Review The Axis Of Perdition – Urfe

„It began and ends with Pylon, minister of Axis“, flüstert eine ruhige, gefasste, einsame Stimme, dann: „Pylon stands in the doorway, beckoning me in.“ Die kryptischen Worte verhallen, vermischen sich mit sphärischen Klängen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, die durch die Dunkelheit wabern, die sich urplötzlich in dem Raum ausbreitet. Die Worte öffnen uns eine Tür, oder vielleicht öffnen sie auch der Erzählung die Tür, die kurz darauf über uns herein bricht. Eine Erzählung voller Schmerz und Verzweiflung, Wahnsinn, Gewalt, Perversion und absoluter, undurchdringlicher Finsternis… Eine Erzählung, vor der man nur zu gerne die Ohren verschließen möchte, die so abschreckend ist, dass man daran zweifelt, ob man das ertragen kann, was man da hört. Oh wir Menschen, wie wir doch vom Grauen angezogen werden. Denn die Worte sind auch so abschreckend, dass man sich ihnen nicht entziehen kann, dass man gebannt dort sitzt und zwischen Faszination und Ekel hin und her schwankt, während man die Geschichte von „Urfe“ vernimmt…

Als ich „Deleted Scenes From The Transition Hospital“, die zweite CD der Briten THE AXIS OF PERDITION besprach, da schrieb ich, dass das Musik ist, die wahrhaft Angst machen kann. Jetzt ist der Nachfolger des 2005er-Outputs erschienen, eine Doppel-CD im schicken Digipack, insgesamt knapp 90 Minuten lang und den simplen Titel „Urfe“ tragend (wobei die einzelnen CDs noch mal die Untertitel „Grief of the Unclean“ und „The Great Unwashed“ verpasst bekommen haben). Schon damals sagte ich, dass das, was die Briten auf ihre Silberscheibe bannten, eigentlich keine Musik ist, sondern viel mehr ein bösartiges Hörspiel mit gewissen Anleihen an Industrial und Black Metal, der sich immer wieder mit stellenweise schon zu lebendigen Ambient-Klängen zu einem faszinierenden und zugleich abschreckenden Gesamtbild vermischte. Guess what? THE AXIS OF PERDITION haben noch einen draufgesetzt.

Ehe ich zu dem komme, was die CDs tatsächlich ausmacht, will ich erst mal die Rahmendaten aus dem Weg räumen. „Urfe“ besteht wie schon gesagt aus zwei Teilen von denen jeder in sechs Tracks unterteilt ist, die es jeweils auf etwa 45 Minuten bringen (die Teile, nicht die Tracks). Aufgenommen wurde zwischen November 2006 und Januar 2008 und nach einigen Verschiebungen und Termin-Unklarheiten nahmen die Franzosen vom Aural Music Mailorder (der offizielle Mailorder der „Muttergesellschaft“ von Code666) das Ding vor einigen Tagen urplötzlich (oder eher nicht, die Sache ist etwas komplizierter als das) in ihren Katalog auf. Hier ist sie also, die neue CD aus der Feder von fünf wahnsinnigen Briten (die Besetzungsliste ist übrigens absichtlich so unklar ausgefallen, denn wie die Band selbst sagt: „Not one of them was prepared to take sole blame for any specific sounds.“… so hört sich das Ganze auch tatsächlich an), die ihren künstlerischen Anspruch in jeder erdenklichen Weise über ihr musikalisches Schaffen gestellt haben. Ja, mehr noch als „Deleted Scenes From The Transition Hospital“ ist „Urfe“ ein Hörspiel. Zwar setzt schon bei „Grief Of The Unclean II“ eine Gitarre ein, aber die verschwindet genau so schnell, wie sie gekommen ist. Und tatsächlich dauert es knapp 52 Minuten, bis zu „The Great Unwashed II“, dass wir tatsächlich mal etwas wie einen Song geboten bekommen. Alles davor (und Teile danach, der Anteil an Musik an den 90 Minuten beträgt grob geschätzt zwanzig Prozent… höchstens) sind Erzählpassagen, unterlegt mit Geräuschen und… Klängen. Ich traue mich nicht wirklich das Musik zu nennen, zwar gibt es ein paar Melodien, aber… nichts wirklich handfestes.

Im Endeffekt ist das Ganze aber ziemlich egal, denn was einen an „Urfe“ von Anfang an packt ist diese unheimlich dichte, beinahe erstickende Atmosphäre, die sogar noch extremer ausgefallen ist, als beim sowieso schon so gut wie makellosen Vorgänger. Die Erzählung, die sich über die beiden CDs spannt, ist so fesselnd, so interessant, weniger wegen der tatsächlichen Story als wegen dieser packenden Atmosphäre, dass man wie oben schon angedeutet kaum die Ohren davor verschließen kann. Auch wenn man es teilweise gerne möchte, denn was hier geboten wird ist stellenweise schon sehr harter Tobak, nicht nur was die Wortwahl („FUCK, FUCK, FOR FUCK’S SAKE!“) oder die sehr drastischen Beschreibungen („A limbless and headless torso floats by with the word ‚Cunt‘ gouged into unnaturally white belly-flesh.“) angeht. Was THE AXIS OF PERDITION hier an akustischer Reizüberflutung auffahren, kann tatsächlich Angst machen. Dem sehr zuträglich ist die exzellente und beinahe omnipräsente Erzählleistung von (wenn ich mich nicht täusche) Leslie Johnson, der sein Organ extrem gut zwischen kalter Emotionslosigkeit und wahnsinniger Verzweiflung moduliert. Und auch die Texte, die er spricht, sind so gut geschrieben, dass immer wieder Phrasen auftauchen, die sich quasi gezwungenermaßen ins Gedächtnis des Hörers einbrennen.

Da ist er auch wieder, der extreme Gegensatz, der schon immer die „Musik“ von THE AXIS OF PERDITION ausmachte. War es auf dem Vorgänger noch eine Verschmelzung von organischem Ambient und sterilem Black Metal (was auf dieser CD – wie bereits angedeutet – sehr stark reduziert wurde), so bildet er sich hier aus einer extremen Unzugänglichkeit des Materials in tatsächlicher akustischer Hinsicht und einer beinahe possessiven Kraft (wenn ich das mal so sagen darf), die von einzelnen Textabschnitten ausgeht. Nach den ersten paar Durchläufen weiß man zwar nicht im Geringsten, wie die CD klang, aber man kann sich beinahe mit Sicherheit an die Wortwahl in einzelnen Abschnitten erinnern. Und daran, dass THE AXIS OF PERDITION wirklich meisterhaft mit der Stimmung ihres Werkes umgehen. Auf der ersten CD schaffen sie es mühelos zwischen blankem Horror, exzessivem Terror und gegen Ende sogar einem Anflug von hoffnungsvoller Erlösung hin und her zu schwanken.

Auf „The Great Unwashed“ kommt dann schließlich tatsächliche Musik zum Einsatz. Der Black Metal, den die Briten spielen, hat sich seit der vorigen CD etwas zurück entwickelt, er ist weniger extrem, weniger steril, weniger bösartig, aber nichts desto trotz intensiv. Vor allem, dass der erste einsetzende Gesang der CD kein wüstes Gekreische sondern einfache, cleane Vocals sind, finde ich persönlich sehr bezeichnend. Hier wird konsequent mit Konventionen gebrochen und die musikalischen Einwürfe fügen sich besser in den Erzählfluss der Story ein. Ja, „Urfe“ ist trotz seiner Vielseitigkeit eine wirklich bewundernswert konsistente Einheit und eine extrem intensive Erfahrung.

Ich könnte jetzt noch eine ganze Weile weiter über dieses merkwürdige Kleinod schreiben, dass THE AXIS OF PERDITION hier auf CD gebannt haben, aber prinzipiell ist alles gesagt, was gesagt werden muss, außer vielleicht das hier noch: „Urfe“ ist die wohl perfekteste Vertonung eines Horrorfilms (oder eines Horror-Videospiels, ja, die Inspiration durch Silent Hill schimmert hier zu jeder Sekunde durch), die ich bisher gehört habe (inklusive Musik, die die imaginären End-Titles untermalt, zumindest kommt es mir so vor). Und zwar eines Horrorfilms, den ich verflucht gerne sehen würde. Die Bilder, die die zwei Scheiben dem Hörer ins Kopfkino zaubern sind an Extremität wirklich kaum zu überbieten. Letzten Endes trifft das Fazit, das ich zum Vorgänger verfasst habe, hier aber gleich noch ein ganzes Stück stärker zu: „Urfe“ ist außergewöhnlich, „Urfe“ ist düster, „Urfe“ ist böse und „Urfe“ ist absolut Geschmackssache. Wer Musik will wird vielleicht enttäuscht sein. Wer eine leicht zugängliche CD sucht wird damit nicht viel anfangen können. Wer mal wieder etwas hören möchte, was tatsächlich Angst machen kann, der ist bei „Urfe“ völlig richtig. Und eine Sache schafft die CD zumindest bei mir völlig bravourös: Sie macht extrem süchtig.

Übrigens sind die letzten Worte auf „Urfe“ – wie man anhand ihrer selbst vermuten könnte – noch nicht das Ende, die beiden CDs sind Teil eines Zyklus, der auf der nächsten Scheibe der Band vollendet wird. Ich bin sehr gespannt.

Keine Wertung

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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