Veröffentlichungen aus dem Bereich des Neoprog treffen auch in der größtenteils eingeschworenen Prog-Gemeinschaft immer wieder auf Vertreter aus beiden musikalischen Lagern – Während die einen behaupten, der Neoprog habe seinen Zenit schon lange überschritten und neue Bands seien nur noch darauf aus, ihre Idole zu kopieren, gibt es aber auch immer noch diejenigen, die mit ungebrochener Verzückung nahezu jedes erscheinende Album dieser Spielart konsumieren und in höchsten Tönen loben.
Auf den ersten Blick erscheint sich die Behauptung jener Kritiker auch beim ersten Album von Steve Thorne zu bestätigen. Cover, Plattenfirma & beteiligte Musiker lassen die Vermutung aufkommen, dass es sich hier um Neoprog in Reinkultur handelt, schließlich sind hier Musiker wie Paul Cook (ex-IQ), Martin Orford (IQ), John Jowitt, Gary Chandler (beide von Jadis) und Geoff Downes (Asia) als Gastmusiker beteiligt. Allgemein könnte man glatt auf Grund der Länge der Gästeliste annehmen, Herr Thorne wäre kaum in der Lage, ein Instrument selbst zu spielen. Namen wie “Nick d’Virgilio” (Spock’s Beard) und “Tony Levin” (u.a. King Crimson) könnte man in diesem Zusammenhang neben ihrer musikalischen Funktion auch noch eine vermarktungsstrategische Funktion nachsagen. Aber genug der Mutmaßungen, kommen wir zur Musik. Und die hat Thorne schließlich selbst geschrieben.
Mit dem instrumentalen Opener “Here They Come!” scheinen sich die obengenannten Befürchtungen zunächst zu bestätigen. Ein absolut überflüssiges, langweiliges, vor Klischee hell strahlendes, eineinhalbminütiges Kleinod, dass man einfach hätte weglassen sollen. “God Bless America” zeichnet sich durch einen wunderbaren Text aus, der verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten, eben pro & contra bzw. ironisch, zulässt. Musikalisch wechselt man zu klassischem, leicht folkigen Singer-Songwriter-Stoff. Eher simpel gestrickt, aber schön. Da verzeihe ich ihm doch gleich das Intro. Und in der Tat, auch mit den nächsten vier Tracks kann Steve Thorne voll überzeugen. Abwechslungsreiches, meist eher ruhig gehaltenes Songmaterial mit gelegentlichen Anklängen an den Neoprog, aber doch wesentlich mehr im eleganten Pop verwurzelt. Melodien, die sofort ins Ohr gehen und dort auch so schnell nicht mehr verschwinden, treffen auf die richtige Balance zwischen Anspruch und Eingängigkeit.
Vorallem “Last Line”, welches die Drogenabhängigkeit eines Teenagers thematisiert, und “Julia” sind Songperlen, die man nicht mehr missen möchte. Bei einem Soloprojekt sollte man vielleicht auch über die Qualitäten des Sängers sprechen, insbesondere dann, wenn sie durch Arrangement und Produktion so in den Vordergrund gestellt werden, wie bei “Emotional Creatures – Part One” geschehen. Steve Throne ist kein Ausnahmesänger, hat aber ein sehr angenehmes, zart klingenes Organ, irgendwo zwischen Fish, Steve Hogarth und Gary Chandler von Jadis, womit er auch keinem Neoprogfan sauer aufstoßen dürfte. Eher im Gegenteil.
Erst mit “Therapy” rutscht man wieder in stark neoproggige Gefilde ab. Das könnte auch von Jadis kommen. Ist mir doch wieder zu vorhersehbar. “Every Second Counts” als zweites Instrumental ist doch wesentlich besser gelungen als der Opener, jedoch songwritingtechnisch eher uninspiriert. Die letzten drei Tracks schaffen dann nochmals den Anschluss an die sehr guten Songs im Mittelteil des Albums, wobei “Gone” gegen Ende wiederholt die Neoprog-Schublade auspackt.
Würde ich nicht selbst genau zwischen den beiden anfänglich aufgezeigten Positionen stehen, wäre eine konsequentere Benotung möglich. Einerseits stimme ich den Kritikern zu, andererseits höre ich diesen Stil manchmal auch ganz gerne. Steve Thorne hat es geschafft, die üblichen Klischees größtenteils zu umschiffen, ohne dass man ganz auf typische Elemente dieser Musik verzichten muss. So gibt es z.B. schöne Keyboardparts ganz ohne diese ollen “Käsesounds”, dafür mit reichlich viel Melltron und Moog. Gut so! Ab und zu blitzt auch verhaltener Bombast durch.
Insgesamt überwiegen dann also doch die positiven Aspekte, auch wenn dies hier bestimmt keine Scheibe für reinrassige Rocker ist, denn weder die jubilierende elektrische Gitarre, noch sonderlich spektakulär rockige Schlagzeugparts lassen sich in großen Anteilen finden. Dennoch empfehlenswert, und zwar für beide musikalische Lager!
Wertung: 8 / 10