Huch, was ist denn das? Ungewohnt rockige Klänge eröffnen das mittlerweile dritte Studioalbum der Mannheimer MelodicProgger ALIAS EYE. Doch damit ist es noch lange nicht getan. In den beinahe vier Jahren seit dem Release des Vorgängers hat man mit Matthias Wurm auch einen neuen Gitarristen, der den bisherigen Klampfer Matthias Richter ersetzt. Auch ein neues Label hat man im Rücken. Die fünf Jungs sind nun bei Quixote Music aus Heidelberg.
Mit ihren beiden Werken „Field Of Names“ und „A Different Point Of You“ hat sich die Band durchaus schon einen sehr guten Namen unter den songdienlicheren Progbands Deutschlands gemacht. Pendelte der Erstling noch sehr stark zwischen Melodic Rock, Neoprog und Gute-Laune-Retroprog Marke „Spock’s Beard“, schwamm man sich mit dem 2003er Nachfolger deutlich frei und erschloss sich ein sehr breites musikalisches Spektrum. Neben leicht epischen Nummern gab es auch Songs, die sehr stark im Swing, Jazz und Blues verwurzelt waren. Ein interessanter Mix, der für mich jedoch als Album nicht so recht funktionierte – da ALIAS EYE jede Menge Stilmittel in die Songs gepresst haben, ohne das ein richtiger roter Faden erkennbar war. Einzig Philip Griffiths überragender, klassischer Gesang gibt der Band seit jeher ein sehr eigenständiges und edles „Gesicht“.
Mit „In Focus“ folgt also nun der dritte Anlauf. Und man könnte glatt meinen, die Band hätte sich in der Zeit seit dem letzten Album einer Frischzellenkur unterzogen! Die Songs sind durch die Bank sehr rockig und erdig arrangiert und produziert – Matthias Wurm hat mit seiner viel riffbetonteren Spielweise mit Sicherheit einen großen Anteil an diesem neuen Sound. Allerdings spielt er auch nicht ganz so gefühlvoll wie sein Vorgänger, was aber nicht wirklich negativ zu notieren ist. Oftmals bilden wirklich recht simple Riffs die Grundlage für den Song, epische Keyboardsynthies und ausgiebige Instrumentalpassagen finden wir hier nicht mehr. Keyboarder Vytas Lemke greift nur noch auf ursprünglich rein analoge Keyboardsounds zurück, sprich vor allem Piano und Hammond. Wo früher mal der ein oder andere Siebenminüter auf dem Programm stand, herrschen nun durchgehend Songs zwischen 3 bis 4 ½ Minuten vor. Könnte natürlich sein, dass jetzt gleich die Progpolizei kommt! Doch Entwarnung: ALIAS EYE haben auch in diesen kurzen Nummern noch genug Arrangementideen, um die Tracks alles andere als langweilig und eintönig klingen zu lassen. Zwar entfernt sich das Album im Gegensatz zu den Vorgängern noch weiter vom Prog und präsentiert vor allem rockige Tracks. Spielwitz, Vielseitigkeit und ein durch und durch edeler Sound sind aber nach wie vor Eigenschaften, die ALIAS EYE sich erhalten haben. Sänger Philip Griffith überzeugt wie eh und je und hat im deutschen Prog sicherlich eine der technisch besten Stimmen. Was den Ausdruck von Emotionen angeht, muss er sich meiner Ansicht nach nur Marco Glühmann von Sylvan geschlagen geben. Philip hat eigentlich nicht wirklich eine Rockstimme, dennoch passt sein Organ sehr gut zu dem neuen Material. Aber auch auf die Spezialität der Band, die Balladen nämlich, müssen wir hier nicht verzichten. Was früher episch und ausladend arrangiert wurde, passiert hier in betörend schlichter, eindringlicher, herzlicher Art und Weise in Songs wie „Books“, „Hold On“ oder dem Album-Closer „How We Perceive…“. Hier braucht es nun meist nicht mehr als ein einfaches Piano, Phils erzählende Stimme, eine imaginäre Kerze und etwa vier Minuten Zeit, die jeder in seinem schnelllebigen Tagesablauf dafür freimachen sollte. In diesen Momenten überzeugt mich die Band mehr denn je, denn sie erreicht es, dass der Hörer nachdenklich wird, mitfühlt, sich fallen lassen kann. Dazu kommen natürlich die für ALIAS EYE üblichen Soundgimmicks, wie das Akkordeon in „Enlighten Them“, Drumloops im Opener „I’m Your Lie“ oder die Sprachsamples und das „Ringedingdong“-Intro von Griffith bei „The Call“.
Der entscheidende Unterschied zum Vorgänger: Die verarbeiteten Ideen und Sounds passen viel besser zusammen, ergeben ein homogenes Ganzes. Im Umkehrschluss gilt aber auch: Die neue, härtere Ausrichtung geht ganz klar zugunsten der Abwechslung. Dennoch bleibe ich persönlich dabei: „In Focus“ zeigt die Band unerwartet modern und rockig und beweist vor allem, dass sie zu den wandlungsfähigsten Gruppen im Prog-(Rand)Bereich zählt, was heutzutage extrem viel Wert ist. Griffith & Co. haben nun wirklich drei völlig unterschiedliche Alben aufgenommen. „In Focus“ steht dabei für mich auf einer Stufe mit dem Debütalbum „A Field Of Names“ – allerdings wird erst die fortlaufende Zeit zeigen, inwiefern im neuen Material der gleiche Langzeit-Unterhaltungswert steckt. Außerdem ist es mit etwa 44 Minuten Spielzeit recht kurz geraten.
Übrigens: Das Album kommt offiziell erst am 15. Januar 2007 raus, kann aber schon jetzt bei der Band und dem Label, sowie bei einigen Internet-Versandhändlern erworben werden!
Wertung: 8 / 10