Auch Metaller haben ein weiches Herz. Das beweist unter anderem Per Nilsson, seines Zeichens Gitarrist der schwedischen Melodic Death Metal Band Scar Symmetry. Seit drei Jahren und einer Platte („Angling Feelings“) ist er nämlich auch Gitarrist der ebenfalls schwedischen Retroprog-Formation KAIPA, die wenig von Metal hält und mit ihrem neuen Album lieber positiv-friedliche Vibes verbreiten will.
Musikalisch hat sich bei der Combo um Keyboarder und Chef Hans Lundin nicht viel geändert: Es wird farbenfroher, gutgelaunter Prog klassischer Prägung dargeboten; liebevoll instrumentiert, ordentlich produziert, teilweise episch und oft nicht unkitschig. Wichtig sind bei den Schweden aber auch die Folk-Einflüsse, die neuerdings selbstbewusster eingebracht werden und den Sound noch stärker prägen als früher. Seit der Wiedererweckung von KAIPA im Jahre 2002, damals noch mit Roine Stolt (Flower Kings) als Gitarristen, hat die Gruppe daran gearbeitet, ihre Musik zu perfektionieren. Grandiose Musiker waren hier schon immer am Werk – sie haben anfänglich nur zu viel kalkuliert, zu sehr auf eine bestimmte Zielgruppe geschielt. Ihre Musik war perfekt, ohne zu berühren. Jetzt hat der Sechser gelernt, vitaler, lebendiger und spontaner zu musizieren. Es kommt mehr beim Hörer an. Ein gutes Beispiel dafür ist der brillante 17-Minüter „Electric Power Water Notes“, der geschickt eine gelungene Komposition mit improvisierten Parts kombiniert. „Folkia’s Final Decision“ ist ein tolles kurzweiliges Folk-Instrumental, das sich zumindest vom Titel her auf das 2002er-Album „Notes From The Past“ bezieht. Dort fand sich ein Stück namens „Folke’s Final Decision“. Keyboarder Hans Lundin: „Ich stelle mir Folkia als Folkes jüngste Tochter vor. Ein winziges, verspieltes Abbild ihres Vaters“.
Die Mannschaft, mit der Lundin das Album realisierte, ist – abgesehen vom bereits erwähnten Gitarristen – noch dieselbe wie vor acht Jahren: Jonas Reingold (Flower Kings, Karmakanic) und Morgan Ågren bilden das gleichsam verspielte wie druckvolle Rhythmusfundament, auf dem Lundin und Nilsson ihre mal bombastischen, mal elegischen oder klebrigen Spuren ausbreiten. Als Sänger agiert Patrik Lundström (Ritual), dessen pathetische Stimme man nach wie vor mögen muss – mittlerweile fügt er sich allerdings besser in den Gesamtsound ein und wirkt nicht mehr allzu sehr wie ein Fremdkörper. Aleena Gibson, die bereits auf früheren Werken der Band als Gastsängerin aufgetrat, bekommt auf „In The Wake Of Evolution“ einen deutlichen größeren Gesangsanteil zugesprochen. Leider, denn ihr Gesang wirkt unfreiwillig überambitioniert und gepresst. Sie erinnert zumindest in ihren raueren Momenten an eine wiederauferstandene Version von Bonnie Tyler. Trotz teilweise wirklich schönen Melodien schafft sie es deshalb oft nicht, beim Hörer eine emotionale Reaktion auszulösen.
Wer KAIPA schon vor „In The Wake Of Evolution“ mochte, wird auch an diesem neuen Studioalbum Freude haben. Die Band hat etwas die Handbremse gelöst und wirkt befreiter. Flöte und Geige können schöne Akzente setzen. Dass Lundin & Co. mehr als einmal an Yes („In The Heart Of Her Own Magic Field“) oder an die Quasi-Yes-Nachfolger The Flower Kings erinnern, dürfte den Retroprog-Fan nicht unbedingt stören. Ein schönes Album, das allerdings zu vorhersehbar ist, um wirklich vom Hocker hauen zu können. Auch bleibt unverständlich, warum so viele Progbands immer den gesamten Rohling vollpressen müssen – gerade bei der Musik von KAIPA kann sich recht schnell Übersättigung einstellen. Dennoch sind die acht lebensbejahenden, meist überlangen Nummern eine wirklich nette Art, musikalisch den herannahenden Frühling zu begrüßen. Und mit „Electric Power Water Notes“ ist ein wahrhaft fantastischer Longtrack dabei.
Wertung: 7.5 / 10