 / 10