Vor nicht allzulanger Zeit waren die Karlsruher NECROPHAGIST noch ein mehr oder weniger unbeschriebenes Blatt. Zwar sind seit der Gründung 1992 einige beeindruckende Demos zu vermerken, allerdings sorgte man erst mit dem Debüt „Onset Of Putrefaction“ für Aufmerksamkeit. Der wahre Durchbruch gelang dann mit der neu gemasterten Version des Erstlings und der Veröffentlichung von „Epitaph“ im Jahre 2004. Mittlerweile ist die deutsche Combo jedem Death Metaller als wohl eine der technischsten und komplexesten Bands auf diesem Sektor geläufig. Bekannt ist Muhammed Suiçmez für unglaublich schnelles, technisch höchst anspruchsvolles und vertracktes Songwriting, die jeden normalsterblichen Gitarristen an seinem Können zweifeln lassen. Die Krone wird dann durch die noch furioseren Soli aufgesetzt, der Deutschtürke bedient sich hier in erster Linie schnellen Sweeps und Arpeggios. Diese Rezension handelt das neu gemixte Rerelease ab, für das lediglich die Drumsamples von Hannes Grosmann neu eingespielt wurden. Ansonsten legte hier der Fronter überall selbst Hand an, die festen Musiker verließen vor den Aufnahmen die Band und neue kamen erst wieder mit dem Nachfolger hinzu.
„Foul Body Autopsy“ ist wohl fast schon als ein Kultsong NECROPHAGISTs zu sehen, in nicht einmal zwei Minuten wird bewiesen, was man mit einer Gitarre alles anstellen kann. Fast unmenschlich schnelles Palm-Muted-Riffing, jede Menge Hammer-Ons und Pull-Offs, der große Einsatz verminderter Skalen, das kurze Sweepingsolo und der vorzüglich gegrunzte Gesang stellt schon in Kurzform das blanke Potential des Musikers dahin. Wobei das hier lediglich die Spitze des Eisbergs ist, wie man später bemerkt. Textlich geht man jedoch recht wortkarg vor, viel Text beinhalten die Songs nicht und selbige sind zwar stilvoll gehalten, erfüllen aber noch immer das Klischee der frühen 90’er. Blut, Leichen und Tod eben. Nach diesem Kurztrip hat man mit dem fast sechsminütigen „To Breath In A Casket“ schon ein ganzes Stück vor sich. Wie man nach weniger Zeit bemerkt, wird die Angelegenheit schon komplizierter, durch die anfangs fehlende Eingängigkeit gar sehr anstrengend. Allgemein klingen die Songs auf eine gewisse Art und Weise unglaublich steril, jeder Ton sitzt da, wo er sein muss, jeder Ton ist klar zu hören und durch den häufigen Einsatz künstlicher Flageoletts erhält das Ganze etwas „Abgehacktes“ und eine fast unheimliche Präzision. Doch genau das macht den Klang dieses Albums mit aus, wer von vornherein nicht mit einer derartigen Produktion klarkommt, sollte lieber die Finger von „Onset Of Putrefaction“ lassen. „Mutilate The Stillborn“ legt in puncto Geschwindigkeit stellenweise nochmal einen drauf und weiß durch einen interessanten Groove zu überzeugen, der sich durch den ganzen Track zu ziehen vermag.
. Ab diesem Punkt wird es vor allem für die Solofetischisten unter den Freunden des technischen Death Metals interessant, denn bei „Intestinal Incubation“ geht Muhammed solotechnisch wesentlich komplexer vor, als bisher zu hören war. Schon dieses Solo frisst sich auf eine gewisse Art und Weise ins Gehirn, sodass man den halben Tag das Bedürfnis hat, einfach nur das Solo zu hören. Langsam könnte man Angst bekommen, dem guten Mann fällt nichts gutes mehr ein, jedoch reizt „Culinary Hyperversity“ durch neue, interessante Harmonien, auch wenn der Soloteil hier relativ „simpel“ gehalten wurde. Ganz im Gegensatz zu „Advanced Corpse Tumor“, das gegen Mitte wohl mit einem der besten Soli überhaupt aufwartet. Gar melancholisch klingt jeder einzelne Ton durch die Boxen und selten vermag es ein Musiker, alle anderen Instrumente in einen solchen Einklang mit der führenden Gitarre zu bringen. Zur Freude eines jeden folgt mit „Extreme Unction“ schon der nächste Hammer, meiner Meinung nach einer der besten Songs auf diesem Album überhaupt. Auch hier beeindruckt mich – wer hätte es gedacht – das geniale und stimmungsvolle Solo. Mit dem regulär letzten Song „Fermented Offal Discharge“ wird nocheinmal die ganze Palette heruntergerasselt und wer denkt, dass hier das Solo den Höhepunkt darstellt liegt … Na? Richtig natürlich. In eineinhalb Minuten demonstriert das Fronttier ein letztes Mal die enormen Fähigkeiten. Auf dem Rerelease sind als Bonustracks noch die Songs „Dismembered Self-Immolation“, wie auch „Pseudopathological Vivisection“ enthalten, die dann schon ein wenig mehr nach Old-School klingen. An Bands wie Cannibal Corpse denkt man hier unwillkürlich.
NECROPHAGIST wird oft vorgeworfen zu steril zu klingen, vielmehr eine Technikdemonstration als eine Musikgruppe darzustellen. Selbst wenn das der Fall wäre, hätte Muhammed Suiçmez seinen Job verdammt gut gemacht. Aber auch vom musikalischen Aspekt her gefällt mir die Musik sehr gut, die so oft angesprochenen Soli beinhalten meist eingängige Harmonien und Melodien. Zwar ist das Album stellenweise durch die vielen Takt- und Tempowechsel und das technische Wirrwarr sehr anstrengend und schwer bangbar, aber sogar hier kann man sich reinhören. Deswegen ist NECROPHAGIST Pflichtprogramm für jeden Genießer des technischen Death Metals.
Wertung: 8 / 10