Review Ikuinen Kaamos – The Forlorn

Manchmal gibt es diese kleinen unscheinbaren Juwelen, die keiner so wirklich wahrnimmt, weswegen sie auch leider ganz schnell ganz tief versinken. Ein Kandidat hierfür dürfte das – trotz fast zehnjährigem Bandbestehen – erste Vollängenrelease der Finnen IKUINEN KAAMOS „The Forlorn“ sein, welches über das noch sehr junge niederländische Label Descent Productions veröffentlicht wird. Was hier innerhalb von etwa 55 Minuten geboten wird, raubt mir den Atem und ich glaube auch, dass ich damit nicht alleine bin. Rein oberflächlich wäre das mit einem Mix aus progressivem, melodischem und epischem Black, Doom und Death Metal mit einem stark avantgardistischen Einschlag am besten beschrieben, aber diese Musik lässt sich einfach nicht in simple Worte fassen, da jeder der fünf überdurchschnittlich langen Songs eine ganz eigene Atmosphäre mit vielen einzigartigen Ideen zu kreieren weiß. Textlich ist das Album konzeptionell gehalten, es erzählt die Geschichte eines alten Mannes, der vor Jahrzehnten seine gesamte Familie umbrachte und nun einen inneren Kampf mit seiner Schuld führt. Optisch hätte man diese Grundstimmung kaum besser umsetzen können, das Gesamte Layout sprüht vor Atmosphäre und trifft – banal gesagt – den Nagel vollkommen auf den Kopf. Vergleiche mit anderen Bands sind somit sehr schwierig, trotzdem dürfte es nicht allzu schwer sein, die vermutlich recht kleine Gruppe auszumachen, die mit diesem kleinen Meisterwerk etwas anzufangen weiß.

Erst nach einer knappen Minute atmosphärischer Windgeräusche setzen die ebenso atmosphärischen und häufig verwendeten Akustikgitarrenklänge ein und eröffnen das Album auf eine Weise, wie sie gelungener kaum sein könnte. So sind insgesamt schon drei Minuten verstrichen und plötzlich setzen die melodischen elektrischen Gitarren unterlegt von einem Blastbeat ein. Das stürmisch überwältigende Riff wiederholt sich, woraufhin man sich wieder in vorige Gefilde – das heißt akustische Klänge – zurückbewegt, um den Takt und das Schema wieder mit elektrischen Instrumenten aufzugreifen. Beladen mit Schwermut und Melancholie schleppt sich der Song voran, die traumhaften Leadmelodien unterstreichen diese Stimmung nochmals und als sich die zunächst gegrölten Vocals und die akustische Gitarre hinzugesellen, weiß man schon, was man vom Rest der Platte erwarten darf. Bereits hier ist die Atmosphäre dermaßen umwerfend, die Produktion ist großartig und jeder einzelne Ton bis ins Detail ausgearbeitet, sodass eigentlich nichts schief gehen kann. Auch die Rückkehr in ein schnelles Tempo ist perfekt platziert und der nun geschriene Gesang betont die wilde Seite von „The Forlorn“. So gehen die ersten großartigen dreizehneinhalb Minuten vorbei und ich bin völlig hingerissen.

Keine Pause, keine Zeit für gefühlloses Geplänkel, „Grace“ setzt dem Vorgänger in punkto Bitterkeit noch einen drauf, die eingängigen doomlastigen Melodien versetzen den Höher in eine graue Welt, lassen ihn mit dem Protagonisten fast schon mitfühlen. Ein kurzes Akustikintermezzo und die Klänge von fallendem Regen leiten wieder den geschwindigkeitsgeladenen Teil des Songs ein, der zunächst von einem markerschütternden Schrei begleitet wird. Auch aus diesem Song wurde in erneut dreizehn Minuten das Nonplusultra herausgeholt, die darauf folgenden Songs überschreiten die Zehnminutenmarke jedoch nicht mehr, was der extraordinären Qualität aber keinen Abbruch tut. „Delusion“ wartet mit einer völlig anderen Grundstimmung auf und verbreitet durch ungewöhnliche Melodien akustisch fast gar Hoffnung, in einem Bild ausgedrückt klingt der Song zu Beginn wie Sonnenstrahlen, die sich nach einem Schauer durch die Wolkendecke fressen. Der Song ist im Gegensatz zu den vorigen sehr aggressiv und stellt den melancholischen Aspekt eher in den Hintergrund. Im zweiten Drittel mutiert er gar zu einer thrashigen Black Metal Granate, schaltet dann aber wieder einen Gang zurück und wirft den obligatorischen, mystischen Gitarrenpart ein.

Bei „Ascent“ wird alles praktiziert, was dieses Album zu bieten hat, von schnellen, rasenden Parts über schleppende hin zu großartigen Leadmelodien (die Leitmelodie in der Mitte des Songs ist definitiv kultverdächtig!) bietet dieser Song alles, was ein Song dieses Typus bieten sollte, deswegen liegt hier auch ein echter Anspieltipp vor. Dass der Song im Voraus schon zum Dowload freigegeben wurde ist somit absolut verständlich. Besonders schön kommen hier auch die fast unscheinbaren Keyboards zur Geltung, die noch Erwähnung verdienen. Würde man sich nicht primär darauf konzentrieren, sondern der Musik einfach lauschen, fielen einem die synthetischen Klänge kaum auf, denn sie fügen sich nahtlos in die Musik ein und wirken zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise penetrant oder deplaziert. „Fall“ ist somit der perfekte Abschluss, schließt den Kreis, macht das Album vollkommen und klingt durch die sehr eigenwilligen, aber dennoch genialen Melodien kein bisschen verbraucht. Besser könnte ein „Rausschmeißer“ kaum sein!

Was soll man hier noch sagen? Ein Album, das es vermag, eine Geschichte zu erzählen, deren Verlauf man alleine aus der Musik interpretieren kann, muss einfach etwas außergewöhnliches sein. Jedes Stück, jede Melodie ist genau da, wo sie hingehört und auch technisch so perfekt ausgeführt, dass nichts besser hätte gemacht werden können. Vielen werden die Stücke möglicherweise zu lang sein und sich zu sehr hinziehen, aber genau dieses Mittel wird auf diesem Album genutzt wie auf fast keinem anderen. IKUINEN KAAMOS wissen, wie Geschwindigkeit und Trägheit zu verbinden sind, sodass die richtige Stimmung immer zum richtigen Zeitpunkt auftritt. Erinnern tut das Album an verschiedenste Kapellen, sogar an Dissection oder Dawn, sowie die Labelkollegen Cor Scorpii, obwohl selbige völlig andere Musik produzieren. Selbst Ähnlichkeiten zu Moonsorrows „Verisäkeet“ lassen sich ausmachen, doch niemals wird irgendwie dreist kopiert oder uninspiriert irgendwelche Lücken gefüllt. „The Forlorn“ ist mitunter das beste, und nicht nur das beste Debüt, das mir in den letzten Monaten untergekommen ist und wird wohl auch sehr, sehr lange noch auf einem der ersten Plätze meiner Lieblingsalben verweilen. Großartig! Ob das noch zu toppen ist?

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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