Nebel liegt über dem Grabhügel. In düsterer Nacht trägt ein Runenkundiger magische Gesänge vor, mächtige Verse aus längst vergangenen Tagen. Das Grab öffnet sich, und unter Donnerhall entsteigen Geister der Erde, in der sie ebenso lange geruht haben, um Unheil in die heutige Welt zu tragen…Kein geringeres Bild erscheint dem Hörer vor Augen, wenn GRÍVFs drittes Album aus den Boxen dröhnt. Der Däne, der hinter dem, sagen wir mal „Pagan Funeral Doom Metal“-Projekt steht, hat bereits in zwei schnelleren Metalbands Erfahrungen gesammelt, Grívf scheint allerdings schon allein aufgrund des Plattenvertrages die erfolgreichste zu sein.
Klar ist „Yggdrasil“ kein schnelllebiges und kurzweiliges Werk geworden, das verbietet sich quasi in dieser Sparte. In einem Tempo, dass es von jeder Schnecke überholt würde, ergießt sich zähflüssigstes Doom-Liedgut in die Ohren und hinterlässt einen verdammt bleibenden Eindruck. Die fünf Stücke, die allesamt durch eddische Verse in altnordischer Sprache aufgemotzt worden sind, erzeugen eine gnadenlose frostig-finstere Atmosphäre.
Der Höhepunkt auf „Yggdrasil“ ist zweifellos „Mimirs Wisdom“, in dem nicht nur naturalistische Trommeln eine exzellente Einleitung liefern. Nein, das Riff, das in Variationen das Hauptthema des Songs (insgesamt fast 12 Minuten) darstellt, hat einen markerschütternden Effekt. Schlagzeug – wenn man es denn so nennen will, denn über einzelne Trommelschläge geht die Perkussion nie hinaus – setzt Isar bzw. sein Trommler äußerst spärlich ein, so dass bestimmte Spannungsmomente noch mal so gut betont werden. Gewürzt wird die tödliche Mischung dazu mit Vocals, die jedem Herzinfarktkandidaten den Garaus machen könnten. In einem akustischen Zwischenspiel tritt wieder die beschwörende Stimme vom Anfang auf, die sich immer wieder über das Album verstreut einbringt. Absolute Gänsehautmomente ohne Pause!
Ein weiterer Knackpunkt, der „Yggdrasil“ seinen Fein- bzw. Grobschliff verpasst, ist die gekonnt raue Produktion, die sich – genau richtig – auf dem schmalen Grat zwischen Schmerzgrenze und Kälte bewegt. Keyboards oder elektronische Effekte sind allenfalls an einem nebligen Hintergrundschall auszumachen, der sich jedoch nur songdienlich verhält. Lange Passagen auf „Yggdrasil“ lassen sich dem Bereich Ambient zuordnen, denn oft ist höchstens eine Gitarre vor heulendem Wind und anderen Naturgeräuschen zu vernehmen.
Lust bekommen? Vollkommen zurecht. Grívf bzw. Isar ist ein absoluter Meister seines Faches und versteht es, Eiseskälte, Grabesschauer, Magie und Mythologie auf einen Nenner zu bringen. „Yggdrasil“ zeigt sich von vorne bis hinten als ein grandioses Stück minimalistischen und höchst atmosphärischen Doom Metals. Trotz seiner genrebedingten Eigenarten eignet Grívfs drittes Werk auch für Aktivhörer, und in diese großartige Stimmung lohnt es sich einfach einzutauchen.
Wertung: 9.5 / 10