Musik wird im Regelfall immer dann spannend, wenn sie Neuland betritt; wenn ihre Erschaffer experimentieren, Genre-Grenzen brechen und mutig ihren Weg gehen, ohne allzu sehr die Hörgewohnheiten zu bedienen. Die New Yorker Progrocker IZZ haben genau das mit ihrem Debüt „Sliver Of A Sun“ (1999) und vor allem mit ihrem Zweitling „I Move“ (2002) getan: Ihr Retroprog erinnerte damals an Yes, ELP und neuere King Crimson, doch damit nicht genug: Wundervolle Akustikballaden trafen auf verquere, verschachtelte Instrumentals und Longtracks, auf Folk-Ausflüge folgten Jazz-Reisen und – in nicht geringem Maße – moderne Einflüsse des Trip-Hop mit allerlei frech eingesetzten Beats. Dieses Album war beim ersten Hördurchgang ein überwältigendes Erlebnis und ist es mit seiner großen Stilbreite und Experimentierfreude noch heute.
Seitdem hat die Band um die Brüder und Multiinstrumentalisten Tom und John Galgano eine sehr ruhige EP (Ampersand Volume 1, 2004), ein Livealbum und ein weiteres Studiowerk (My River Flows, 2006) vorgelegt. Letzteres entpuppte sich als doch recht gewöhnliches Retroprog-Album, zwar immer noch großartig komponiert, aber doch eher traditionell instrumentiert, ein Retroprog-Album nach Maß ohne große Überraschungen. Immer noch eine große Leistung, aber doch zu wenig für IZZ-Verhältnisse.
Dieser Kurzabriss der Bandgeschichte musste sein – erstens zur Vorstellung einer Band, die selbst in Progkreisen noch nicht allzu bekannt ist; zweitens kann nur so die neue Platte „The Darkened Room“ wirklich umfassend besprochen und beurteilt werden.
Drei Jahre haben uns die Jungs auf ihre neue CD warten lassen. Am Ende dieser Wartezeit steht ein Silberling, hinter dem ein lyrisches Konzept steckt und der mit nur 50 Minuten eine für Retroprog sehr kurze Spielzeit hat. Dass die Hälfte der zehn Songs unter fünf Minuten ins Ziel läuft, ist bei IZZ jedoch kein Grund zur Sorge.
Düster und mit modernen Beats geht es los: „Swallow Our Pride“ ist ein atmosphärisch dichtes Eröffnungsstück mit grandiosen Melodien, einem perfekten Spannungsbogen und einem tollen 70er-Keyboardsolo Marke Genesis. Mit „Day Of Innocence“ folgt ein kurzweiliges, ziemlich folkloristisches instrumental, das sich von Akustikgitarren-Klängen bis hin zu einem rockigen Finale steigert – in nur 3 Minuten. „Regret“ ist eine Pianoballade mit eher melancholischer Stimmung, die aber im Mittelteil plötzlich ins Positive umschlägt. Auch „Can’t Feel The Earth, Part I“, dem noch zwei weitere Teile folgen werden, startet als ruhige Pianonummer mit Gesang, ehe sich die Band in ein genial komponiertes Instrumental-Abenteuer stürzt, das eindeutig an Keith Emerson und ELP erinnert. Den flüssigen Übergang zum darauffolgenden, positiven, geordnet wirkenden „Ticking Away“ bekommen nur IZZ so selbstbewusst und dennoch absolut natürlich klingend hin.
Danach folgt das Herzstück des Albums: „Can’t Feel The Earth, Part II“ ist mit über 10 Minuten die längste Nummer der Platte. Unheimlich, mit wie viel Sinn für Details hier komponiert wurde. Schräge Parts treffen auf hochmelodische, beinahe spirituell anmutende Momente und alles klingt, als wäre es so genau richtig. Anmarie Byrnes steuert hier einige traumhafte Gesänge bei, wie auch an anderen Stellen des Albums. „Stumbling“ ist eine typische IZZ-Nummer und hätte so auch auf „I Move“ stehen können. In diesem Stück werden Textpassagen und Melodien aus „Swallow Our Pride“ aufgenommen und neu verarbeitet. Außerdem fällt das jazzige Ende auf. „The Message“ wird nach kurzer Zeit trotz der zunächst disharmonisch wirkenden Pianoakkorde zu einem absoluten Ohrwurm. Im abschließenden Track „Can’t Feel The Earth, Part III“ werden Melodien der beiden ersten Teilstücke wieder aufgegriffen und das Album wundervoll beendet. Der Hörer gleitet in andere Sphären.
Die große Stärke der Gruppe ist die Kombination von starken Melodien mit spannenden Instrumentalarrangements. In dieser Hinsicht sind sie definitiv mit alten Spock’s Beard zu vergleichen, auch wenn IZZ vom Hörer etwas mehr fordern. Zudem sind die Amerikaner ziemlich unkitschig und weniger breitwandig. „The Darkened Room“ ist zwar oft melodisch, instrumental aber doch komplexer und verschachtelter als Spock’s Beard. Wer sich von dem Album überzeugen lassen möchte, höre „23 Minuten Of Tragedy“ – auch wenn es auf „The Darkened Room“ schwerer zugängliche und weniger epische Songs gibt. Es ist der mit Abstand beste Retroprog-Track des Jahres. Zudem ist es wirklich toll, dass bei IZZ jedes Instrument gleichwertig behandelt wird: Der Bass und das Schlagzeug sind nicht bloß im Hintergrund, sondern fallen über das gesamte Album immer wieder mit variantenreichem, ausgefallenen Spiel auf. Trotzdem kommen Gitarren und Keyboards nicht zu kurz, auch wenn IZZ keine besonders rockige Variante des Progrock spielen. Es steckt eine Menge Arbeit in diesen Kompositionen!
Vergleichbar ist das Album konzeptionell auch mit den neueren Werken von Neal Morse (ex-Spock’s Beard). Es geht um den Sinn des Lebens, unserer (vergeblichen) Suche danach. Ähnliches behandelte ja auch das letzte Transatlantic-Werk „The Whirlwind“. IZZ allerdings geben sich bedeckter, nicht so offensichtlich. Auch wenn die Texte an zahlreichen Stellen derart interpretiert werden können, dass sie sich auf die Existenz eines Gottes beziehen lassen – sie könnten sicher auch völlig anders verstanden werden. Das macht auch einen großen Reiz von „The Darkened Room“ aus, das übrigens nur der erste Teil eines zweiteiligen Konzepts ist, das mit dem nächsten Album fortgeführt und beendet werden soll.
Das Artwork ist sehr stilvoll, die Produktion unheimlich ausgewogen und naturbelassen. Hier klingt nichts künstlich aufgeblasen und geglättet, wie auf so vielen neuen Veröffentlichungen, trotzdem gibt es nichts dran auszusetzen. Herrlich!
Und noch etwas beweist die Band: In 50 Minuten kann alles gesagt sein, und diese 50 Minuten können abwechslungsreicher sein als manche prall gefüllte Progscheibe voller Longtracks. Gerade die Kompaktheit der Platte macht sie so spannend: Es passiert viel auf engstem Raum. Auf epische Passagen muss dabei nicht verzichtet werden, aber der Sechser weiß eben, wann ein Song zu ende sein sollte, und streckt ihn nicht, bloß weil man die Gelüste der Proghörer befriedigen will. Im direkten Vergleich mit den beiden Vorgängern ist „The Darkened Room“ stilistisch offener als „My River Flows“, was sehr erfreulich ist. „I Move“ bleibt allerdings das Überwerk der Band, das sowohl kompositorisch, als auch beim Variantenreichtum nochmal eins draufsetzt. Insofern empfehle ich jedem Progfan, sich „The Darkened Room“ sofort zu besorgen. Und solange er keine Angst vor Rhythmusmachern hat, „I Move“ am besten gleich mit. Ihr kauft zwei der besten Alben der letzten zehn Jahre.
Wertung: 9.5 / 10