Es gibt Bands und Künstler, bei denen kann man sich eigentlich sicher sein, dass alles, was sie anfassen, wenn auch vielleicht nicht zu Gold, so doch zumindest nicht grottenschlecht wird. METALLICA waren für mich immer eine solche Instanz. Denn mal unter uns: So schlimm ist auch „St. Anger“ nun auch nicht. Auch LOU REED war für mich bislang ein solcher Künstler: The Velvet Underground sind vielleicht nicht gerade mein Ding, aber doch ein Name, der für Niveau und Anspruch steht. Entsprechend gespannt blickte ich der Kollaboration der beiden Parteien entgegen, beziehungsweise dem Resultat dieses Zusammenschlusses: „Lulu“.
Lyrisch wird, wie der Albumtitel breits nahelegt, Frank Wedekinds gleichnamiges Werk verarbeitet, eine Geschichte über den Aufstieg und Fall einer jungen Frau, die als Prostituierte von ihrem letzten Liebhaber ermordet wird. METALLICA liefern die Musik, LOU REED die Textinterpretation. Klingt doch so weit alles eigentlich ganz interessant. Was sich im Folgenden leider recht schnell offenbart, ist, dass das Resultat genau so nicht klingt: interessant.
Denn was die Rockstars hier abliefern, ist – man kann es nicht anders sagen – in seinen besten Momenten langweilig. Dann klingen METALLICA nämlich nach METALLICA, LOU REED klingt nach LOU REED und die Kombination, als hätte jemand lieblos eine Gesangs- und eine Tonspur übereinander gelegt, ohne groß darüber nachzudenken, wie sich das Ergebnis wohl anhören würde.
In den schlechteren Momenten – und davon finden sich auf „Lulu“ leider deutlich mehr – liefern die Rockstars einen wirren Haufen unausgegorener Ideen und völlig kruder Kompositionen ab, die weder anspruchsvoll noch atmosphärisch, sondern so chaotisch wie belanglos klingen, und zu denen Mr. REED ohne auf Melodie und Takt zu achten seine Texte lallt. Und ja, ich habe „lallt“ geschrieben, und ja, ich meine damit den LOU REED und keinen anderen. Anders kann man den „Sprechgesang“ auf diesem Album nämlich kaum umschreiben. Den stimmlichen Vergleich zu Johnny Cash traut man sich an dieser Stelle aus Respekt vor dem Meister kaum noch zu bringen.
Wirklich dramatisch ist an alledem, dass von der im Vornherein zur perfekten stilistischen Ergänzung stilisierten Kombination der grundsätzlich sehr verschiedenen Stile beider Parteien wenig bis nichts zu merken ist: Von einem Spannungsbogen oder, etwas weiter gefasst, einer erkennbaren Dramaturgie in der Komposition kann nicht die Rede sein: Vollkommen höhepunkts- und ziellos irren METALLICA durch die Weiten ihrer (absolut gesehen recht stark limitierten) musikalischen Welt, während REED, wie im Drogenrausch, vollkommen losgelöst von der Welt (aber leider auch von der begleitenden Musik) die Texte rezitiert.
Auf beinahe tragische Art und Weise versuchen METALLICA dabei auf Biegen und Brechen, kein METALLICA-Album abzuliefern und scheitern damit grandios in pseudoprogressiven Kompositionen, die klingen, als hätte man krampfhaft versucht, aus übrig gebliebenen METALLICA-Proberaum-Mitschnitten etwas zu formen, das nach irgendwas, nur nicht nach METALLICA klingt.
Halbwegs hörbar ist das Dargebotene eigentlich nur, wenn Hammet und Co. sich von der Utopie verabschieden, Prog-Rock komponieren zu können. Dann klingt „Lulu“ zwar immer noch nicht gut, aber immerhin ein bisschen nach METALLICA. Dass LOU REED bei diesem musikalischen Chaos heillos verloren ist und keine Chance hat, sich irgendwie sinnvoll in die Musik einzuklinken, kann dem guten Mann eigentlich niemand zum Vorwurf machen – alleine, auch für sich genommen ist das, was der Sänger hier abliefert, derart uninspiriert und witzlos heruntergebetet, dass man sich fragt, was den Mann überhaupt zum Mitwirken an dem Projekt überzeugen konnte. Dass er beim Song „Frustration“ doch noch zumindest so weit aus sich heraus geht, dass das Stück am Ende ziemlich deutlich an eine Helge-Schneider-Nummer erinnert, ist da ja fast schon wieder witzig. Leider nur fast.
Wäre ich Richter und hätte zu entscheiden, wer der Hauptschuldige im Falle „Lulu“ ist, würde ich wohl zunächst METALLICA nennen, ist die Musik auf diesem Album doch für sich genommen schlichtweg eine Frechheit, die man sich so eigentlich nicht anhören kann und zu der zu singen man niemanden zwingen mag. Doch nach dem alten Prinzip des „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen“ ist auch Mr. REED alles andere als frei von Schuld – hat den guten Mann doch wahrlich niemand gezwungen, sich (und in Konsequenz daraus: dem Hörer) das hier anzutun.
„Lulu“ ist der Beweis, dass große Namen absolut kein Qualitätsmerkmal sind – nicht einmal, wenn es die Namen METALLICA und LOU REED sind. Außer ein paar aussortierten METALLICA-Riffs in wirren und mit oft acht bis einmal gar 19 Minuten („Junior Dead“) viel zu ausladenden Songungeheuern hat „Lulu“ musikalisch absolut nichts zu bieten und langweilt so schon nach den ersten paar Songs. Dass über diesen Unsinn auch noch ein alter Mann wirres Zeug redet, als hätte er sich grade zufällig in ein Tonstudio verirrt und wäre unbemerkt vom Aufnahmeleiter an eines der Mikrophone getreten, rundet das Bild des überambitionierten Projektes in die Tage gekommener Musiker, die verzweifelt versuchen, noch einmal aus ihrem eigenen Schatten zu treten, um nicht nur für ihr Lebenswerk in Erinnerung zu bleiben, gelungen ab.
Wie man das halbwegs würdevoll macht, hat Mick Jagger unlängst mit seinem Ruhestands-Projekt Superheavy bewiesen – wie man es nicht machen sollte, zeigen METALLICA und LOU REED hier filmreif. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja demnächst eine Band-Dokumentation, die erklärt, welches Kollektiv-Trauma mit diesem Album aufgearbeitet wurde… Titelvorschlag: „Some Kind Of Lulu“.
Wertung: 1.5 / 10