Review The Veil – Vestige

Ja, ich bin eine recht leicht zu manipulierende Person. Wenn irgend was blitzt oder blinkt oder grelle Farben hat oder was weiß ich, dann habe ich diesen inneren Drang, in diese Richtung zu gucken. Bei schwarz auf weiß gedruckten Promozetteln blinkt natürlich nix und schon alleine der Anfang des Satzes bedingt, dass da keine grellen Farben sind. Aber es gibt dick gedruckte Passagen, und da fällt natürlich direkt mein Auge drauf. Und wenn sich einer der ersten fetteren Textabschnitte des Schriebs sich schon folgendermaßen ließt: „Stefan Bayle (Anorexia Nervosa)“… Dann weiß ich schon mal ‚Oh ja, hier bin ich richtig.‘

Was Monsieur Bayle, der geniale Saitenhexer der noch genialeren französischen Sympho-BM-Formation (die leider mittlerweile auf Eis liegt) mit THE VEIL zu tun hat? Nun ja, auf dem ersten Lebenszeichen der Franzosen, der von der Presse abgefeierten EP „Sleeping Among Serpents“, spielte er den Sechssaiter. Auf dem hier vorliegenden zweiten Werk „Vestige“ leider nicht mehr, aber dafür sticht uns noch ein bekannter Name aus den Zeilen entgegen: Mr. Xort, aka Neb Xort, seines Zeichens Keyboarder von Anorexia Nervosa, dem auch die Drudenhaus Studios gehören, in die er THE VEIL mal fix einlud und mit ihnen „Vestige“ aufnahm. Eine EP, fünf Songs, 25 Minuten spieldauer. Mal schauen, was mich da erwartet…

THE VEIL in eine Schublade zu stecken ist verdammt schwer. Berichten zufolge war ihre erste EP noch recht elektronisch und Darkwave-mäßig ausgerichtet (kann ich nicht beurteilen, ich habe sie nicht gehört), das wurde aber bei „Vestige“ sehr stark zurückgefahren. Die drei Jungs und die Dame fahren einen recht erdigen Sound auf, der nur wegen den stark getriggerten Drums und einigen kleineren Elektro-Spielereien noch an Darkwave erinnert, der rest ist eine Mischung gewöhnlichem Gothic Rock und Metal mit symphonischem Unterton und teilweise ganz ordentlichem Geblaste. So weit, so generisch. Können THE VEIL denn trotzdem was?

Ja, sie können. Die symphonischen Arrangements machen nämlich Leuten, die ein wenig mit so was anfangen können, verdammt viel Freude, die Gitarren tun den Rest, um die nötige Härte zu garantieren. Zwar sind die Riffs nicht auf höchstem technischen Niveau, aber wir reden hier auch nicht von sturem Powerchord-Geschrubbe. Die Drums schlagen mir hingegen ein klein wenig auf den Magen, ich bin nicht so der Fan von konsequentem Getriggere wenn es nicht zwingend nötig ist (also sich nicht im Tempobereich von ~250 BPM herumtreibt) und sonderlich abwechslungsreich oder anspruchsvoll sind sie auch nicht ausgefallen, aber sie erfüllen immerhin ihren Zweck. Und weit mehr als das tut die Stimme von Frontlady Jensara Swann, die Frau kann nämlich was. Teilweise wirklich lieblich, teilweise aggressiver und hin und wieder sogar geradezu ein wenig räudig trällert sie daher und das passt einfach immer verdammt gut zur Musik. Unterstützt wird sie gelegentlich von ein paar Chören und dann und wann auch vom Gekeife von Gitarrist Staley, das leider ein wenig leise daher kommt, weil zu sehr in den Hintergrund gemischt. Das mag Absicht gewesen sein, aber mir würde es besser gefallen, wenn der Herr weiter vorne im Soundbild stehen würde.

Das ist ansonsten sehr amtlich gelungen. Transparent, druckvoll und dank des symphonischen Einschlags auch ordentlich „voll“, jedes Instrument kommt glasklar rüber und ordentlich basslastig ist das Ding noch dazu geworden. Die Abmischung sorgt für viel Freude, da hat Mr. Xort wahrlich ganze Arbeit geleistet, aber weniger hatte ich von dem Mann auch nicht erwartet. Und das Coverartwork sieht auch verdammt cool aus.

Wer jetzt denkt, dass irgend etwas diesen doch sehr guten Gesamteindruck noch kaputt machen könnte, der täuscht sich. THE VEIL umschiffen geschickt alle Klippen und bringen ihre zweite EP „Vestige“ mit trockenen Füßen nach Hause. Was natürlich nicht heißt, dass das Ding hier perfekt wäre. Die Lyrics sind teilweise nicht ganz gelungen (vor allem der Mittelteil von „Still Waters“ mit seinem „I think I won’t be back for dinner“ kommt irgendwie merkwürdig rüber) und letzten Endes fehlt der Musik von THE VEIL im Endeffekt doch noch irgend etwas, um sie vollends genial zu machen. Aber mit „Vestige“ liefern die Franzosen (und die Französin, lang lebe die Emanzipation) ein starkes zweites Lebenszeichen ab, das ihnen, wenn es irgendwie noch Gerechtigkeit auf der Welt geben sollte, zu einem Plattendeal verhelfen wird. Und die Langrille, die dann dabei raus kommt, werde ich mir mit Sicherheit auch anhören.

Bis dahin kann man diese EP direkt über die Myspace-Seite der Franzosen beziehen. 8€ kostet der Spaß, kann man ausgeben, um eine vielversprechende junge Band zu unterstützen.

Keine Wertung

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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