Zu den Urgesteinen in Sachen historischer Musik oder Mittelalter-Rock gehören GEYERS. Sie sind bereits seit Mitte der 80er unterwegs und nannten sich früher DES GEYERS SCHWARZER HAUFEN. Diese Bezeichnung ging auf den historischen Freiheitskämpfer Florian Geyer und seine Gefolgschaft, den Schwarzen Haufen, zurück. Aus rechtlichen Gründen musste 2000 der Name jedoch geändert werden und seitdem nennt sich die Band schlichtweg GEYERS.
Dass sich von GEYERS Musik sogar Ritchie Blackmore bei seinem Projekt Blackmore´s Night hat inspirieren lassen, ist ebenfalls kein Gerücht, sondern eine zweifelsfreie Tatsache. Doch darauf komme ich gleich nochmal zurück. Die GEYERS haben bisher sieben Alben veröffentlicht, das hier besprochene „Lästerzungen“ von 2004 ist das derzeit aktuellste.
Es gibt mittlerweile so viele Mittelalterbands, dass es wirklich schwierig ist, sich von der Masse abzuheben. Den GEYERS gelingt es bereits mit dem Opener „Lästerzungen“ meine Aufmerksamkeit zu wecken. Das Songkonstrukt erinnert mich stark an ZZ Tops Southern Rock. Das Ganze untermalt von traditionellen Klängen und verfeinert mit einem ekstatischen Lead Solo. Die folkloristische Melodie, die „God´s Gospel“ zugrunde liegt, kennt jeder Fan von Blackmore´s Night, denn es ist original das Gegenstück zu „Fires At Midnight“. Bei diesem GEYERS-Stück übernahm Meister Blackmore persönlich den Part der Rhythmus-Gitarre und spielte das Solo. Die GEYERS müssen schon einen guten Draht zu Ritchie haben, wenn er sogar als Gastmusiker fungiert.
Nicht alles auf „Lästerzungen ist typisches Mittelalterrock-Easy-Listening. „Karmelliter“ ist eher tiefgründig und melancholisch, aber erneut mit Ähnlichkeiten zu Blackmores Gitarrenspiel. Herausragend finde ich bei diesem Track die Einheit zwischen Dudelsack und Leadgitarre, besonders im Solo. Auch „Herori Matori“, „Volle Schüsseln“ und „Treulose Freundin“ fallen mehr in die Sparte des bedeutungsvollen und tiefsinnigen Minnesängerliedgutes, bei denen auch die Lyrics ihre Rolle spielen. Das Wort Minnesängerliedgut darf man natürlich nicht zu ernst nehmen. Die GEYERS garnieren das alles mit zeitgemäßen, rockigen Klängen.
Dagegen fallen das instrumentelle „Allan Yn Y Fan“, „Drunken Minstrel“ (eine Adaption des Seemannslieds „What Shall We Do With The Drunken Sailor“) und „Wohlauf“ in die Kategorie der Stücke zum Feiern, Mitschunkeln und Abtanzen. Hier zählen Stimmung und flotte Rhythmen. Das sind die Stücke, die die Besucher eines Mittelaltermarktes nachhaltig bei Laune halten können und die bei Live-Auftritten wohl am ehesten fruchten.
In die letzte Gruppe, die zeitgemäße Umsetzung von Folklore, fallen Songs wie „4 Branlen“, „All Voll“, „Ronde 9“ oder „Gavotten“, die in der Darbietung erst original aus der damaligen Zeit übernommen sein könnten, bevor letzlich die Leadgitarre mit eigensinnigen GEYERS-Arrangements die Führung übernimmt. Absolut erfrischend kann ich nur sagen.
Die Historock-Veteranen verstehen es, ein abwechslungsreiches Album zu schreiben. Ob nun fröhliche Mitsing-Nummer, tiefgründiges Mittelalter-Liedgut oder überraschende Arrangements traditioneller Stücke – man kommt teilweise aus dem Staunen nicht heraus. Als Gesamtwerk ist „Lästerzungen“ nicht nur vielfältig, sondern auch stimmig und hat für jeden Anhänger der mittelalterlischen Rockklänge etwas zu bieten. Die Darbietung an den elektrischen und traditionellen Instrumenten ist einwandfrei.
Zweifelsohne sind Schandmaul, In Extremo oder auch Blackmore´s Night etwas leichtere Kost der historischen Schiene. Bei GEYERS „Lästerzungen“ werden die Sinne mehr gefordert, ist nicht jedes Arrangement im ersten Augenblick leicht verdaulich. „Lästerzungen“ braucht meines Erachtens etwas Zeit, um alle Besonderheiten zu offenbaren. Man muss dem Album einige Runden im CD-Player gönnen, um wirklich jede Finesse zu erfassen. Aber gerade das zeichnet dieses Werk dann auch aus. Wer sich für Mittelalterrock, Historock oder Folkrock begeistern kann, sollte auch an den GEYERS nicht ungehört vorbeigehen.
Wertung: 8 / 10