Unter dem seltsamen Titel „A Can Of Worms“ (zu deutsch: eine Dose Würmer) haben die englischen Progrocker PARALLEL OR NINETY DEGREES das Beste aus ihrem bisherigen Schaffen auf zwei Scheiben zusammengestellt. Die Combo wurde gegründet von den Keyboardern Sam Baine und Andy Tillison, die später beide mit THE TANGENT größere Bekanntheit erlangen sollten. Aufgrund dessen wurde PARALLEL OR NINETY DEGREES mehr oder weniger begraben, und nach 2001 wurde es ruhig um die Band.
Insgesamt brachten es die Engländer auf fünf Alben: „The Corner Of My Room“ (1996), „Afterlifecycle“ (1997), „The Time Capsule“ (1998), „Unbranded“ (1999), und „More Exotic Ways To Die“ (2001). Da diese allesamt schwer zu bekommen sind, leuchtet die Veröffentlichung gleich doppelt ein. Nachdem The Tangent nämlich ihr Debütalbum „The Music That Died Alone“ veröffentlicht hatten, war der PARALLEL OR NINETY DEGREES-Backkatalog in Windeseile ausverkauft. Leicht amüsant mutet an, was Chef Tillison in den Linernotes dieser Best Of schreibt: „Unsere Idee war, eine moderne Mainstream-Rockband zu kreieren, bei der sich Progressive Rock über den Haupteingang einschlich. Außerdem war unsere Idee, berühmt zu werden und jede Menge Geld zu verdienen“. Leider ging der Plan nicht auf, die Band schaffte es selbst in Szenekreisen nicht so recht, auf sich aufmerksam zu machen. Bis zu dem Zeitpunkt, als The Tangent die Musikwelt betraten. In ihrer Bandgeschichte wechselte das Besetzungskarussell ziemlich häufig, man arbeitete unter anderem mit mehreren Gitarristen und Schlagzeugern zusammen. Namen wie Guy Manning tauchten später auch bei The Tangent wieder auf.
Andy Tillison höchst persönlich stellte diese Highlight-Sammlung zusammen, remasterte die Stücke und fügte mehr als eine halbe Stunde bisher unveröffentlichtes Material als Bonus hinzu, darunter „Blues For Lear“ mit Roine Stolt von den schwedischen Flower Kings an der Gitarre und hinter dem Mikro. Außerdem gibt es „Four Egos, One War“, ein Song der später von The Tangent noch einmal aufgenommen wurde und dann auf ihrem 2008er-Album „Not As Good As The Book“ Platz fand. Eigentlich sollte er auf „A Kick In The Teeth For Civil Pride“ erscheinen, doch diese PARALLEL OR NINETY DEGREES-Platte wurde aufgrund der Arbeiten mit The Tangent nie veröffentlicht. PARALLEL OR NINETY DEGREES sind ihrer „Nachfolgeband“ dann musikalisch auch sehr ähnlich, auch hier herrscht Retroprog mit starker Canterbury-Orientierung und zahlreichen psychedelischen Parts vor. Gelegentlich bricht die Band aber auch aus diesem Muster aus und elektronische Beats und harsche Gitarren übermannen den ansonsten ziemlich analogen Klangkosmos. Dann erinnern sie ein wenig an Porcupine Tree in ihrer erfindungsreichen Mittelphase Mitte bis Ende der Neunziger Jahre. Wer bei The Tangent wegen des Gesangs von Andy Tillison Ohrenschmerzen bekommt, wird dieses Problem auch bei diesem Doppeldecker hier haben.
Das Songmaterial hat oft Überlänge und schwankt zwischen 3 bis 28 Minuten. Auch die Aufnahmequalität variiert, trotz der Audiorestaurierung, von Track zu Track stark. Wohl ein Umstand, der dem spärlichen Budget zuzuschreiben ist, das die Jungs zum Zeitpunkt der Aufnahmen hatten. Highlights sind dabei das wahrhaft abgedrehte „Space Junk“, das vielschichtige „Petroleum Addicts“ und „The Media Pirates“, sowie aus historischen Gründen natürlich das schon erwähnte „Four Egos One War“.
Alle Freunde von The Tangent sei dieser Highlight-Scan besonders ans Herz gelegt. Ihn zu hören, ist wie das Nachforschen in Familienarchiven – man entdeckt die Ursprünge. Ansonsten gilt: Es gibt viel zu entdecken: Von modern bis sehr angestaubt, von großartig bis mäßig – aber immer mit dem leicht unnahbaren Flair, das Musik von Andy Tillison ausstrahlt.
Übrigens, mit „Modern“ findet sich hier auch ein Cover eines Peter Hammill-Songs.
Keine Wertung