Auf Alben der amerikanischen Metaller von SHADOW GALLERY darf man sich im Regelfall gleich aus zwei Gründen freuen: Erstens, weil jede Veröffentlichung, von dem durchwachsenen Debüt vielleicht einmal abgesehen, eine konstant hohe Qualität aufweist; zweitens, weil man immer drei bis vier Jahre warten muss, bis ein neuer Geniestreich im Player Platz nehmen kann. Mit „Room V“ liegt nun die insgesamt fünfte (irgendwie logisch, oder?) Veröffentlichung an. Bereits in der Vergangenheit hat die Band zwei überragende Konzeptalben aus dem Ärmel geschüttelt: „Carved In Stone“ und „Tyranny“. „Room V“ stellt nun ein eben solches dar und schließt thematisch an „Tyranny“ von 1998 an. Dies ist auch der Grund dafür, dass das Album mit Act III beginnt. Musikalisch bezeichnet man sich selbst seit jeher als Progressive Metal, defacto hat die Musik der Jungs jedoch einen sehr symphonischen, melodiösen, hardrockigen Charakter, der öfters durch Powermetal-Geschwindigkeitsattacken und Frickelparts a la Dream Theater durchbrochen wird.
Genau wie auch Dream Theater bei „Scences From A Memory“ nutzen SHADOW GALLERY dabei die Möglichkeit, einzelne Parts oder Motive aus „Tyranny“ wieder aufzunehmen und in bearbeiteter Form in die neuen Songs einfließen zu lassen. Sehr schön!
Eröffnet wird der neue Longplayer dann auch in „Stiletto In The Sand“-Tradition: „Manhunt“ ist ein kurzes, aber streng frickeliges Intro, in dem bereits erste Zitate aus der Vergangenheit auftauchen.
Mit „Comfort Me“ folgt sogleich eine traumhafte Ballade mit zum dahinschmelzen schön-kitschigen Vocalarrangements/Duettgesang und dem klassischen SHADOW GALLERY-Piano. Ein bisschen Akustikgitarre und im späteren Verlauf auch Flöte tragen zu einer bezaubernden Stimmung bei, das obligatorische, aber absolut unverzichtbare Gitarrensolo darf natürlich auch nicht fehlen. Leadsänger Mike Baker zeigt bereits in diesem Song, dass er nichts von seiner stimmlichen Brillanz verloren hat. Der Mann ist schlichtweg einer der besten Rocksänger, die ich kenne, beherrscht sowohl langsamen, tragenden Stoff als auch rockiges, nach vorn treibendes Material hervorragend.
Das folgende „The Andromeda Strain“ ist ein Beispiel für einen typischen symphonisch-straight rockenden, hymnischen Mitsingsong der Band. Gute Riffs, der wiedereinmal hervorragende Chorgesang, im Mittelteil proggressive Instrumentalabfahrten von Gitarre und Keyboards, danach ein erneutes, eher atmosphärisches Gitarrensolo über einer coolen Bassgrundlage, Pianopassage also Überleitung zur Refrainwiederholung. Dieser Track sollte sowohl Prog- als auch Hardrock- und Melodic-/Powermetalfans ansprechen.
„Vow“ ist dann wieder etwas balladesker. Mike Baker steht wieder absolut im Mittelpunkt. Auch daran gibt’s nichts auszusetzen. Zum Dahinschweben! Die beiden Instrumentals „Birth Of A Daughter“ und „Death Of A Mother“ leiten mit atmosphärischen Keyboardteppichen und wenig später rasend wie in „Manhunt“ in „Lamentia“ über, welches die Melodie von „Comfort Me“ nochmals wieder aufnimmt und den dritten Akt gekonnt abschließt. Frickelfans kommen während der Instrumentaltracks noch mal voll auf ihre Kosten.
Die restlichen sieben Songs bilden zusammen den achten Akt. Das Pianospiel in „Seven Years“ dürfte aufgeschlossenen Shadow Gallery-Fans auch schon etwas bekannt vorkommen! Es wird wenig später um eine hoch jubilierende Gitarre ergänzt. Plötzlich findet man sich in „Dark“ wieder, welches logischerweise genau so klingt, wie es heißt. Zerberstende Glasscheiben und Menschschreie beschwören die bedrohliche Stimmung herauf, die wenig später von den Moog-Keyboards erzeugt wird. Da sind wir schon bei „Torn“; das geht jetzt aber schnell! Hier begegnen uns wieder die Flöte und dazu schöne Seventies-Keys und ein brillantes Gitarrensolo in einem langsam groovenden Midtempo-Song von acht Minuten Länge. Dieser Track ist allerdings etwas sehr langatmig geraten! Insgesamt macht sich bei mir langsam „Hunger“ auf schnellere Tracks MIT Gesang breit, denn davon hatten wir bisher nur einen einzigen, alle anderen flotten Nummern waren rein Instrumental. Als hätten SHADOW GALLERY diesen Ruf gehört, folgt mit „The Archer Of Ben Salem“ sogleich ein proggressiver Dampfhammer der überzeugensten Machart mit leichten siebziger Hammonds. Hier lernen wir endlich auch mal den aggressiveren Baker kennen. „Encrypted“ beginnt nur mit sorgsam gezupfter elektrischer Gitarre, ehe es sich nach dem Einsatz von Gesang, Keyboard und Piano zu einer weiteren guten Midtempo-Ballade entwickelt. Der Titeltrack ist dann gottseidank wiederum eine schnellere, straightere Nummer, vergleichbar mit den kürzeren Tracks auf „Legacy“ und den Rockern auf „Tyranny“. Warum können nicht mehr solcher Tracks auf der Platte sein? Allerdings findet sich auch hier nur ein sehr kurzer Gesangseinsatz zu Anfang und ein ausgedehnter Instrumentalpart. „Rain“ beendet „Room V“ symphonisch-getragen und episch-breit und serviert uns nocheinmal kurz Mike Baker im Rockgewand.
Alles in Allem sind SHADOW GALLERY ihrem Stil treu geblieben. Meiner persönlichen Meinung nach ist das Album jedoch im Grundtenor zu langsam und weißt auch zu viele Instrumentalpassagen auf. Richtig gute Rocksongs mit einem überragenden Mike Baker, wie noch auf „Tyranny“, scheinen den Jungs hier nicht so recht eingefallen zu sein. Wer sich damit abfinden kann, bekommt ein gutes, progressiv angehauchtes Rockalbum, welches jedoch in der eigenen Diskographie eher einen Platz im Mittelfeld einnimmt. Outputs wie „Carved In Stone“ und „Tyranny“ weisen einen wesentlich besseren Spannungsbogen auf und haben eine höhere Halbwertszeit. So reicht es „nur“ für 8 Punkte, womit SHADOW GALLERY zumindest für mich einen Punkt unter der Erwartungshaltung abschneiden. Somit befindet sich „Room V“ in etwa auf einer Höhe mit dem Vorgänger „Legacy“. Vielleicht hätte die Band sich auch dieses Mal für einzelne Tracks, wie bei „Legacy“ geschehen, und nicht für ein Konzeptalbum entscheiden sollen. Wer „Tyranny“ sein Eigen nennt, braucht „Room V“ natürlich trotzdem! Das Album erscheint übrigens auch als Special Edition mit Bonus CD!
Wertung: 8 / 10