Ein Band namens TRIST mit einem Album namens „Willenskraft“. Da liegt der ein oder andere zynische Gedanke bezüglich des Hörgenusses beim Konsum dieses Albums nicht fern. Diese legen sich aber schnell, wenn man sich betrachtet, wer hinter diesem Projekt steht, denn es handelt sich um niemand geringeren als Aran von Lunar Aurora, der das Präfix seines Pseudonyms austauschte und hier als Tristan agiert. Zwar hat der gute Ruf Lunar Auroras inzwischen Dimensionen angenommen, die mit Musik alleine nicht mehr zu rechtfertigen sind, dennoch kommt man nicht umhin, die Beteiligung an dieser Band in vielen Fällen als wandelndes Qualitätssiegel für andere Projekte der Mitglieder zu sehen. Insofern darf man auf „Willenskraft“ durchaus gespannt sein.
Interessant war für mich im Vorfeld der Umstand, dass Tristan keine Texte im eigentlichen Sinne für seine Stücke verwendet sondern vielmehr versucht, direkt das Gefühl an sich zu übermitteln. Soll heißen, auf „Willenskraft“ finden sich keine intonierten Worte, sondern nur Lautäußerungen. Wichtig ist das insofern, als dass auf diese Weise bis auf die Titel der Songs und einige kurze Zitate innerhalb dieser grundsätzlich keine atmosphärische Richtung vorgegeben wird, dem Hörer wird nicht geholfen, die Lieder in ihrer Aussage zu deuten.
Genau hier musste dann auch ich nach ein paar Hördurchgängen, die einem Sturz ins kalte Wasser glichen, wieder anfangen. Denn oberflächlich betrachtet befindet sich auf dieser Scheibe absolut überhaupt nichts, was im Ansatz im Ohr bleibt, kein Stückchen Atmosphäre, dafür Langeweile pur. Allein schon der erste Track tötet im Prinzip jegliche Lust am Hören, besteht er doch aus knapp 13 Minuten vollkommen gleichförmigem Meeresrauschen. Später setzt dann ein wenig Mid-Tempo-Geknatter ein, das aber dennoch derart monoton und uninspiriert wirkt, dass es wirklich keine Freude mehr ist. Nein, wer TRIST mal nebenbei in den CD-Spieler legt, wird mit „Willenskraft“ garantiert nicht glücklich.
Deshalb zurück zum vorher angedeuteten Ansatz, womit man dem, was Tristan vielleicht meinte unter Umständen näher kommt: Eigene Interpretation der Musik, zu welcher nur eine Basis geboten wird. Das ist erst einmal ungewohnt, wenn man bedenkt, dass es ja eigentlich Ziel der meisten Bands ist, die Stimmung ihrer Songs möglichst eindeutig zu übermitteln, ist danach aber umso reizvoller. Und siehe da, mit Kopfhörern und aufgedrehter Lautstärke ist das gar nicht mehr nur ödes Meeresrauschen: Da schwingt im Hintergrund plötzlich ein hoher, glockenartiger Ton mit, nicht wirklich fassbar, ein vages, undeutliches Bild viel eher als ein auditiv konkret fassbares Signal. Das an- und abschwellen nur dieses einen Tones ist es, was den Hörer diese knappen 13 Minuten auf eine ganz individuelle Fantasiereise schickt – Denn wie man diesen Ton nun auslegt, ob das typisch für Black Metal unheilvoll klingt, ob dieser in Gedanken schimmernde Klang nicht sogar positiv wirkt oder auch ein Naturbild darstellt – Alles ist möglich.
„Wagemut“ beginnt mit den erwähnten Lautäußerungen, bevor dann abermals Meeresrauschen einsetzt, das schließlich von Stromgitarren und schlussendlich von gemächlichem Black Metal abgelöst wird. Und wieder handelt es sich um das selbe Prinzip: Das Riff-Gerüst könnte simpler und monotoner kaum sein. Was den Reiz im Endeffekt ausmacht, sind abermals eher unterschwellig wahrgenommene, aber durchaus präsente und umso eindringlicher wirkende Klangkulissen, dazu Tristans manisches Gekrächze, wenn man es denn so nennen kann. Diese Elemente werden innerhalb der vollen Viertelstunde von „Wagemut“ unwesentlich oder überhaupt nicht variiert, und dennoch ist es genug, um über die volle Zeit zu faszinieren. Die erzeugten Bilder wirken drückender, entrückter als zuvor, und noch immer ist doch nicht genau ersichtlich, worauf Tristan im Endeffekt hinauswollte und der Hörer ist weiterhin als Deuter gefordert. So läuft es über das ganze folgende Album weiter, immer wieder unterbrochen von Meeresrauschen wird die Atmosphäre der Stücke voller und vermeintlich deutlicher, bis zum Schluss bieten sich aber verschiedene Herangehensweise an die Stücke an.
Ob das so gewollt ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Ob es im Endeffekt eine Rolle spielt, wie es gemeint ist, weiß ich auch nicht. Fest steht, dass Tristan durch die Wirkweise der Songs etwas für mich sehr spezielles schafft: Durch die fast völlige Abwesenheit von atmosphärischen Wegweisern wird der Hörer gefordert, das Klangbild für sich mit Leben zu füllen. Gerade deshalb muss man sich natürlich erst einmal auf „Willenskraft“ einlassen, sonst wird man kein Vergnügen mit dieser Scheibe haben, aber wie das dann läuft, habe ich ja schon oben beschrieben.
So bin ich trotz meiner Begeisterung für das Album zwiegespalten. Ich wage zu bezweifeln, dass es allzu viele ähnliche Meinungen bezüglich dieses Werkes gibt und so ist es schwierig, etwas wie eine Kaufempfehlung auszusprechen. Zu „Willenskraft“ muss man erst seinen Zugang finden, und es wird, wenn es gelingt, wohl ein ganz eigener sein.
Um zum Ende zu kommen: Reinhören ja, dass dies allein einen Zugang öffnet glaube ich zwar nicht, aber einen reinen Blindkauf zu tätigen, wenn man nicht an derlei Musik gewöhnt ist, halte ich für sehr riskant. Dennoch will ich „Willenskraft“ die für meinen Geschmack vollkommen angebrachte Bewertung nicht vorenthalten. Obgleich es sich natürlich anbieten würde, diese in diesem Fall unter den Tisch fallen zu lassen.
Wertung: 9 / 10