(Neoklassik/Post Rock) Das Phänomen, dass klassische Kompositionen immer mehr Einzug in die sogenannte „Popmusik“ halten, und demzufolge eine gewisse Verschmelzung der altbackenen Unterscheidung zwischen E- und U-Musik stattfindet, ist keine neue Beobachtung. Künstler wie Yann Tiersen (auch wenn dieser sich auf seinen letzten Alben von diesem Stil ein wenig entfernt hat) und Ólafur Arnalds haben sich ruhigen Klavier- und Streicherkompositionen gewidmet, welche sie in kurze Songstrukturen stecken, und Post Rock Bands wie Godspeed You! Black Emperor, Sigur Rós oder Amiina setzen zu großen Teilen auf klassische Instrumente und stricken ihre Songs rund um klassisch geprägte Kompositionen. Die Franzosen LES FRAGMENTS DE LA NUIT, welche mit „Musique De Nuit“ bereits ihr drittes Album veröffentlichen, sitzen in gewisser Form zwischen diesen genannten Stühlen.
Schwere Klavierklänge und Dissonanzen läuten das Album ein, um anschließend das Zepter an hektische, doch immer melancholische Streicher zu übergeben. Bereits nach den ersten paar Minuten wird deutlich, dass der Fokus von LES FRAGMENTS DE LA NUIT auf wunderschönen und sehnsüchtigen Melodien liegt, welche in dieser Form wohl nur das Wechselspiel von klassischen Instrumenten erzeugen können. Von der Instrumentierung ist hier alles aufs Effektivste auf das Wesentliche reduziert – umso wirkungsvoller gestaltet sich das jeweilige Einsetzen des Klaviers oder der Geigen. Die fünf Franzosen verlassen sich vollständig auf ihre Instrumente und verzichten auf elektronische und atmosphärische Flächen im Hintergrund, wodurch letztlich nie eine Nähe zu Ambient-Bands entsteht, sondern immer eine klassische Eigenständigkeit gewahrt bleibt.
Auch wenn der Titel „Musique De Nuit“ und die Einordnung in ein Genre wie Neoklassik es vermuten ließen, werden hier keine Parallelen zu Mozarts Kleiner Nachtmusik gezogen. Im Gegensatz zu dieser Komposition liegt der Fokus hier eindeutig auf den unruhigen, häufig beängstigenden und von Selbstzweifeln geprägten Stunden zwischen dem Schlaf und Wach. In allen Melodien schwingt gleichzeitig eine verträumte Sehnsucht mit, welche sich in „La Proposition“ wohl am deutlichsten manifestiert. Unterstützt wird diese Stimmung vom Gänsehaut erzeugenden „La Dame Blanche“, welche lediglich aus übereinander gelegten hohen Gesängen besteht, ohne mit einem Text aufwarten zu können. Klangen derartige Momente auf früheren Alben noch nach Elfengesängen, tritt hier nun tatsächlich ein Geisterchor in Erscheinung.
So bezaubernd das Album auch ist, liegt sein größter Schwachpunkt leider in seiner – hinsichtlich des Bandnamens dezent ironischen – Fragmentar-Haftigkeit. Dass die Gründungsmitglieder, Michel Villar und Ombeline Chardes, Filmmusik-Komponisten sind, hört man „Musique De Nuit“ vor allem in den leider häufig nicht vollständig zu Ende gedachten Songstrukturen an. So entsteht kein wirklicher Fluss, was neben den teilweise in sich nicht abgeschlossenen Ideen dadurch verstärkt wird, dass die Songs nicht ineinander übergehen, sondern für sich stehen. Zwar wird dies wird durch die thematische und musikalische Ähnlichkeit ein wenig revidiert, allgemein hätte man hier aber hinsichtlich der Stimmung mehr machen können. Dass es der Band darauf ankommt, ist auch am, einmal mehr, liebevollen und bezaubernden Artwork zu erkennen.
Insgesamt gelingt LES FRAGMENTS DE LA NUIT auch auf ihrem dritten Album ein schönes und verträumtes Klangbild. Wenn die Strukturen hin vom Soundtrack mehr zum Albumfluss gehen, ist nicht ausgeschlossen, dass die Franzosen noch ein Meistewerk aus dem Ärmel schütteln können.
Wertung: 7.5 / 10