Im Prog, insbesondere im Prog-Metal, findet gerade ein längst überfälliger Generationenwechsel statt. Vorbei ist die Zeit, in der beinahe ausschließlich Dream Theater Vorbild für komplexen, anspruchsvollen Metal waren und jede neue Band, die sich „progressive“ nannte, genauso wie Dream Theater klang. Wer heute eine Prog-Band gründet, beruft sich eben nicht mehr nur auf Metallica, Dream Theater und Rush, sondern in gleichem Maße auf Tool, Meshuggah oder Dredg – und denkt dabei in einer Art und Weise über Genregrenzen hinweg, die früher scheinbar nicht möglich war.
Ein wunderbares Beispiel für eine solch frische Band sind SYQEM aus Hamburg, die mit „Reflections Of Elephants“ ihr Debütwerk vorlegen. Gegründet hat sich die Combo allerdings schon vor 11 Jahren. In der Zwischenzeit waren die Jungs allerdings nicht faul, sondern nahmen insgesamt vier EPs auf und erarbeiteten sich einen exzellenten Ruf als Live-Act. So spielten sie z. B. bereits 2008 beim „Rock am Ring“-Festival, wurden 2007 mit dem „Schandmaul Newcomer Preis“ ausgezeichnet und gingen als Sieger aus den „Sennheiser Stage Gigs“ hervor. Das klingt nach einer Menge Erfahrung, und die merkt man „Reflections Of Elephants“ auch zu jeder Sekunde an.
Und wie klingen SYQEM nun? Stellen wir uns einfach vor, Meshuggahs Polyrhythmen an Gitarre und Schlagzeug treffen auf Gesang, der an öfters mal an Dredg erinnert und vermengen das Ganze mit einer Spur Alternative Rock. Obendrauf gibt es jede Menge hypermoderne Elektro-Spielereien und Samples. Verpackt wird diese Soundkreation schließlich in eine fantastische, überaus druckvolle Produktion, die sich hinter großen internationalen Veröffentlichungen nicht verstecken muss und mit ihrem knusprig-fetten Sound an Bands wie Soilwork erinnert.
Bereits der Opener „Attack Of The Elephants“ beweist eindrucksvoll die Klasse und die Entschlossenheit, mit der die vier Hanseaten ihre Sache durchziehen. Vom atmosphärischen Intro über die brettharten Gitarren und hymnischen Gesänge bis hin zum elektronikgetränkten Ende passt hier einfach alles. Erfreulicher- und erstaunlicherweise können die nachfolgenden Tracks dieses hohe Niveau mühelos halten. Die Band reiht Ohrwurm an Ohrwurm, geht mal mehr, mal weniger hart und melodisch zu Werke, achtet dabei aber immer auf eine dichte, packende Atmosphäre. Auch in die Pop-Falle tritt man nur äußerst selten, lediglich „You Phone“ ist gesanglich etwas zu süßlich geraten; wenn man an Nickelback und Hoobastank denken muss, kann das kein gutes Zeichen sein.
Mit 45 Minuten fällt das Album zwar auf dem Papier recht kurz aus, für den Stil der Band kann diese Spielzeit aber als perfekte Länge angesehen werden. Insgesamt gibt es 13 Tracks auf die Ohren, wovon allerdings nur 9 vollständige Songs sind, die sich fast ausschließlich zwischen vier bis sechs Minuten Spielzeit bewegen. Bei den restlichen vier Nummern handelt es sich um kurze atmosphärische Zwischenspiele.
Ohne Frage, nach einem Debüt klingt „Reflections Of Elephants“ beileibe nicht. Zu professionell, zu perfektionistisch, zu cool gehen SYQEM dafür zu Werke. Auch an ein ansprechendes Cover haben die Jungs gedacht. Nur eine Sache muss man ihnen vorwerfen: Ihre Songs folgen immer derselben (zweifellos sehr coolen) Formel. Die Folge ist wenig Abwechslung und eine relativ kurze Halbwertszeit, was aber nicht zuletzt auch daran liegt, dass die Songs trotz aller Komplexität jederzeit extrem zugänglich bleiben – was absolut positiv zu werten ist.
Die Hamburger schaffen eine wunderbare Symbiose aus modernem Metal, Alternative Rock und Indie, die von treibender Polyrhythmik und messerscharfer Elektronik angetrieben wird. „Reflections Of Elephants“ ist extrem unterhaltsam und abgesehen vom erwähnten Mangel an Abwechslung eine Mustervorstellung. Geil!
Wer nun Blut geleckt hat: Leider ist das Album derzeit nur als digitale Veröffentlichung über iTunes und Bandcamp erhältlich. Hoffentlich lässt eine gepresste Ausgabe nicht lange auf sich warten!
Anspieltipp: „Attack Of The Elephants“, „Fabric Of The Mind“
Wertung: 8.5 / 10