Rein musikalisch betrachtet ist die Ukraine ein kurioses Land. Im Black Metal Untergrund treiben sich nämlich nicht nur ein Haufen brauner Blödbirnen herum, sondern auch die ein oder andere christliche Band, Holy Blood und Evroklidon lassen grüßen. Was sich bei den meisten Metal-Bands aus diesen Gefilden sehr deutlich abzeichnet ist aber oft ein Hang zu groß aufgezogenen Folk-Arrangements, mit denen oft alle möglichen und unmöglichen Genres angereichert werden. So auch bei unseren heutigen Kandidaten, die sich zu keiner der oben genannten beiden Fraktionen zählen, sondern ein Genre spielen, das in der Ukraine scheinbar Mangelware ist: Doomdeath. Genau meine Kragenweite. Dachte ich mir auch, als ich zum ersten Mal von MOURNFUL GUST hörte und ein Ohr in die Myspace-Samples riskierte. „Die Scheibe wird gekauft“, schoss es mir da direkt durch den Kopf, aber das Schicksal hatte andere Pläne und kaum eine Woche später hatte ich eine promotionelle Version von „The Frankness Eve“ auf dem Schreibtisch. Sachen gibt’s.
Egal wie, jetzt ist das Ding jedenfalls im Haus und will einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Erst mal äußerlich. Und da macht die zweite Langrille der 1999 aus den Bands Temple of Oblivion und Vae Solis formierten Kapelle schon eine verdammt gute Figur. Das Coverartwork ziert nämlich ein ziemlich hübsches Frauenzimmer, auch noch schön in Sepia in Szene gesetzt, nicht übel. Das zieht sich auch weiterhin durch das restliche Booklet, hier werden stimmungsvolle, nostalgische Fotografien der Band gezeigt (Frontmann Vlad erinnert mich auf einigen Bilder irgendwie an Aragorn-Darsteller Viggo Mortensen), dazu alle Texte und die einzelnen Titel auch noch auf unterschiedlichste Art und Weise aufgemacht, fein fein. Die größte Überraschung erwartete mich aber, als ich die Silberscheibe mal umdrehte und von unten in Augenschein nahm. Die Band (oder Plattenfirma?) hat wahrlich und wahrhaftig den ungenutzten Platz der CD utilisiert und darauf im Kreis mehrfach ihr Logo eingeprägt. Prinzipiell nutzlos, aber eine sehr coole Idee und beweißt eindrucksvoll, dass MOURNFUL GUST keine halben Sachen machen.
Diese These lässt sich auch 1:1 auf die Musik des Sechsers aus Kryvyj Rig übertragen, denn der Opener „A Pain to Remember“ (der übrigens schon zwei Jahre zuvor auf einer EP erschien, die denselben Titel wie die Langrille trägt, da allerdings in einer kürzeren, nur knapp vierminütigen Fassung… hier bringt der Song es auf stolze 9:19) legt schon gut los. Versierte, stimmungsvolle Gitarrenarbeit, langsames aber akzentuiertes Drumming, Sänger Vlad leistet auch großes, sei es sein finsteres Grunzen oder sein theatralischer Klargesang, hier passt alles. Für Doom geht die Band auch überraschend flink zu Werke, die meisten Songs sind im Midtempo unterwegs, was der Eingängigkeit zugute kommt. Hier ist eher Easy-Listening angesagt, aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht gleich, dass die Sache handwerklich eine eher simple Angelegenheit ist, das ist sie nämlich nicht. Wie gesagt, das Riffing ist sehr cool, Drummer Vjacheslav Kapusta hat ein gutes Ohr dafür, wann sein Einsatz gefragt ist und die Arrangements, die Tastendrücker Mischenko auspackt wissen auch zu gefallen.
Wie schon in der Einleitung erwähnt wird Folk hier hin und wieder groß geschrieben und das tut den Kompositionen von MOURNFUL GUST hörbar gut. In den ersten paar Tracks wird in dieser Hinsicht noch etwas auf Sparflamme gekocht, wenn man genau hinhört kann man es schon erahnen, aber im Großen und Ganzen nehmen sich die Arrangements eigentlich eher wie eine Extraportion Bombast aus. Aber der Anfang von „To Your Deceits… Again“ zeigt dann die eigentliche Marschrichtung an. Das Akustikgitarren-Geklimper hat ein bißchen was von Dissection-Interludien wie „Into Infinite Obscurity“, aber spätestens die einsetzende Flöte versprüht wahrlich naturmystische Atmosphäre. Die steht MOURNFUL GUST übrigens exzellent zu Gesicht, prinzipiell kurbeln sie nämlich sehr generischen Doomdeath herunter, teilweise zwar wirklich berauschend leichtfüßig, aber nichts absolut einzigartiges. Die Flöteneinwürfe, die Fiedeln, die volkstümlichen Melodien und all das, die machen die Musik erst so groß.
Und groß, das ist sie wahrhaftig. „The Frankness Eve“ ist ein wundervolles Album, dessen Atmosphäre irgendwo zwischen lauen Sommernächten und windigen Herbstnachmittagen schwankt und die Theatralik der Kompositionen und die unterschwellige Hoffnung, die bei all den traurigen Melodien der Ukrainer anklingt, macht Lust darauf, selbst mit der Liebsten im Arm hinaus in die Wälder zu gehen und die Schönheit der Natur zu erkunden. Wie geschaffen für Stunden zu zweit und auch alleine zum Abtauchen und Träumen eine wahnsinnig schöne CD.
Wertung: 9.5 / 10