Wenn mich heute eine Platte aus dem Melodic Rock-Genre noch so richtig aus den Latschen haut, dann ist das wirkliche eine Sache, die ich mir im Kalender anstreichen müsste. So geschehen mit dem neuesten Album „Runaway To The Gods“ von ZENO. Wem diese Band kein Begriff sein sollte: Dahinter versteckt sich Zeno Roth, der jüngere Bruder von Uli John Roth (Ex-Scorpions). Mit seiner Band veröffentlichte er in den 80er und 90er Jahren insgesamt drei Studioalben „Zeno“, „Zenology“, „Listen To The Light“ sowie eine Ansammlung von unveröffentlichtem Material mit dem Titel „Zenology II“. Nach acht Jahren kommt nun Studioalbum Nummer 4 via MTM Music auf uns zu. Von der ursprünglichen Band ist allerdings nur noch Zeno selbst über, der hier alle Instrumente selbst übernimmt und von niemand geringerem als Michael Bormann (Ex-Jaded Heart) am Mikro unterstützt wird.
Und was die beiden Herren da in den gut 55 Minuten und 11 Tracks der neuen Scheibe so alles präsentieren, verdient zweifelsohne das Prädikat „besonders wertvoll“. Absolut fantastische, irgendwo zwischen Tradition und Moderne stehende Gesangsarrangements und Hooklines durchziehen die gesamte Platte – Michael Bormann hält die Songs dabei mit seinem variantenreichen und ausdrucksstarken Organ hervorragend zusammen. Doch auch auf instrumentaler Ebene gibt es hier viel zu entdecken – soviel, dass ich sogar so weit gehen würde, dass dies hier kein reiner Melodic Rock ist, sondern mit einem Fuß auch in progressiven Gefilden beheimatet ist. Zeno Roth ist ein grandioser Gitarrist mit tollem Sound und abwechslungsreichem, mitreißenden Spiel. Seine Soli sind ein absoluter Ohrenschmaus. Auch die kurzen Auftritte der Akustikgitarre (insbesondere im fantastischen „Shades Of Blue“) wissen absolut zu überzeugen. Bedenkt man, dass er auch alle andere Instrumente eingespielt hat und schenkt auch dem Sound der Platte mal ein bisschen Aufmerksamkeit, so muss man unweigerlich feststellen, dass das hier wie eine echte Bandproduktion klingt. Von Projektcharakter ist hier nicht eine Spur zu finden. Alles klingt homogen und lebhaft, jeder Moment der Scheibe groovt, rockt und proggt wie Sau.
Für Melodien wie in „Land Of Illusion“, „Refugees“ oder dem Titeltrack würde manche Rockband heute wohl sterben. Das diese Platte voller solcher Ohrwürmer ist, ist kaum zu glauben. Im Bereich des Melodic- und Hardrocks habe ich jedenfalls schon lange keine Platte gehört, die ausnahmslos nur solche Hits präsentiert und dabei (ganz wichtig!) weder altbacken oder klischeeerfüllt, noch peinlich und stumpf wirkt. Wenn man nach Kritikpunkten suchen möchte, so lässt sich sicherlich sagen, dass die Melodien untereinander teilweise recht große Ähnlichkeit aufweisen. Das sehe ich aber keineswegs negativ, da ihre pure Qualität für sie spricht und dadurch auch beinahe ein Konzeptalbum-Feeling aufkommt. Dies wird noch dadurch unterstützt, dass man die „klassische LP“-Aufteilung wieder hervorgeholt hat, d.h. die ersten sechs Tracks bilden die Seite A und die restlichen fünf Nummern die Seite B. Das beide imaginären Seiten jeweils mit einem stilvollen Instrumentalstück abgeschlossen werden, verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich. Man mag mich altmodisch nennen, aber ich finde solche Einfälle einfach immer wieder toll. Eine andere Sache, die dafür sorgt, dass ich mir beim Hören von „Runaway To The Gods“ immer wieder die gute alte Langspielplatte zurück wünsche, ist das absolut sensationelle, stilvolle Coverartwork. Wie geil käme dieses Cover auf der aus heutiger Sicht riesigen Hülle einer LP?
Jedem, der sich für Hardrock und Melodic Rock auch nur annährend interessiert – und der dabei auch wert darauf legt, dass ein gewisser instrumentaler und songwriterischer Anspruch erfüllt wird – kann ich ein Reinhören in diesen Silberling nur dringendst empfehlen. Mit dem neuen Album von Toto sicherlich eine der besten Releases im Genre in diesem Jahr. Ehrlich gesagt übertrifft ZENO mit „Runaway To The Gods“ sogar „Falling In Between“ bei weitem. Von den Melodic Rock-Alben, die ich dieses Jahr im Player hatte, ist es eindeutig das beste und hat meiner Ansicht nach auch Chancen auf die Auszeichnung „Klassiker“.
Anspieltipps brauche ich nicht wirklich geben, ist alles hervorragend. Wer’s dennoch nicht blind kaufen will: Versucht es mit „Refugees (Longing For Paradise)“, „Land Of Illusion“ oder „Runaway To The Gods“. Danach solltet ihr die Platte eh zur Kasse tragen!
Wertung: 9 / 10